Samstag, 6. Juli 2019

Trucks sind unfähig zu trauern, Chait sitzt in der Spitfire und die Grünen lassen sich mit Tee bestechen - Vermischtes 06.07.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Being Middle Class Isn’t Just a Matter of Income
There’s plenty of evidence that visible signs of social inequality bother lots of people. For example, a recent paper by political scientists Melissa Sands and Daniel de Kadt found that when people in South Africa saw an expensive car, their willingness to raise taxes on the wealthy increased. Plenty of economics experiments in lab settings have found strong aversion to inequality. Of course, there are many possible reasons for these effects. One is simply that poor people are envious or resentful of the rich. But this doesn't explain why many people seem to feel uncomfortable having more than others. In a common experiment called the dictator game, involving the division of a pot of money, subjects who have the power to keep all the money for themselves tend to give some of it away. And when the so-called dictator has the power to divide money up among others, he or she tends to prefer an equitable distribution. Furthermore, surveys regularly find that Americans underestimate the amount of inequality in their midst — although this could be due to simple ignorance, or an illusion created by neighborhoods where most people have similar incomes. But it also probably reflects wishful thinking. The idea of an unequal society probably offends many people, even those on top of the hierarchy. Understanding exactly how and why inequality bothers people is the key to creating a happier society. Traditional remedies include redistribution of income and wealth through taxation, as well as so-called predistribution — reshaping the economic system to produce more equal market outcomes — through unions and other pro-worker institutions. (Noah Smith, Bloomberg)
Noah Smiths Betonung des Vorhandenseins eines Wunschs nach Gleichheit ist wichtig. Aber: Wir erleben in der täglichen Realität immer und immer wieder, dass die Menschen die meiste Zeit nicht danach handeln, auch wenn sie es am Ende bedauern. Es gibt dazu ein interessantes Experiment, bei dem die Wechselwirkung zwischen moralischen Entscheidungen und Ökonomie untersucht wurde. Es ging darum, dass Probanden sich entscheiden mussten, entweder einer Maus das Leben zu retten oder 10$ zu bekommen. Die meisten Menschen retteten die Maus. Wurden aber weitere Faktoren - etwa eine Börse oder weitere Transaktionsschritte eingebaut - nahm diese Zahl rapide ab. Die Forscher erklärten das mit Multitasking: wann immer wir mehrere Dinge gleichzeitig tun beziehungsweise mehrere Werte gleichzeitig behandeln müssen, versagen unsere moralischen Rezeptoren. Im Alltag sind Probleme aber selten isoliert anzutreffen. Klar sind wir für eine möglichst gleiche Verteilung von Flüchtlingen, aber doch bitte nicht in unserer Nachbarschaft. Klar finden wir, dass der freie Markt die besten Ergebnisse bringt und der Staat sich raushalten soll, aber nicht bei meinem Job. Und so weiter. Daher wollen die allermeisten Leute zwar als Teil der Gemeinschaft und Mittelschicht wahrgenommen werden, handeln aber nicht wirklich danach. Das scheint mir ein grundlegendes menschliches Paradox zu sein. Beikommen kann man dem nie; man kann allenfalls beeinflussen, wie sehr die Gesellschaft offensichtliche Verstöße gegen diesen Wunsch zu akzeptieren bereit ist.

2) The Democrats Aren’t a Left-Wing Party — They Just Play One on TV
The 2020 hopefuls paired these “centrist for Europe, but left wing for the U.S.” economic proposals with positions on (so called) social issues that would qualify as progressive in any country on earth. Virtually all contenders embraced federal funding for abortion, and expanding undocumented immigrants’ access to government services, while multiple leading candidates called for the decriminalization of illegal border crossing (a policy that is less radical than it sounds, but still signals a flat rejection of the party’s past commitment to projecting “toughness” on the border), and the revival of busing to desegregate America’s schools. By all appearances, the arc of Democratic history was bending back toward George McGovern. Progressive activists walked away feeling triumphant; Never Trump columnists, aggrieved and concerned. But all could agree that this wasn’t your father’s Democratic Party anymore (assuming your father is a neoliberal shill). And yet: If you turn your gaze from the Democrats on the debate stage to the ones actually governing in Congress, you’ll see a party fit for David Brooks. Hours before Team Blue’s 2020 hopefuls endorsed decriminalizing illegal entry, its House caucus approved $4.5 billion in new funding for the border crisis — without imposing strict standards on how that money can be spent. In doing so, House Democrats didn’t merely embrace a position to the right of Alexandria Ocasio-Cortez’s, but one to the right of Nancy Pelosi’s. The House’s proudly moderate “Blue Dog” and “Problem Solvers” caucuses called the tune. They wanted bipartisan compromise without delay, and they had the votes to get it, their Speaker’s wishes be damned. This wasn’t an aberration. Liberals may set the pace in Democratic discourse and presidential debates. But on Capitol Hill, the centrists often take the wheel. In May 2017, Pelosi vowed that House Democrats would pass a bill raising the minimum wage to $15 within 100 hours of taking power. It has now been six months, and that bill’s fate is still uncertain. (Eric Leivitz, New York Magazine)
Es handelt sich hier um die umgekehrte Dynamik wie bei den Republicans: die spielen eine konservative Partei, sind aber rechtsradikal. Linke Aktivisten beklagen sich über diesen Graben ja ständig. Man muss sich nur mal ansehen, wie sie Obamas Regierungszeit sehen: Da passt häufig kein Blatt zwischen ihn und Mitt Romney. Umgekehrt betrachten die Rechten ihn häufig als einen schlimmen Sozialisten. Das ist ein merkwürdiger disconnect. Obamas Wahlerfolg beruhte ja aber auch gerade darauf, dass er ein Politiker der moderaten Mitte war und eben kein hart Linker. Und genau aus diesen Mechanismen heraus konnte er auch "nur" den Stimulus und den ACA verabschieden, der am Ende herauskam: Egal, was Obama selbst glaubte, er musste mit einem reichlich moderaten Kongress arbeiten. Deswegen sag ich ja auch immer: Wer grundlegenden Wandel will, dem hilft die Präsidentschaft nicht. Deswegen hat Bernie auch keine Chance. Selbst wenn er die Präsidentschaft gewinnen würde, liefe er danach gegen massive institutionelle Mauern. Seine völlig unbefriedigenden Antworten auf dieses Dilemma waren es erst, die mich 2016 ins Lager Hillary Clintons getrieben haben. Immer sprach er nebulös davon, dass er von einer Welle der Mobilisierung breiter Volksmassen ins Weiße Haus getragen werde, die dann so viel Druck auf der Straße ausübten, dass die anderen Institutionen gar nicht anders könnten als seiner Linie zu folgen. Das ist Wunschdenken, und es ist nicht einmal ein Wunsch, den man haben sollte. Echter Wandel muss von unten kommen, nicht von oben, und das haben Sanders und seine Anhänger nie verstanden.

3) Bürgerlich, besserverdienend, schnurzegal? Zur Klischeeologie der Grünen
»Der Grünen-Wähler ist meist bürgerlich und gehört zur Mittelschicht. Das geht aus dem ›Handbuch Parteienforschung‹ von Probst aus dem Jahre 2013 hervor«, heißt es da unter anderem. 2013! Oder es wird auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2017 verwiesen, laut der die Grünen-Wählerschaft mit 3.000 Euro im Monat das zweithöchste mittlere Einkommen im Parteienspektrum hat. »72 Prozent der Grünen-Wähler sind Angestellte, 10 Prozent Beamte, und nur 9 Prozent sind Arbeiter – so wenige wie bei keiner anderen Partei«, hieß es vor ein paar Tagen in der FAZ, auch diese Zahlen stammen aus der DIW-Studie. Das Problem auch hier: Die da verarbeiteten Daten stammen von 2016 und damit aus einer Zeit, in der die Grünen etwas über 10 Prozent in den Umfragen lagen, also auf einem »alten Niveau« – der bis heute anhaltende Aufschwung setzte nach Angela Merkels Rückzugsankündigung im Spätherbst 2018 ein und ist so gravierend, dass er die Partei und ihre Anhängerschaft verändert haben dürfte. Aus politisch ganz anderer Perspektive und ironisch gemeint hat Ansgar Graw um die Zeit von Merkels Rückzugsankündigung herum zudem noch auf etwas eigentlich Selbstverständliches hingewiesen: »Den typischen Grünen gibt es kaum noch, dafür bestimmen das Bild gleich mehrere grüne Typen.« Seine »Klischeeologie« der neuen GrünenwählerInnen blieb freilich selbst in der Vergangenheit stehen: »Seit die Grünen in der Mitte angekommen sind, sind ihre Anhänger nicht mehr so leicht zu erkennen«, schreibt Graw und reproduziert damit erst einmal nur das ohnehin bekannte Bild der »meist bürgerlichen« Grünen. Aber zeigt dieses noch die real existierende Mitgliedschaft, die Wählerschaft? Allein 2018 sind bei den Grünen »10.000 neue Mitglieder hinzugekommen«, daran erinnert gerade die »Frankfurter Allgemeine«, »durch die Eintritte wird die Partei derzeit immer jünger, und sie wird weiblicher und sogar ostdeutscher. Die neuen Mitglieder kommen aus allen Bevölkerungsgruppen und Gegenden.« Auch die Wählerschaft ändert sich, Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wird mit den Worten zitiert, »dass wir in allen Berufsgruppen deutliche Zugewinne haben. Bei Arbeitslosen zum Beispiel sind wir mit 17 Prozent drittstärkste Kraft, auch bei Gewerkschaftsmitgliedern legen wir zu«. (Tom Strohschneider, Oxi)
Ich weiß nicht, wie viele dieser behämmerten Klischees auch zum Erfolg der Partei beitragen und sie nicht nur behindern. Ich hatte ja bereits kürzlich geschrieben dass das Label der "Verbotspartei" bei weitem nicht mehr so gut funktioniert wie früher. Nicht zu erkennen, dass ein Trend sich gewandelt hat, hat bereits der CDU Baden-Württemberg immens geschadet, die die Grünen anno 2011 immer noch als die klischeebeladene 68er-Mottenkiste behandelte, sie im Ländle halt nicht war. Wenn dieser viel beschworene Wandel nun tatsächlich auch auf Bundesebene kommen sollte, ist es sicherlich keine gute Idee, diese Wähler, die man ja eigentlich gerne selbst hätte, durch solche Etikettierung zu vergrätzen.

4) Tweet
Die Kolumnen der New York Times sind zwar voller überbezahlter Köpfe, aber interessante Sachen sagen die selten. Bret Stephens ist da nur der Letzte in einer Reihe von Knallchargen, die in der Lage sind, den immer gleichen Kram neu aufzuschreiben. Ich nehme da auch Krugman nicht aus. Wann hat der denn das letzte Mal eine wirklich interessante Kolumne geschrieben? Keine Ahnung, warum das bei der New York Times so uninteressant ist. Wahrscheinlich ein ähnlicher Mechanismus wie in Fundstück 2: Man nimmt diese Moderaten, aber die sind halt nicht sonderlich spannend.

5) Unfähig zu trauern
Eine seit vielen Jahren geäußerte Wehklage der Minderheitsdeutschen, wenn sie Opfer von Rechtsradikalen werden, lautet: "Sie weinen nicht um uns, weil wir es sind." Gemeint ist damit beispielsweise die ausgebliebene Trauer um die Toten, die vom neonazistischen Terrornetzwerk NSU umgebracht wurden. Das "sie" bezieht sich auf die Minister, die Sicherheitsbehörden, auf den Verfassungsschutz, auf Regierung, Parlament, aber auch auf die Bevölkerung. Die Tränen blieben aus. Jeder Gedenkmarsch für die NSU-Opfer bestand aus einer Handvoll Menschen. [...] Aus Walter Lübckes Tod folgt eine Erkenntnis. Nämlich die, dass die Tränen auch dann ausbleiben, wenn es sich bei dem Opfer um einen Deutschen aus der konservativen Mitte handelt. Die Erzählung, dass es sich nur um die richtige Sorte Opfer handeln muss, damit eine Phase kollektiver Trauer und politischer Maßnahmen folgt, stimmt kein bisschen. [...] Wo man keinen Kummer verspürt, singt man keinen fado, kein uzun hava. Warum offenbaren sich manche Gesellschaften in politischen Ausnahmesituationen als trauernde Gemeinschaft und andere nicht? Die norwegische Königsfamilie war auf dem Weg nach Utøya sichtlich gebrochen, ebenso Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern in Christchurch. Man ist versucht zu glauben, dass der Rechtsextremismus in Deutschland keinen Schmerz verursacht. Aber dann fragt man sich, ob die Opfer der RAF öffentlich beweint wurden. Man kann sich nicht erinnern. Die Täter aber immerhin wurden bekämpft. (Mely Kyiak, ZEIT)
Kann da jemand, der Zeitzeuge ist, was dazu sagen? Wie sehr trauerte man 1977 öffentlich über die RAF-Opfer? Ich kenne die Fotos von Schmidt beim Schleyer-Begräbnis, aber keine Ahnung wie verbreitet das war. Kann schon sein, dass wir das als (politische) Gesellschaft einfach nicht sonderlich hoch hängen. Wir haben es ja auch nicht so mit den Trauerminuten und solchen Zurschaustellungen von Trauer, und wenn ich mich richtig entsinne waren die Reaktionen etwa auf die Amokläufe ähnlich unterdrückt. Entsetzen ja, Trauer eher weniger. Würde mich auch davor hüten, das werten zu wollen. Die Deutschen waren jetzt noch nie für überbordende Emotionalität berühmt.

6) Tweet
Ich lasse das hauptsächlich als Beleg dafür da, was ich meine, wenn ich sage, dass Autos und Lkw im deutschen Strafrecht bevorzugt werden. Gleiches gilt übrigens auch für Falschparken. Wir haben da so einen Fall bei uns im Kaff. Das Freibad liegt am Rand eines Wohngebiets und hat nur wenig eigene Parkplätze, so dass wie jetzt im Sommer die Besucher alle auf die Straßen des umliegenden Wohngebiets ausweichen und dort die Straßen zuparken, und zwar inklusive aller Zonen, die man eigentlich nicht beparken darf (Kurven etc.). Das hat jetzt dazu geführt, dass der Bus, der das komplette Viertel eigentlich anfährt, nicht durchkommt und es komplett auslässt; die Leute müssen also zwischen 10 und 15 Minuten zu Fuß zur nächsten "freien" Haltestelle gehen. Beschwerden auf dem Rathaus mit Bitte um Polizeikontrollen etc. wurden abschlägig beschieden, weil man sich den Stress nicht geben wolle.

7) Justin Amash and the myth of Tea Party conservatism
Lots of Republicans talk this way. Only Amash is silly enough to believe any of it. This was quietly acknowledged on Tuesday afternoon when Kevin McCarthy, the House minority leader, was asked whether Amash should also leave the Republican party. "Justin Amash can determine his own future, but I think in a philosophical basis, he's probably in a different place than the majority of all of us," McCarthy said before laughing. This is absolutely true. It is also as good a reminder as any that the Obama-era Tea Party movement that died with Trump's election was not about any of the things its participants claimed to be interested in. Limited government, cutting entitlements? Nobody would actually vote for us if we got rid of that stuff. Reining in deficit spending? We'd rather cut taxes. The Constitution? It means what we need it to. Pretending that the all-powerful American president is some kind of glorified European prime minister with few if any broadly defined powers or prerogatives who should spend his days quietly sitting at a desk waiting for tricorn-hatted citizen-statesmen to send him patriotic legislation to consider? Please, that's only something we do when the guy in the White House is an uppity minority with a terrorist-sounding name. Holding the White House accountable with scare-mongering hearings that call the president's legitimacy into question? Bo-ring. All that "Get a job!" talk? Get outta here with that coastal elite Harvard MBA garbage. The noble American worker was screwed over by Kill and Killary Clinton and the rest of the globalist elites who invented NAFTA. We only meant that stuff about black people. The blame for this cannot all rest at the feet of GOP politicians. At some undisclosed point between Rick Santelli's CNBC rant and Trump's famous escalator walk, the same GOP base that had enthusiastically dressed up in John Adams costumes decided to put on MAGA hats and start waxing lyrical about the plight of caricatures from Bruce Springsteen songs. This surprised a lot of people, not least the 16 other Republican candidates for president in 2016, nearly all of whom had convinced themselves that they were only one mangled Thomas Jefferson quote away from 1600 Pennsylvania Avenue. They knew that they didn't believe their own BS. What had never occurred to them was that the voters didn't either. It was never about reforming Social Security or originalism or entrepreneurship or whatever the hell The Federalist is; their politics were about one thing, a somewhat nebulous but implicitly defined "us" versus an equally amorphous but undeniably sinister "them." It's libs all the way the down, and they're all there to be owned. (Matthew Walter, The Week)
Wir hatten das im letzten Vermischten bereits diskutiert, aber ich finde es interessant, mit welcher grinsenden Selbstverständlichkeit Mc Carthy Amash direkt aus der Partei ausstößt. Kein Wunder. Amash kommt aus einem Wahlkreis, den auch ein Kartoffelsack für die Partei gewinnt, und mit seinem Austritt aus der GOP verliert er nichts als einen Querulanten. Ebenfalls spannend ist der Verweis auf die ganze Revolutionsmystik. Es gehört zur Standard-Staffage der GOP, die Revolutionszeit zu beschwören (Gadsden-Flag, Dreispitz, Betsy-Ross-Flag und Muskete inbegriffen). Aber wenn man das nur zum Karneval macht, ohne die Bedeutung der eigenen Symbole zu begreifen, muss man sich nicht wundern, wenn sie einem dann unterm Hintern wegbrechen, wie das Amash geschehen ist.

8) Sara Netanyahu muss 14.000 Euro zurückzahlen
Im Skandal um die Bestellung von Gourmetessen hat sich Sara Netanyahu jetzt mit der Staatsanwaltschaft geeinigt. Die Frau des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanyahu muss knapp 14.000 Euro an den Staat zahlen. Das bestätigte ein Gericht in Jerusalem. Laut einer angepassten Anklage hatte Sara Netanyahu vorsätzlich die Unwissenheit des Büros ihres Mannes ausgenutzt. Sie stand ursprünglich wegen Betrugs und Untreue vor Gericht. Der 60-Jährigen wurde vorgeworfen, zwischen 2010 und 2013 mit einem Mitarbeiter in Edelrestaurants Hunderte Mahlzeiten bestellt zu haben, obwohl die Familie in der Residenz in der Smolenskin-Straße 9 in Jerusalem eine Köchin beschäftigte. Das Essen habe einen Wert von umgerechnet rund 43.000 Euro gehabt, ursprünglich sprach die Anklage sogar von 83.000 Euro. Das Geld dafür habe Netanyahu vom Büro des Ministerpräsidenten erhalten. Dieses habe nicht gewusst, dass eine Köchin auf Staatskosten für die Familie arbeitete. Der ebenfalls angeklagte Mitarbeiter sei auch für die Verwaltung der Residenz zuständig gewesen. Sara Netanyahu hatte immer wieder ihre Unschuld beteuert. Ihre Anwälte argumentierten, die Mahlzeiten seien von einem anderen Mitarbeiter, dem ehemaligen Hausmeister und heutigen Kronzeugen Meni Naftali, "gegen den Willen von Sara Netanyahu bestellt" worden. Chefköche seien nur bei offiziellen Anlässen und nicht für Privatmahlzeiten im Amt des Ministerpräsidenten beschäftigt worden. (Spiegel)
Es ist mir ein Rätel. Warum sind Populisten immer korrupt? Links wie rechts, wenn etwas die Bande eint, dann dass sie sich beim Staat bedienen sobald sie die Möglichkeit haben, auf eine schamlose Weise, die man bei den demokratischen Politikern links wie rechts selten findet. Ob Putin oder Orban, Erdogan oder Kaczinsky, Netanyahu oder Trump, bei der AfD oder LePen, Maduro oder Chavez, überall findet man sofort die dicken Villen, Schwarzgeldkonten und üppigen Büffets. Da muss es doch eine Verbindung in der Mentalität dieser Leute geben. Glauben sie, dass es ihnen als Volkstribunen zusteht? Kümmern sich ihre Anhänger wenig darum? Ich weiß es nicht.

9) Today’s 75-year-olds didn’t fight the war – so why do we think they did?
Partly, I suspect, it’s that – as anyone over 30 could tell you – there is often a gap between our perception of age and actually existing reality. If the average 40-year-old is still surprised to find they are no longer 28, it seems likely that they’re instinctively getting everyone else’s ages out by around a decade, too. But I think there’s another, less comprehensible reason, which is that so many of the older generation actually are going around talking as if they fought the war themselves. The red-faced old men, who show up on Question Time to opine that if Britain survived the Blitz, it can survive a little no-deal Brexit, seem genuinely to think that surviving the Blitz was their own, personal achievement. But it wasn’t. They weren’t there. And research shows it’s the Baby Boomers – those who were, by definition, born after the war, and who came of age in the 60s and 70s – who are by far the most enthusiastic about Brexit, as they have been about every other policy which might plausibly screw over their children. Those old enough to actually remember the war are nearly as pro-European as millennials, almost as if they can recall the damage that not having European unity actually did. So why do people who were born years after the war seriously seem to think that they fought the thing? The charitable explanation is that they grew up in its shadow – living with rationing, playing on bomb sites, with war stories inescapable on film and TV – and so even though they didn’t live through the war, it still coloured their critical coming of age years. The less charitable explanation is that they think they deserve respect and free stuff, and that young people are too stupid to do the maths. (John Elledge, The New Statesman)
Ich würde mal vermuten, ein Teil des Rätsels ist die Allgegenwärtigkeit des Krieges. Schon seit sicherlich 20 Jahren kommentieren Beobachter der Insel, dass die britischen Medien eine absurde Obsession mit dem Zweiten Weltkrieg haben und beständig reaffirmieren müssen, ihn gewonnen zu haben und einen erheblichen Teil ihres nationalen Selbstbewusstseins daraus ziehen. Man konnte das ja auch gut beobachten, als "Dunkirk" und "Darkest Hour" quasi Rücken an Rücken ins Kino kamen und zur Verklärung dieser Ära beitrugen. Ein anderer Teil ist aber sicher auch eine Generationenfrage. Ich glaube nicht, dass in Deutschland das Gefühl der heute um die 65jährigen, höchstpersönlich die Trümmer weggeräumt zu haben, dermaßen verbreitet ist wie die Idee der Briten, eine Spitfire geflogen zu haben, weil man mal eine im Museum gesehen hat. Ist ein echt merkwürdiges Ding der Mentalitätsgeschichte. Und es wäre einfach nur kurios, wenn es die ganze Dynamik des Brexit nicht so sehr befeuern würde. Der routinemäßige Vergleich der Brexitvorgänge mit 1940 jedenfalls lässt nicht eben auf gesunde Relationen schließen. Nicht unerhebliche Teile der britischen Öffentlichkeit scheinen fest davon überzeugt zu sein, dass zwischen Hitler und Juncker kein Unterschied besteht und dass der Austritt aus der EU der Evakuierung von Dünkirchen gleichkommt. Solche Analogien aber sind ziemlich gefährlich.

10) Who cares if Joe Biden really believes in bipartisanship?
And yet, in real life, most people take politicians at 100 percent face value: if they say something that’s not obviously preposterous, we simply accept it. Cynicism goes straight out the window. (Unless it’s someone whose guts we hate. Then everything they say is automatically a lie.) I have no idea what Joe Biden “really” believes about working with Republicans. But I will say this: he’s a politician. There’s zero reason to think he truly believes what he’s saying here. There’s also zero reason to think he doesn’t believe it. The fact that he said it is simply a null input. At the same time, Biden isn’t an idiot. Of course he knows what the modern Republican Party is like. But like Obama before him, he also knows that lots of people really like to hear paeans to bipartisanship. We political junkies may hate it, but ordinary people who don’t inhale cable news are suckers for the idea that we can all get along if we just give it a try—and there are way more of them than there are of us. Biden knows this, so that’s what he tells people. Whether he really believes it or not matters not a whit. (Kevin Drum, Mother Jones)
Ich muss Kevin Drum hier entschieden widersprechen. Obama glaubte auch ernsthaft an bipartisanship, und es kam das Land zwischen 2009 und 2013 teuer zu stehen. Er konnte nicht einmal 2016 aus seiner Haut und reichte Mitch McConnell erneut die Hand zum Kompromiss, als er einen moderaten Kandidaten für den Supreme Court aufstellte, der durchaus für beide Seiten akzeptabel gewesen wäre. Glaubt Joe Biden ernsthaft an seine eigene Rhetorik, dass er in der Lage wäre, hier Deals zu schließen, dann ist es gut möglich, dass die Republicans das genauso für ihre zerstörerische Obstruktionspolitik ausnutzen wie die acht Jahre unter Obama. Sieht er es dagegen als Wahlkampfmittel, um der Bevölkerung zeigen zu können, dass er es ja ernsthaft versucht habe - okay. Aber ich fürchte, Biden ist eitel genug daran zu glauben, dass er kraft seiner magnetischen Persönlichkeit und ohne jede Substanz in der Lage wäre, die Republicans an den Konferenztisch zu bringen. Diese Hybris spricht nicht gerade für ihn.

11) Democratic Presidential Candidates Need to Stop Taking Unpopular Stances
The giveaway here is the phrase “once you explain to them.” That’s not how politics usually works. You can try to explain to people that they’ll be better off trading their employer-sponsored insurance for a government plan. And I agree — most people probably would be better off. But getting people to change their minds isn’t just a simple matter of explaining the facts to them. The other side gets to make arguments, too. There’s just no reason to believe Democratic arguments in favor of single-payer would persuade more voters than Republican arguments against it. It’s surely possible to turn people toward single-payer in a curated information environment where voters are exposed to one-sided arguments selected by advocates, but this has no bearing on real-world political outcomes. An even more baffling argument for taking unpopular stances is that the Republicans are going to lie anyway, so who cares? “Neither Warren nor those around her have ever bought into the idea that proposals like [eliminating private insurance] are sufficiently potent ammunition for Republicans to warrant backing off,” reported my colleague Gabriel Debenedetti recently, “It’s common for her supporters, and Sanders’s, to point out that Republicans will likely accuse Democrats of wanting the most extreme possible version of their policies anyway — open borders! Full socialism! Gun confiscation! — regardless of the identity of the nominee, so moderating to avoid that is a fool’s errand that would only alienate their own backers.” This view is, quite simply, insane. Obviously, Republicans are going to say all kinds of nasty and frequently false things about the Democratic nominee. But there’s an enormous difference between a world in which Republicans accuse a Democrat of holding an unpopular position, the Democratic candidate denies it, and mainstream media treat the charge as sketchy or false, and a world in which the Democratic candidate openly advocates an unpopular position. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Auf der einen Seite gebe ich Chait recht. Es ist eine absurde Obsession auf Seiten der Progressiven - ganz egal in welchem Land - dass man die eigene Politik nur "erklären" müsse, um dann überzeugende Mehrheiten zu bekommen. Im besten Fall ist es eine ineffektive Strategie, im schlechtesten Fall arbeitet man sich in Albrecht Müllersche Verschwörungstheorien von konzertierter Meinungsmache hinein, die allein den mangelnden eigenen Erfolg erklären kann. Chaits Argument, dass die Gegenseite einen ja nicht alleine den Frame entwerfen lässt, ist aber nur die Hälfte des Puzzles. Was in der Argumentation oft auch übersehen wird - und dann zu Verblüffung und Entrüstung über das "die stimmen gegen ihre eigenen Interessen!" führt - ist, dass selbst eine Erklärung unter Idealzuständen viele Leute nicht auf die eigene Seite bringt. Selbst wenn ich es in dieser idealen Welt schaffe, meinem konservativem Gegenüber deutlich zu machen, wie es persönlich von einer allgemeinen Krankenversicherung profitieren würde, würde es vermutlich seine Meinung nicht ändern, weil starke Identitätsfragen mit hineinspielen. Die Krankenversicherung abzulehnen ist Teil seines ideologischen Id, völlig unabhängig von der wirtschaftlichen Interessenlage. Wir wissen das ja auch, weil die meisten progressiven Politiker ja auch ständig gegen ihre Interessen stimmen. Auf der anderen Seite muss man aber bei Chaits Kritik an diesen Vorschlägen auch deswegen vorsichtig sein, weil er sie ablehnt. Jede Argumentation zum Thema Wählbarkeit und Wahlchancen, die von jemandem kommt, der die aktuelle politische Richtung ablehnt, muss with a grain of salt genommen werden. Motivated reasoning ist immer eine Gefahr, für jeden, wenn man politische Vorgänge analysiert, in denen ein großes persönliches Engagement steckt. Und das ist bei Chait, einem sehr moderaten Linken, definitiv der Fall.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.