Ja, ich fühle mich auch an die Tage der Auseinandersetzung um die #GroKo erinnert. Schauen wir uns kurz an, wieso.Fühle mich dieser Tage oft an die Auseinandersetzung um die #Groko erinnert. Auch damals wurde mit ganz großem Pathos um Zustimmung geworben, bis hin zum Weltfrieden war alles dabei. Heute, anderthalb Jahre später, ist das manchen Beteiligten unangenehm. #vdleyen #Europaparlament https://t.co/mt15YISrjU— Kevin Kühnert (@KuehniKev) July 16, 2019
2017 hat SPD-Vorsitzender Martin Schulz, eine ebenso historische wie verdiente Wahlniederlage im Nacken, erklärt, dass die SPD für Koalitionsverhandlungen und eine Fortsetzung der Großen Koalition nicht zur Verfügung stehe. Es war nach dem völlig vergeigten Wahlkampf und der größtmöglichen In-den-Sand-Setzung einer programmatisch in irgendeiner Weise relevanten Positionierung die letzte Möglichkeit für die Partei, Einfluss auf ihr eigenes Schicksal zu nehmen. Sie wurde auch nicht gebraucht: es gab eine Mehrheit für ein bürgerliches Bündnis, und die Koalitionsverhandlungen nahmen bis zur Lindner'schen Flucht aus der Verantwortung auch ihren Lauf.
Es sollte anders kommen. Der Abbruch der Koalitionsverhandlungen zwang die SPD zum Offenbarungseid. Würde sie auf ihrem "Nein" zur Fortführung der technisch immer noch bestehenden Großen Koalition beharren oder würde sie Angela Merkel ihrerseits denselben aufzwingen? Es entbrannte eine heftige Diskussion, mitsamt ebenso teurem wie keinerlei Spannungen lösendem Urentscheid, bei dem sich Kevin Kühnert einer gewissen Konstanz rühmen kann: immerhin war er von Anfang an gegen die GroKo.
There is no alternative
Zu der Geschichte gehört aber auch, dass die SPD keine gute Alternative hatte. Ging sie aus der staatsbürgerlichen Verantwortung in die Große Koalition, die der FDP abging, würde sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Wähler abgestraft. Ging sie nicht in die Große Koalition, käme es zu Neuwahlen (niemals würde Merkel eine Minderheitenregierung anführen), in die sie ohne glaubhaften Spitzenkandidaten oder einen echten Grund, sie zu wählen hineingehen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Wähler abgestraft wurde.Kühnerts Argumentation war die Argumentation aller innerparteilichen Rebellen: es brauche eine komplette Neuaufstellung der Partei, inhaltlich und personell, und einen Neuaufbau. Das wäre die große Unbekannte, die aus nachvollziehbaren Gründen vor allem jenen zu unbekannt war, die da personell und inhaltlich abgerissen werden hätten sollen - der komplette Funktionärsapparat der SPD, der stattdessen das Deutscheste tat, was man in der Situation tun konnte und den "Neustart" der Partei in die Kommittees gab, wo er völlig zerfaserte und zerwässerte, man aber immer noch das Wort im Munde führte, während der personalisierte Funktionärsapparat in Gestalt Olaf Scholz' ins Finanzministerium einzog und man mit "Basta"-Vorsitzender Nahles hoffte, wenigstens eine kantige Persönlichkeit an der Spitze zu haben.
Die SPD hatte es 2017/18 somit geschafft, das schlechteste aus beiden Welten zu vereinen. Erst lehnte sie die GroKo ab, dann machte sie sie doch, aber ohne daraus einen echten Vorteil zu gewinnen. Hätte sie von Anfang an die GroKo souverän gestalten und Merkel quasi treiben können, sie also zur eigenen programmatischen Neupositionierung nutzen (zugegeben ein Tanz auf dem Vulkan, für den es keine Erfolgswahrscheinlichkeit gibt), es wäre eine Option gewesen. Hätte sie an ihrer Oppositionsrolle festgehalten und diese Neupositionierung dort vorgenommen, wäre dies die andere Option gewesen.
Stattdessen hat die SPD es geschafft, erst mit einem "Nein" alle Gestaltungs- und Machtoptionen aus den Händen zu geben und dann gezwungenermaßen und zwar mit einem großen Beutekorb, aber ohne jedes passende Narrativ oder eine Gestaltungsabsicht die Koalition doch einzugehen. Wer soll das gouttieren? Die Gegner der GroKo wie Kühnert bemängeln den Verrat an ihren Idealen, die Proponenten verstehen gar nicht, warum man das nicht gleich gemacht hat. Zufrieden kann mit diesem Hin und Her niemand sein.
Und das schlimme ist, dass auch keine strategische Überlegung dahintersteckt. Und da sind wir bei der Brillanz dieser Strategie. Denn was genau ist der "best case" dieser Strategie? Was hoffte man, zu erreichen? Merkel policy-Zugeständnisse abzutrotzen? Welche denn? Gut auszusehen? Für wen denn? Wie denn? Bestimmte politische Gegner auszuschalten oder zu verhindern? Hat man nicht, und wenn ja, wer hätte es sein sollen? Die SPD hätte 2017 die Fortführung der GroKo an einen Rücktritt Merkels knüpfen und sich somit diese Meriten umhängen können, aber wozu? Schon 2017 war klar, dass nach Merkel für die SPD nichts besseres kommen würde. Nicht umsonst betonte man seit Merkels CDU-Vorsitz-Rücktritt stets, dass man AKK nicht zur Kanzlerin wählen würde. Etwas Besseres kommt nicht, und der aktuelle Zustand ist auch scheiße.
Die brillante Europa-Strategie
Und genau da ist die SPD nun wieder im Europaparlament. In großer Geste der Verweigerung erklärte man, von der Leyen nicht wählen zu wollen, intrigierte zwischen Berlin und Brüssel und sonnte sich im Licht, sie als Kommissionspräsidentin zu blockieren, um...ja was eigentlich? In welchem Szenario würde die SPD hier gewinnen? Was würde sie gewinnen?Während von der Leyen sich in Schale warf und die Show der größten und engagiertesten Europäerin aller Zeiten abzog, verweigerte sich die SPD und isolierte sich damit sogar innerhalb ihrer eigenen Fraktion. Von der Leyen versicherte sich in der Zwischenzeit der Unterstützung solch großer Europafreunde wie Orbans Fidesz, Kaczinskys PiS und Grillos M5S. Angesichts der Aussicht, dass von der Leyen eine Kommissionspräsidentin von Gnaden dieser Herrschaften werden würde, begann der stets zuverlässig unzuverlässige Funktionärsapparat umzuschwenken und von der Leyen doch Wahlempfehlungen auszusprechen, wodurch die Europaparlamentarier noch dümmer aussahen.
Wieder schaffte es die SPD, erst nein und dann ja zu sagen und dabei die Liebe und Unterstützung exakt keiner Fraktion zu gewinnen. Und wieder war völlig unklar, was man zu erreichen hoffte. Glaubte irgendjemand im Willy-Brandt-Haus, man würde eine Kommissionspräsidentin erreichen können, die (aus Sicht der SPD) besser als von der Leyen ist? Was genau sollte nachkommen? Welcher Kandidat, welche Kandidatin wartete denn abseits der Bühne nur auf die Chance, den durch eine Wahlverliererin von der Leyen frei werdenden Platz als Kandidatin des Europäischen Rats einzunehmen?
Wenn dem geneigten Leser niemand einfällt ist das kein Wunder, es gibt nämlich niemand. Die SPD hat schlichtweg keine Optionen. Und die hat sie unter anderem deswegen nicht, weil sie sich beharrlich weigert, sie zu schaffen. Solange dieser Funktionärsapparat die Partei im Griff hat wird sich nichts mehr ändern, und sich sehe nicht, dass Kevin Kühnert ein Konzept hätte - außer Wadenbeißerei -, wie man dieses Problem angehen soll. Es ist das ganze Dilemma dieser strategischen Genies, die an keiner Sackgasse vorbeikönnen, ohne sich hineinzumanövrieren.
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