1) Libyens Wüste ist gefährlicher als das Mittelmeer
Der Weg nach und das Überleben in Libyen ist für afrikanische Migranten gefährlicher als die Flucht über das Mittelmeer:
"Wir wissen, dass vermutlich Tausende Opfer unbemerkt bleiben, weil ihre Leichen entweder vom Sand begraben oder von Tieren aufgefressen wurden", sagt IOM-Sprecher John Millman. [...] Viele dieser Schmuggelrouten durch die Wüste werden von Milizen betrieben. Die Verbrechen, die sie an den Migranten begehen, sind gut dokumentiert:
- Seit Anfang 2017 hat die IOM nach eigenen Angaben in der Sahara knapp 20.000 Menschen vor dem Tod gerettet.
- Zuletzt griffen Helfer Mitte Juni mehr als 400 Migranten in Niger auf, die von Schleppern ohne Wasser und Nahrungsmittel mitten in der Wüste zurückgelassen wurden.
- Auf jeden geretteten Migranten kommt höchstwahrscheinlich eine weitaus größere Zahl Toter.
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Sie zwingen Tausende Männer zur Arbeit und Frauen in die Prostitution.
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Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung.
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Migranten, die nicht mehr schuften können und die sich nicht mit Hilfe von Verwandten aus der Gefangenschaft freikaufen können, werden getötet. (Christoph Sydow)
2) Warum der Verfassungsschutz abgeschafft werden muss
Sieben Jahre zogen die Rechtsterroristen durchs Land, ermordeten zehn Menschen. Als der Verfassungsschutz die Analyse 2004 vorlegte, hatten sie schon fünf Migranten umgebracht. Die Polizei vermutete den Serienkiller im Drogenmilieu. Der Verfassungsschutz war ahnungslos. Oder gab sich ahnungslos. Für beide Theorien gibt es Hinweise. In dem Papier des Verfassungsschutzes heißt es lapidar, das Verfahren gegen die drei Untergetauchten sei zwischenzeitlich eingestellt worden. [...] Dabei waren die Verfassungsschützer nahe dran gewesen. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe waren beim "Thüringer Heimatschutz" (THS) aktiv. Von etwa 150 Aktivisten des THS waren 43 V-Leute des Verfassungsschutzes - also fast ein Drittel. Der Inlandsgeheimdienst hatte den THS weitgehend unterwandert. Die V-Leute halfen mit, die Strukturen der militanten rechten Szene aufzubauen und zu festigen. Für das rechtlich fragwürdige und politisch hochgefährliche Vorgehen gab es nur eine Begründung: Schlimmeres zu verhindern. Doch das Schlimmste, zehn rassistische Morde, wurde nicht verhindert. Die Beamten bekamen keinen Tipp von ihrer V-Leute-Truppe, wo sich das Trio aufhielt. Der gesamte Verfassungsschutz trug zur Aufklärung der Verbrechen exakt nichts bei. Außer Aktenschreddern. [...] Nicht nur der NSU, auch die NPD profitierte von der Großzügigkeit des Verfassungsschutzes, wenn man Wolfgang Frenz glauben darf. Er ist der V-Mann, an dem 2003 das NPD-Verbot gescheitert ist. Frenz sollte als Kronzeuge im NPD-Verbotsverfahren auftreten. Bis aufflog, dass er für den Verfassungsschutz gespitzelt hatte. Das Verbotsverfahren war geplatzt. [...] Um fair zu sein: Der Geheimdienst war zu jener Zeit nicht untätig. Die Beamten beobachten mit großem Engagement Politiker der Linken. 27 Bundestagsabgeordnete und 11 Landtagsabgeordnete wurden über Jahre ausgespäht, darunter die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau, die die Verfassungsschützer seit 1995 im Visier hatten. Fast 400.000 Euro ließ sich der Verfassungsschutz die Bespitzelung der Linken pro Jahr kosten. Sieben Mitarbeiter waren dafür abgestellt. Bekannt wurde das im Jahr 2012. Ein Jahr nachdem sich der NSU enttarnt hatte. [...] Der Verfassungsschutz hingegen hat sich in seiner fast 70 jährigen Geschichte als unkontrollierbar erwiesen, egal, welche Partei gerade regierte. Eine gut gemeinte Idee wurde pervertiert und hat sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft. (Kerstin Herrnkind, Stern)Ich finde es beachtlich, wie sehr die Diskussion über den Verfassungsschutz sich gewandelt hat. Es ist noch nicht so lange her, da war Kritik an dem Laden vorrangig eine linke Provenienz, und die Forderung ihn abzuschaffen kam eher aus der MLPD und dem linkesten Rand der LINKEn. Jetzt ist es ein Leitartikel im Stern. Die politische Dynamik erinnert mich an die Debatte über die amerikanische Grenzschutz- und Immigrationsbehörde ICE. Sie stand bereits unter Bush und Obama schwer in der Kritik, aber ebenfalls praktisch ausschließlich vom linken Flügel. Die meisten Abgeordneten kritisierten sie nicht. Heute diskutieren die Democrats offen über die Abschaffung von ICE. Nun sind das beides keine Mehrheitspositionen, und ich will nicht einmal so weit gehen zu sagen, dass es zwingend die besten Optionen sind. Ich finde nur die rapiden Verschiebungen des Overton-Fensters bezüglich dieser Behörden faszinierend. Woran liegt es? Ich denke, die Ursache ist in beiden Fällen dieselbe. Die lange geäußerte und von der Mitte (von rechts sowieso) zurückgewiesene Kritik konnte nicht länger ignoriert werden, weil die Behörde von ihrer jeweiligen Leitungsebene völlig entfesselt und offengelegt wurde. Im Fall von ICE gab Trump der Behörde freie Hand und das explizite Mandat, sich so sehr wie irgendmöglich als SA aufzuführen. Allein während ich diesen Kommentar schreibe rutscht in meine Timeline diese Geschichte, die sich hundertfach jede Woche wiederholt. Im Fall des Verfassungsschutzes war es Maaßens offensichtlicher Versuch, den Verfassungsschutz zu einer Bastion der AfD zu machen, der, anders als bei der Wahl Trumps, mit seiner Entlassung endete. Maaßens Reaktionen erst auf die Kritik an seiner Person und dann auf seine Entlassung zementierten dieses Bild weiter. In beiden Fällen richteten die Rechtsausleger selbst das Scheinwerferlicht voll auf ihre Untaten, und die Mitte war nicht mehr in der Lage wegzuschauen.
3) Die Extremisten aus Pegidistan
Warum sind wir erst jetzt ernsthaft erschüttert? Wie oft wollen wir noch schockiert sein? Haben wir bei den Pegida-Veranstaltungen, die es immerhin seit Oktober 2014 gibt, früher nicht richtig hingehört? Oder haben wir das einfach nicht wahrhaben wollen, denn ach, da marschieren ja auch ganz normale, besorgte Bürger mit. Da kann man doch nicht so kritisch sein! Ja, wir müssen mit Extremisten reden. Aber nicht mit Wohlwollen, Entgegenkommen und Verständnis. Sondern sie kritisierend, argumentativ stellend, politisch bekämpfend und, wann immer nötig, vor Gericht. Alles andere hieße, sie gesellschaftlich zu akzeptieren. Oft genug hört man von diesen Leuten, es würden "Meinungskorridore" in Deutschland errichtet und man dürfe nicht mehr alles sagen. Richtig. Denn selbstverständlich ist in einer zivilisierten Gesellschaft nicht alles sagbar. Die Grenze setzt nicht erst das Strafrecht, sondern setzen Anstand und Moral. Wer sich menschenverachtend äußert, muss geächtet und ausgegrenzt werden. Er muss einen sozialen Preis dafür zahlen. Und Extremisten muss man nennen, was sie sind: Extremisten. (Haznain Kazim, SpiegelOnline)Mich erinnert das an die Dynamik der RAF. Als in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren die Militanz von Links stark zunahm, gab es eine größere Schicht in der Bevölkerung, die dem Ganzen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstand. Man war zwar nicht mit der Militanz selbst einverstanden, die man als schlimme Sache und unsauber und unschön empfand, aber mit den Zielen, und machte sich dementsprechend gemein. Man denke nur an das große Netzwerk der Unterstützer, die bereitwillig Militanten einige Tage Unterschlupf gewährten. Das drehte sich mit der späteren Radikalisierung der RAF und deren Terroranschlägen; als die Bevölkerung sich entschlossen gegen die Linksextrimisten wandte, trocknete deren Unterstützerkreis aus und sie wurden ineffektiv. Dasselbe Muster sehen wir mit den Rechten. Es gibt in bestimmten Milieus eine Bereitschaft, Gewalt zu decken, solange diese mit den eigenen Zielen deckungsgleich ist und noch irgendwie romantisiert werden kann. Ebenso wie es die linken Militanten damals schafften, neue "Meinungskorridore" zu errichten, in denen es eine Weile lang als völlig normal galt über eine proletarische Revolution in Deutschland zu philosophieren, so haben die Rechten "Meinungskorridore" errichtet, innerhalb derer es möglich ist, in höflicher Gesellschaft von "Ethnozid" zu reden und zu debattieren, wie Kanzlerin Merkel, aus dem Ausland finanziert, die "Umvolkung" vorantreibt. Erst wenn diese Meinungskorridore wieder geschlossen sind kann man daran gehen, die echten Extremisten, die in dieser trüben Brühe mitschwimmen, zu isolieren. Dann sind sie kein Fall für den politischen Diskurs mehr, sondern für die Polizei. Genau wie die RAF seinerzeit auch. Und am Ende steht hoffentlich ein alberner Brief, in dem die Selbstauflösung bekanntgegeben wird.
4) "Gerichte glauben eher Polizisten" (Interview mit Tobias Singelnstein)
Wenn sich Bürger Rassismus ausgesetzt fühlen oder gar Opfer von Angriffen von Polizisten werden, können sie gerichtlich dagegen vorgehen. Sehr oft werden die Ermittlungen eingestellt, wie auch unser Film zeigt. Woran liegt das? Wir haben es in der Regel mit schwierigen Beweissituationen zu tun. Oft steht Aussage gegen Aussage. Die Frage ist: wem glaubt man? Die Staatsanwaltschaften arbeiten tagtäglich mit der Polizei zusammen, man ist dort geneigt, eher dem Beamten Glauben zu schenken. Ähnliches gilt für Gerichte. Dort ist es Routine, dass Polizisten in Strafprozessen aussagen, sie gelten als neutrale Beobachter, die zum Beispiel ihre Ermittlungen schildern, und genießen eine hohe Glaubwürdigkeit. In Verfahren gegen Polizeibeamte sind deren Sichtweisen jedoch sehr subjektiv geprägt. Hier muss es auch in der Justiz mehr Selbstreflexion geben. Dazu kommt die sogenannte Mauer des Schweigens. Kollegen sagen als Zeugen nur sehr selten gegen ihre Kollegen aus. Gibt es einen Ausweg aus dieser Situation? Ein direkter Ausweg ist schwierig. Ich glaube, wir brauchen einen deutlichen Kulturwandel innerhalb der Polizei. Es muss sich eine Sichtweise durchsetzen, die zum Beispiel klar benennt: Ja, Körperverletzung im Amt ist ein Problem. Und die bereit ist, Fehler einzugestehen und aufzuarbeiten. Verändert sich in der Polizei etwas hin zu einer ausgeprägteren Fehlerkultur? Es ist ein zartes Pflänzchen innerhalb der Polizei, ein ständiges Hin und Her zwischen Problembewusstsein- und Problemverdrängung. Es braucht aber auch Strategien für den polizeilichen Alltag. Bewältigungsstrategien und Beratungsangebote wie Supervisionen müssen davon ein fester Bestandteil werden. (Daniel Wüstenberg, Stern)Ich habe eine persönliche Geschichte zu diesem Thema. Mein einschneidendes Erlebnis in diese Richtung fand 1999 statt. Ich war damals in der neunten Klasse und besuchte eine AG an der Schule (Arbeitsgemeinschaft, also ein freiwilliges Programm außerhalb der eigentlichen Schulzeit) das "Rechtskunde" hieß und ehrenamtlich von einem Richter am Amtsgericht Stuttgart geleitet wurde. Ich weiß leider nicht mehr, wie er hieß, aber er hat für dieses Engagement echt einen Orden verdient, besonders wenn man bedenkt, dass wir nur vier Schüler waren. Er nahm uns auch mit ins Gericht und zeigte uns, wie das abläuft. In diesem Rahmen besuchten wir auch öffentliche Gerichtsverhandlungen. Ich werde die, in der wir damals waren, nie vergessen. Es ging um die Anklage gegen einen Mann mit Migrationshintergrund (weiß nicht mehr welcher). Der war in eine verdachtsunabhängige Personenkontrolle geraten und hatte eine größere Menge Bargeld dabei, weil er einen Fernseher kaufen wollte. Die Polizisten waren wegen seines Passes verwirrt, dessen Aufbau sie nicht kannten und den sie deswegen als Fälschung vermuteten. Der Mann bat sie, in eine Seitenstraße zu gehen, weil ihm das Ganze mitten auf Stuttgarts Einkaufsmeile verständlicherweise peinlich war. Ab da gingen die Zeugenaussagen dann auseinander. Als die Polizisten ihn durchsuchten, will er sich versteift haben; laut den Polizisten wehrte er sich körperlich und fügte einem Polizisten Verletzungen bei (Kratzer am Handrücken, weil der Polizist gegen die Wand gedrückt worden sei). Daraufhin wurde er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt auf die Wache gebracht; die ganze Zeit bat er inständig, dem Kindergarten Bescheid geben zu dürfen, weil er seine Tochter abholen müsse und der Kindergarten schließe. Auf der Wache durfte er anrufen, erreichte aber niemand. Weitere Anrufe wurden ihm verwehrt, stattdessen schlugen und beleidigten ihn die Polizisten (was die natürlich abstritten). Der Punkt an der Geschichte ist, dass für jeden im Saal völlig offensichtlich war, dass die Beamten logen. Ihre Körpersprache, ihre Geschichte, alles war offensichtlich Blödsinn. Jeder wollte immer genau dann gerade nicht im Raum gewesen sein, als der jeweils andere etwas Schlimmes getan haben sollte, so dass sie sich mit ihrem Schweigen gegenseitig deckten. Der Mann wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die für ihn offensichtlich ziemlich hart war (ein paar Hundert Mark). Jetzt könnte man natürlich sagen "Woher willst du wissen, dass sie gelogen haben, ist ja nur deine Wahrnehmung". Und klar. Aber als die Verhandlung vorbei war, sprachen wir mit dem Richter. Und er bestätigte rundheraus, dass die gelogen haben. Und dass es jeder weiß. Seine letzte Aussage blieb mir im Gedächtnis haften: "Die Staatsanwältin würde auch ihren Job nicht machen, wenn sie die Polizisten nicht verteidigen würde." Es war der Tag, an dem ich jedes Vertrauen in die Polizei verlor, und es dauerte bis 2007, bis ich wieder ein bisschen bekommen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte. Worauf ich rauswill: Was im Artikel angesprochen wird ist definitiv ein Problem. Und ich will nicht wissen, wie viele andere Menschen ebenfalls durch solche Begegnungen ihr Vertrauen in die Polizei verlieren - wie in meinem Beruf, wo jedes Jahr tausende von Kindern wegen willkürlichen Entscheidungen, Lügen und Machtmissbrauch von Lehrern ihr Vertrauen in die Schule verlieren. Das ist zum Heulen.
5) Why Isn’t Trump Trying to Win the Center?
Da beschwert man sich im einen Vermischten über die Eintönigkeit der New York Times, und dann produziert Jamelle Bouie solch eine komödiantische Goldgrube. Aber der Artikel ist in seiner Persiflage dieser ganzen stupiden Leitartikel nicht nur witzig, sondern auch prägnant. Denn tatsächlich wurde zwar Obama acht Jahre lang gebetsmühlenartig aufgefordert, trotz seiner überzeugenden Siege in die angebliche Mitte zu rücken, Trump aber, obwohl er nicht einmal die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte, kein einziges Mal. Und auch immer noch nicht. Die Republicans haben 2018 massive Verluste erlitten - dass sie sich deswegen an die progressive Mehrheit anpassen sollten, liest man nirgends, während die Democrats das permanent tun sollen. Da wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.One option is to reject the conservative policymaking of his first term and embrace the more moderate approach he promised as a candidate. Thirty-five percent of Americans identify as “moderate,” and they might be receptive to a Trump who promised to pursue consensus and pragmatism instead of division and far-right ideological crusades. Trump, for example, could try to cut a deal on health care. Fifty-six percent of Americans favor a “national health plan in which all Americans would get their insurance from a single government plan,” according to an April survey from the Kaiser Family Foundation. A more recent poll from Morning Consult, taken after the first round of Democratic presidential debates, shows 46 percent support for a “Medicare for all” system that diminishes the role of private insurers, but majority support (55 percent, including 56 percent of independents and 26 percent of Republicans) for one that allows you to keep your doctor and hospital. In theory, this is fertile ground for a compromise, a chance for Trump to deliver the “beautiful” health care he promised during the campaign. He could give up his unpopular and divisive attempt to repeal Obamacare and take the moderate path of Medicare expansion. [...] On the economy, Trump could reach out to moderate voters with a minimum-wage increase. [...] As it stands, all of this is obviously unlikely. It’s also striking to see how far the president is from the center of American politics. The most expansive Democratic proposals for strengthening the social safety net are far closer to the political mainstream than the great majority of Trump’s actions as president. And he shows no sign of changing course. Trump is still committed to his base, still obsessed with mobilizing his strongest supporters. This may get big crowds in friendly territory, but it might not be enough to win a second term in 2020. A majority of the American electorate — liberals, moderates and even some conservatives — want a greater government role in health care, a higher minimum wage, higher taxes on the rich and less punitive border policies. If Trump isn’t going to move to the center, then their only choice should be the party that, no matter its nominee, backs each item on that list. (Jamelle Bouie, New York Times)
6) New Coke Didn’t Fail. It Was Murdered.
Far from the dud it’s been made out to be, New Coke was actually delicious—or at least, most people who tried it thought so. Some of its harshest critics couldn’t even taste a difference. It was done in by a complicated web of interests, a mixture of cranks and opportunists—a sugar-starved mob of pitchfork-clutching Andy Rooneys, powered by the thrill of rebellion and an aggrieved sense of dispossession. At its most fundamental level, the backlash wasn’t about New Coke at all. It was a revolt against the idea of change. That story should sound familiar. We’re still living it. [...] The company’s weekly telephone surveys of 900 consumers consistently indicated high favorability. Even people who preferred the old soda seemed okay with the switch. New Coke was good! At worst, New Coke was fine. “Change,” a triumphant Coke executive declared, “is something the American people identify with.” A beverage’s broad popularity, though, is not a very interesting story. Dissent makes a good story. People expressing strongly held and borderline pathological opinions about soft drinks makes a good story. And it didn’t take long for reporters to start finding them. [...] It’s not hard to see in retrospect why people began to pile on. It’s fun to be cranky about stupid things. It’s almost the entire point of Twitter. But there was something else going on here. The critiques often weren’t really about soda at all. [...] These were the forgotten people, or so they wanted you to believe. They were sick of other people defining the pace and texture of change. In that respect, Coca-Cola was grappling with a monster of its own making, because it had spent tens of millions of dollars wrapping the corporation’s identity around this particular kind of small-c conservatism—an idyll of small towns and wholesome values, where all the women are strong, all the men are good looking, and all the kids have high blood sugar. In the early 1980s, it had rejected a proposal to make Michael Jackson a Coke pitchman, because, Oliver reported, he didn’t fit the company’s “All-American” image. He went to Pepsi instead. [...] The Stephen the Shepherd Boy of the New Coke backlash was Mullins, the Seattle retiree who told reporters he’d been preparing to move to Costa Rica before Coke forced him to stay at home and live out his Red Dawn fantasy. “The Declaration of Independence and the Revolutionary War occurred because of taxation without representation; there was no freedom of choice,” he explained. “We went to war [in Europe] to help England, because another country was impinging on their freedom of choice. I feel that this is a battle of that magnitude.” (Tim Murphy, MotherJones)Diese lange und gut recherchierte Story ist super-spannend, weil in dem völlig irrelevanten Feldzug gegen "New Coke" so viel von unserer aktuellen politischen Gemengelage wieder auftaucht. Man denke nur an die Kämpfe um die Deutungshoheit der Medienerzeugnisse des Disney-Konzerns oder die Schlacht um Nike. Da hängen sich professionelle Unruhestifter an ein Thema und peitschen Leute mit dem größten Bullshit auf, der dann zur Schicksalsfrage hochgejazzt wird. Das ist krass bescheuert. Von dieser Dimension abgesehen finde ich es auch spannend, wie sehr sich Coca Cola in den 1980er Jahren im Marketing verspekuliert hat; das war ja nicht nur New Coke, sondern ging viel tiefer und sorgte für massive Marktverluste gegenüber Pepsi. Spannend auch, dass dieser Verlust gegenüber Pepsi hierzulande viel weniger stark ausfiel; woran das wohl liegt? Ist diese eher konservative Werbung von Coca Cola hierzulande attraktiver? Jemand eine Idee?
7) Kris Kobach may be a loser, but he has something Democrats don't
Kris Kobach is certainly persistent. The Kansas Republican known nationally for his longtime advocacy of anti-immigrant policies is a bad politician, a bad lawyer, and the architect of some of the worst ideas afflicting American governance today. But he possesses a single, somewhat perverse political virtue: He always shows up. [...] There's not much reason to think the state's voters will like Kobach more in 2020 than they did in 2018. It's very possible, even likely, that he's setting himself up for yet another big loss. This would be merely annoying to Kobach's critics, who would love to see him just go away. But his persistence has consequences. Because Kobach always shows up — even when voters reject him soundly — he often ends up in power, or in close proximity to it. Democrats and anybody else interested in cracking the code of American politics should thus pay close attention, because Kobach, for all his failures, has something to teach us. And boy, his list of failures is lengthy. He has failed at the local level [...] He has failed at the state level [...] He has failed, most recently, at the federal level [...] Kobach even failed to even launch his Senate candidacy competently, filing campaign documents that misspelled his own name. Even Kobach's fellow party members dread his candidacy at this point. [...] Still, he persists. And why not? Showing up, it turns out, isn't just half the battle — it's a means of accruing power. So while Kobach fails regularly, his persistence has helped make him ubiquitous in conservative circles — a regular presence on Fox News, a columnist for Breitbart. As a result, he's never far from power, or where his voice can be heard by powerful people. In politics, grit isn't just a personal virtue; it's a strategy. There is a lesson in this for Democrats. Because let's be honest, Dems don't always show up. [...] Politics is a long game. The way to win, over time, is to show up again and again and again, even if you fail repeatedly in the process. There are second, third, and fourth acts in American politics. Kris Kobach knows this. The best way for Democrats to beat him, paradoxically, is to follow his example. (Joel Mathis, The Week)Ich sag es immer wieder: Every election is won by those who show up. Und die Progressiven, ob in den USA oder Europa, sind furchtbar schlecht darin aufzutauchen. Jahrzehntelang war die größte Stärke der CDU ihre unverwüstliche Stammwählerschaft, die das Wählengehen nach dem Sonntagsspaziergang als so natürlich wie das Aufstehen am Morgen begriff, während die Wählerschaft der SPD jedes Jahr aufs Neue umworben, umschmeichelt und begeistert sein wollte. Es ist interessant, wie konstant dieser Faktor über Kontinente und Jahrzehnte ist. Und das bezieht sich eben nicht nur auf die Wähler selbst, sondern auch auf die Kandidaten. Selbst der mittelmäßigste Eimerkopf gewinnt irgendwann eine Wahl, wenn er sich nur oft genug aufstellen lässt oder halt der einzige Kandidat ist. Oder glaubt jemand, die Roland Kochs dieser Welt werden Schülersprecher, weil sie charismatische Gegenkandidaten haben?
8) It Was Lunacy Time At the Fifth Circuit Today
Just imagine the following scenario:Man sollte ein grundsätzliches Misstrauen gegen jeden haben, ob links oder rechts, der irgendwelche Prinzipien vertritt, die, wenn er selbst daran gebunden wäre, den eigenen Handlungsspielraum beschneiden. So ist es auch hier. Die angebliche Beschränkung der Judikative auf irgendwelche Prinzipien der Zurückhaltung und des Originalismus gelten immer nur dann, wenn sie Progressiven das Handeln vermiesen, aber nie, wenn sie eigene Handlungsspielräume eröffnen. Es ist bis heute absolut lächerlich, dass irgendjemand Scalias Beteuerungen ernstgenommen hat, er sei ein ernstzunehmender Originalist, während er die Neuauszählung von George W. Bushs gestohlener Wahl blockierte und gleichzeitig grinsend in die Urteilsbegründung schrieb, dass sei keinen Präzedenzfall darstellen könnte, weil es ja schon ein Spezialfall sei (weil es um einen republikanischen Präsidenten ging, nämlich). Man muss sich nur den aktuellen Supreme Court anschauen. Fast jede relevante Entscheidung wird entlang der Parteilinien getroffen. Die eigentlichen juristischen Argumente spielen allenfalls eine sekundäre Rolle. Auch die untergeordneten Gerichte sehen nicht anders aus: Es ist von vornherein klar, welcher appelate court welche Entscheidung treffen wird. Das ist wie ein Urheberrechtsprozess in Hamburg. Die Herrschaft der Minderheit, wie sie die Republicans ausüben, ist gar nicht anders möglich als über die parteiische Kontrolle der Gerichte.
There is surely no one in the country who thinks this even remotely resembles how things are supposed to work. And yet the 5th Circuit is seriously mulling the possibility that this would be good law. [...] This is just straight-up Republican Party advocacy. There is, obviously, no question that Republicans would have repealed all of Obamacare if they could have. But they couldn’t. And the reason they couldn’t was because they didn’t have the votes.¹ It had nothing to do with what they thought, and even if it did, no court has any business trying to divine Congress’s hidden and unstated desires. Republicans squawk endlessly about “judicial activism” and the depredations of the liberal 9th Circuit. But what we heard today goes light years beyond anything the 9th Circuit has ever considered. If the 5th Circuit actually follows through on any of this stuff it would be little different from simply appointing themselves a separate legislature with the power to overturn any laws they didn’t like. And I’ll bet that not a single “constitutional conservative” will so much as mutter under their breath about this. (Kevin Drum, MotherJones)
- Congress passes a law.
- A future president doesn’t like it, so he refuses to defend it in court.
- A crackpot district judge then declares the law unconstitutional. This affects the entire country.
- There is no appeal. Finis.
9) Why Does Trump Hate the Holy Bible?
If the Democrats played as dirty as the Republicans, they could make a lot of hay out of this: – Trump’s newest proposed tariffs on Chinese imports — on hold for now — include the paper used to print Bibles. – Publishers recently told the administration that up to 75% of what it costs them to make a Bible, with complex illustrations and ultra-thin pages, is now spent in China after specialized printing moved there decades ago from the U.S. – Middle- and low-income readers could be priced out by the proposed 25% tariffs, religious leaders and publishers said. I can imagine the Democrats accusing Trump of secretly despising Christians and pursuing a tariff policy designed to interfere with missionary work and deny working folks access to the Gospel. They could just start saying this despite the fact that it’s ludicrous. They could have a handful of their politicians make reference to it and say, “some people are making that accusation.” They could make it known to all the bloggers and left-leaning think tanks and magazines and columnists that they want to spread this rumor. Talking heads could go on the radio and television and make the charge. Mailers could be sent out to Christian congregations. Party leaders could play stupid and pretend that they’ve never heard of the theory while refusing to debunk it. This isn’t going to happen because this isn’t how the center-left operates in this country. That’s mostly a good thing, but there’s a cost to it when one side will say anything and the other has scruples. I know for certain that if Barack Obama’s tariff policies were going to have this effect on the production and cost of Bibles, we’d never hear the end of it. The Republicans put winning above all other considerations. The fact that the idea of the Democrats exploiting this story is laughable tells you have far they are from putting winning first. There’s no way they’ll start asking why the president hates the Holy Bible. (Martin Longman, Washington Monthly)Das würde nie und nimmer fuktionieren. Die Tatsache, wie albern diese Wahlkampfstrategie wirkt, zeigt allein einmal mehr den himmelweiten Unterschied zwischen Progressiven und Rechten in den USA. Vor allem diese ganze "X hasst Y"-Scheiße, vor allem mit "hasst Amerika" oder "hasst Gott" ist ein rein rechtes Produkt. Das hat auf der Linken überhaupt kein Äquivalent.
10) What Middle-Class Families Want Politicians to Know
Lobt man einmal die New York Times, und dann kommst so was. Das Median Household Income in den USA ist 59.039$. Dass die Zeitung nicht einmal jemanden findet, der unter sechsstellig ist, zeigt deutlich, welch verschobene Maßstäbe da herrschen. Aber klar, lieber drischt man zum zwanzigsten Mal auf die angebliche liberale Blase des East Coast Establishment ein, die zwar die Mehrheit im Land vertritt, aber ein so viel bequemeres Ziel abgibt als die offensichtlich völlig außer Rand und Band geratene Ungleichheit in den USA, in denen die Mitglieder der Oberschicht nicht mal merken, dass sie dazugehören. Friedrich Merz lässt grüßen.DANIEL LYNCH, Stow, Mass. User experience/user interface designer at a technology company. Lives with his wife, a stay-at-home mother, and their teenage daughter. Household income of $120,000-$200,000. [...] KRISTIN DePUE, Wyomissing, Pa. Sales representative for a medical supply and device company. Lives with her two teenage sons, whom she supports with her ex-husband, an emergency room doctor. Household income of $200,000-$400,000. [...] CAITLIN DUNHAM, Austin, Minn. Physician. Lives with her husband, a software engineer and entrepreneur, and their two children. Household income of $200,000-$400,000. [...] FLETCHER GUSTAFSON, Kansas City, Mo. Sales representative for a trucking company. Lives with his wife, a human resources manager, and their two sons. Household income of $120,000-$200,000. [...] IRAN SANCHEZ, Laveen, Ariz. Trains call-center workers for a department store. Lives with her daughter; her ex-husband, a systems engineer; his wife, a probation officer; and their two children. Household income of $120,000-$200,000. (E. Tammi Kim/Jyoti Tottham, New York Times)
11) Superpredators
Today, many firms, not just Amazon, have adopted a growth strategy based on rapid expansion and negative cash flow. They are propped up by investors and by low interest rates that provide cheap and easy access to capital. They can’t be unprofitable forever, the thinking goes, and they must have an exit strategy, even if they don’t share it publicly. Until then, they continue to hemorrhage cash in their quest for an ever greater market share. [...] However, it’s unclear how, or even whether, that’s actually happening. Selling below cost is a classic way for aspiring monopolists to seize market share from smaller competitors who can’t afford to consistently lose money. This technique, known as predatory pricing, is bad for consumers, and the economy as a whole, because it drives companies out of the market not because they’re less competitive or efficient, but because they don’t have enough funds to survive without turning a profit. That’s why predatory pricing is illegal under federal antitrust law. [...] The answer is that what the average person thinks about Amazon’s business strategy doesn’t matter, because the Supreme Court has all but defined predatory pricing out of existence. Taking cues from the conservative law and economics movement, the Court has held that the strategy is irrational as a matter of economic theory, because for it to pay off, the monopolist will have to recoup today’s losses by raising prices dramatically in the future. But that won’t work, the logic goes, because when they do, competitors will swoop in and offer the same service or product at lower prices, frustrating the entire scheme. Under that thinking, the Court has set up rules making it nearly impossible to prove that predatory pricing is happening. (Shaoul Sussham, Washington Monthly)Auch hier ist wieder spannend, welche Rolle die republikanisch dominierten Gerichte in den USA spielen, die offensichtlich kein Problem damit haben, aus den Worten James Madisons die Rechtfertigung für gewaltige Monopole im Techsektor zu ziehen. Und woher kommt dieser Blödsinn? Weil die Richter die Ideologie der Rechten hook, line and sinker geschluckt haben. Das ist kein Ersatz für echte Fachkenntnis, ob man den Milliardären Steuergeschenke macht oder die Gesetze im Interesse von Jeff Bezos verbiegt. Das ist etwas, das man etwa der CDU nicht vorwerfen konnte. Gerade die echten Ordoliberalen haben immer die Rolle betont, die Kontrolle von Monopolen und die Zerschlagung derselben in einer gesunden Wirtschaftsordnung haben. Früher glaubten auch die Republicans daran. Aber seit der Irrsinn - personifiziert durch Leute wie Grover Norquist oder Larry Laffer - die Partei völlig im Griff hat, kommt da nur noch solcher Blödsinn heraus.
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