1) Das Problem der deutschen Politik heißt Nazi-Ignoranz // Hetze schlägt in Terror um
Offenbar kann man nicht davon ausgehen, dass die Polizei in der Lage ist, delikate Daten vor behördennahen Rechtsterroristen zu schützen - eine Kapitulation des Rechtsstaates vor der rechten Bedrohung aus dem Inneren. Die Grünen fordern eine Task Force gegen Rechtsextremismus; gut so - aber auch eine solche wird zu wenig bringen, solange das zentrale Problem weiter besteht: Die konservative Politik nimmt (auch) die neuen Formen des Rechtsterrorismus nicht ausreichend ernst. Terroristische Strukturen werden zu Einzeltätern kleingeredet oder ignoriert, die Verstrickung von Behördenmitarbeitern wird verharmlost oder ignoriert, explizite Terrorpläne und Todeslisten werden heruntergespielt oder ignoriert. Das Problem der deutschen Politik heißt: Nazi-Ignoranz. Frei nach Martin Kippenberger: Ich kann beim besten Willen kein "Nordkreuz" entdecken. Das erkennt man auch an den viel zu lang falsch gesetzten Prioritäten. 2018, als die Behörden längst sagen, dass ihnen zur effektiven Bekämpfung des Rechtsterrorismus unter anderem Mittel und Leute fehlen, setzt der Bundesinnenminister mindestens 150 zusätzliche Stellen für sein ausgedachtes "Heimatministerium" mit völlig unklaren Aufgaben durch. Mit solchen Listen werden Gegner nicht nur eingeschüchtert, sondern auch öffentlich markiert. Todeslisten werden von rechtsextremen Aktivisten zusammengeführt, aktualisiert und mit zusätzlichen Informationen angereichert. Man darf sie nicht als Einzellisten begreifen, sondern als dezentrale Datensammlung für den "Tag X" des faschistischen, rassistischen Umsturzes. Solche Listen fungieren dann als Appell an alle rechten Gewalttäter. Deshalb können auch vermeintlich dilettantische Listen gefährlich werden: Sie sind dazu bestimmt, in die falschen Hände zu geraten. Oder um es mit dem Zitat aus einer Drohmail zu sagen, die ich nach einer Kolumne gegen Rechtsextremismus bekam: "... gibt genug Leute. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat ... aufpassen ... Der Wind dreht sich!" (Rechtschreibung korrigiert). (Sascha Lobo, SpiegelOnline) Der Verfassungsschutzbericht hat diese Einschätzung bereits voriges Jahr bestätigt. Demnach sind 24.000 Rechtsextreme in Deutschland aktiv, die Hälfte davon gewaltbereit, oft in Netzwerken organisiert. Nach jüngsten SPIEGEL-Informationen warnt neben dem Verfassungsschutz nun auch das BKA vor der Terrorgefahr durch rechtsextreme Gruppierungen. Die jüngste Zunahme der Gewalt bestätigt, dass die Rechtsextremisten die derzeit größte Gefahr für unsere Demokratie und Gesellschaft sind - auch weil sie Teile der Sicherheitsbehörden unterwandert haben, wie die wiederkehrenden Skandale um Verfassungsschutz, Polizei und Bundeswehr zeigen. Doch was nutzt die Analyse, wenn Konsequenzen ausbleiben? Viel zu lange wurde dem Rechtsextremismus zu wenig Beachtung geschenkt. Und wer dachte, dass spätestens nach dem Mord an Walter Lübcke strukturelle Reformen im deutschen Sicherheitsapparat umgesetzt werden, der wurde enttäuscht. Statt immer neuen Beteuerungen, dass man die Gefahr ernst nehme, müssen die Rechtsextremisten die Kraft des Rechtsstaats endlich konsequent und nachdrücklich zu spüren bekommen - in Taten, nicht in Worten. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, SpiegelOnline)Es ist Zeit für eine öffentliche Anerkennung, dass Deutschland ein Rechtsextremismusproblem hat. Es sind politische Straftaten, die eine entsprechende Reaktion erfordern. Es handelt sich um Gruppierungen, die Todeslisten erstellen. Immer mehr engagierte Bürger landen auf diesen Listen und werden von der Polizei teilweise nicht einmal informiert. Und selbst eine des Linksradikalismus eher unverdächtige FDP-Koryphäe wie Leutheusser-Schnarrenberger erkennt an, dass die Unterwanderung der Sicherheitsbehörden durch Rechte ein Problem ist. Dagegen geschieht - nichts.
2) Tweet
Ich finde es spannend, welche Rolle genderideologische Ansichten bei manchen Rechtsradikalen spielen. Man muss schon ziemlich verquert sein, um sich als Opfer zu sehen, wenn man die Dienste von Prostituierten in Anspruch nimmt. Da ist auch diese uralte Idee dabei, dass Frauen keinen Spaß an Sex hätten und quasi nur Männer einem Sexualdrang unterliegen - dem Frauen dann selbstverständlich zur Verfügung stehen müssten. Ich sag übrigens nicht, dass der Typ mit seiner Haltung auch nur in der AfD eine Mehrheitsposition wäre, aber seine Partei duldet solchen Quatsch offenkundig.AfD in Sachsen. Kostprobe gefällig? pic.twitter.com/nHf834YWFO— Kísér Let (@LetKiser) July 28, 2019
3) Tweet
Die Methodik, die dem Earth Overshoot Day zugrundeliegt, dürfte ungefähr so belastbar sein wie die des Bunds der Steuerzahler und seinem "Bis heute arbeiten Sie nur für den Staat"-Tag. Das Beispiel habe ich nicht zufällig gewählt. Der Bund der Steuerzahler ist eine der effektivsten Interessenvereinigung der Bundesrepublik und extrem gut darin, Narrative und Themen zu setzen. Der Steuerzahlergedenktag und die Schuldenuhr sind Musterbeispiele für politische Kommunikation. Inhaltlich natürlich völliger Quatsch, aber sie erreichen ihr Ziel. Kein Artikel über Staatsschulden kommt ohne Foto der Schuldenuhr aus, kein Fernsehbeitrag ohne dass ein Reporter mit Grabesmiene vor dem Hauptquartier des Bunds steht. Mein Punkt ist, dass der Earth Overshoot Day dasselbe für die Klimaaktivisten erreichen könnte. Es ist eine eingängie Metapher, ein klares Datum und wiederholt sich jedes Jahr aufs Neue. Es braucht viel mehr solche eingängigen Narrative und Symbole. Wie Finanzpolitik ist auch Klimapolitik ein äußerst abstraktes und verkopftes Metier; da hat man es mit "Ausländer raus" oder "Hartz-IV ist Armut per Gesetz" schon immer einfacher gehabt. Umso relevanter ist es, solche shorthands zu finden. Vielleicht sollte der BUND auch irgendeinen Zähler in seinem Hauptquartier installieren, oder die aktuelle weltweite Durchschnittstemperatur anzeigen oder so was. Wenn man einige kluge Köpfe zusammensetzt, sollte man da schon was finden.#OVERSHOOTDAY Alle Ressourcen, die der Menschheit für dieses Jahr zur Verfügung stehen sind verbraucht. Die Menschheit bräuchte für das gesamte Jahr 1,6 Planeten, um ihren Verbrauch zu decken. Deshalb müssen wir umlenken. Sozial & ökologisch #NRW19 pic.twitter.com/THbqitnK0q— Die Grünen (@Gruene_Austria) July 29, 2019
4) The sins of James Comey still haunt Robert Mueller
If Comey had kept his mouth shut on several occasions in 2016, there is a chance that Mueller would have been more willing to make a bold statement during his testimony. Instead, Americans were treated to a master class in avoidance and side-stepping. You will recall that Comey's fall from grace began in July 2016 — right in the middle of the hotly-contested presidential race between Trump and Hillary Clinton. The FBI had been investigating Clinton's use of private email servers while she served as secretary of state, and Republicans were continuing to use that investigation against Clinton on the campaign trail. So when the investigation ended, Comey made an unusual decision: He decided to recommend against prosecuting Clinton. And he decided to explain why. Prosecutors almost never do that, as Comey admitted during his announcement. [...] No charges ever came from the additional investigation. But Clinton blamed Comey for spoiling her chance at the presidency. Comey later said he would have done some things differently. And when Trump wanted to short-circuit the growing Russia investigation in 2017, Comey's unorthodox behavior in handling the email case provided a handy — if temporary — excuse. Comey has lived with some disgrace ever since. But he might deserve more sympathy than he gets. His letter to Congress was meant, in part, to protect Clinton's presidency from being perceived as illegitimate if news of the reopened investigation got out after she won the election. History didn't work out that way, but even the later Department of Justice internal investigation admitted Comey faced "unattractive choices" on his way to making a "serious error in judgment." (Joel Mathis, The Week)Wenn man bedenkt, wie viel Trump eigentlich James Comey verdankt, ist es ein absoluter Treppenwitz, dass seine impulsive Entscheidung ihn zu feuern überhaupt erst die ganze Kommission unter Mueller mit sich gebracht hat, und ein weiterer Treppenwitz, dass genau diese ganzen Entscheidungen Comeys zugunsten Trumps dafür sorgen, dass er erneut seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Das ist schon keine sich als Farce wiederholende Tragödie mehr, das ist die Persiflage der Farce. Es ist aber auch absolut relevant, in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hinzuweisen, aus welchen Gründen Comey so handelte, wie er handelte. Er ging von zwei Prämissen aus. Die erste Prämisse war, dass Hillary Clinton die Wahl gewinnen und er durch seine überzogenen Angriffe auf sie politischen Spielraum und Kapital gewinnen würde. Das war die egoistische Seite Comeys. Die zweite Prämisse war, dass die Republicans ihm deutlich harscher zusetzen würden als die Democrats und Angriffe auf Trump sich daher verboten, während solche auf Clinton folgenlos bleiben würden. Diese Prämisse war natürlich korrekt, weil es halt in den USA nur eine demokratische Partei gibt (wie Comeys Abgang nach der Wahl ihm ja dann auch vor Augen geführt hat). Aber es war wahnsinnig feige. Das Resultat ist, dass der Mann uns nicht nur Trump beschert hat, sondern auch gleich den Boden vermint hat, der ihn wieder wegbekommen könnte. Was für ein Sparren.
5) What if Karl Rove was right about the reality-based community?
Maybe democratic politics is more fluid and flexible than many of us assume. Maybe those who see it as a game of responding to relatively static public opinion place themselves at a competitive disadvantage by adopting a reactive stance, while those who audaciously bolt from the grid sometimes end up redrawing the political map and forcing others to play catch up. [...] But after the complete dud of Wednesday's testimony of Robert Mueller before the House Intelligence and Judiciary committees, I can't help but wonder: Was "Rove" wrong? Or are Democrats just really bad at this? I suspect it's a little of both, though I'm strongly disposed toward the second option. [...] That's not how politics work. Politics requires changing minds — and changing minds doesn't happen by presenting a set of ostensibly neutral, indisputable facts. Minds are changed by telling a gripping, cogent story that opens up the possibility of a new reality that voters choose to inhabit. But can it be any story and reality at all? Is reality as infinitely flexible as "Rove" seems to have presumed? Observing what's happened to the Republican Party in recent years might lead you to think so. Trump seems to have taken a party that expects moral rectitude from its leaders and that has been broadly supportive of immigration, free trade, and ideological wars undertaken in the name of "freedom" and transformed it into a party that couldn't care less about the president's character and that follows his lead on policy even when it requires a complete reversal of long-standing ideological commitments. It's as if all Trump had to do was make a forceful case for breaking with the status quo and the voters happily came along. If this were the norm, you'd expect the leftward shift of the Democratic Party to be catalyzing an equal but opposite shift in the electorate. But so far, at least, we haven't seen one. (Damon Linker, The Week)Ich denke Linker hat völlig Recht mit seiner Annahme. Die demokratische Linke ist generell super schlecht darin, nicht nur in den USA. Man muss sich ja nur mal die Grünen oder SPD hier in Deutschland anschauen oder die vielen sozialdemokratischen Schwesterparteien in Europa. Ich habe schon in der Vergangenheit mehrfach darüber geschrieben, dass die Progressiven dem völligen Irrglauben unterliegen, dass irgendjemand auch nur einen Mückenschiss auf Rationalität, durchkalkulierte und auf Kosten-Nutzen-Analysen durchleuchtete policy-Programme gibt. Die Konservativen haben immer verstanden, dass ihre Wähler eine Story wollen, und entsprechend viel erfolgreicher sind sie auch. Die Rechtsradikalen gehen sogar so weit, dass sie eigene Wirklichkeiten schaffen, was in diversen Ländern für eine de-facto Abschaffung der Demokratie gesorgt hat (Ungarn etwa, Russland und die Türkei natürlich, Polen befindet sich im Abgleiten und die USA ebenso). Das Problem ist und bleibt, was die Antwort darauf sein soll. Einfach eine Gegenrealität aufmachen und die von rechts begonnene Spaltung für Jahrzehnte zementieren? Mit zwei unversöhnlichen Machtblöcken, die sich gegenüberstehen und in völlig unterschiedlichen Gesellschaften leben, die nur zufällig das gleiche Land teilen? Das ist der Stoff, der Putsche, Bürgerkriege und authoritäre Systeme produziert. Umgekehrt kann die Antwort aber auch nicht darin bestehen, wie bisher die andere Wange hinzuhalten und darauf zu hoffen, dass die Wähler einen irgendwann belohnen werden, weil das passiert nicht. Was also tun? Ich bin ratlos.
6) Projektionsfläche Russland
Während in Polen selbst die autoritäre PiS-Regierung Distanz zu Putins Russland hält, entdecken die Ostdeutschen gerade mit großer Emphase ihre Liebe zu Moskau. Sicher, die Kernkader der „Linken“ von Egon Krenz bis Gregor Gysi haben auch nach 1991 an ihrer Loyalität zum großen Bruder nie die geringsten Zweifel aufkommen lassen. Die deutschen Rechten haben auch das autoritäre Russland entdeckt: Die russische Trikolore wehte bei Pegida und seit ihrer Gründung war auch die AfD um eine enge Beziehung zu Russland bemüht. Doch spätestens mit der einmütigen Ablehnung der Sanktionen gegen Moskau durch die Ministerpräsidenten der neuen Länder ist diese Haltung im ostelbischen Mainstream angekommen. Um Differenz zum Westen zu betonen, ist der Politik im Osten der Republik mittlerweile offenbar jedes Mittel recht – auch eine special relationship mit Wladimir Putin. Eine Journalistin konstruiert gar eine „Schicksalsgemeinschaft“ zwischen Ostdeutschen und Russen und garniert sie mit historischen Halbwahrheiten („Krim urrussisch“, „Chruschtschow Ukrainer“) und einer Prise Antiamerikanismus. Ist eine enge Beziehung zum autoritären Russland populärer als es die deutsch-sowjetische Freundschaft je war? Die Politik der Ministerpräsidenten leistet diesem Eindruck jedenfalls Vorschub. [...] Dankbarkeit ist keine harte Währung in der Politik. Dennoch sind sich aufgeklärte Zeitgenossen vermutlich einig, dass es eine Leistung war, den neuen Bundesländern politische Zustände wie im post-sowjetischen Raum erspart zu haben: es gab zwischen Elbe und Oder keinen Staatszerfall, keine Bürgerkriege, keine Geheimdienstler und Oligarchen an der Macht und auch Korruption und Vetternwirtschaft hielten sich in Grenzen. Schicksalsgemeinschaft mit Russland? Die russische Bevölkerung traf das Ende des Kommunismus härter. Dieses harte Schicksal blieb uns erspart. Und dann sind da ja auch noch die anderen Völker und Nationen, die einst die Sowjetunion bevölkerten. [...] Doch nur Russland kann uns als Projektionsfläche dienen, um Deutschlands Abkehr vom Westen zu begründen. Die Westbindung Deutschlands zu erschüttern war schon im Kalten Krieg das Ziel des Kremls und es sieht so aus, als hätte Moskau eine Menge Verbündete gefunden. Eine vermeintliche Sonderbeziehung der Ostdeutschen zu Russland sagt tatsächlich wenig über ihr Verhältnis zu Russland und viel über ihre Probleme mit der offenen Gesellschaft des Westens. Die neu erfundene Freundschaft zu Russland würde Deutschland wieder zurück auf den berüchtigten, unheilvollen Sonderweg zwischen Ost und West führen. (Jan C. Behrends, Salonkolumnisten)Dass ausgerechnet die Ostdeutschen die Russen so toll finden, nachdem deren Besatzung ihnen vier Jahrzehnte SED-Diktatur und einen bis heute nicht aufgeholten Zerfall von Wirtschaft, Umwelt und Infrastruktur beschert hat, ist einer dieser vielen Treppenwitze der Geschichte. Wahrscheinlich dürfte der eine oder andere ex-kommunistische Altkader in Russland nur mit dem Kopf schütteln, wenn er solche Bilder sieht. Natürlich ist das neue Russland Putins auch attraktiver als das alte sowjetische Russland. Ein funktionierendes Wirtschaftsmodell haben beide nicht anzubieten, aber das neue Russland hat wenigstens toxische Maskulinität, Schwulenfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit und andere Anti-Minderheiten-Politik zu bieten, die das Herz von gesellschaftlichen Verlierern immer erfreut. Ich werde nie verstehen, warum es Menschen lieber ist, dass es anderen schlechter geht als ihnen, als dass es ihnen selbst besser geht. Aber das scheint eine Konstante der menschlichen Existenz zu sein. (Und nein, ich behaupte nicht, dass es irgendjemand mit der UdSSR besser ging, bevor das jemand rausliest. Die sind völlig zu Recht auf der Misthaufen der Geschichte gelandet.)
7) "Reformen müssen jetzt bei den Schülern ankommen" (Interview mit Olaf Köller)
Olaf Köller soll die neue Kommission zur Verbesserung des Berliner Schulsystems leiten. Hier erklärt er, was er vorhat - und was man von Hamburg lernen kann. [...] Ein Grundproblem in Berlin ist, dass es nicht genügend ausgebildete Lehrkräfte gibt. Was kann man für Maßnahmen ergreifen, die auch ohne zusätzliche Lehrer wirksam sind? Entscheidend wird auch dort sein: Strukturen schaffen, um Quer- und Seiteneinsteiger vernünftig nachzuprofessionalisieren – und zwar im fachdidaktischen und pädagogischen Bereich. Fachlich sind sie ja meistens gut. Dafür gibt es Beispiele in anderen Ländern. Berlin wie auch andere Länder haben das Problem, dass sie massenhaft Lehrkräfte benötigen. Wenn keine qualifizierten auf dem Markt sind, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf Quereinsteiger zu setzen. Hamburg hat zum Beispiel die Stundenzahl in der Grundschule auf 25 in der Woche erhöht. Berlin ist derzeit das Land mit der geringsten Wochenstundenanzahl in der Grundschule, nämlich 20. Scheeres will das jetzt auch erhöhen, aber nur auf 21. Reicht das? Wenn man beliebig die Stundenzahl erhöht, vergrößert sich das Problem des Lehrkräftemangels. Das muss man also längerfristig denken. Ich sehe aber schon, dass in den Ländervergleichen in der Regel die Länder besser abschneiden, die in der Grundschule gerade in Deutsch und Mathematik eine höhere Stundenzahl haben. Längerfristig muss bei 21 also die Decke nicht erreicht sein. [...] In Berlin müssen Kinder ohne Deutschkenntnisse anderthalb Jahre vor Schulbeginn fünf Stunden am Tag die Kita besuchen, um die Sprachkenntnisse zu verbessern. Müsste das ausgeweitet werden – in Frankreich etwa hat Präsident Macron eine dreijährige Kita-Pflicht durchgesetzt. Bei den Über-Dreijährigen haben wir da kaum ein Problem, weil über 95 Prozent eine Kita besuchen. Es bleiben aber die Fragen, wie Sprachförderung in den Kitas stattfindet und wie qualifiziert das Personal ist. Hamburg ist den Weg gegangen, dass alle Kinder verpflichtend mit fünf in die Vorschule müssen, die mit viereinhalb Jahren in der Sprachstanddiagnostik auffällig werden. (Tilmann Warnecke, Tagesspiegel)Mir ist schier der Becher aus der Hand gefallen als ich das gelesen habe. Berlin leistet sich locker-flockig mal eben fünf Wochenstunden weniger Grundschulunterricht als BaWü hier (wo die Kids auch fast jeden Nachmittag zuhause sind und nicht gerade überbeschult sind), stellt alle Quereinsteiger ein die bei drei nicht auf dem Baum sind und spart massiv bei der Qualifizierung von allem Personal. Da brauch ich mich nicht wundern, dass das Land in allen Bildungsvergleichen so abschneidet wie es abschneidet. Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch eben alles. Da passt es ins Bild, dass das Land seine Lehrer nicht verbeamtet, denn die gleichen Missstände ziehen sich ja in den Sekundarbereich dort, in beide Stufen. Da zeigt sich wieder mal, dass die ganze Schulpolitik, die immer so hochideologisch durchgekämpft wird, eine verhältnismäßig geringe Rolle spielt, wenn die fundamentals einfach nicht stimmen. Es wird nie was Vernünftiges rauskommen, wenn man seine Leute nicht ordentlich bezahlt und nicht in die nötige Infrastruktur investiert. Alles was man macht ist das Ding zugrunderichten. Interessantes Nebendetail: Sachsen hat ja ein ähnlich gelagertes Problem. Das CDU-geführte Bundesland hat nach der Wende die Lehrerausbildung komplett abgeschafft, weil in den Achtziger Jahren so viele neue Lehrer eingestellt worden waren. Völlig überraschend und unvorhersehbar haben alle sächsischen Talente die letzten 30 Jahre lang Anstellung in anderen Bundesländern gesucht (Baden-Württemberg hat vor einigen Jahren sogar plakatiert, um Lehramtsstudenten abzuwerben!), und ebenso überraschend und unvorhersehbar gehen die sächsischen Lehrer jetzt alle in Rente und es herrscht eklatanter Lehrermangel. In Sachsen fallen so viele Stunden aus wie fast nirgends in der Republik, und in fast keinem anderen Bundesland kann man mit so wenig Qualifikationen als Quereinsteiger Lehrer werden - ohne natürlich, dass ordentliche Mittel in die Nachqualifizierung gehen würden. So wird unter dem Diktat der doppelten Schwarzen Null (einmal der in der Bilanz und einmal der im Kultusministerium) das Schulsystem nachhaltig ruiniert.
8) Deutschland im Funkloch
Auf Gesamtdeutschland hochgerechnet haben die Smartphone-Nutzer in Deutschland mit LTE-Vertrag über alle Betreiber hinweg nur durchschnittlich in 77 Prozent der Zeit wirklich Zugang zum LTE-Netz. Den Rest der Zeit müssen sie auf das Symbol 3G oder E auf dem Display starren, während sie auf Anschluss ins digitale Zeitalter warten. In einem Fünftel der Zeit muss man damit rechnen, im Funkloch zu stecken. Damit landet Deutschland im internationalen Vergleich der 4G-Verfügbarkeit in 87 Ländern auf Platz 54 zwischen dem Senegal und Marokko. [...] Im Deutschlandvergleich besonders schlecht abgeschnitten haben oft grenznahe Landkreise und Regionen mit relativ geringer Einwohnerdichte. Auch in Baden-Württemberg gibt es mehr Löcher als Netz, sobald man sich zu weit von der Region Stuttgart entfernt. Im Vergleich dazu steht Berlin noch relativ gut da. Zu 84 Prozent der Zeit haben die Nutzer eine LTE-Verbindung. [...] Dabei sind die Handyverträge im in Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich teuer. [...] Für eine bessere Netzabdeckung verweist ein Sprecher auf die bevorstehenden Ausbaupläne in der Berliner U-Bahn-Versorgung. Aber auch auf Probleme bei der Genehmigung neuer Standorte für Mobilfunkmasten. An 700 Stellen gebe es derzeit Probleme mit Denkmalschutz, Brandschutz oder Naturschutz. Auch der Widerstand der Bevölkerung ist ein Faktor. „Es ist ein Spagat“, sagt der Sprecher, „Viele Menschen wollen keinen Mast vor der eigenen Haustüre, fordern aber guten Mobilfunkempfang ein.“ Und warum sind dann die Verträge trotzdem so teuer? Telefónica schiebt das auf die hohen Lizenzgebühren für Mobilfunkfrequenzen in Deutschland: „In keinem Land Europas waren die Lizenzkosten für Mobilfunkspektrum so hoch wie in Deutschland“, schreibt ein Sprecher von Telefónica, die laut Analyse in Deutschland die lückenhaftteste Versorgung bieten. (Lubena Awan/Paul Dalg/Hendrik Lehmann/David Meidinger, Tagesspiegel)Der Artikel ist super lang und ausführlich recherchiert, mit tollen interaktiven Grafiken - unbedingt dem Link folgen und zur Gänze folgen, ich habe hier nur einen Ausschnitt hergenommen. Die zwei Todsünden der deutschen Digitalisierungspolitik sind und bleiben die korrupte Entscheidung für Kupferkabel unter Kohl und Hans Eichels oh-so-genialer Schachzug, die UMTS-Lizenzen zu versteigern. Und seither baut man auf diesen Irrtümern auf, indem möglichst wenig investiert wird und zudem die Gesetze alle so geschrieben werden, dass die Telekom ihre zwar nicht marktbeherrschende, aber wenigstens marktlähmende Stellung ausbauen kann. Es ist absolut zum Heulen. Deutschland verbaut sich völlig seine Zukunft. Eine geradezu fanatische Fokussierung auf einer Sackgassentechnologie, eine Weigerung in die zentrale Infrastruktur des 21. Jahrhunderts zu investieren, ein völlig überfleddertes Regulierungsdickicht ohne Sinn und Verstand (oft genug von Lobbyistenhand diktiert) und dazu noch das halsstarrige Festhalten an einem juristischen Sonderweg bei allem, was das Netz anbelangt. Deutschland schafft sich ab, ganz ohne dass es dazu Muslime und Flüchtlinge bräuchte.
9) Wenn Wessis von einer „DDR2.0“ sprechen und eine „Wende2.0“ fordern
„Es fühlt sich schon wieder so an wie in der DDR“, sagte etwa Björn Höcke, der selbst allerdings aus Westdeutschland stammt, beim Landtagswahlkampfauftakt in Cottbus. „Und dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht, liebe Freunde. Das wollen wir nie wieder erleben, denn wir werden uns in keine neue DDR führen lassen!“ Mit ihrem Slogan „Vollende die Wende“ holt die AfD Menschen bei ihrem Frust ab, die das Gefühl haben, sie seien Verlierer*innen der Wende. Die AfD setzt auf das Gefühl, dass damals gemachte Versprechungen nicht eingehalten wurden, Vorstellungen sich nicht erfüllt haben. Diese Erzählung funktioniert für die AfD. Und das hat vielschichtige Gründe: etwa das in der DDR verlorene Vertrauen in die Politik; die biografischen Brüche, die für die allermeisten Ostdeutschen die Wende 1989 bedeuteten; immer noch vorhandene Mängel in der Infrastruktur und wirtschaftliches Ungleichgewicht – noch immer liegt die Rente im Osten deutlich unter der im Westen. Doch die derzeitige Situation in Deutschland ist nicht vergleichbar mit der Lebenswirklichkeit in der DDR, aber genau das impliziert die AfD. Menschen, die vor 30 Jahren im SED-Staat auf die Straße gegangen sind, forderten Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit und Redefreiheit. All diese Freiheiten haben Menschen in Deutschland – auch im Osten. Und dennoch ziehen AfD-Politiker*innen immer wieder Parallelen zwischen der Diktatur damals und der heutigen Zeit. Die AfD missbraucht die Sorgen von Menschen im Osten und garniert sie mit ihren Erzählungen, in Deutschland herrsche keine Meinungsfreiheit, es gäbe keine freien Medien und die Regierung handle willkürlich und unterdrücke oppositionelle Stimmen, wie die AfD. Im Osten versuchtsich die AfD damit, sich in der Tradition der DDR-Bürgerrechtler*innen zu verorten. Bemerkenswert ist dabei allerdings der Umstand, dass die Führungsriege sowohl der ostdeutschen AfD wie auch von „neurechten“ Organisationen in ihrem Umfeld beinahe geschlossen aus Westdeutschland kommt. Mit Björn Höcke, geboren im westfälischen Lünen und dem Münchener Andreas Kalbitz kommen sogar zwei der prominentesten Gesichter des als besonders „ostdeutsch“ geltenden, völkisch-nationalen „Flügels“ ursprünglich aus dem Westen. (Kira Ayyadi, Belltower)Ich glaube ja, das ist ein bisschen wie bei den Evangelikalen und Trump. Die Evangelikalen wissen auch, dass Trump eine Travestie für all ihre angeblichen Werte darstellt, auf die sie immer ostentativ so viel Wert gelegt haben, und ihnen kulturell völlig fremd ist. Trotzdem folgen sie begeistert den billigsten der heranwanzenden Schlachtrufe, genauso wie die Ostdeutschen den westdeutschen Rattenfängern. Die Hauptsache ist, dass man die gleichen Leute hasst. Besonders perfide ist es in dem Fall, weil versucht wird, den Begriff der Wende für sich zu reklamieren. Als ob der Gewinn von Freiheit, Bürgerrechten und unzweifelhaft mehr Wohlstand als unter der SED Nichts wäre. Man muss natürlich auch sagen, dass das auf lange gedüngten Boden fällt: Solch rückwärtsgewandte Nostalgie war auch stets Kennzeichen und Erfolgsmerkmal von PDS und später LINKEn.
10) The Bill for ‘America First’ Is Coming Due
In this crowded and enervating week of news, it would have been easy to miss two small but consequential signs of the damage President Donald Trump and his team have done to America’s standing in the world. Two of America’s closest treaty allies have announced military efforts explicitly designed to exclude the United States. Australia is “seeking to cement its status as the security partner of choice for Pacific nations” by establishing an expeditionary training force. And the United Kingdom wants to create a multinational force to ensure freedom of navigation in the Strait of Hormuz. It’s not a coincidence that allies are striking out on their own. Countries in the Pacific worry that the U.S. is forcing them to choose between their economic connections to China and their security relationships with the U.S. And while forcing this choice, the U.S. is also publicly calling the security guarantees into question—President Trump did so before arriving in Japan for the G20 summit. Meanwhile, European allies blame Trump-administration tactics for Iran’s decision to lash out at shipping in the Gulf. That’s why British Foreign Secretary Jeremy Hunt stressed that the purpose of the multinational force was to dissociate European governments from U.S. policy toward Iran. Hunt explicitly said, “It will not be part of the U.S. maximum pressure policy on Iran because we remain committed to preserving the Iran nuclear agreement.” As it happens, these efforts are consistent with Trump’s insistence that allies do more for themselves. Secretary of State Mike Pompeo responded to news of the British initiative by saying, “The responsibility … falls to the United Kingdom to take care of their ships.” The sad reality, however, is that America’s European allies cannot protect their ships without American help. Even the French Foreign Ministry had to admit that any European effort would “naturally have to be co-ordinated with the US on the operational level.” The International Institute for Strategic Studies estimates that it would cost European countries $110 billion to defend freedom of navigation. That is more than the annual defense budgets of Britain and France combined. It isn’t happening anytime soon, regardless of brave talk about “European strategic autonomy.” (Kori Schake, Defense One)
11) Die Nato-Ausgaben mit denen Russlands zu vergleichen führt in die Irre
Viertens: Es geht nicht um horrende Ausgaben für „Rüstung“, sondern um die Verteidigungsausgaben insgesamt, zu denen bekanntlich auch Personal und Betrieb gehören. Die nach Ansicht mancher „kaputtgesparte“ Bundeswehr wird zunächst noch viele Jahre benötigen, Fähigkeiten (wie z.B. die Heeresflugabwehr) wiederherzustellen, die in zwei hoffnungsfrohen Jahrzehnten abgebaut wurden, hohle Truppenstrukturen aufzufüllen, Ausrüstung zu beschaffen oder Munitionsbestände wieder auf ein glaubwürdiges Maß zu heben. Hier ist eine lange Liste von Defiziten abzuarbeiten, bevor man ernsthaft von „Aufrüstung“ sprechen könnte. Außenminister Maas sagt zu Recht, es gehe „um Ausrüstung, nicht um Aufrüstung“. [...] Fünftens: Häufig werden die Verteidigungsausgaben der europäischen Nato-Mitglieder mit dem – geringeren – Militäretat Russlands verglichen. Das führt jedoch in die Irre, weil dort beispielsweise der Personalanteil weit geringer ist und in der europäischen Rüstungsplanung und -beschaffung viel Geld vergeudet wird. Außerdem hat Russland gezeigt, dass es mit regionaler Überlegenheit und bedenkenlosem Gewalteinsatz seine Ziele verfolgt, während die Nato den Schutz aller ihrer Mitglieder in alle Richtungen sicherstellen muss und dies bis 2014 vernachlässigt hat. [...] Angesichts einer russischen Gewaltpolitik, welche die fundamentalen Regeln der europäischen Sicherheitsordnung flagrant verletzt und deren Stärke auf der Besorgnis kleiner Nachbarn gründet; angesichts einer amerikanischen Führung, deren Haltung zur Nato größere Verantwortung und Handlungsfähigkeit der Europäer noch dringlicher macht; angesichts einer nie erlebten Kumulation von Krisen und Konflikten sowohl global als auch in unserer Nähe sollte in der Sicherheitspolitik der Konsens der demokratischen Parteien bewahrt bleiben. Solche Themen verlangen zudem eine Seriosität, wie man sie auch bei Spitzenpolitikern zuweilen vermisst. Erinnert sei nur an die Auftritte des damaligen Außenministers Sigmar Gabriel während des Bundestagswahlkampfes 2017, bei denen er wiederholt sagte, er wisse gar nicht, „wo wir die ganzen Flugzeugträger hinstellen sollten, die wir kaufen müssten, um 70 Milliarden Euro pro Jahr in die Bundeswehr zu investieren“! (Klaus Wittmann, Welt)Der Artikel des ehemaligen Bundeswehrgenerals ist durchaus in seiner Gänze empfehlenswert, auch wenn nicht jede seiner Aussagen zustimmungswürdig ist. Ich möchte die beiden zitierten Ausschnitte hervorheben. Einmal den Punkt mit den Personalkosten, der gerade bei der Diskussion der amerikanischen Verteidigungsausgaben gerne unterschlagen wird. Die USA haben gewaltige und jährlich steigende Kosten für die Versorgung der Veteranen. Im Gegensatz zu Russland erhalten diese großzügige Versorgungspakete und diverse andere Leistungen; die vielen Millionen Veteranen und ihre Familien haben einen eigenen parallelen Sozialstaat in den USA (der von der skandalumtosten Veteran's-Affairs-Behörde verwaltet wird), dessen Kosten alleine in die vielen Milliarden gehen. Zum anderen der Punkt mit der Seriosität: Gerade was SPD-Politiker in letzter Zeit in der Debatte von sich gegeben haben (mit der rühmlichen Ausnahme Heiko Maas') ist absolut zum Fremdschämen. Besonders hervorzuheben ist natürlich wie immer das professionelle Irrlicht Sigmar Gabriel; wie man je glauben konnte, der Mann könnte Kanzlermaterial sein, ist mir inzwischen nicht mehr begreiflich. Asche auf mein Haupt. Aber auch sonst ist eine frivole Ignoranz und Naivität am Werk, die teilweise Ihresgleichen sucht. Demgegenüber nehmen sich die Grünen - die noch vor zwei Dekaden die pazifistische Partei in Deutschland waren! - wie ein Hort der Vernunft aus. Von der LINKEn brauchen wir in dem Kontext auch gar nicht anfangen. Ich sehe hier auch das größte Hindernis für R2G. Diese Koalition hätte ein massives Problem damit, ein gemeinsames und tragfähiges außenpolitisches Konzept auf die Beine zu stellen.
12) Was heißt das eigentlich noch, "liberal"?
Dass diejenigen, die tatsächlich etwas unternehmen wollen gegen die Krise, einen autoritären, womöglich totalitären oder quasireligiösen Standpunkt vertreten. Einen antiliberalen Standpunkt. Weil: Verbote. Verbote sind schlimm, abzulehnen, politischer Suizid. "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt erfand sogar das Wort "Freiheitsekel", um die angeblich totalitär gesinnten Kommentatoren zu denunzieren. Das ist konzeptioneller Unsinn, denn gut gemachte Gesetze, die eben auch Dinge untersagen, sind die Basis jeder freiheitlichen Gesellschaft. FCKW-freie Kühlschränke und bleifreies Benzin haben uns keinen Deut unfreier gemacht, im Gegenteil. Wachsende Hautkrebsgefahr und kaputte Wälder hätten die Freiheit dagegen sehr eingeschränkt. Es gibt eben keinen simplen Widerspruch zwischen der Idee des Liberalismus und dem Konzept des Verbots. Es ist gibt keinen Automatismus im liberalen Denken, der Regulierung für grundsätzlich falsch erklärt. Das wäre eher die Position eines Anarchisten. [...] Meiner Wahrnehmung nach ist die derzeit zu erlebende Krise der traditionellen politischen Denkschulen nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass man sich an weltumspannende gegenseitige Abhängigkeit immer noch nicht gewöhnt hat. Zu Mills Zeiten war es kaum vorstellbar, dass der Erwerb eines Kleidungsstückes in England mittelbar die Freiheit eines Kindes in Bangladesch einschränken könnte. Geschweige denn, dass der Kauf eines spritfressenden Straßenpanzers die Freiheit der Einwohner der Karibikinsel Gardi Sugdub beschränken könnte, deren Heimat gerade wegschrumpft. In unserer globalisierten Welt wird das Konzept des Liberalismus ziemlich hohl, wenn man individuelle Freiheit immer nur innerhalb der aktuellen Staatsgrenzen einfordert - und nur mit Blick auf die eigene Generation. Genauso hohl übrigens wie ein linkes Denken, das sich nur für Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich im nationalen Rahmen interessiert. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)Bevor mir jetzt mein geschätzter Mit-Autor Stefan Pietsch in die Parade fährt, natürlich denken die Menschen national. Die Hoffnung, dass man quasi einen Schalter umlegt und dann denkt jeder beim T-Shirt-Kauf an Bangladeschis und informiert sich über rumänische Innenpolitik wäre natürlich vermessen. Aber auf der anderen Seite hat Stöcker absolut Recht damit, dass eine globale(re) Perspektive zwingend geboten ist. Das war merkwürdigerweise auch für gut zwei Jahrzehnte ein absolutes Shibooleth der Liberalen und Konservativen, als gebetsmühlenartig erzählt wurde, wie doch alles durch die Globalisierung verändert werde und dass weitreichende Anpassungsvorgänge notwendig wären, die natürlich für die Betroffen schmerzhaft seien, aber so wäre das halt mit Veränderungen. Nur, seit die Leute selbst betroffen sind, ist das alles plötzlich linksgrüner Totalitarismus. - Aber ich schweife ab. Ohne Veränderungen gegenüber der bisherigen Ressourcenverwendung wird das Klima nicht zu retten sein. Wenn wir Jahr für Jahr extreme Wetterereignisse haben, wenn Missernte auf Missernte folgt und zehntausende jedes Jahr Extremtemperaturen erliegen, dann kann man natürlich stolz auf sein Ressümee verweisen, immer gegen Dieselfahr- und Plastiktütenverbot gewesen zu sein.
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