Montag, 29. Juli 2019

Rassistische Kupferkabel fördern Polittheater auf indischen Radwegen - Vermischtes 29.07.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Democratic Progressives and Centrists Are Both Committing Strategic Suicide
Of course, the majority can change either rule at any time. So if Democrats allow a hypothetical Republican minority to veto judicial nominations, either through a filibuster or a blue slip, Republicans can and will simply change the rule back when they have power again. For all the tut-tutting about “vengeance,” what they’re discussing is not whether to steal back their lunch money from McConnell but whether they should let him borrow their wallets again. While this delusional conversation is proceeding in Washington, the energies of the progressive base have been focused on forcing presidential candidates to endorse measures that are deeply unpopular, stand no chance of enactment, or both. And here, unlike in the chamber that will occupy the veto point of the next Democratic presidency’s agenda, the left has made significant headway. [...] Despite these grim numbers, activists have pressured leading Democratic candidates to put themselves on the wrong side of public opinion. Just 27 percent of the public supports decriminalization of the border, and 33 percent favors the extension of health-insurance benefits to undocumented immigrants, yet during the second Democratic debate, the latter position was endorsed by every candidate onstage. Centrism is not a political panacea, nor is it a myth. Its value matters in some ways, and not at all in others. Popular opinion is sensitive to high-profile public issues that can easily be reduced to understandable slogans on the news — “take away your insurance,” say. It is not sensitive to obscure Senate traditions — “Senator Jones refused to vote to restore the judicial filibuster” does not sound like a devastating attack. For the moment, the Democratic Party is clinging to centrism in the places where it has no value, and throwing it aside in the areas where doing so comes at great cost. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ich sehe das grundsätzlich ähnlich wie Chait. Die meisten demokratischen Kongressabgeordneten sind der Institution auf eine Weise verbunden, wie es die Republicans schon lange nicht mehr sind (was angesichts über 30 Jahre Anti-Kongress-Propaganda wenig wunders nimmt). Ihnen sind diese ganzen arkanen Regeln und Zusammenhänge wichtig, wesentlich wichtiger oftmals als konkrete policy-Ziele. Dieser Unwillen, sich über traditionelle Regeln hinwegzusetzen (wie etwa die auch im Artikel angesprochene Blue-Slip-Regel), wo die Republicans nicht auch nur das geringste Probem damit haben, sie abzuschaffen sobald sie die Mehrheiten dafür haben, ist eine massive Schwäche. Und Schwäche ist etwas, das die GOP wittert wie ein Hai Blut im Wasser. Umgekehrt ist auch richtig, dass einige der Positionen, die in den primaries gerade eine große Rolle spielen, in der Bevölkerung sehr unpopulär sind. Ich würde hier aber nicht so vernichtend urteilen wie Chait, der diese Positionen nebenbei auch persönlich ablehnt. Neue Positionen sind immer erst einmal unpopulär, und unpopuläre Positionen sind per se kein Grund, nicht gewählt zu werden. Die Republicans vertreten eine Menge Positionen, die super unpopulär sind und werden trotzdem gewählt. Die Democrats lügen nicht so frech und offen darüber wie ihre Gegner, sicherlich. Das spielt natürlich eine Rolle. Aber solange sie auch relevante Themen vertreten, die eine breite Zustimmung finden, können sie auch zusätzlich unpopuläre Themen vertreten. Die Frage ist nur, ob sie es politisch verkaufen können.

I also appreciate the political artistry of Bill Clinton’s 1992 campaign as the then-Arkansas governor tried to neutralize the arguments that Ronald Reagan had used against the Democrats in the 1980s. So Clinton the candidate wanted to reform welfare, put 100,000 cops on the beat and balance the budget. But that was a different era when objective facts still mattered and hyperbole rather than outright lies still ruled political discourse. Clinton could run as a New Democrat because mainstream Republicans could not get away with claiming that he was the candidate of “amnesty, acid and abortion,” to borrow a GOP attack line from 1972. But Trump’s contempt for anything resembling truth has erased this traditional political equation. [...] The larger point is that the traditional rewards for Democrats to move toward the center to appeal to swing voters have vanished in an era of Trumpian trampling on truth. If merely wanting to roll back part of the 2017 tax cuts is now attacked as socialism, then the careful issue proposals of prior Democratic nominees like Hillary Clinton no longer represent the route to political safety. Over the past quarter century, the Republicans have been the party of conservative and now nationalistic excess, while the Democrats have mostly offered centrist caution. Even the inspiration that surrounded the 2008 candidacy of Barack Obama was far more prompted by his persona and his life story than by his policy plans. So even if I do not agree with eliminating private health insurance and setting unrealistic goals under a Green New Deal, I do understand the political allure of dreaming big. (Walter Shapiro, Rollcall)
Das ist quasi ein Komplementärartikel zu Fundstück 1). Shapiro ist nicht gerade ein Vertreter der radikalen Linken. Auch hier ist meine Reaktion ein "Ja, aber". Zuerst das "Aber": Während es wahr ist, dass die Republicans ohnehin die größtmögliche Attacke wählen werden, weil sie sich darauf verlassen können, dass die Medien dann instinktiv die Mitte zwischen ihrem überzogenen Bullshit und dem Original wählen, ändert das wenig daran, dass eine Attacke an Effizienz gewinnt, wenn sie einen wahren Kern hat. Obamacare als Sozialismus zu bezeichnen ist eine Sache. Es ist leicht sowohl für die Medien als auch für Wähler und andere Personen, das als Blödsinn abzutun. Das Verbot privater Krankenversicherungen und ihr Ersetzen durch Medicare macht das auch in diesen Gruppen glaubhaft. Auf der anderen Seite hat man sowohl unter Obama als auch an Hillarys Wahlkampf gesehen, wie wenig Wert eine Verankerung politischer Forderungen in Fakten auf der einen und ein pragmatischer Ansatz andererseits haben. Man sieht das ja auch hier im Blog, wo sich Kommentatoren immer wieder nicht entblöden, Obama oder Clinton als Linksradikale darzustellen. Wer so unehrlich argumentiert, ist ohnehin nicht zu gewinnen. Solche Leute in den USA werden immer Trump wählen und irgendeine dumme Ausrede finden, warum sie das tun. Alles, was sie von den Überzeugungstätern unterscheidet, ist ein stinkender Haufen Rechtfertigungen, der über ihre Entscheidung gekippt wird.

Und weil das ja eigentlich alles nicht so wirklich bedeutend ist, packt Schulers Redaktion in der Sache den größten Hammer aus, der in ihrem Werkzeugkeller liegt, und jazzt auf der Titelseite eine für das Land völlig unbedeutende Entscheidung von zwei (!) Kitas zu einem nationalen Skandal hoch, auf den zahlreiche weitere Medien blindlings aufspringen und der am Ende dazu führt, dass vor den Kitas Polizeiwagen* stehen müssen. Als wäre es mit „elementaren demokratischen Prinzipien“ nicht vereinbar, dass ein privater Kita-Träger aus Rücksichtnahme freiwillig entscheidet, den Kindern kein Schweinefleisch aufzutischen — was viele Kitas deutschlandweit sowieso schon lange so handhaben, ohne dass es die „Bild“-Zeitung je gestört hätte –, schreibt Schuler von einem „Minderheiten-Diktat“ [...] Dieser Ralf Schuler, der hier so sehr um die „Trennung von Religion und Staat“ besorgt ist, ist der gleiche Ralf Schuler, der in seinem aktuellen Buch ein Kapitel geschrieben hat, das heißt: „Zurück zu den Wurzeln: Das christliche Kreuz gehört in der Politik dazu“. (Ben Hoffmann, Bildblog)
Die rechten Social Justice Warriors sind permanent mit moralisierender Hysterie unterwegs. Es ist alles nur eine Frage der identity politics für diese Leute. Sie wollen ständig anderen Leuten Vorschriften machen, Dinge verbieten und ihre eigene Weltsicht totalitär durchsetzen. Die Opfer sind ihnen völlig egal. Mal abgesehen davon ist der Kult um Schweinefleisch in Kantinen und Bildungseinrichtungen auch abseits der rechten identity politics Schwachsinn. Das billige, massenproduzierte Fleisch quält Tiere, ist schlecht für das Klima und ist ungesund. Man sollte es daher nur begrüßen, wenn es nicht mehr auf den Tisch kommt.

Rohrbach in Bayern hat es besonders bitter erwischt. Mehr als zehn Millionen Euro hatte das Bundesverkehrsministerium der 6000-Einwohner-Gemeinde bereits für den Breitbandausbau zugesichert. Doch dann schraubten die Internetprovider das DSL-Tempo in dem Gebiet nach oben, auf mehr als 30 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) und damit über jene Grenze, bis zu der die Förderbedingungen gelten. Die Stadt musste ihr Glasfaserprojekt beerdigen, das Geld verbleibt vorerst ungenutzt beim Bund. Der Todesstoß für die Glasfaserleitungen in Rohrbach kam kurz vor Baubeginn. Da nämlich sei der Grenzwert von 30 Mbit/s überschritten worden, teilte ein Sprecher der Stadt dem SPIEGEL mit. Die Provider in der Gegend hatten ihre Leitungen nach der Antragstellung der Gemeinde auf das notwendige Mindestmaß aufgerüstet. Das Beispiel zeige, wie die Provider durch Angabe höherer Bandbreiten "die besten Förderprogramme torpedieren können", sagte er. "Es wird höchste Zeit für bandbreitenunabhängige und entbürokratisierte Förderprogramme." Aufgrund solcher Störmanöver, auch Überbau genannt, verpuffen viele staatliche Subventionen für den Breitbandausbau. Mit Tempotricks wie Vectoring bringen Telefonanbieter die Kupferkabel in den Straßen an die Leistungsgrenze, überschreiten die 30-Mbit/s-Grenze, können aber niemals Gigabit-Geschwindigkeiten erreichen. Glasfaserkabel werden für das Vectoring nur bis zum Verteilerkasten verlegt, aber nicht in die Wohnungen. (Jörg Breithut, SpiegelOnline)
Wie so häufig ist das Gegenteil von gut gemeint gut gemacht. Die Förderbedingungen enthalten die nachvollziehbaren Einschränkungen dafür, dass nicht irgendwelche reichen Kommunen, die es nicht nötig haben, Fördermittel abgreifen, die eigentlich für deutlich notleidendere Kommunen gedacht sind. Nur lässt man sich mit solchen Tricks für dumm verkaufen. Das Problem ist hier auch, dass man viel zu tief zielt. 30 Mbit/s sind ein Scherz. Das wäre nicht mal vor 10 Jahren als sonderlich schnell durchgegangen. Die Idee, dass Förderung im Jahr 2019 AUFHÖRT, wenn irgendwo diese super-niedrige Grenze erreicht ist, ist völlig albern. Hätte man diese Fördergrenze einfach auf einem sinnvollen Level gezogen, so was wie 150 Mbit/s oder so, dann könnten die Provider ihre Kupferkabel sonstwohin stecken.

In the days leading up to the special counsel’s much-anticipated appearance before Congress, Democrats argued that hearing from Robert S. Mueller III on television could transform the impeachment debate. While Americans might not read the book, the argument went, they would watch the movie. If so, the movie Americans tuned into on Wednesday was not the blockbuster Democrats had sought nor was Mr. Mueller the action star they had cast. Dignified but shaky, and at times struggling to keep up, he largely stuck to “yes” and “no” and “refer you to the report” answers, steadfastly refusing to dramatize his conclusions as President Trump’s critics wanted him to do. By the time he finished nearly seven hours later, Democrats were disappointed they did not get the made-for-TV accusatory moment they wanted, and the prospect for impeachment appeared far more difficult. [...] The day was marked by the predictable partisan crossfire between Democrats acting as prosecutors of Mr. Trump and Republicans acting as his defense lawyers. While Democrats sought to get Mr. Mueller to agree with their interpretations about the illegality of Mr. Trump’s actions, Republicans drilled in on what they called the unfair origins of the investigation. (Peter Baker, New York Times)
Dieser Artikel (in der New York Times natürlich, dem Leitmagazin für Bothsiderismus) ist ein Paradebeispiel für das, was in der Politikberichterstattung falsch läuft. Die Konzentration auf die ganzen optischen Aspekte und das völlige Ignorieren der Substanz sind seit Jahren virulent. Dazu kommt das feige Verstecken hinter Phrasen. Democrats argued shit. Die Idee, dass die Anhörung endlich, endlich das gewünschte Impeachment-TV produzieren würde, war von Anfang an eine journalistische Blase. Die Democrats taten alles - und tun das immer noch - um so weit wie möglich vom Impeachment-Thema wegzubleiben wie sie können. Aber Peter Baker ist zu feige, um selbst Stellung zu beziehen und versteckt sich so hinter den bequemerweise namenlos bleibenden Democrats, die angeblich etwas argumentiert hätten, das er dann mit großem Aplomb unter Beweis seiner eigenen Brillanz zerlegen kann. Ich hasse dieses Genre im Journalismus so sehr.

6) The Budget Deficit Is All About Taxes, Not Spending
The trendline is still slightly down. Roughly speaking, the federal government spent about 21 percent of GDP during the Reagan era, less than that during the Clinton era, and then stabilized at about 20 percent during the Obama era. There is simply nothing here that is out of control. Now, these numbers are likely to go up as the baby boomers continue to retire, but that’s due to demographics, not profligate spending. We have a moral and practical commitment to fund Medicare and Social Security for future retirees, and we’ve known for decades that retiree spending will go up a few points of GDP in the 2020s and 2030s. But even at that, it’s unlikely to rise above 23 or 24 percent of GDP. It’s simply not a big problem. Now, one thing we do have is spiraling budget deficits. Why? As you can see, it’s not because spending is out of control. It’s because Republicans are dedicated above all to cutting taxes on the rich and therefore refuse to fund the government properly. It’s all about taxes, not spending. (Kevin Drum, Mother Jones)
Einmal mehr ein Eintrag in die beliebte Reihe "die Argumentation der Konservativen zum Thema Steuern ist Schwachsinn". Auch in Europa sind die Ausgaben bemerkenswert stabil. Die Höhe der Staatsquote schwankt konjunkturell bedingt. Sie schwankt aber weniger, weil irgendwelche gigantischen neuen Programme aufgelegt werden würden. In Deutschland ist sie in den letzten zehn Jahren sogar gesunken. Nicht, dass das einen Friedrich Merz hindern würde, von einer ständig steigenden Abgabenlast und außer Kontrolle geratenden Staatsausgaben zu fabulieren. Aber mit Zahlen und Fakten haben's die Konservativen ja nicht so.

7) Die Wahrheit
Die Bewegung Fridays for Future will nicht nachlassen, bis auch der Letzte begriffen hat, dass ökologische Fragen Zukunftsfragen sind, die vor allem unsere Kinder und Kindeskinder betreffen; und mit der nunmehr intensiven Diskussion um eine CO2-Besteuerung kommt ein politisches Instrument in Reichweite, mit dem sogenannte „externalisierte Kosten“ einen Preis bekommen. Denn unser Wirtschaften war bislang sehr geschickt darin, Preise niedrig zu halten, indem man Folgekosten wie durch Magie verschwinden ließ: Der Müll wird ins Ausland verschifft, durch Entwaldung verursachte Bodenerosion durch fortgesetzten Geländefraß in intakten Wäldern ausgeglichen, die Abgase werden in die Luft geblasen, Gift und Gülle auf Gewässer und Böden in der Ferne verteilt usw. Am Körper der Marktwirtschaft befindet sich also nicht nur jene „unsichtbare Hand“, die der Ökonom und Moralphilosoph Adam Smith schon im 18. Jahrhundert beschrieb und mit der die auf Eigenwohl gestimmten Marktteilnehmer quasi unbewusst und selbstregulierend das Gemeinwohl förderten, sondern auch eine listige Zauberhand, die das Wohl der Zukünftigen hintertrieb. Der Wirtschaftsprofessor an der London School of Economics und ehemalige Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, hat dies – nicht als erster, aber dafür mit viel Sachverstand und Aplomb – in seinem berühmten Report für die britische Regierung von 2006 und bald darauf in seinem Buch Der Global Deal dezidiert als „Marktversagen“ beschrieben: Wenn der wichtigste Koordinationsmechanismus des Marktes, nämlich der Preis für eine Ware oder eine Dienstleistung, das falsche Signal gibt, indem er die wahren Kosten nicht nur räumlich, sondern vor allem in die Zukunft externalisiert, dann liegt ein eklatantes Versagen des Marktes vor. Solch ein Versagen gibt es öfters, und die Gründe liegen meist in Informationsmangel, Missbrauch von Marktmacht und eben in sogenannten „externen Effekten“, wie oben knapp beschrieben. Aber gerade dieses Versagen ist mittlerweile unübersehbar. (Bernd Rheinberg, Salonkolumnisten)
Ich finde es auch immer wohlfeil, wenn jetzt eine Reihe von Aussagen und Leitartikeln kommt, die betont, wie wichtig es ist, nicht die Marktwirtschaft zu untergraben sondern stattdessen auf marktwirtschaftliche Prozesse zu setzen, um innovative Lösungen für die Klimakrise zu finden. Nicht, dass ich widersprechen würde, ich denke das muss tatsächlich passieren. Es ist einfach nur, dass ohne den Zwang von oben hier nichts passiert, das sehen wir mittlerweile seit Jahrzehnten. Der Veränderungsdruck muss da sein, DAMIT marktwirtschaftliche Prozesse wirken können. Weder Dreipunktgurt noch Katalysator, weder FCKW-freie Kühlschränke noch Verbesserungen in der Effizienz von Treibstoffnutzung kamen von selbst, sondern sie wurden von oben festgelegt. Die jeweils besten Formen dafür fand dann der Markt. Und so wird das hier auch sein. Der Staat muss das Ziel verbindlich und durch Gesetz festschreiben. Wie es erreicht wird, kann man dann gerne den freien Marktkräften überlassen. Aber festgeschrieben werden muss es.

8) Trump’s racism is part of his larger con
It’s wrong to characterize the racist incitement as a “distraction” since it is important on its own terms. But it is worth understanding that there is a controversial aspect of the Trump administration that he is happy to talk about — the racist aspect — and then there is a whole other set of controversies lurking hidden below the water line that Trump doesn’t like to talk about. In the fight Trump wants to have, he casts himself as a champion of the typical white American Christian who is beset by various alien forces and politically correct elites. But when you bring the entire iceberg into view, you see a version of Trump that is much more reflective of Trump’s entire business career — a scam artist who profits off the misplaced trust of his fans just as much as anything else. [...] This agenda, no less than Trump’s racism, is an absolute disaster for America’s immigrants and communities of color who are generally lower-income and more vulnerable to corporate abuses and pollution than more privileged people. But critically, it is also an absolute disaster for the vast majority of white people. There are simply very few people who benefit from a combination of more pollution and less economic competition, and there’s no way for the tax cutting to balance that out unless you’re part of the tiny minority of the public that derives the majority of its income from stock ownership. Trump’s politics of racial division are not particularly popular — his approval ratings are worse than those of any prior president at this point in his term except Jimmy Carter — but it’s still true that framing Trump as a symbol of white privilege is almost certainly more favorable to him than framing him as a person whose governance has concrete material implications for Americans of all ethnic backgrounds. (Matthew Yglesias, vox.com)
Auch dieses Fundstück läuft mehr oder weniger komplementär zu Fundstück 1). Man kann eine Menge unpopulärer Forderungen umsetzen, wenn man seine Anhängerschaft mit identity politics zufriedenstellen kann. Und was die disparate Koalition der Trump-Anhänger zusammenhält, ist ihre Abwehr gegenüber allem, was nicht so ist wie sie. Das Zusammenschnüren dieser Koalition in eine große Schicksalsgemeinschaft, deren Identität von außen bedroht wird, immunisiert sie auch gegenüber jeglicher Kritik. Das funktioniert hierzulande ja genauso. Pegida etwa ist auch vor allem vereint in dem, was sie ablehnen, weniger in dem, was sie wollen.

9) This won't cost him
We've already watched this scenario play out during the campaign in 2016, after the murder of an American citizen by a white supremacist terrorist in Charlottesville, after his offhand comments about "s***hole countries." Meanwhile, the media's Boy Who Cried Wolf approach to criticizing Trump has made it impossible for anyone except the most dedicated observer — the kind of person who is likely to have made up his mind about the president long ago — to distinguish between what is vile, commendable, and indifferent about this administration. For most people it long ago became a blur. Does this mean that Trump is in some bizarre unconventional sense "good at politics"? Maybe. He certainly isn't hurting himself or his political fortunes by talking this way. The only people who are adversely affected by his rhetoric are the rest of us who have to inhabit the noxious political atmosphere that he did not create but in which he has flourished. He will not be the last important American politician to employ these tropes — perhaps not even the last president. This is the cockle of rebellion, insolence, and sedition that we ourselves have plowed for, sowed, and scattered. Now it's harvest time. (Matthew Walter, The Week)
Die Fäulnis gärt tatsächlich schon wesentlich länger als Trump. Das ständige Relativieren, Verharmlosen und Normalisieren dieser Art von "Rebellion, Unverschämtheit und Volksverhetzung" geht ja viel weiter zurück. Der wesentliche Tabubruch 2016 war, glaube ich, dass Trump von der GOP akzeptiert wurde. Damals bestand für einen Moment die Möglichkeit, dass man ein klares "bis hier und nicht weiter" gibt. Mehrfach sogar. Ted Cruz (!) versuchte es noch beim Parteitag. Paul Ryan versuchte es nach dem Access-Hollywood-Video. Unter anderem der breite Unwillen, Trump als das zu betrachten und darzustellen was er ist - ein Unwillen, der bis heute anhält - und ihn stattdessen normalisiert. Und jetzt ist tatsächlich Erntezeit.

10) Tweet
Die BILD-Schlagzeile will ich lesen, wenn wir die Regeln für Abschiebungen auch so zur Disposition stellen würden wie das Einhalten der Straßenverkehrordnung. Sobald es ums Auto geht, dreht Deutschland einfach durch. Was halten wir davon, dass bestehende Gesetze eingehalten werden? Krasse Frage. So nachsichtig wird mit Gesetzesverstößen sonst nur umgegangen, wenn es um Steuerhinterziehung geht.

11) Absent Opposition, Modi Makes India His Hindu Nation
India under Modi was no longer the world’s fastest-growing economy. And whatever upward mobility was anticipated thanks to social welfare programs implemented by earlier governments could no longer be taken for granted. The prime minister’s opponents fought for a more equal society, but Modi himself, like strongmen elsewhere in the world, could only prosper in an unequal and divided one. And yet, Modi won again. [...] One institution that might have been expected to hold Modi to account is the news media. But journalists critical of Modi face torrents of abuse online, including rape and death threats; they have been manhandled, arrested, and detained, and Modi himself has called them “prostitutes.” These attacks increased in the run-up to the elections, declared Reporters Without Borders. “Hate campaigns against journalists, including incitement to murder, are common on social networks and are fed by troll armies linked to the nationalist right,” the group said. [...] Even the judiciary’s independence is in question. Modi’s government has meddled with judicial appointments, instating friendly judges, and rejecting appointments of those who have previously ruled against the party. [...] The rot may have set in decades ago, but it has taken Modi only five years to dismantle the idea of India as democratic and secular. The opposition movement is fragmentary and local. It will surely have to be widespread and united—with an equally potent alternate vision of India—if Modi is ever to be defeated. (Sonia Faleiro, New York Review of Books)
Indien ist nur ein Beispiel in einer langen Reihe bedrückender Fälle, die sich von den Philippinen bis nach Brasilien durch die ganze Welt zieht. Überall kommen rechtsautoritäre strongmen demokratisch an die Macht und machen sich dann in Windeseile daran, die Demokratie zu zerlegen. Ich bin ehrlich gesagt unsicher, warum diese neue Welle des Autoritarismus gerade so rechtsdominiert ist; vor 15 Jahren oder so waren ja gerade in Südamerika mal die linken Populisten angesagt. Aber auf jeden Fall handelt es sich um eine ordentliche Modewelle. Denn die Themen zumindest ähneln sich stark. Man kämpft immer gegen Anstand, gegen die Gleichberechtigung der Frau, gegen Toleranz und Integration von Einwanderern. Auch typisch für alle diese Leute ist die Korruption; persönliche Bereicherung steht immer ganz oben auf der Liste. Es ist bedrückend.

Samstag, 27. Juli 2019

Horst Seehofer bewertet Maaßens Doktorarbeit, fordert eine Vermögenssteuer und bekennt sich zum Feminismus - Vermischtes 27.07.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) The rise of eco-anxiety and how to come to terms with climate change
“Lots of people are saying they won’t have children. Other people say they don’t want to feel guilty about having a child and bringing it into a world where they know there’ll be lots of problems. One woman told me she fantasised about killing her child. “In fact I’ve had eight women who have said that to me. These are women desperately thinking about how to protect their children. They’re talking about despair, impotence and powerlessness. [...] Almost 70 per cent of British people want urgent political action, but there is a growing gap between announcements on climate change and the implementation of policies. The UK has promised to cut greenhouse gases to zero by 2050, yet we are currently set to miss targets for both 2025 and 2030. [...] Academics who have been at the coal face of climate research for decades are exhausted. Professor Camille Parmesan, from the School of Biological and Marine Sciences at the University of Plymouth, spent years producing scientific papers on the impacts of climate change but saw little to no action being taken by governments. She became “professionally depressed” and considered abandoning her climate research entirely. This is despite her being one of the most influential scientists of our time and a named official contributor to IPCC receiving the Nobel Peace Prize in 2007 with Al Gore. “Saying you’re going to do something is only a small way towards actually doing something,” she says. “I’d say it causes me more anger than anxiety. I don’t like lying, and many politicians – Trump is the champ on this – are simply lying about what the facts are. That really makes me angry. I’m doing all I can to counter that, but the public still wants to believe what they are told by their leaders… strange to now begin to think of that as a bad thing.” Very few countries are currently doing much to stop climate breakdown. Even if nations were to fully implement their Paris Agreement pledges, temperatures would probably still rise by 3C by the end of the century. The future looks bleak from any angle. “Eco-anxiety is only going to increase. I don’t see how it can’t,” says Ms Hickman. (Phoebe Weston, The Independent)
Es gibt eine ordentliche Wahrscheinlichkeit, dass "eco-anxiety" ("Öko-Furcht" oder "Öko-Angst" scheinen mir keine sonderlich treffenden Übersetzungen zu sein, jemand eine Idee?) tatsächlich um sich greift. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen das haben wird. Ich will einen Vergleich anbieten. In den 1990er Jahren rührten diverse Wirtschaftsverbände und mit ihnen freundlich verbundene Politiker und Medienleute die Werbetrommel für große Reformen, deren Kulminationspunkte die Agenda2010 bzw. das Leipziger Programm der CDU werden würde. Diese, nennen wir es "reform-anxiety", erfasste damals die gesamte Gesellschaft. Bis auf einige wenige "Reformleugner" waren sich alle einig, dass der demographische Faktor riesigen Handlungsdruck erzeuge, dass die Lohnnebenkosten zu hoch waren, und so weiter und so fort. Es wurde zu einem geradezu religiösen Lehrsatz; der Verstoß dagegen schloss einen aus feiner Gesellschaft geradezu aus (erkennt jemand Parallelen zu den Klagen der Konservativen für heute, darf er sie behalten). Die Konsequenz war die Öffnung des politischen Spielraums für eine, genau eine, Jahrhundertreform, eben die Agenda2010. Danach war die Luft raus. Es ist nicht so, als würde man heute sonderlich viele Leute finden, die der Überzeugung sind, dass der demographische Faktor als Problem gelöst wäre, oder dass wir die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesichert haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass das hier ähnlich läuft, ist groß. Nehmen wir an, wir kriegen auf einer Welle der eco-anxiety diese oder nächste Wahl Bundeskanzler Robert Habeck. Inlandsflüge werden verboten. Plastikverpackungen stark reduziert. Der ganze Albtraum des FAZ-Feuilletons wird wahr. Danach wird die Luft raus sein. Aber das Problem nicht gelöst. Ich finde das ein veritables politisches Problem weit über den Anstoß des ersten Handelns hinaus, um den es bisher ging, und bin gespannt, was eure Meinung zum Thema ist.

2) Fehltritte des obersten Verfassungsschützers
Die Amerikaner waren nach wenigen Monaten von Kurnaz' Unschuld überzeugt und wollten den Bremer in seine Heimat abschieben, doch die deutsche Seite lehnte ab - auch wegen Maaßen. Kurnaz, der nur eine türkische Staatsbürgerschaft hatte, durfte Maaßens Rechtsgutachten zufolge nicht mehr einreisen. Kurnaz' Aufenthaltsgenehmigung sei "kraft Gesetz erloschen", denn er habe sich "länger als sechs Monate im Ausland" aufgehalten. Dass Kurnaz in der Zeit in Folterlagern gefangen war, änderte für Maaßen nichts. Der Bremer musste vier weitere Jahre in Guantánamo bleiben, bevor er 2006 zurückkehren konnte, nachdem sich Angela Merkel für ihn eingesetzt hatte. [...] 2015 erstattete Maaßen Strafanzeigen beim Landeskriminalamt Berlin, die zu Ermittlungen gegen das Blog netzpolitik.org führten. Damit wurde zum ersten Mal seit Jahrzehnten und mehr als fünfzig Jahre nach der Spiegel-Affäre wieder Journalisten Landesverrat vorgeworfen. Zwei Netzpolitik-Redakteure hatten aus vertraulichen Unterlagen des Verfassungsschutzes zitiert. [...] Als Präsident des Verfassungsschutzes pflegte Maaßen bis in die jüngste Vergangenheit in Art und Umfang recht ungewöhnliche Kontakte zu hohen Funktionären der Alternative für Deutschland (AfD). Bereits bevor die Rechtspopulisten in den Bundestag einzogen, kam es zu mehreren Treffen mit der damaligen Parteichefin Frauke Petry - auf Initiative von Maaßen, betont die Abgeordnete. Einer AfD-Aussteigerin und früheren Petry-Vertrauten zufolge soll Maaßen Ratschläge gegeben haben, wie die immer weiter ins Rechtsradikale driftende AfD der Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen könne. [...] Im Januar 2017 beschäftigte sich der Bundestag mit dem Attentat am Berliner Breitscheidplatz, bei dem der Terrorist Anis Amri wenige Wochen zuvor zwölf Menschen tötete. Maaßen ließ schriftlich erklären, dass sein Geheimdienst "keine V-Leute" im Umfeld Amris gehabt habe. Bei einer späteren Befragung des Innenausschusses erneuerte er die Aussage. Nach Recherchen mehrerer Medien war das jedoch gelogen. (Benedikt Peters/Oliver das Gupta, Süddeutsche Zeitung)
Die lange Liste, die in dem Artikel minutiös aufgelistet wird, lässt einen nur fragend zurück. Wie konnte der Mann überhaupt so lange im Amt bleiben? Maaßen hat sein Amt von Beginn an als politische Behörde gesehen, eine Tradition, die deutsche Geheimdienste leider seit ihrer Einrichtung als Überbleibsel der "Operation Gehlen" in den 1950er Jahren begleitet. Die schiere Masse an Zwischenfällen, in denen das Amt auf dem rechten Auge blind ist wäre dabei ja nur eine Sache, aber wir haben einen Geheimdienstchef, der seine Behörde in den Dienst von Rechtsradikalen stellt. Zusätzlich zu den ganzen Verfehlungen des Geheimdiensts selbst ist das eine dicke Nummer.

3) "Wir brauchen wieder einen aktiveren Staat" (Interview mit Horst Seehofer)
Wie konnte es dazu kommen? Es gab sicher Versäumnisse. Der Staat hat in den vergangenen 30 Jahren zu wenig investiert. Wir haben versucht, Schwächen auszugleichen, etwa mit dem Soli. Aber man muss selbstkritisch sagen: Mit dem Stopfen von Lücken gelingt kein Strukturwandel. Und erst recht kein Aufbruch. Welche Gefahren drohen, wenn diese Kluft nicht überwunden wird? Wir spüren: Viele Bürger fühlen sich abgehängt. Das fördert radikale Kräfte, die den Menschen das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Gleichzeitig führen die Verhältnisse dort, wo sich alles bündelt, zu einer Überhitzung der Metropolen mit steigenden Mieten und wachsenden Verkehrsproblemen - und dort, wo zu wenig ist, zu einer Entleerung und Überalterung der ländlichen Räume. All das hat enorme Konsequenzen. Letztlich droht es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu zerstören. Wie sieht der aus? Wir brauchen wieder einen aktiveren Staat, der die Mängel der sozialen Marktwirtschaft ausgleicht und uns vom Irrglauben befreit, die Marktwirtschaft löse alles. Wir brauchen eine Wirtschaftsstrukturpolitik, die Schwächen bewusst und entschlossen ausgleicht. Welche Mängel sehen Sie? Beispiel schnelles Internet: Für 15 Prozent des Landes ist es für Telekommunikationsunternehmen nicht rentabel, dies den Bürgern anzubieten. Also passiert nichts. Aber wir können einen so großen Teil des Landes ja nicht abhängen. Ärzte, Betriebe, aber auch die Bürger sind darauf angewiesen. Wir brauchen deshalb eine staatliche Infrastrukturgesellschaft, die genau dort Masten errichtet und Netze verlegt, wo es Unternehmen nicht tun. Hier muss sich der Staat künftig mit Steuermitteln engagieren. Ähnliches gilt für Bahntrassen. (Markus Balser/Stefan Braun, Süddeutsche Zeitung)
Ich hatte kein Ahnung, über was für visionäre Typen die CSU verfügt. Man fragt sich richtig, warum Seehofer innerhalb der Partei nie eine größere Rolle spielen durfte, innerhalb derer er solche großen Ideen hätte umsetzen können. In die Politik mit dem Mann! Aber allen Ernstes, so sehr ich in der Substanz bei Seehofer bin, so lächerlich ist es, dass er diese Ideen gerade jetzt entdeckt, wo er seine Ämter los ist, und großspurig die Versäumnisse anprangert, an deren fortdauerndem Bestehen er, was, 40 Jahre lang aktiv mitgearbeitet hat? In einer etwas großzügigeren Lesart können wir hier das Anzeichen eines Umschwenkens der öffentlichen Meinung sehen. Wenn Seehofer glaubt, er könne als "elder statesman" mit einem Ruf nach massiven staatlichen Investitionen punkten statt in Hans-Eichel-Gedächtnispose die Einhaltung der Schwarzen Null zu fordern, dann ist da was im Fluss.

4) Recht, selektiv
Seit 2015 hat sich Maaßen gegenüber Journalisten immer wieder kritisch zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin geäußert. Von seinen Fans wird ihm das als Ausdruck einer höheren Loyalität gutgeschrieben. Aus der Dissertation erschließen sich die sachlichen Grundlagen seiner Einschätzungen. Ziel der Arbeit ist laut Lübbe-Wolff der „Nachweis, dass für eine restriktivere Flüchtlingspolitik erhebliche noch unausgeschöpfte Spielräume bestehen“. Das überaus kritische Urteil der Rezensentin hat nichts mit der politischen Bewertung dieses Ziels zu tun. Vielmehr moniert Lübbe-Wolff, dass Maaßen auch in der Methodik restriktiv ist: „Argumentative Gründlichkeit und Sorgfalt in der Präsentation und Auswertung von Quellen und Literatur investiert der Verfasser des Öfteren recht selektiv.“ Zu „gründlicher eigener Analyse“ der Rechtsprechung sehe er sich „nur herausgefordert“, wo sie „nicht auf seiner Linie liegt“. Rechtspolitische Einseitigkeit und methodische Verstiegenheit kommen gemäß Lübbe-Wolffs Referat zusammen, wo der Autor sich „auch abgelegenste Bedrohungsszenarien“ einfallen lässt, „wenn es um den effektiven Schutz der Staaten vor unerwünschter Zuwanderung geht“: etwa „die Besorgnis, dass Asylrechtsgewährleistungen von Verfolgerstaaten gezielt zur Destabilisierung eines Aufnahmestaates durch massenhafte Flüchtlingsproduktion genutzt werden könnten“. Was 1997, als Maaßens Arbeit im Druck erschien, ein extrem hypothetisches juristisches Gedankenspiel war, ist heute eine in der Bevölkerung grassierende Befürchtung, nicht zuletzt dank jener Zeitung, die der Verfassungsschutzpräsident sich als Kanal für die Verbreitung seiner Vermutung aussuchte, in Chemnitz hätten Nachrichtenfälscher von einem von Asylsuchenden begangenen Verbrechen abgelenkt. (Patrick Bahners, FAZ)

Und noch einmal Maaßen. Es ist nicht sonderlich überraschend, dass der Mann beim Erklimmen der Karriereleiter vor allem auf rechtsgerichtete Karrierenetzwerke baute und weniger auf die Qualität seiner Leistungen, aber das ist in dem Milieu ja Gang und Gäbe. Da wird das Studium zwar durchgezogen, aber Papas Kontakte, Geldbeutel und der von Haus aus mitgebrachte Habitus zählen mehr als jede Eigenleistung. War ja bei Guttenberg auch schon so, wo der Doktorvater sich nicht entblödete völlig erschüttert davon zu sein, dass ein Adeliger betrügen könnte. White privilege in Reinkultur. Und das sind dann die Leute, die sich an allen Ecken und Enden benachteiligt und verfolgt sind. Das ist so ein unglaublich armseliger Haufen.

5) There’s Value in Trying a Wealth Tax

There is a real possibility, therefore, that wealth taxes could fail to rake in the large amounts of revenue that Warren, Saez and Zucman anticipate. Disappointing revenues, combined with large and unwieldy bureaucracies required to collect the tax, are why most European countries eventually abandoned wealth taxes. But although these dangers are very real, they don’t mean that the U.S. shouldn’t try a wealth tax. If revenues are lower than expected because the wealthy simply aren’t as wealthy as advertised -- or because they accumulate fewer assets in response to the tax -- it means lower inequality and less need for redistribution. Meanwhile, if the rich turn out to be as good at dodging wealth taxes as they are at avoiding the estate tax, it only magnifies the need for multiple kinds of taxation. Income taxes, capital-gains taxes, wealth taxes and estate taxes will form a sort of defense in depth -- if money doesn’t get caught at one stage of the process, it may be caught and taxed at another. This sort of multilayered taxation may be the only way that modern governments can counter the armies of accountants and lawyers that extremely wealthy people have at their disposal. (Noah Smith, Bloomberg)
Die Vermögenssteuer ist eines von diesen Themen, zu denen ich keinerlei sonderlich gefestigte Meinung habe. Sie scheint grundsätzlich ein Instrument für Gerechtigkeit zu sein und bei der Reduzierung der Ungleichheit, besonders bei unproduktiven Vermögen, zu helfen. Gleichzeitig sind die Argumente der Kritiker, wie sie etwa Stefan Pietsch hier ja schon öfter prominent vertreten hat, auch nicht gerade von der Hand zu weisen. Die praktischen Probleme bei der Umsetzung einer solchen Steuer sind Legion. Deswegen finde ich Smiths Schlussfolgerung, dass die Reichen jeder Steuer ausweichen werden, egal wie kleinteilig oder großmaschig sie aufgebaut ist, und dass es einfach nur verschiedene Abflüsse braucht, ganz interessant. Von der Warte habe ich das noch nicht gesehen. Die Vermögenssteuer quasi nicht einführen, damit sie explizit die an sie geknüpften Erwartungen erfüllt, sondern als Hebel, damit andere Systeme besser funktionieren. Klingt spannend. Haben wir Steuerexperten die dazu was sagen können?

6) Liberals' astonishingly radical shift on gender
Others have noted the religious connotations of the term. This has even been reflected in the prevalence of the formulation "Great Awokening" among sympathetic journalists seeking to explain the trend. It gets at something important. A kind of spiritual-moral madness periodically wells up and sweeps across vast swaths of the United States. In the 18th and 19th centuries, these Great Awakenings were decidedly "low church" affairs and invariably emerged from America's plethora of Protestant sects. Today, for perhaps the first time in American history, it is a nominally secular, progressive elite that finds itself swept up into a moral fervor and eager to overturn (linguistic and other) conventions in a surge of self-certainty and self-righteousness. Yet the focus on religious antecedents can obscure as much as it clarifies about what's going on around us. [...] This is how a progressive in 2014 can consider it an unacceptable limitation on individual freedom for gay couples to be denied the right to marry — and base that argument on the claim that a gay man's love and natural desire for another man, like a lesbian's love and natural desire for another woman, is irreducible and ineradicable — and then insist just five years later that it is an unacceptable limitation on individual freedom for anyone to be presumed a man or a woman at all. As Andrew Sullivan has powerfully argued, the two positions are fundamentally incompatible. The first, which morally justifies same-sex marriage, presumes that biological sex and binary gender differences are real, that they matter, and that they can't just be erased at will. The second, which Manjoo and many transgender activists embrace and espouse, presumes the opposite — that those differences can and should be immediately dissolved. To affirm the truth of both positions is to embrace incoherence. But that assumes that we're treating them as arguments. If, instead, we view them as expressions of what it can feel like at two different moments in a society devoted to the principle of individualism, they can be brought into a kind of alignment. Each is simply an expression of rebellion against a different but equally intolerable constraint on the individual. All that's changed is the object of rebellion. (Damon Linker, The Week)
Die Religionsmetapher ist ja auch eine, die mit der Regelmäßigkeit des abgedroschenen Klischees bemüht wird, wenn es um die Grünen geht. Da ist die Parallele ziemlich deutlich. Ebenfalls offenkundig sollte die Parallele vom Wert des Bekennens der entsprechenden Position sein, der von der Basis der jeweiligen Bewegung in es hineingesetzt wird. Aber: das ist wahrlich kein Alleinstellungsmerkmal der Progressiven. Affirmationen der Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung gibt es in jeder solchen Gruppierung. Ohne diese Bekenntnisse könnten sie nicht existieren und ihre Gruppenidentität aufbauen. Und diese Bekenntnisse sind immer widersprüchlich, bei jeder Bewegung. Die FDP hat ja auch kein Problem damit, im einen Satz die Regulierungswut des Staates zu geißeln und im anderen die schützende Hand über die Freien Berufe zu halten. Klar widerspricht sich das, aber wir Menschen sind halt komplizierte Wesen und lassen uns nicht so einfach in Kategorien packen, wie das der Wahl-O-Mat manchmal suggeriert.

7) Weißes Haus sagt 1.000.000.000.000 Dollar Defizit voraus
Trotz der robusten Wirtschaftsentwicklung und niedrigen Arbeitslosigkeit gibt der amerikanische Staat deutlich mehr Geld aus, als er einnimmt. Das Haushaltsdefizit werde im laufenden Fiskaljahr eine Billion Dollar betragen, sagen die dafür zuständigen Fachleute des Weißen Hauses voraus, ausgeschrieben als Zahl sind das 1.000.000.000.000 Dollar. Dass die Ausgaben des amerikanischen Staates die Einnahmen übertreffen, liegt an zwei Gründen: Die Regierung des Präsidenten Donald Trump brachte umfangreiche Steuersenkungen auf den Weg. Zudem erhöhte sie die Ausgaben für das Militär deutlich – aber auch für andere Bereiche. Ökonomen sehen das Haushaltsdefizit eher skeptisch. Sie sorgen sich zwar (meist) nicht darum, dass die Vereinigten Staaten sich überschulden könnten. Allerdings raten sie zu höheren öffentlichen Defiziten vor allem in Zeiten, in denen sich die Wirtschaft schwach entwickelt und die Arbeitslosigkeit hoch ist – um solche Perioden schneller zu überwinden. (FAZ)
Warum irgendjemand irgendeinen Konservativen dieseits wie jenseits des Atlantiks ernst nimmt, wenn dieser oder diese irgendwas von fiskalischer Zurückhaltung oder zu viel Schulden erzählt, ist mir völlig schleierhaft. Es ist jedes einzelne Mal gelogen. Konservative entdecken ihre Liebe zu ausgeglichenen Haushalten immer dann, wenn sie Ausgabewünsche ihrer politischen Gegner abblocken wollen, und es ist ihnen immer dann völlig Hupe, wenn sie ihre eigenen finanzieren wollen. That's it. Ich bin sicher, meine Kritiker hier werden sich leicht damit tun, ähnliche Heucheleien seitens der Progressiven zu finden. Sie gehören zum politischen Prozess und sind Teil der in Fundstück 6) angesprochenen Affirmationen. Warum aber ausgerechnet dieser Defizit-Blödsinn ein solch permanentes Wohlwollen in der Publizistik genießt, obwohl die Beweislage das glatte Gegenteil zeigt, ist unerklärlich.

8) Schade, dass er ein Mann ist
Am Montag hat Ursula von der Leyen per Tagesbefehl an die Bundeswehr verkündet, dass sie als Verteidigungsministerin zurücktritt. Dürften die SoldatInnen selbst darüber abstimmen, wer auf die CDU-Politikerin folgt, wäre das Ergebnis wohl eindeutig: Peter Tauber, als Staatssekretär ohnehin schon im Ministerium, ist in der Armee extrem beliebt. Viele in der Bundeswehr wünschen sich den Hessen als neuen Chef – vor allem deshalb, weil er einer von ihnen ist. Tauber hat selbst gedient, ist Hauptmann der Reserve und gelegentlich in Uniform unterwegs: Unter SoldatInnen gilt das als Qualitätsmerkmal. Und damit liegen sie falsch. Die schlechteste Wahl wäre Tauber zwar wirklich nicht. Das liegt aber nicht daran, dass er mal gelernt hat, ordentlich zu marschieren und zu schießen. Hinter dem Wunsch verstecken sich zwei falsche Annahmen. Die erste: Wer das Verteidigungsministerium führe, müsse die Interessen der SoldatInnen vertreten. Er dürfe Verfehlungen der Armee nicht zu harsch kritisieren – auf keinen Fall so, wie es von der Leyen tat, als sie der Bundeswehr wegen des laschen Umgangs mit Rechtsextremen ein Haltungsproblem vorwarf. Tatsächlich ist der Verteidigungsminister aber Verteidigungsminister der Bundesrepublik und nicht Verteidigungsminister der Bundeswehr. Er sollte die Interessen der SoldatInnen zwar berücksichtigen, aber nicht über andere stellen. Das Verteidigungsministerium ist nicht der Bundeswehrverband. Die zweite falsche Annahme: Nur wer selbst gedient hat, kann die Bundeswehr verstehen und politisch führen. Wenn dem tatsächlich so wäre, hätten wir ein Problem. In der Demokratie darf das Militär keinen Staat im Staat bilden. Es ist der Politik unterstellt – und muss deshalb so verfasst ein, dass ein ziviler Politiker es durchdringen kann. Fachkenntnisse sind natürlich von Vorteil, wie in allen Ressorts. Aber man muss nicht im Schützengraben gelegen haben, um Ahnung von Sicherheitspolitik zu bekommen. (Tobias Schulze, taz)
Die Fehlwahrnehmung, die Schulze hier anspricht, ist weit verbreitet. Es ist der Irrglaube, dass Quereinsteiger mit einschlägigen Kenntnissen aus dem jeweiligen Berufsfeld den Profis aus dem eigentlichen Feld überlegen wären. Ein ähnlicher Irrglaube herrscht auch im Bildungssystem, wo immer wieder angenommen wird, versierte Quereinsteiger seien ausgebildeten Lehrkräften überlegen. Das Politikersein ist niemandem in die Wiege gelegt. Es erfordert Übung und Praxis. Deswegen werden üblicherweise auch solche Leute für höhere Positionen ausgewählt, die bereits vorher irgendwo Erfahrung gesammelt haben. Wo das nicht passiert, kommt üblicherweise auch wenig Gutes raus, und zwar sowohl wenn man Quereinsteiger hernimmt als auch wenn man getreue Parteisoldaten befördert. Oder auch, auf gut Deutsch gesagt, es ist wie in jedem anderen Job auch. Oder wie oft hat es schon funktioniert, irgendwelche Experten für einen bestimmten technischen Bereich zum CEO zu machen? Die Anforderungsprofile sind einfach grundsätzlich andere. Klar, man kann mal Glück haben und ein Ausnahmetalent erwischen, einen echten Tausendsassa. Aber das ist extrem selten, und verlassen kann man sich keinesfalls drauf.  

9) Die Unschuld vom Rande
Neulich im bayerischen Landtag. Präsidentin Ilse Aigner rief zu einer Gedenkminute für den mutmaßlich von einem Rechtsextremen ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf und bat die Anwesenden, sich dafür zu erheben. Alle taten es – nur der AfD-Abgeordnete Ralph Müller blieb sitzen. Nach heftiger öffentlicher Kritik behauptete Müller später, er sei doch lediglich mit „ein paar Sekunden“ Verzögerung aufgestanden. Das ist falsch. Wie Fernsehbilder belegen, blieb er die gesamten zweieinhalb Minuten der Gedenkansprache sitzen, erhob sich erst, als Aigner eines anderen Verstorbenen gedachte. Weiterhin behauptete Müller, sein Verhalten sei nicht böswillig gewesen, sondern einer Unaufmerksamkeit geschuldet. Er habe eine bevorstehende Rede neu zusammensetzen müssen und sei dadurch „sehr stark abgelenkt“ gewesen. Schlüssige Begründung oder Ausrede? Ralph Müllers Argumentation reiht sich ein in eine lange Liste abenteuerlicher Erklärungen, mit denen sich führende AfD-Politiker nach Tabubrüchen und anderen Skandalen verteidigen. Der eine will nichts gewusst haben, dem zweiten wurde der E-Mail-Account gehackt, der dritte kann sich angeblich nicht erinnern. Wie passt das zusammen mit einer Partei, die sich ausgerechnet den Slogan „Mut zur Wahrheit“ verschrieben hat? Eine kleine Auswahl. (Sebastiyn Leber, Tagesspiegel)
Passend zu der langen Liste der SZ über die Maaßen'schen Verfehlungen hat hier der Tagesspiegel eine Liste für die AfD zusammengeklaubt, die deren vorrangige Kommunikationsstrategie aufzeigt: leugnen und sich dumm stellen. Vor allem das freche direkte Lügen ist beachtlich. Wie bei Trump und den Brexit-Leuten auch hat das Lügen und beim Lügen erwischt werden für die AfD keine negativen Konsequenzen. Dies liegt, denke ich, an der Abkapselung ihrer Anhänger. Die bilden einen eigenen Mikrokosmos, in dem jede unabhängige Berichterstattung als "Lügenpresse" verunglimpft wird und in der massiv am Aufbau einer professionellen Blase gearbeitet wird; die andauernden Bestrebungen der AfD, ein "AfD-Fernsehen" aus dem Bundestag heraus aufzubauen, sind für diese Strategie ein deutliches Beispiel.

10) An Interview With ‘A Thousand Small Sanities’ Author Adam Gopnik
So that’s the question I was coming back around to. The argument I get from the more pragmatic leftists is, “You need us. You may not agree with us, but you need us. Without us, you simply get crushed by the right.” Maybe liberalism isn’t simply centrism, but what they’re saying is it has more effectiveness when it’s in the center.
Let’s imagine that we suddenly in 2020, we emerge with an international coalition — you know, Legion of Justice, right? — that we entrust with power, that was headed by Naomi Klein and seconded by AOC and strung out like the Avengers and all of justice, right? The moment they actually started trying to make the kinds of changes, the scale they wanted, they would provoke resistance. Not because the evil big corporations on the other side were evilly conspiring to do it, but because in a pluralistic society many people have many different interests.
And the question is always, how do you deal with the resistance to your ideas? That’s the crucial question. And it’s a question that liberals have a good answer for. They say you’re patient, you placate, you persuade. And over time, the boat, in Obama’s beautiful phrase, begins to move. The great big boat begins to move. And if you look at any one moment, it looks like it hasn’t moved at all, and you look back over a lifetime, and you say, Oh my God. We’re on a totally different life course than we were 50 years ago. And we live with that reality every day. There’s never been, in my mind, a satisfactory radical, certainly never a satisfactory Marxist answer, to that predicament. And every radical and Marxist government that’s ever been in power has floundered, catastrophically, on the inability to answer that question, what do you do with dissent?
Because it doesn’t recognize pluralism as a normal characteristic of society.
Yes, exactly. Because it believes that one part of society — and this is deeply in the DNA of Marxism — is in possession of historical destiny, and the moral truth, and the rest of society is not. You have that picture, then Leninism flows very naturally. You could certainly have a socialist society with liberal institutions.
You’re talking about economic socialism and political liberalism.
Yeah. And Hayek said, in 1945, “No, you can’t, that’s impossible.” And the Atlee government [controlled by the British Labour Party] said “Yes, you can,” and they did! I hope one of the minor originalities of this book, Jon, and maybe it’s not minor, is that I think that you have to see European social democracy and Canadian social democracy as part of the genealogy of the liberal tradition.
Anyway, my point is this, that I think you can only understand European and Canadian social democracy, social-democratic movements, as within the context of liberalism. Let us never forget that John Stuart Mill sat in the Parliament as a socialist. That his identity was as a liberal and a socialist and there was no conflict between believing passionately in liberal institutions and believing in economic reform, including nationalization and important sectors of the economy like health care. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Dieses Interview ist in seiner Gänze lesenswert, aber die obigen Ausschnitte destillieren sehr deutlich meine eigenen Gedanken zu dem Thema. Die vier Themen dieses Ausschnitts in Reihenfolge.
Zum Einen sprechen Globnik und Chait über den Wert von Änderungen im Kleinen, die sich dann zu Änderungen im Großen summieren. Das ist eine theory of change, der ich anhänge. Die Metapher, auf die sie sich beziehen, stammt von Obama, quasi dem Säulenheiligen dieser Theorie: Ein Staat ist ein Tanker, dessen Kurs sich nicht abrupt um 90° ändern lässt. Aber wenn ich den Kurs um 2° ändere, wird er nach einigen Jahren bereits einen deutlich anderen Bestimmungspunkt anlaufen.
Und das führt zu Punkt 2, der theory of change der radikaleren Linken. Diese geht immer - und in meinen Augen fälschlich - davon aus, dass radikale Änderungen nicht nur möglich, sondern die einzig möglichen sind. Ich halte das für einen Irttum, nicht nur wegen der realpolitischen Hindernisse von Machbarkeit, sondern auch wegen: Punkt 3. Jede Änderung führt zu Widerstand. Auf diesen Widerstand kann ich auf vier Arten reagieren. Ich kann einknicken, ich kann hoffen dass er sich einfach von selbst legt, ich kann versuchen zu überzeugen oder ich kann versuchen ihn zu brechen. Die letzte Variante ist die autokratischer Systeme, und sie verbietet sich von selbst. Trump und seine Anhänger reden viel davon, aber ich habe schon oft betont, dass die - nennen wir sie links-revolutionäre - Systeme dieses Thema einfach aussparen. Bei Sanders, Corbyn und Konsorten erkennen 90% der Bevölkerung immer die Brillanz der eigenen Pläne. Das passiert nie. Und was kommt danach? Der Rückfall auf eine der anderen Optionen. Vertraue ich diesen Leuten, nicht auch auf "brechen" zu setzen? Kein Stück. Und Punkt 4: Die Sozialdemokratie als Teil der liberalen Tradition ist definitiv etwas, dem ich anhänge. Ich glaube es ist keine Überraschung für Leser dieses Blogs dass ich die Zähmung des Kapitalismus durch den Staat für essenziell halte, aber gleichzeitig keinesfalls mehr als eine Zähmung will. Ich denke, dieser Zusammenhang zwischen Sozialstaat auf der einen und Demokratie auf der anderen Seite wird viel zu wenig betont.

Pegging the “natural rate” too high, ignoring the harm from exposure to international competition, austere budget policy, low and stagnant minimum wages — all of these misunderstood economic relationships have one thing in common. In every case, the costs fall on the vulnerable: people who depend on full employment to get ahead; blue-collar production workers and communities built around factories; families who suffer from austerity-induced weak recoveries and under-funded safety nets, and who depend on a living wage to make ends meet. These groups are the casualties of faulty economics. In contrast, the benefits in every case accrue to the wealthy: highly educated workers largely insulated from slack labor markets, executives of outsourcing corporations, the beneficiaries of revenue-losing tax cuts that allegedly require austere budgets, and employers of low-wage workers. In this regard, there is a clear connection between each one of these mistakes and the rise of economic inequality. I cannot overemphasize the importance of recognizing who benefits and who loses from these economic mistakes, because that difference is why these mistakes persist. Every one of the wrong assumptions described here benefits conservative causes, from reducing the bargaining clout of wage earners, to strengthening the hand of outsourcers and offshorers, to lowering the labor costs of low-wage employers. These economic assumptions are thus complementary to the conservative agenda and that, in and of themselves, makes them far more enduring than they should be based on the facts. It is no coincidence that the assumptions are being so rigorously questioned by a new group of highly progressive politicians, like Rep. Ocasio-Cortez. They are making the critical connections in our political economy to challenge old assumptions that have hurt working people for too long. The vast majority of us will be better off for their work. (Jared Bernstein, vox.com)
Ein langer und in seiner Gänze lesenswerter Artikel. Spannend finde ich aber in jedem Fall die Schlussfolgerung. Wenn die Irrtümer der Wirtschaftspolitik grundsätzlich den Reichen helfen, ist das schon auffällig. Zu starke Lohnzurückhaltung? Hilft den Reichen. Zu niedrige Inflation? Hilft den Reichen. Nutzlose Steuerkürzungen? Helfen den Reichen. Ausgabenkürzungen bei den Sozialprogrammen? Helfen den Reichen. Und so weiter. Da werden einfach Annahmen hergenommen von einem Status Quo, der der jeweils herrschenden Elite dient. Das ist natürlich sehr bequem.
Bei sozialen Themen ist es interessanterweise dasselbe. Der Erhalt des jeweiligen Status Quo dient auch rein zufällig der aktuell privilegierten Schicht. Wenn nämlich der gegenwärtige Zustand quasi "natürlich" ist oder die Obergrenze darstellt - ob das jetzt das Ausgabenniveau des Staats oder Frauenförderungspolitik ist -, dann profitiert davon, wer aktuell die Privilegien innehat.
Diese Schieflage ist jedem System inhärent, vom Kegelverein bis hin zum Nationalstaat. Es ist eine der grundlegenden Mechaniken, die Änderungen im Vergleich zum Stauts-Quo-Erhalt auch so schwierig machen, und, wie ich an dieser Stelle schon öfter angemerkt habe, einer der entscheidenden Gründe dafür, dass Konservative insgesamt so viel erfolgreicher im Gewinnen der Macht und im Regieren sowie Erhalten derselben sind.

Donnerstag, 18. Juli 2019

Maaßen und Trump durchqueren die Sahara mit einer Kopie der Verfassung für Jeff Bezos - Vermischtes 18.07.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Libyens Wüste ist gefährlicher als das Mittelmeer
Der Weg nach und das Überleben in Libyen ist für afrikanische Migranten gefährlicher als die Flucht über das Mittelmeer:
  • Seit Anfang 2017 hat die IOM nach eigenen Angaben in der Sahara knapp 20.000 Menschen vor dem Tod gerettet.
  • Zuletzt griffen Helfer Mitte Juni mehr als 400 Migranten in Niger auf, die von Schleppern ohne Wasser und Nahrungsmittel mitten in der Wüste zurückgelassen wurden.
  • Auf jeden geretteten Migranten kommt höchstwahrscheinlich eine weitaus größere Zahl Toter.
"Wir wissen, dass vermutlich Tausende Opfer unbemerkt bleiben, weil ihre Leichen entweder vom Sand begraben oder von Tieren aufgefressen wurden", sagt IOM-Sprecher John Millman. [...] Viele dieser Schmuggelrouten durch die Wüste werden von Milizen betrieben. Die Verbrechen, die sie an den Migranten begehen, sind gut dokumentiert:
  • Sie zwingen Tausende Männer zur Arbeit und Frauen in die Prostitution.
  • Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung.
  • Migranten, die nicht mehr schuften können und die sich nicht mit Hilfe von Verwandten aus der Gefangenschaft freikaufen können, werden getötet. (Christoph Sydow)
Ich stolperte über diesen Artikel, weil wir es in den Kommentarspalten davon hatten. Ich denke es ist durchaus angebracht zu sagen, dass Libyen alles, aber nicht sicher ist. Aber das ist gar nicht das hauptsächlich Auffällige. Viel beachtenswerter finde ich die Geschichte mit der Sahara. Es wurde ja schon oft in den Kommentaren bemerkt, dass die Leute vielfach keine Ahnung haben und außer Fake News über Merkels angebliche Einladung und die Werbeslogans der Schlepper wenig über die Reise und ihr Ziel wissen. Gerade bei der Sahara ist das verheerend; das ist eine lebensfeindliche Zone von hunderten von Kilometern Ausmaß. Und am Ende hast du dann ein blutiges Land im Bürgerkrieg. Ich denke wir sind uns alle einig, dass das Ziel sein muss, dass die Leute gar nicht erst da hin gehen. Aber: wenn die eine Reise durch solche Gebiete auf sich nehmen - wie schlimm muss es am Ursprung sein?

2) Warum der Verfassungsschutz abgeschafft werden muss
Sieben Jahre zogen die Rechtsterroristen durchs Land, ermordeten zehn Menschen. Als der Verfassungsschutz die Analyse 2004 vorlegte, hatten sie schon fünf Migranten umgebracht. Die Polizei vermutete den Serienkiller im Drogenmilieu. Der Verfassungsschutz war ahnungslos. Oder gab sich ahnungslos. Für beide Theorien gibt es Hinweise. In dem Papier des Verfassungsschutzes heißt es lapidar, das Verfahren gegen die drei Untergetauchten sei zwischenzeitlich eingestellt worden. [...] Dabei waren die Verfassungsschützer nahe dran gewesen. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe waren beim "Thüringer Heimatschutz" (THS) aktiv. Von etwa 150 Aktivisten des THS waren 43 V-Leute des Verfassungsschutzes - also fast ein Drittel. Der Inlandsgeheimdienst hatte den THS weitgehend unterwandert. Die V-Leute halfen mit, die Strukturen der militanten rechten Szene aufzubauen und zu festigen. Für das rechtlich fragwürdige und politisch hochgefährliche Vorgehen gab es nur eine Begründung: Schlimmeres zu verhindern. Doch das Schlimmste, zehn rassistische Morde, wurde nicht verhindert. Die Beamten bekamen keinen Tipp von ihrer V-Leute-Truppe, wo sich das Trio aufhielt. Der gesamte Verfassungsschutz trug zur Aufklärung der Verbrechen exakt nichts bei. Außer Aktenschreddern. [...] Nicht nur der NSU, auch die NPD profitierte von der Großzügigkeit des Verfassungsschutzes, wenn man Wolfgang Frenz glauben darf. Er ist der V-Mann, an dem 2003 das NPD-Verbot gescheitert ist. Frenz sollte als Kronzeuge im NPD-Verbotsverfahren auftreten. Bis aufflog, dass er für den Verfassungsschutz gespitzelt hatte. Das Verbotsverfahren war geplatzt. [...] Um fair zu sein: Der Geheimdienst war zu jener Zeit nicht untätig. Die Beamten beobachten mit großem Engagement Politiker der Linken. 27 Bundestagsabgeordnete und 11 Landtagsabgeordnete wurden über Jahre ausgespäht, darunter die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau, die die Verfassungsschützer seit 1995 im Visier hatten. Fast 400.000 Euro ließ sich der Verfassungsschutz die Bespitzelung der Linken pro Jahr kosten. Sieben Mitarbeiter waren dafür abgestellt. Bekannt wurde das im Jahr 2012. Ein Jahr nachdem sich der NSU enttarnt hatte. [...] Der Verfassungsschutz hingegen hat sich in seiner fast 70 jährigen Geschichte als unkontrollierbar erwiesen, egal, welche Partei gerade regierte. Eine gut gemeinte Idee wurde pervertiert und hat sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft. (Kerstin Herrnkind, Stern)
Ich finde es beachtlich, wie sehr die Diskussion über den Verfassungsschutz sich gewandelt hat. Es ist noch nicht so lange her, da war Kritik an dem Laden vorrangig eine linke Provenienz, und die Forderung ihn abzuschaffen kam eher aus der MLPD und dem linkesten Rand der LINKEn. Jetzt ist es ein Leitartikel im Stern. Die politische Dynamik erinnert mich an die Debatte über die amerikanische Grenzschutz- und Immigrationsbehörde ICE. Sie stand bereits unter Bush und Obama schwer in der Kritik, aber ebenfalls praktisch ausschließlich vom linken Flügel. Die meisten Abgeordneten kritisierten sie nicht. Heute diskutieren die Democrats offen über die Abschaffung von ICE. Nun sind das beides keine Mehrheitspositionen, und ich will nicht einmal so weit gehen zu sagen, dass es zwingend die besten Optionen sind. Ich finde nur die rapiden Verschiebungen des Overton-Fensters bezüglich dieser Behörden faszinierend. Woran liegt es? Ich denke, die Ursache ist in beiden Fällen dieselbe. Die lange geäußerte und von der Mitte (von rechts sowieso) zurückgewiesene Kritik konnte nicht länger ignoriert werden, weil die Behörde von ihrer jeweiligen Leitungsebene völlig entfesselt und offengelegt wurde. Im Fall von ICE gab Trump der Behörde freie Hand und das explizite Mandat, sich so sehr wie irgendmöglich als SA aufzuführen. Allein während ich diesen Kommentar schreibe rutscht in meine Timeline diese Geschichte, die sich hundertfach jede Woche wiederholt. Im Fall des Verfassungsschutzes war es Maaßens offensichtlicher Versuch, den Verfassungsschutz zu einer Bastion der AfD zu machen, der, anders als bei der Wahl Trumps, mit seiner Entlassung endete. Maaßens Reaktionen erst auf die Kritik an seiner Person und dann auf seine Entlassung zementierten dieses Bild weiter. In beiden Fällen richteten die Rechtsausleger selbst das Scheinwerferlicht voll auf ihre Untaten, und die Mitte war nicht mehr in der Lage wegzuschauen.

3) Die Extremisten aus Pegidistan
Warum sind wir erst jetzt ernsthaft erschüttert? Wie oft wollen wir noch schockiert sein? Haben wir bei den Pegida-Veranstaltungen, die es immerhin seit Oktober 2014 gibt, früher nicht richtig hingehört? Oder haben wir das einfach nicht wahrhaben wollen, denn ach, da marschieren ja auch ganz normale, besorgte Bürger mit. Da kann man doch nicht so kritisch sein! Ja, wir müssen mit Extremisten reden. Aber nicht mit Wohlwollen, Entgegenkommen und Verständnis. Sondern sie kritisierend, argumentativ stellend, politisch bekämpfend und, wann immer nötig, vor Gericht. Alles andere hieße, sie gesellschaftlich zu akzeptieren. Oft genug hört man von diesen Leuten, es würden "Meinungskorridore" in Deutschland errichtet und man dürfe nicht mehr alles sagen. Richtig. Denn selbstverständlich ist in einer zivilisierten Gesellschaft nicht alles sagbar. Die Grenze setzt nicht erst das Strafrecht, sondern setzen Anstand und Moral. Wer sich menschenverachtend äußert, muss geächtet und ausgegrenzt werden. Er muss einen sozialen Preis dafür zahlen. Und Extremisten muss man nennen, was sie sind: Extremisten. (Haznain Kazim, SpiegelOnline)
Mich erinnert das an die Dynamik der RAF. Als in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren die Militanz von Links stark zunahm, gab es eine größere Schicht in der Bevölkerung, die dem Ganzen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstand. Man war zwar nicht mit der Militanz selbst einverstanden, die man als schlimme Sache und unsauber und unschön empfand, aber mit den Zielen, und machte sich dementsprechend gemein. Man denke nur an das große Netzwerk der Unterstützer, die bereitwillig Militanten einige Tage Unterschlupf gewährten. Das drehte sich mit der späteren Radikalisierung der RAF und deren Terroranschlägen; als die Bevölkerung sich entschlossen gegen die Linksextrimisten wandte, trocknete deren Unterstützerkreis aus und sie wurden ineffektiv. Dasselbe Muster sehen wir mit den Rechten. Es gibt in bestimmten Milieus eine Bereitschaft, Gewalt zu decken, solange diese mit den eigenen Zielen deckungsgleich ist und noch irgendwie romantisiert werden kann. Ebenso wie es die linken Militanten damals schafften, neue "Meinungskorridore" zu errichten, in denen es eine Weile lang als völlig normal galt über eine proletarische Revolution in Deutschland zu philosophieren, so haben die Rechten "Meinungskorridore" errichtet, innerhalb derer es möglich ist, in höflicher Gesellschaft von "Ethnozid" zu reden und zu debattieren, wie Kanzlerin Merkel, aus dem Ausland finanziert, die "Umvolkung" vorantreibt. Erst wenn diese Meinungskorridore wieder geschlossen sind kann man daran gehen, die echten Extremisten, die in dieser trüben Brühe mitschwimmen, zu isolieren. Dann sind sie kein Fall für den politischen Diskurs mehr, sondern für die Polizei. Genau wie die RAF seinerzeit auch. Und am Ende steht hoffentlich ein alberner Brief, in dem die Selbstauflösung bekanntgegeben wird.

4) "Gerichte glauben eher Polizisten" (Interview mit Tobias Singelnstein)
Wenn sich Bürger Rassismus ausgesetzt fühlen oder gar Opfer von Angriffen von Polizisten werden, können sie gerichtlich dagegen vorgehen. Sehr oft werden die Ermittlungen eingestellt, wie auch unser Film zeigt. Woran liegt das? Wir haben es in der Regel mit schwierigen Beweissituationen zu tun. Oft steht Aussage gegen Aussage. Die Frage ist: wem glaubt man? Die Staatsanwaltschaften arbeiten tagtäglich mit der Polizei zusammen, man ist dort geneigt, eher dem Beamten Glauben zu schenken. Ähnliches gilt für Gerichte. Dort ist es Routine, dass Polizisten in Strafprozessen aussagen, sie gelten als neutrale Beobachter, die zum Beispiel ihre Ermittlungen schildern, und genießen eine hohe Glaubwürdigkeit. In Verfahren gegen Polizeibeamte sind deren Sichtweisen jedoch sehr subjektiv geprägt. Hier muss es auch in der Justiz mehr Selbstreflexion geben. Dazu kommt die sogenannte Mauer des Schweigens. Kollegen sagen als Zeugen nur sehr selten gegen ihre Kollegen aus. Gibt es einen Ausweg aus dieser Situation? Ein direkter Ausweg ist schwierig. Ich glaube, wir brauchen einen deutlichen Kulturwandel innerhalb der Polizei. Es muss sich eine Sichtweise durchsetzen, die zum Beispiel klar benennt: Ja, Körperverletzung im Amt ist ein Problem. Und die bereit ist, Fehler einzugestehen und aufzuarbeiten. Verändert sich in der Polizei etwas hin zu einer ausgeprägteren Fehlerkultur? Es ist ein zartes Pflänzchen innerhalb der Polizei, ein ständiges Hin und Her zwischen Problembewusstsein- und Problemverdrängung. Es braucht aber auch Strategien für den polizeilichen Alltag. Bewältigungsstrategien und Beratungsangebote wie Supervisionen müssen davon ein fester Bestandteil werden. (Daniel Wüstenberg, Stern)
Ich habe eine persönliche Geschichte zu diesem Thema. Mein einschneidendes Erlebnis in diese Richtung fand 1999 statt. Ich war damals in der neunten Klasse und besuchte eine AG an der Schule (Arbeitsgemeinschaft, also ein freiwilliges Programm außerhalb der eigentlichen Schulzeit) das "Rechtskunde" hieß und ehrenamtlich von einem Richter am Amtsgericht Stuttgart geleitet wurde. Ich weiß leider nicht mehr, wie er hieß, aber er hat für dieses Engagement echt einen Orden verdient, besonders wenn man bedenkt, dass wir nur vier Schüler waren. Er nahm uns auch mit ins Gericht und zeigte uns, wie das abläuft. In diesem Rahmen besuchten wir auch öffentliche Gerichtsverhandlungen. Ich werde die, in der wir damals waren, nie vergessen. Es ging um die Anklage gegen einen Mann mit Migrationshintergrund (weiß nicht mehr welcher). Der war in eine verdachtsunabhängige Personenkontrolle geraten und hatte eine größere Menge Bargeld dabei, weil er einen Fernseher kaufen wollte. Die Polizisten waren wegen seines Passes verwirrt, dessen Aufbau sie nicht kannten und den sie deswegen als Fälschung vermuteten. Der Mann bat sie, in eine Seitenstraße zu gehen, weil ihm das Ganze mitten auf Stuttgarts Einkaufsmeile verständlicherweise peinlich war. Ab da gingen die Zeugenaussagen dann auseinander. Als die Polizisten ihn durchsuchten, will er sich versteift haben; laut den Polizisten wehrte er sich körperlich und fügte einem Polizisten Verletzungen bei (Kratzer am Handrücken, weil der Polizist gegen die Wand gedrückt worden sei). Daraufhin wurde er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt auf die Wache gebracht; die ganze Zeit bat er inständig, dem Kindergarten Bescheid geben zu dürfen, weil er seine Tochter abholen müsse und der Kindergarten schließe. Auf der Wache durfte er anrufen, erreichte aber niemand. Weitere Anrufe wurden ihm verwehrt, stattdessen schlugen und beleidigten ihn die Polizisten (was die natürlich abstritten). Der Punkt an der Geschichte ist, dass für jeden im Saal völlig offensichtlich war, dass die Beamten logen. Ihre Körpersprache, ihre Geschichte, alles war offensichtlich Blödsinn. Jeder wollte immer genau dann gerade nicht im Raum gewesen sein, als der jeweils andere etwas Schlimmes getan haben sollte, so dass sie sich mit ihrem Schweigen gegenseitig deckten. Der Mann wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die für ihn offensichtlich ziemlich hart war (ein paar Hundert Mark). Jetzt könnte man natürlich sagen "Woher willst du wissen, dass sie gelogen haben, ist ja nur deine Wahrnehmung". Und klar. Aber als die Verhandlung vorbei war, sprachen wir mit dem Richter. Und er bestätigte rundheraus, dass die gelogen haben. Und dass es jeder weiß. Seine letzte Aussage blieb mir im Gedächtnis haften: "Die Staatsanwältin würde auch ihren Job nicht machen, wenn sie die Polizisten nicht verteidigen würde." Es war der Tag, an dem ich jedes Vertrauen in die Polizei verlor, und es dauerte bis 2007, bis ich wieder ein bisschen bekommen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte. Worauf ich rauswill: Was im Artikel angesprochen wird ist definitiv ein Problem. Und ich will nicht wissen, wie viele andere Menschen ebenfalls durch solche Begegnungen ihr Vertrauen in die Polizei verlieren - wie in meinem Beruf, wo jedes Jahr tausende von Kindern wegen willkürlichen Entscheidungen, Lügen und Machtmissbrauch von Lehrern ihr Vertrauen in die Schule verlieren. Das ist zum Heulen.

5) Why Isn’t Trump Trying to Win the Center?
One option is to reject the conservative policymaking of his first term and embrace the more moderate approach he promised as a candidate. Thirty-five percent of Americans identify as “moderate,” and they might be receptive to a Trump who promised to pursue consensus and pragmatism instead of division and far-right ideological crusades. Trump, for example, could try to cut a deal on health care. Fifty-six percent of Americans favor a “national health plan in which all Americans would get their insurance from a single government plan,” according to an April survey from the Kaiser Family Foundation. A more recent poll from Morning Consult, taken after the first round of Democratic presidential debates, shows 46 percent support for a “Medicare for all” system that diminishes the role of private insurers, but majority support (55 percent, including 56 percent of independents and 26 percent of Republicans) for one that allows you to keep your doctor and hospital. In theory, this is fertile ground for a compromise, a chance for Trump to deliver the “beautiful” health care he promised during the campaign. He could give up his unpopular and divisive attempt to repeal Obamacare and take the moderate path of Medicare expansion. [...] On the economy, Trump could reach out to moderate voters with a minimum-wage increase. [...] As it stands, all of this is obviously unlikely. It’s also striking to see how far the president is from the center of American politics. The most expansive Democratic proposals for strengthening the social safety net are far closer to the political mainstream than the great majority of Trump’s actions as president. And he shows no sign of changing course. Trump is still committed to his base, still obsessed with mobilizing his strongest supporters. This may get big crowds in friendly territory, but it might not be enough to win a second term in 2020. A majority of the American electorate — liberals, moderates and even some conservatives — want a greater government role in health care, a higher minimum wage, higher taxes on the rich and less punitive border policies. If Trump isn’t going to move to the center, then their only choice should be the party that, no matter its nominee, backs each item on that list. (Jamelle Bouie, New York Times)
Da beschwert man sich im einen Vermischten über die Eintönigkeit der New York Times, und dann produziert Jamelle Bouie solch eine komödiantische Goldgrube. Aber der Artikel ist in seiner Persiflage dieser ganzen stupiden Leitartikel nicht nur witzig, sondern auch prägnant. Denn tatsächlich wurde zwar Obama acht Jahre lang gebetsmühlenartig aufgefordert, trotz seiner überzeugenden Siege in die angebliche Mitte zu rücken, Trump aber, obwohl er nicht einmal die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte, kein einziges Mal. Und auch immer noch nicht. Die Republicans haben 2018 massive Verluste erlitten - dass sie sich deswegen an die progressive Mehrheit anpassen sollten, liest man nirgends, während die Democrats das permanent tun sollen. Da wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

6) New Coke Didn’t Fail. It Was Murdered.
Far from the dud it’s been made out to be, New Coke was actually delicious—or at least, most people who tried it thought so. Some of its harshest critics couldn’t even taste a difference. It was done in by a complicated web of interests, a mixture of cranks and opportunists—a sugar-starved mob of pitchfork-clutching Andy Rooneys, powered by the thrill of rebellion and an aggrieved sense of dispossession. At its most fundamental level, the backlash wasn’t about New Coke at all. It was a revolt against the idea of change. That story should sound familiar. We’re still living it. [...] The company’s weekly telephone surveys of 900 consumers consistently indicated high favorability. Even people who preferred the old soda seemed okay with the switch. New Coke was good! At worst, New Coke was fine. “Change,” a triumphant Coke executive declared, “is something the American people identify with.” A beverage’s broad popularity, though, is not a very interesting story. Dissent makes a good story. People expressing strongly held and borderline pathological opinions about soft drinks makes a good story. And it didn’t take long for reporters to start finding them. [...] It’s not hard to see in retrospect why people began to pile on. It’s fun to be cranky about stupid things. It’s almost the entire point of Twitter. But there was something else going on here. The critiques often weren’t really about soda at all. [...] These were the forgotten people, or so they wanted you to believe. They were sick of other people defining the pace and texture of change. In that respect, Coca-Cola was grappling with a monster of its own making, because it had spent tens of millions of dollars wrapping the corporation’s identity around this particular kind of small-c conservatism—an idyll of small towns and wholesome values, where all the women are strong, all the men are good looking, and all the kids have high blood sugar. In the early 1980s, it had rejected a proposal to make Michael Jackson a Coke pitchman, because, Oliver reported, he didn’t fit the company’s “All-American” image. He went to Pepsi instead. [...] The Stephen the Shepherd Boy of the New Coke backlash was Mullins, the Seattle retiree who told reporters he’d been preparing to move to Costa Rica before Coke forced him to stay at home and live out his Red Dawn fantasy. “The Declaration of Independence and the Revolutionary War occurred because of taxation without representation; there was no freedom of choice,” he explained. “We went to war [in Europe] to help England, because another country was impinging on their freedom of choice. I feel that this is a battle of that magnitude.” (Tim Murphy, MotherJones)
Diese lange und gut recherchierte Story ist super-spannend, weil in dem völlig irrelevanten Feldzug gegen "New Coke" so viel von unserer aktuellen politischen Gemengelage wieder auftaucht. Man denke nur an die Kämpfe um die Deutungshoheit der Medienerzeugnisse des Disney-Konzerns oder die Schlacht um Nike. Da hängen sich professionelle Unruhestifter an ein Thema und peitschen Leute mit dem größten Bullshit auf, der dann zur Schicksalsfrage hochgejazzt wird. Das ist krass bescheuert. Von dieser Dimension abgesehen finde ich es auch spannend, wie sehr sich Coca Cola in den 1980er Jahren im Marketing verspekuliert hat; das war ja nicht nur New Coke, sondern ging viel tiefer und sorgte für massive Marktverluste gegenüber Pepsi. Spannend auch, dass dieser Verlust gegenüber Pepsi hierzulande viel weniger stark ausfiel; woran das wohl liegt? Ist diese eher konservative Werbung von Coca Cola hierzulande attraktiver? Jemand eine Idee?

7) Kris Kobach may be a loser, but he has something Democrats don't
Kris Kobach is certainly persistent. The Kansas Republican known nationally for his longtime advocacy of anti-immigrant policies is a bad politician, a bad lawyer, and the architect of some of the worst ideas afflicting American governance today. But he possesses a single, somewhat perverse political virtue: He always shows up. [...] There's not much reason to think the state's voters will like Kobach more in 2020 than they did in 2018. It's very possible, even likely, that he's setting himself up for yet another big loss. This would be merely annoying to Kobach's critics, who would love to see him just go away. But his persistence has consequences. Because Kobach always shows up — even when voters reject him soundly — he often ends up in power, or in close proximity to it. Democrats and anybody else interested in cracking the code of American politics should thus pay close attention, because Kobach, for all his failures, has something to teach us. And boy, his list of failures is lengthy. He has failed at the local level [...] He has failed at the state level [...] He has failed, most recently, at the federal level [...] Kobach even failed to even launch his Senate candidacy competently, filing campaign documents that misspelled his own name. Even Kobach's fellow party members dread his candidacy at this point. [...] Still, he persists. And why not? Showing up, it turns out, isn't just half the battle — it's a means of accruing power. So while Kobach fails regularly, his persistence has helped make him ubiquitous in conservative circles — a regular presence on Fox News, a columnist for Breitbart. As a result, he's never far from power, or where his voice can be heard by powerful people. In politics, grit isn't just a personal virtue; it's a strategy. There is a lesson in this for Democrats. Because let's be honest, Dems don't always show up. [...] Politics is a long game. The way to win, over time, is to show up again and again and again, even if you fail repeatedly in the process. There are second, third, and fourth acts in American politics. Kris Kobach knows this. The best way for Democrats to beat him, paradoxically, is to follow his example. (Joel Mathis, The Week)
Ich sag es immer wieder: Every election is won by those who show up. Und die Progressiven, ob in den USA oder Europa, sind furchtbar schlecht darin aufzutauchen. Jahrzehntelang war die größte Stärke der CDU ihre unverwüstliche Stammwählerschaft, die das Wählengehen nach dem Sonntagsspaziergang als so natürlich wie das Aufstehen am Morgen begriff, während die Wählerschaft der SPD jedes Jahr aufs Neue umworben, umschmeichelt und begeistert sein wollte. Es ist interessant, wie konstant dieser Faktor über Kontinente und Jahrzehnte ist. Und das bezieht sich eben nicht nur auf die Wähler selbst, sondern auch auf die Kandidaten. Selbst der mittelmäßigste Eimerkopf gewinnt irgendwann eine Wahl, wenn er sich nur oft genug aufstellen lässt oder halt der einzige Kandidat ist. Oder glaubt jemand, die Roland Kochs dieser Welt werden Schülersprecher, weil sie charismatische Gegenkandidaten haben?

8) It Was Lunacy Time At the Fifth Circuit Today
Just imagine the following scenario:
  • Congress passes a law.
  • A future president doesn’t like it, so he refuses to defend it in court.
  • A crackpot district judge then declares the law unconstitutional. This affects the entire country.
  • There is no appeal. Finis.
There is surely no one in the country who thinks this even remotely resembles how things are supposed to work. And yet the 5th Circuit is seriously mulling the possibility that this would be good law. [...] This is just straight-up Republican Party advocacy. There is, obviously, no question that Republicans would have repealed all of Obamacare if they could have. But they couldn’t. And the reason they couldn’t was because they didn’t have the votes.¹ It had nothing to do with what they thought, and even if it did, no court has any business trying to divine Congress’s hidden and unstated desires. Republicans squawk endlessly about “judicial activism” and the depredations of the liberal 9th Circuit. But what we heard today goes light years beyond anything the 9th Circuit has ever considered. If the 5th Circuit actually follows through on any of this stuff it would be little different from simply appointing themselves a separate legislature with the power to overturn any laws they didn’t like. And I’ll bet that not a single “constitutional conservative” will so much as mutter under their breath about this. (Kevin Drum, MotherJones)
Man sollte ein grundsätzliches Misstrauen gegen jeden haben, ob links oder rechts, der irgendwelche Prinzipien vertritt, die, wenn er selbst daran gebunden wäre, den eigenen Handlungsspielraum beschneiden. So ist es auch hier. Die angebliche Beschränkung der Judikative auf irgendwelche Prinzipien der Zurückhaltung und des Originalismus gelten immer nur dann, wenn sie Progressiven das Handeln vermiesen, aber nie, wenn sie eigene Handlungsspielräume eröffnen. Es ist bis heute absolut lächerlich, dass irgendjemand Scalias Beteuerungen ernstgenommen hat, er sei ein ernstzunehmender Originalist, während er die Neuauszählung von George W. Bushs gestohlener Wahl blockierte und gleichzeitig grinsend in die Urteilsbegründung schrieb, dass sei keinen Präzedenzfall darstellen könnte, weil es ja schon ein Spezialfall sei (weil es um einen republikanischen Präsidenten ging, nämlich). Man muss sich nur den aktuellen Supreme Court anschauen. Fast jede relevante Entscheidung wird entlang der Parteilinien getroffen. Die eigentlichen juristischen Argumente spielen allenfalls eine sekundäre Rolle. Auch die untergeordneten Gerichte sehen nicht anders aus: Es ist von vornherein klar, welcher appelate court welche Entscheidung treffen wird. Das ist wie ein Urheberrechtsprozess in Hamburg. Die Herrschaft der Minderheit, wie sie die Republicans ausüben, ist gar nicht anders möglich als über die parteiische Kontrolle der Gerichte.

9) Why Does Trump Hate the Holy Bible?
If the Democrats played as dirty as the Republicans, they could make a lot of hay out of this: – Trump’s newest proposed tariffs on Chinese imports — on hold for now — include the paper used to print Bibles. – Publishers recently told the administration that up to 75% of what it costs them to make a Bible, with complex illustrations and ultra-thin pages, is now spent in China after specialized printing moved there decades ago from the U.S. – Middle- and low-income readers could be priced out by the proposed 25% tariffs, religious leaders and publishers said. I can imagine the Democrats accusing Trump of secretly despising Christians and pursuing a tariff policy designed to interfere with missionary work and deny working folks access to the Gospel. They could just start saying this despite the fact that it’s ludicrous. They could have a handful of their politicians make reference to it and say, “some people are making that accusation.” They could make it known to all the bloggers and left-leaning think tanks and magazines and columnists that they want to spread this rumor. Talking heads could go on the radio and television and make the charge. Mailers could be sent out to Christian congregations. Party leaders could play stupid and pretend that they’ve never heard of the theory while refusing to debunk it. This isn’t going to happen because this isn’t how the center-left operates in this country. That’s mostly a good thing, but there’s a cost to it when one side will say anything and the other has scruples. I know for certain that if Barack Obama’s tariff policies were going to have this effect on the production and cost of Bibles, we’d never hear the end of it. The Republicans put winning above all other considerations. The fact that the idea of the Democrats exploiting this story is laughable tells you have far they are from putting winning first. There’s no way they’ll start asking why the president hates the Holy Bible. (Martin Longman, Washington Monthly)
Das würde nie und nimmer fuktionieren. Die Tatsache, wie albern diese Wahlkampfstrategie wirkt, zeigt allein einmal mehr den himmelweiten Unterschied zwischen Progressiven und Rechten in den USA. Vor allem diese ganze "X hasst Y"-Scheiße, vor allem mit "hasst Amerika" oder "hasst Gott" ist ein rein rechtes Produkt. Das hat auf der Linken überhaupt kein Äquivalent.

10) What Middle-Class Families Want Politicians to Know
DANIEL LYNCH, Stow, Mass. User experience/user interface designer at a technology company. Lives with his wife, a stay-at-home mother, and their teenage daughter. Household income of $120,000-$200,000. [...] KRISTIN DePUE, Wyomissing, Pa. Sales representative for a medical supply and device company. Lives with her two teenage sons, whom she supports with her ex-husband, an emergency room doctor. Household income of $200,000-$400,000. [...] CAITLIN DUNHAM, Austin, Minn. Physician. Lives with her husband, a software engineer and entrepreneur, and their two children. Household income of $200,000-$400,000. [...] FLETCHER GUSTAFSON, Kansas City, Mo. Sales representative for a trucking company. Lives with his wife, a human resources manager, and their two sons. Household income of $120,000-$200,000. [...] IRAN SANCHEZ, Laveen, Ariz. Trains call-center workers for a department store. Lives with her daughter; her ex-husband, a systems engineer; his wife, a probation officer; and their two children. Household income of $120,000-$200,000. (E. Tammi Kim/Jyoti Tottham, New York Times)
Lobt man einmal die New York Times, und dann kommst so was. Das Median Household Income in den USA ist 59.039$. Dass die Zeitung nicht einmal jemanden findet, der unter sechsstellig ist, zeigt deutlich, welch verschobene Maßstäbe da herrschen. Aber klar, lieber drischt man zum zwanzigsten Mal auf die angebliche liberale Blase des East Coast Establishment ein, die zwar die Mehrheit im Land vertritt, aber ein so viel bequemeres Ziel abgibt als die offensichtlich völlig außer Rand und Band geratene Ungleichheit in den USA, in denen die Mitglieder der Oberschicht nicht mal merken, dass sie dazugehören. Friedrich Merz lässt grüßen.

11) Superpredators
Today, many firms, not just Amazon, have adopted a growth strategy based on rapid expansion and negative cash flow. They are propped up by investors and by low interest rates that provide cheap and easy access to capital. They can’t be unprofitable forever, the thinking goes, and they must have an exit strategy, even if they don’t share it publicly. Until then, they continue to hemorrhage cash in their quest for an ever greater market share. [...] However, it’s unclear how, or even whether, that’s actually happening. Selling below cost is a classic way for aspiring monopolists to seize market share from smaller competitors who can’t afford to consistently lose money. This technique, known as predatory pricing, is bad for consumers, and the economy as a whole, because it drives companies out of the market not because they’re less competitive or efficient, but because they don’t have enough funds to survive without turning a profit. That’s why predatory pricing is illegal under federal antitrust law. [...] The answer is that what the average person thinks about Amazon’s business strategy doesn’t matter, because the Supreme Court has all but defined predatory pricing out of existence. Taking cues from the conservative law and economics movement, the Court has held that the strategy is irrational as a matter of economic theory, because for it to pay off, the monopolist will have to recoup today’s losses by raising prices dramatically in the future. But that won’t work, the logic goes, because when they do, competitors will swoop in and offer the same service or product at lower prices, frustrating the entire scheme. Under that thinking, the Court has set up rules making it nearly impossible to prove that predatory pricing is happening. (Shaoul Sussham, Washington Monthly)
Auch hier ist wieder spannend, welche Rolle die republikanisch dominierten Gerichte in den USA spielen, die offensichtlich kein Problem damit haben, aus den Worten James Madisons die Rechtfertigung für gewaltige Monopole im Techsektor zu ziehen. Und woher kommt dieser Blödsinn? Weil die Richter die Ideologie der Rechten hook, line and sinker geschluckt haben. Das ist kein Ersatz für echte Fachkenntnis, ob man den Milliardären Steuergeschenke macht oder die Gesetze im Interesse von Jeff Bezos verbiegt. Das ist etwas, das man etwa der CDU nicht vorwerfen konnte. Gerade die echten Ordoliberalen haben immer die Rolle betont, die Kontrolle von Monopolen und die Zerschlagung derselben in einer gesunden Wirtschaftsordnung haben. Früher glaubten auch die Republicans daran. Aber seit der Irrsinn - personifiziert durch Leute wie Grover Norquist oder Larry Laffer - die Partei völlig im Griff hat, kommt da nur noch solcher Blödsinn heraus.