1) Rassismus lässt sich abtrainieren
Man dürfe nicht sehr viele Leute in Deutschland zu Rassisten erklären, findet Gniffke. Warum? Nach allen Untersuchungen, die es zu rassistischen Einstellungen in Deutschland gibt, muss man leider sagen: Rechte Positionen sind auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft sehr weit verbreitet. Jeder zweite Deutsche hat Vorurteile gegen Asylsuchende. Es gibt sehr viele RassistInnen in Deutschland. Man darf sie so nennen und es steht ihnen frei, sich zu ändern. [...] Sexismus und Rassismus sind nicht in allen Punkten vergleichbar, aber in diesem schon: Es ist ein oft zu beobachtendes Phänomen, dass Leute versuchen, andere zu verteidigen, indem sie erklären, dass diese "in Wirklichkeit" keine Rassisten oder Sexisten sind, auch wenn sie etwas offensichtlich Menschenverachtendes gesagt oder getan haben. Männer erklären, sie kennen ihren Kollegen gar nicht als Grabscher oder schmierigen Frauenfeind und Weiße erklären, sie würden eine Person normalerweise nicht als Rassistin erleben. Was ja wahrscheinlich auch stimmt, aber eben nur sagt, dass sie von diesen Einstellungen vielleicht bisher nichts mitbekommen haben oder sie ausblenden konnten. Die allermeisten von uns haben sexistische und rassistische Denkmuster verinnerlicht. Es ist eine lebenslange Aufgabe, sie loszuwerden. Wer versucht, Leute, die offensichtlich rassistische Aussagen machen, von "echten" Rassisten abzugrenzen, bemüht eine Logik von Gut und Böse, die die massenhafte Verbreitung rassistischer Ideen nicht ernst nimmt. Es ist eine billige Entlastungstechnik derer, die sich nicht mit Rassismus beschäftigen wollen - und eine Belastungstechnik für alle, die von ihm betroffen sind. (Margarete Stokowski, SpiegelOnline)Rassismus lässt sich genauso abtrainieren wie Sexismus und andere diskriminierende Verhaltensweisen auch. Es setzt halt voraus, dass man sich klar macht, dass man diese Verhaltensweisen begeht und aktiv daran arbeitet, es nicht mehr zu tun. Dazu braucht es auch sprachliche Tabus (wir haben uns ja mittlerweile daran gewöhnt, Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht als Neger zu titulieren und Sinti und Roma nicht als Zigeuner). Es ist ebenfalls immer wichtig, sich klar zu machen, dass niemand binär rassistisch ist nicht. Jedem kann mal ein rassistisches oder sexistisches oder sonstwie diskriminierendes Element herausrutschen. Das Wichtige ist, das als solcher zu erkennen - entweder durch Selbstkritik oder weil man darauf aufmerksam gemacht wird - und dann daran zu arbeiten, dass das künftig nicht mehr passiert. Mir scheint fast so, als hätte jemand schon mal was dazu geschrieben.
2) Die Bonner Republik geht diesen Herbst zu Ende
Erst seit Kurzem ändert sich das, erst jetzt bildet sich langsam ein gesamtdeutsches Parteiensystem heraus, das sich grundlegend von dem der alten Bundesrepublik unterscheidet. Mit massiven Folgen für Parteien und Bündnisse, weil das, was sich gerade zu zeigen beginnt, aller Wahrscheinlichkeit nach keine merkwürdige Phase ist, die schon bald wieder zu Ende sein wird, sondern das endgültige Ende einer Ära, die auf dem Papier schon ewig zu Ende gegangen ist, sich aber bis in die Gegenwart gestreckt hat. [...] Die Westparteien waren im Osten nicht deshalb erfolgreich, weil sie im Osten wirklich Fuß gefasst haben. Geht es nach Mitgliederzahlen und lokaler Verankerung, dann gibt es in Wahrheit keine einzige echte Volkspartei im Osten, weder SPD noch CDU. Sie waren stark, weil es neben der Linken keine Ostparteien gab und keine Neugründungen der Berliner Republik. Die Wahlerfolge täuschten lange darüber hinweg. [...] Noch stehen dem nicht nur Kalkül, sondern auch Lagerdenken und Eitelkeiten im Weg. Die FDP will fast überall nicht unter den Grünen arbeiten, auch die SPD mag nicht gern Juniorpartner der Grünen sein und die Union verweigert sich noch partout der Linkspartei. In der alten westdeutschen Wirklichkeit ging das, im neuen gesamtdeutschen Parteiensystem führt es absehbar in die Blockade, selbst wenn sich in Sachsen, Thüringen und Brandenburg noch bekannte Mehrheiten finden sollten. Vielleicht, sehr wahrscheinlich sogar, wird sich dieses System in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wandeln. Niemand weiß in welche Richtung. Wer erwartet, dass sich jetzt ein neues Gleichgewicht einstellt, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Deshalb wird Kompromissfähigkeit, wird Bündnisfähigkeit, wird Flexibilität im neuen gesamtdeutschen Parteiensystem zur Schlüsselqualifikation. (Jonas Schaible, T-Online)Das Grundproblem ist weniger die reine Zahl der Parteien. Ein Dreierbündnis ist weniger problematisch, weil da drei Parteien koalieren. Sobald die FDP mal aus ihrer Blockadehaltung herauskommt und so etwas wie politische Verantwortung übernehmen will, öffnen sich da durchaus entsprechende Spielräume. Das Problem besteht vielmehr darin, dass zwei von sechs Parteien in der Koalition massive Probleme verursachen; eine nur auf Bundesebene, die andere generell. Das eine wäre die Linkspartei, deren außenpolitische Forderungen mit keiner anderen Partei auch nur im Geringsten umsetzbar sind. Ausstieg aus der NATO und Ablehnung von Auslandseinsätzen und der EU sind durchaus Forderungen, die man bringen kann, aber sie bedeuten eine 180°-Abkehr von der bisherigen politischen Ausrichtung der Bundesrepublik und werden von allen anderen Parteien abgelehnt. Und die AfD ist aktuell weder in den Ländern noch auf Bundesebene koalitionsfähig, schon alleine, weil ernsthafte Zweifel daran bestehen müssen, ob sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Bei der LINKEn wissen wir, dass wir denen problemlos ein Landesministerium geben können. Vielleicht machen sie beknackte Politik, aber das gehört zum politischen Geschäft dazu. Aber ich fühle mich in einem Bundesland, in dem die AfD das Innenministerium oder Kultusministerium kontrolliert, nicht sicher. Natürlich halten am Anfang sicherlich die Schranken der Verfassung und verhindern Schlimmeres. Aber das ist etwas, wo man ganz klar den Anfängen wehren muss.
3) Immer anders, immer gleich
Es ist selbstverständlich nicht verwerflich, sich nach der eigenen Identität zu fragen. Aber politisch ist entscheidend, wie man mit der Identität der Anderen umgeht. Wird Anderen grundsätzlich die Legitimität abgesprochen, wie dies Populisten stets tun? Werden im Extremfall Konflikte als geradezu existenziell verstanden, so dass Politik zu Kultur- und Bürgerkrieg in einem wird (Heinz-Christian Strache schwadronierte von der Gefahr eines Bürgerkriegs in Österreich)? Keine Identität ohne Grenzziehung, lautet eine Binsenweisheit, für die man keine Freund-Feind-Theoretiker bemühen muss. Das ist aber etwas anderes als die Behauptung „Keine Identität ohne existenzielle Infragestellung des Anderen“. Der Clou an der modernen, liberalen Demokratie ist, dass man andere Bürger und ihre Lebensformen nicht lieben muss, man darf ihnen nur nicht verbieten, ihren eigenen Vorstellungen eines gelingenden Lebens nachzugehen. Die selbstdeklarierten Feinde der Identitätspolitik fordern, die Minderheiten sollten sich doch bitte auf das Verbindende, und nicht das Trennende, konzentrieren. Das schließt von vornherein aus, dass die Idee, Rechte müssten immer wieder neu ausgehandelt werden, das Verbindende sein könnte, anstatt, wie bei den Rechtspopulisten, das Verbindende ein für alle Mal an bestimmten Lebensformen („unsere Art zu leben“) fest zu machen. Es wird auch einfach vorausgesetzt, Einigkeit sei in der Demokratie ein Wert an sich; das lässt dann vermeintliche Sonderwünsche im Namen einer „Politik der ersten Person“ sofort als Ruhestörung und letztlich illegitim erscheinen. Aber wenn es keine „Spaltungen“ gäbe und sich immer alle völlig einige wären, bräuchte es auch keine Demokratie. Doch diese ist ein (von Verfassungen und insbesondere Grundrechten) eingerahmter Konflikt. In der Demokratie ist Einigkeit kein Wert an sich. [...] Der Versuch, soziale Fairness gegen Forderungen nach Gleichberechtigung in Stellung zu bringen, basiert auf der Idee, es handele sich bei der Politik immer um ein Nullsummenspiel. Die Möglichkeit, eine Gesellschaft als Ganze könnte sensibler für Leiden werden und mehr Solidarität entwickeln, kommt gar nicht erst in den Blick (was wiederum nicht bedeutet, es müsse bei allem Einigkeit herrschen). Ebenso sind die hehren Universalisten, für die das Besondere immer nur vom großen Ganzen ablenkt, unfähig zu sehen, wie sich materielle Nachteile und Diskriminierungen oft gegenseitig verstärken. Man denke nur an den „psychologischen Lohn“ der weißen Arbeiter in den USA, also die „Zusatzleistung“, sich den Afro-Amerikanern überlegen fühlen zu dürfen. (Jan-Werner Müller, Tagesspiegel)Der ganze Artikel ist absolut klasse und eine stringente Kritik an dem "identity-politics"-Blödsinn, der vom gesamten rechteren Spektrum die ganze Zeit kommt. Was die immer überhaupt nicht sehen (wollen) ist, dass die Anliegen von Minderheiten sind, auch gesehen und respektiert zu werden. Was #BlackLivesMatter oder #MeToo zu erreichen suchen ist Gleichberechtigung und ein Respektieren als vollständiges Mitglied der Gesellschaft. Die virulente Abwehrreaktion zeigt aber deutlich, dass ihnen genau das verwehrt wird.
4) Warum nicht lernen?
Warum nicht lernen? Sollen Lehrende, die sich dafür entscheiden, ihre Studierenden für die Fallstricke stereotyper Darstellungen zu sensibilisieren – wie an der Hochschule, die ich vertreten darf – denn an einem bestimmten Punkt stoppen und die Studierenden darauf hinweisen, dass sie mit der Rücksichtnahme aufhören sollten, wenn diese "überbordend" zu werden drohe? Wenn das Ziel die Herstellung nichtsexistischer Bilder ist, wird man doch von niemandem erwarten, auf halbem Wege aufzuhören und sich damit zufrieden zu geben, dass nur mehr jedes zweite Magazincover herabwürdigende Darstellungen enthält? Natürlich nicht! Wir werden selbstverständlich weiter versuchen zu vermitteln, dass es ein erstrebenswertes Ziel ist, überhaupt keine sexistischen Bilder mehr zu produzieren. Und warum, schließlich, sollte eine Grundschule enge Grenzen ziehen, wenn es um jenes Einfühlungsvermögen geht, das damit verbunden ist, wenn Kinder lernen, dass es in verschiedenen Weltgegenden und Religionen verschiedene Essens- und Kleidungvorschriften gibt und dass sich ihre Schule diesen gleichermaßen verpflichtet fühlt? Ist es dann "überbordend", an jedem Tag schweinefleischfreie Ernährung anzubieten, oder wäre es ausreichend, dies nur an drei Tagen der Woche zu tun? Wäre es wünschenswert den Sikh-Mitschüler nur an jedem zweiten Tag wegen seiner Kopfbedeckung zu hänseln? Ist es "übertrieben" zu verlangen, dass er zur Gänze davon verschont bleibt? Natürlich nicht: Ein empathisches Bewusstsein für mögliche Benachteiligungen und ein Verständnis für die Perspektiven von (potentiell) Diskriminierten ist als Lehr- und Lernziel unteilbar und wünschenswert. Denn die antisexistische und antirassistische Medizin schlägt nicht ab einer bestimmten Dosis in Gift um, nur weil hin und wieder jemand Nebenwirkungen verspürt. (Martin Fritz, Ja-Martin Wiarda Blog)Als Ergänzung zu Fundstücken 2 und 3 ist dieser Beitrag eines Universitätsprofessors zu betrachten, der sich klar für die notwendigen gesellschaftlichen Lernprozesse ausspricht, die derzeit ablaufen. Das Gute ist, dass diese Lernprozesse offensichtlich existieren. Sie haben Geburtsschmerzen, aber das Austragen dieser Konflikte im öffentlichen Raum an sich zeigt bereits Fortschritt an. Die ganzen Bedenkenträger werden in spätestens 20 Jahren genauso angesehen werden, wie wir heute auf diejenigen schauen, die sich einst gegen die Gleichberechtigung der Frau ausgesprochen haben.
5) The old Democratic trade paradigm is collapsing. Good riddance.
Critically, Warren would also include the welfare of other countries as part of the considerations. As she writes, "millions of people in our trading-partner countries don’t gain the benefits of higher standards — and companies can easily pad their profits by shifting American jobs to countries where they can pay workers next to nothing and pollute the air and water freely." Half the point here is to raise the living standards of U.S. trading partners — unlike NAFTA, for example, which harmed both American workers through deindustrialization and Mexican ones by trapping them in a low-wage, non-union export paradigm. We can call Trump protectionist because he is trying to win a trade war by harming the rest of the world (though his efforts have been so haphazard and uncoordinated that it seems to be harming everyone, America included), but Warren is far more internationalist. [...] Warren would refuse trade deals with countries that won't coordinate their tax regimes (to prevent beggar-thy-neighbor tax havens), and levy a border carbon tax (to prevent companies from profiting by moving production to countries where greenhouse gas emissions aren't regulated). As Zucman writes, this is "long overdue." (Ryan Cooper, The Week)Einmal unabhängig von der Substanz der policy; ich bin mir unsicher, wie das politisch gegen Trump funktioniert. Der Mann hat es von Anfang an zu seiner Marke gemacht, Freihandel abzulehnen (egal wie inkonsistent und unsinnig). Die Democrats haben sich mit HRC 2016 und auch seither eher als Freihandelspartei etabliert. Ein plötzlicher Ruck in Richtung Freihandelskritik könnte leicht unglaubwürdig wirken und dem orangenen Präsidenten in die Hände spielen. Das ist aber sicher auch kandidatenabhängig. Bernie Sanders und Elizabeth Warren sollten mit dem Ruck persönlich eher weniger Probleme haben, während Biden als Vizepräsident Obamas aktiv an der Gestaltung großer Freihandelsverträge (TTIP etc.) mitgewirkt hat. Aber auch viel Abgeordnete und Unterstützer der Partei dürften in der Frage deutlich liberaler eingestellt sein. Grundsätzlich sehe ich Warrens Position aber als sehr interessant und denke auch, dass die angesprochenen Regulierungen grundsätzlich eine gute Idee sind. Es ist mehr als Zeit, dass es wieder einmal eine progressive Denkrichtung für wirtschaftspolitische Fragen gibt; effektiv ist seit dem Ende der keynesianischen Globalsteuerung Anfang der 1970er Jahre keine echte Alternative mehr vorhanden. Das Eindreschen auf Minderheiten zur Beruhigung der Massen, wie es die Rechtspopulisten tun, ist ja wahrlich kein Ersatz für substanzielle Wirtschaftspolitik. Genausowenig wie massive Subventionierung eines unsinnigen Handelskriegs.
6) Die Apokalypse ist leider auserzählt
Es entsteht der Eindruck einer bleiernen Fantasielosigkeit in der Mitte der Gesellschaft, die sich daran gewöhnt hat, ihre demokratische Aufgeklärtheit in der Geste des Maßvollen und Panikfreien manifestiert zu sehen. Aus einem abgeklärten "Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird" resultiert die Unfähigkeit zu erkennen, dass die Menschheit schon längst begonnen hat, die Dinge ziemlich heiß in sich hineinzufressen; oder dass sie, um ein anderes Bild zu bemühen, das als solches natürlich immer zweifelhaft ist, schon ein erstaunlich halbgarer Frosch im sich langsam erhitzenden Wasser ist. [...] Diese Wiederbegegnung von Wissenschaft und Mythos am (vermuteten) Ende der Zeit wäre nun nicht weiter problematisch, wenn damit nicht ein spezifisches Glaubwürdigkeitsproblem einherginge: Die Apokalypse, so scheint es, ist auserzählt, und jede Prognose, die ihr ähnelt, wird genau durch diese Ähnlichkeit unglaubwürdig. Darin gründet sich der Effekt, den wir gerade erleben. Trägt die Gegenwart tatsächlich (prä-)apokalyptische Züge, ist das nicht wahrnehmbar, beziehungsweise leicht zu verdrängen oder im Kleinen zu rationalisieren. Und zwar in doppelter Hinsicht: Bleibt die Gestalt der (unmittelbaren) Umwelt halbwegs erhalten (vorerst), drängt sich ohnehin der Verdacht auf, dass alles schon nicht so schlimm sein wird und dass wie jede Weltuntergangsvision irgendwelcher Psycho-Sekten auch jene der Wissenschaftler mit einem Tag X endet, an dem nichts Gravierendes passiert. Ereignet sich aber eine vorerst regionale Katastrophe, ist sie gemessen an apokalyptischen Fiktionen nichtig und somit als Einzelereignis wahr-, ihre Folgen sind als neue Realität anzunehmen (bis einen der Wandel der Umwelt schließlich selbst letal trifft). (Johannes Schneider, ZEIT)
7) Third Party Spoilers Are the Whole Deal, People
One of the truths about the 2016 election is that Donald Trump didn’t do any better in 2016 than Mitt Romney did in 2012 if you’re looking at the percentage of total votes cast. Indeed, he did significantly worse. Romney won 47.2% of the national vote while Trump won 46.1%. Electoral votes count, not popular votes. And that was Trump’s critical advantage. But it’s really the unusually high 5.7% of the vote going to three third party candidates — Gary Johnson, Jill Stein and Evan McMullin — that made it possible for Trump to win as a minority candidate. [...] People probably think mostly of a third party left candidate like Jill Stein. But just as plausible and just as dangerous is a “center” candidate like Starbucks baron Howard Schultz wanted to be. Stein-type candidates could flourish with a Biden ticket and a Bloomberg or Schultz type could with a Sanders or Warren one. Ideally for Trump you’d have both — a billionaire centrist to peel off preenish Never Trumpers who don’t want higher taxes and a Jill Stein wrecker-type candidate to peel off purism voters on the left. Yes, the Electoral College is a big deal. But third party candidates are what make an Electoral College victory at roughly 45% of the vote plausible. (Josh Marshall, TPM)Im luftleeren Raum hat Marshall sicherlich Recht. Aber wenn man den Amerikanern nur die Wahl zwischen zwei Alternativen geben würde und sämtliche Third-Party-Kandidaten rausnimmt (technisch gesehen tritt zur Präsidentenwahl ja eine mittlere dreistellige Kandidatenzahl an), dann würden diese Leute ja auch gegebenenfalls anders abstimmen. Es ist daher notorisch schwierig, das Abschneiden eines Kandidaten gezielt auf Third-Party-Spoiler zurückzuverfolgen. Im Falle Al Gores 2000 geht das ganz gut, weil Ralph Nader damals explizit um seine Stimmen warb, aber das ist selten der Fall. Hätte Clinton gewonnen, wenn alle Stein-Wähler für sie gewesen wären? Vielleicht? Aber vielleicht hätten auch einige Trump gewählt, oder sie wären zu Hause geblieben. Ohne ein Wahlsystem, das deren Stimmen nach einem Prioritätensystem auswertet (also dass man Zweit- und Drittpräferenzen angeben muss), ist das schwerlich umsetzbar.
8) Der Schein trägt
Ich bin sehr unsicher, inwieweit ich Raether hier zustimmen will. Sie hat völlig Recht wenn sie darauf hinweist, dass die Grünen eigentlich super mainstreamig und mittig und harmlos, teilweise ja geradezu konservativ sind. Die Wahrnehmung der Partei als radikal ist ja eine Phantasmagorie der Konservativen, Liberalen und Rechten. Aber auf der anderen Seite ist mir unklar, warum die Partei davon profitieren sollte, als radikal wahrgenommen zu werden, ohne es zu sein. Raethers Argumentationsweise kenne ich eigentlich eher aus dem linken Milieu, wo man die eigenen Leute als unzureichend linientreu und insgeheim mit dem Establishment im Bündnis kritisiert, aber für Raether ist das alles eine toll funktionierende politische Strategie. Nur: wozu? Weil die Führungsriege der Grünen eigentlich gar keine Änderungen will? Aber wenn ja, wieso nicht? Mir ist einfach unklar, welchen Zweck das haben soll. Demgegenüber verstehe ich völlig, warum die Grünen nicht radikaler sind. Es war unter anderem die ZEIT, die 2013 den elektoralen Chancen der Partei mit dem Aufgreifen der völlig überzogenen Veggie-Day-Kampagne einen Dämpfer verpasste; dass die heute sehr zögerlich sind, radikale Lösungen in ihre Programme zu schreiben oder sie zu propagieren, ist angesichts der Reaktionen der bürgerlichen Presse - gerade auch der ZEIT - völlig verständlich. Aber gerade das macht es ja so quatschig zu unterstellen, dass die Grünen sich absichtlich radikaler darstellen als sie seien; eigentlich müssten die doch auf die umgekehrte Dynamik abzielen. Ich bin verwirrt.Dennoch gelten die Grünen weiterhin als die Partei, die die echten Lösungen bietet. Ihnen trauen die Wähler am meisten in Sachen Klimaschutzpolitik zu. Wie haben die Grünen das geschafft? Für ihren derzeitigen Umfrage-Erfolg gibt es viele Gründe: den Dürresommer 2018, die "Fridays-for-Future"-Bewegung, die ausführliche und freundliche Berichterstattung vieler Medien – und den Umstand, dass die Regierung Merkel ihre klimapolitischen Absichten nicht umsetzt. Aber geholfen haben den Grünen auch ihre Gegner, die konservativen Medien und antigrünen Twitterer. Die sind überzeugt, dass die Grünen eine Neigung ins Extreme haben. Gängelung, Ökodiktatur – in diesem Ton wird über die Grünen geredet. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki sagt: Die Grünen müssen vernünftiger werden. Johannes Kahrs von der SPD sagt, die Grünen agierten "ohne Rücksicht auf irgendjemanden". Der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer nennt die Grünen "nicht kompromissfähig". Nicht selten wird Robert Habeck interviewt, als müsste er überführt werden: Geben Sie zu, wenn Sie erst mal im Kanzleramt sind, verbieten Sie uns alles, was Spaß macht, und wir müssen alle mit dem Liegefahrrad fahren. Vorneweg die erregbaren Online-Medien. Cicero Online spricht von einem "unbedingten Feldzug" gegen Emissionen. All dies hilft der Partei, frischer und mutiger zu wirken, als sie ist. [...] Es stimmt, dass besonders Habeck das Wort "radikal" oft verwendet, aber das ist vor allem Koketterie. Ein Beispiel: Wenn es so weitergehe mit den Nutztieren, sagte er in einem Interview mit der Welt, dann werde man zu "radikalen Schritten" kommen müssen, zu einer Obergrenze der Viehhaltung. "Das hieße, dass man beispielsweise nicht über zwei Großvieheinheiten – also Kühe – pro Hektar gehen darf." Der Interviewer schreibt das Wort "Obergrenze" in die Schlagzeile des Interviews, offenbar erscheint es ihm als eine Ungeheuerlichkeit. Es ist allerdings genau die Position, die seit Jahren im Klimaschutzplan der Bundesregierung steht. Die Idee mit den zwei Kühen wird außerdem von fast allen Umweltverbänden vertreten sowie von der SPD-Bundestagsfraktion. Es ist also wahrscheinlich etwas dran an dem Vorschlag, aber dass Habeck ihn "radikal" nennt, zeigt, wie er wahrgenommen werden will. (Elisabeth Raether, ZEIT)
9) Fünf Fregatten, drei Aufklärer, ein Versorgungsschiff
Sowohl für eine Beobachtermission als auch für den weitergehenden Einsatz, der den Schutz der Handelsschiffe sicherstellt, haben die Analysten den Bedarf an Schiffen, Hubschraubern und Flugzeugen skizziert. Für eine Beobachtermission seien demnach "mindestens" fünf Fregatten oder Zerstörer mit Bordhubschraubern erforderlich, drei Seefernaufklärer sowie ein bis zwei Versorgungsschiffe. Die Schiffe würden außerhalb der Hoheitsgewässer Irans und Omans operieren. Je ein Schiff wäre stets an den beiden Ausgängen der Straße von Hormus im Einsatz, die übrigen Schiffe würden Tanker begleiten, im Seegebiet Präsenz zeigen oder im Hafen versorgt werden. Im internationalen Luftraum würden die Seefernaufklärer "mit weitem Blick" die Straße von Hormus aufklären. Weit mehr Kraft müssten die Europäer für eine Schutzmission aufbringen - dann kämen mindestens zwei Korvetten hinzu. Die Hubschrauber müssten bewaffnet sein, auf den Handelsschiffen bewaffnete Schutzteams eingesetzt werden. An Hauptquartieren in einem Mitgliedsstaat sowie im Einsatzgebiet führe dann kaum mehr ein Weg vorbei. Theoretisch erachten die Analysten Beiträge von 13 EU-Staaten für möglich. Seeaufklärer und Führungsstrukturen für Hauptquartiere im EU-Land sowie im Einsatzgebiet könnten jedoch nur fünf Staaten beisteuern. Neben Deutschland nennen die Experten Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien. Laut der Analysten spräche vieles dafür, dass nur Frankreich für das Missionshauptquartier infrage kommt. Großbritannien hat sich der US-Mission angeschlossen. Spanien und Italien sind in anderen Missionen eingebunden. In Deutschland sehen die Analysten nur "geringe Erfahrung" mit Marineoperationen. Frankreich verfüge über Militärbasen, von denen aus ein solcher Einsatz unterstützt werden könnte. (Mike Szymanski/Paul-Anton Krüger, Süddeutsche Zeitung)Die klägliche Unterausstattung der europäischen Armeen ist an dem Beispiel mal wieder gut sichtbar. Da geht es darum, dass dreizehn EU-Staaten (!) zusammen etwa 10 Schiffe in die Straße von Hormus schicken, um den eigenen Handelsverkehr zu sichern - und das würde 10-30% der Kapazitäten der EU fressen. Und ich meine, wer geht denn davon aus, dass diese zehn Schiffchen in einem tatsächlich Ernstfall in der Lage wären, signifikante Schutzleistung zu erbringen? Umgekehrt sollte eigentlich allen klar sein, dass die EU völlig davon abhängig ist, dass die Freiheit der Meere gesichert ist. In dem Moment, in dem die EU-Handelsflotten nicht mehr herumschippern können, ist das komplette Wirtschaftsmodell im Eimer. Und wir reden hier nicht von einem Eindringen in fremde Küstengewässer, wie Einfaltspinsel der Marke Thilo Jung behaupten, sondern von internationalen Gewässern. Das wird in den nächsten Jahren noch öfter in den Nachrichten sein, schon alleine wegen der aggressiven Politik Chinas in dieser Richtung. Und noch ein letzter Kommentar: Die Lage ist umso absurder, als dass ein Großteil der deutschen Handelsflotte gar nicht unter deutscher Flagge fährt, sondern ausgeflaggt ist, so dass die Reeder ihre Matrosen besser ausbeuten können, die dann nicht durch deutsches Arbeitsrecht geschützt sind, und nebenbei auch noch Steuern hinterziehen - ganz legal, versteht sich. Wenn zum ersten Mal ein deutscher Tanker, der aber in Panama registriert ist, von Iran aufgebracht wird - zucken wir dann die Schultern und verweisen auf die mächtige panamaische Marine, oder greifen wir notgedrungen doch ein? Da kommt noch ein ganzer Haufen Bullshit auf uns zu, und das mindeste, was jede Regierung einmal machen sollte ist klar zu machen, dass Reeder nur dann von EU-Schiffen geschützt werden, wenn sie unter EU-Flagge fahren und hier Steuern und Sozialabgaben zahlen.
10) Nobody Understands Democracy Anymore
Voting is not the same as democracy. Ruling is not the same as electing. Competence is not the same as suffrage. Governing is not the same as lawmaking. And appointing, even by election, is not the same as representing. [...] Governments aren’t empowered to do whatever they see fit, just as the people at large in a functioning democracy are not. They are there to apply general norms to specific policy problems. To give just one dramatic example of the difference, the process for adding a new amendment to the constitution is considerably more difficult and involved than that which is necessary to pass new noise regulations in a public space. That governments and societies operate in conditions of law—even laws that are subject to change and revision—is a fundamental aspect of modern statehood [...] And if we are to understand what is special about law as such, we’ll need to understand what is special about the representative assemblies where laws are made. [...] Representation is rarely mentioned, and even then only as a practical convenience. No distinction is made between the process of appointing someone to a position of authority via election and sending someone on behalf of a voting public to a large plural body where he or she will deliberate and bargain and ultimately legislate (to say nothing of oversee the same authorized figures who are charged with governing). [...] It’s a deficiency that slips past the boundaries of political theory. Perhaps we have lost the capacity for thinking about the element of lawmaking in a representative assembly in our popular conceptions of democracy. It’s an alarming loss but recognizing it illuminates the source of some overwrought concerns as well as to some poorly thought out institutional changes. What happens when we lose this fundamental understanding of how democracy operates and what it is supposed to do? We might stop worrying about what laws can and can’t do. We might stop thinking of governments as complicated corporate entities that mix varying levels of expertise and accountability in their day-to-day operations, and we might forget that legislative assemblies are places where ritualized argument and collective decision-making on binding general norms take place. We might instead reduce our political lives to loud, sloganeering entertainment, and take complex fateful matters directly to the public for heedless one-off votes as though institutions, norms, negotiations, and compromise all have no place in politics. (Shany Mor, Tabletmag)Das ist nur ein Auszug aus einem ebenso langen wie exquisiten Artikel zum Thema, in dem gekonnt mehrere aktuelle Bücher verwoben, besprochen und mit eigenen Gedanken versehen werden. Absolute Leseempfehlung! Ich habe gar nicht so viele Anmerkungen abgesehen von der Zustimmung zur generellen These. Die Problematik ist ja auch hier in den Kommentaren öfter zu beobachten. Die Leute verstehen einfach das System repräsentativer Demokratie überhaupt nicht, weswegen die entsprechende Kritik auch völlig ins Leere läuft. Ein Teil des Ursachenkomplexes ist dabei sicher auch die wahnsinnige Personalisierung in der öffentlichen Wahrnehmung, aber das allein reicht als Erklärung sicherlich nicht aus.
11) America’s Workers Need a Labor Union Comeback
Unions are probably a big part of the reason that people look back so fondly on the era of manufacturing. So far, the service-sector jobs that now employ a large majority of the American workforce have failed to unionize like manufacturing workers once did. A recent spate of strikes shows that this vast low-paid service class may finally be awakening to the possibility of collective bargaining [...] The most innovative element of Buttigieg’s plan is known as sectoral wage bargaining. Currently, U.S. employers in a local industry — for example, all the fast-food restaurants in the city of Miami — are not legally required to sit down with union representatives and hash out wage levels for all the workers in the industry (though some used to do it voluntarily). This leaves unions vulnerable to competitive pressures — if one restaurant’s union forces management to raise wages, and that wage hike gets passed through to higher prices, it could leave that restaurant vulnerable to being undersold by its local competitors. Buttigieg’s proposal would reduce or eliminate that risk. Consumers would pay somewhat higher prices for local services, but some income would be shifted from business owners to workers. [...] Buttigieg, Warren, and other candidates should consider bargaining with either wage boards or German-style worker councils. It would have the potential to simultaneously raise wages for millions of U.S. workers not covered by the minimum wage and make the relationship between labor and management more harmonious and forward-looking. It’s a big idea worth serious consideration. (Noah Smith, Bloomberg)Es ist lustig, dass Noah Smith gerade Deutschland hier so sehr als Vorbild bemüht; seine Diagnose würde auf die Bundesrepublik ja ebenso zutreffen. Ich habe hier schon öfter geschrieben, dass eine arbeitnehmerfreundlichere Ausgestaltung und Auslegung des Arbeitsrechts dringend geboten wäre. Eine Stärkung von Gewerkschaften und Betriebsräten wäre eines der zuverlässigsten Mittel, die Ungleichheit zu reduzieren und gleichzeitig Gesetzesverstöße von Arbeitgebern zu begrenzen, die epidemisch sind.
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