Sonntag, 26. Januar 2020

Hipster-Lehrer werfen korrupte Hufeisen in den Polizei-Vorwahlkampf - Vermischtes 26.01.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Das Hufeisen schlägt zurück

Natürlich, man kann als Christdemokrat gegen eine Zusammenarbeit mit der Linken sein, weil sie auf den meisten Politikfeldern tatsächlich eine diametral entgegengesetzte Politik vertritt. Nur gibt es eine Sache, die noch wichtiger ist als Windräder, Bildungspolitik und innere Sicherheit: Das Verhältnis zur pluralen Demokratie. Das ist die Hardware, und da gibt es mehrere ganze entscheidende Unterschiede zwischen der Linkspartei und der AfD. Die Linke hat sich in ihrer überwiegenden Mehrheit seit 1989 mit wachsendem Erfolg in die bundesdeutsche Demokratie integriert, ohne ihre Spielregeln grundlegend infrage zu stellen. Man könnte sogar sagen, sie hat geholfen, die Wendewut vieler Ostdeutscher ins geordnete demokratische Verfahren zu übertragen. Ähnlich wie die Grünen ist die Linkspartei einen Weg fortlaufender Anpassung gegangen. Weniger hat die Linke das System verändert als umgekehrt. Auf der anderen Seite gibt es die AfD, deren Vorstellungen von Demokratie denen Viktor Orbáns ähneln. Bürger nichtweißer Hautfarbe, nichtchristlichen Glaubens oder nichtrechter Einstellung sind in ihrem Weltbild keine richtigen Bürger, sondern der innere Feind. Dementsprechend müssen die Öffentlich-Rechtlichen sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen von nichtrechten Einflüssen befreit werden. Die AfD fügt sich nicht ins demokratische Spektrum ein, sondern sie radikalisiert sich immer weiter. Wer glaubt, eine Regierungsbeteiligung könne sie zähmen, der hat nicht verstanden, dass die Partei Bestandteil eines internationalen rechten Netzwerkes ist, das dabei ist, die Demokratien des Westens von innen auszuhöhlen und zu minderheitenfeindlichen Mehrheitsdiktaturen umzubauen. Diese Gegenüberstellung müsste für eine CDU, die sich und ihre Werte ernst nimmt, zu einer klaren Schlussfolgerung führen: Wenn es nicht anders geht, ist eine Regierung mit der Linken möglich. Mit der AfD hingegen verbietet sich jede Zusammenarbeit. Eine solche Festlegung hätte auch den Vorteil, dass der AfD auf die Dauer die Machtperspektive genommen wäre, was für ihr inneres Gefüge gravierende Folgen hätte. Und wahrscheinlich auch für ihre Wahlergebnisse. (Christian Bangel, ZEIT)
Die "Hardware" der pluralen Demokratie ist tatsächlich der entscheidende Unterschied. Und ja, die LINKE ist auf dem Feld besser als die AfD, aber solche Anwandlungen sind ihr auch nicht komplett fremd. Ich erinnere mich noch an den Umgangston der Nuller-Jahre; da waren sie auch immer die einzige Partei, die gegen die korrupten Eliten den wahren Volkswillen vertritt, und so weiter. Es ging nie so weit wie bei der AfD, was das Infragestellen der pluralen Demokratie anbelangt, aber dieses "in Wahrheit steht das Volk hinter uns"-Ding haben die leider auch nicht erfunden. Man sollte umgekehrt aber nicht vergessen, dass die Idee der "illiberalen Demokratie" in den rechten Dunstkreisen große Zugkraft hat. Die LINKE hat, schon alleine durch die nachhaltige Erfahrung des Scheiterns der DDR 1989, keinerlei Allüren in diese Richtung gezeigt. Es war quasi nur Rhetorik. Aber zweifelt irgendjemand daran, dass die AfD, hätte sie die Möglichkeit dazu, ähnlich wie Orban oder Kaczinsky agieren würde? Bei der LINKEn wissen wir inzwischen, dass sie es nicht tun, dafür haben sie zu viele Regierungsbeteiligungen (und mittlerweile in Thüringen sogar eine eigene Regierung) hinter sich. Solange das noch gegeben ist, darf die AfD nicht an die Regierung, und wenn die CDU dafür mit zugehaltener Nase mit der LINKEn kooperieren muss.

2) Democrats Ignore The Immigration Elephant In The Room
At Tuesday’s Democratic debate sponsored by CNN and the Des Moines Register, nobody seemed to notice the elephant in the room—or perhaps the candidates and moderators just didn’t want to acknowledge its presence. Whether it was out of blindness or stubbornness, it tells us a great deal about the state of the Democratic Party in our time—and also about the state of American politics. That elephant is immigration, and the issue it represents is the defining one of our time. It is the most intractable, the most emotional, and the most irrepressible of all matters facing Western societies. And yet it was almost totally ignored in the most crucial debate so far in the Democratic quest for a presidential nominee. Two passing references was all the issue got over two hours of polemical fireworks. [...] A Pew Research Center survey revealed after the 2016 election that 66 percent of Trump supporters considered immigration to be a “very big” problem, the highest percentage for any issue. For Hillary Clinton supporters, the corresponding percentage was just 17. Also, fully 79 percent of Trump voters favored building the border wall he advocated, compared to just 10 percent for Clinton supporters. [...] The Democratic Party has become the party of the country’s elites—globalist, internationalist, anti-nationalist, free-trade, and open borders. Those views are so thoroughly at variance with those of Trump voters that it is difficult to avoid the conclusion that we have here a powerful issue of our time, perhaps the most powerful issue. Yet the journalistic moderators at Tuesday’s event didn’t see fit to ask about it. And the candidates weren’t inclined to bring it up in any serious way. (Robert W. Merry, The American Conservative)
Merrys Kritik ist sicherlich nicht ganz aus der Luft gegriffen; wir hatten die ähnliche Frage hier im Blog ja jüngst auch (ich schreibe ja auch normalerweise nicht zum Thema Integration). Es ist aber nicht das erste Mal, dass ein Präsidentschaftswahlkampf ein zentrales Thema so merkwürdig ausklammert. 2016 wurde in keiner der drei TV-Debatten eine einzige Frage zum Klimawandel gestellt. Auch sonst wurde das Thema geradezu totgeschwiegen. Und hier könnte ich genauso wie Merry mit dem "perhaps most powerful issue of our time" argumentieren, denn als solches sehe ich Immigration sicherlich nicht. Aber das ist eben eine Frage der Krisenwahrnehmung. Natürlich ist einsichtig, dass während der Primaries nicht groß über das Thema diskutiert wird. Merry nennt die Zahlen im Artikel doch selbst! Die Wähler interessieren sich schlicht nicht dafür. Es ist ja nicht gerade so, als ob während der republikanischen Primaries 2016 viel über Ungleichheit, Schwangerschaftsurlaub oder Mindestlohn debattiert worden wäre.

3) Der Hipster-Konflikt
Grundsätzlich tun sich bei den Linken in dieser Angelegenheit zwei Lager auf. Die Linksaußengruppe um Wagenknecht und Lafontaine fordert eine Rückbesinnung auf traditionelle Wählerschichten, auf Arbeiter und Arbeitslose. Die Linke solle die "Partei derer sein, denen es in diesem Land mies geht", sagte Wagenknecht im Kosmos. Ähnlich sehen es einiger Reformer um Bartsch und Korte. Sie alle setzen auf starke Abgrenzung zum bildungsbürgerlichen Grünen-Milieu. Zugrunde liegt die Annahme, dass die dort vorherrschenden Themen und Wünsche eher abschreckend wirken auf das klassische Klientel, vor allem in der ostdeutschen Fläche. Wenngleich Lafontaine und Co. tatsächlich Vorbehalte gegen die Grünen antreiben dürfte. Sie galten über die Jahre hinweg als Warner vor allzu großer Bündniseuphorie bei den Linken. [...] Auf der anderen Seite stehen Leute, die es für fahrlässig hielten, wenn die Linken nicht bei den Grünen wilderten - ohne die potenziellen Partner dabei zu hart anzugreifen. Prominenteste Vertreterin ist Parteichefin Katja Kipping, die bei den Linken in den vergangenen Jahren zentrale Figur in den großen Grabenkämpfen mit der Fraktionsspitze war. Wenn die Linken über Milieus und die Grünen reden, dann ist das natürlich auch nach innen gerichtet, dann reden sie indirekt immer ein bisschen auch über Kipping und deren Leute. (Kevin Hagen, SpiegelOnline)
Wir hatten die Diskussion bereits in den Kommentaren, weswegen ich diesen Artikel nutzen will, um ein bisschen was zu ergänzen. Das Problem der LINKEn ist, dass das bildungsbürgerliche Milieu, von dem sich Wagenknecht et al hier abgrenzen wollen, halt auch Teil der Parteibasis ist. Man muss sich nur mal die Statistiken über den Anteil an Abiturienten oder abgeschlossenen Studiengängen unter den Wählern anschauen. Die LINKE ist hier zwar schon deutlich unter den Grünen, aber etwa auf einem Level mit der FDP und immer noch doppelt so hoch wie CDU, SPD und AfD. Das ist keine Gruppe, von der du dich mal so einfach abgrenzen kannst. Und gleichzeitig ist eine andere Wählerbasis ohne Zweifel immer die Gruppe der ostdeutschen Flächenbewohner und Wendeverlierer gewesen, die die Partei im Osten zu einem Machtfaktor gemacht haben und die die Partei gerade massiv an die AfD wegblutet. Das sind dann diese Schichten, die etwas verbrämt "reaktionärer als die Parteispitze es wahrhaben will" genannt wurden. Meine Theorie: Dieser Spagat hat hauptsächlich deswegen funktioniert, weil die LINKE im Osten halt immer die Partei war, die ein Ventil für die genannten Wendeverlierer geboten hat, ein Narrativ eines "besseren" Ostens mit einer diffusen Anti-Eliten- und Anti-Establishment-Haltung. Aber das macht die AfD halt besser. Wer überhaupt keine Hemmungen hat, kann bei dieser Gruppe immer gewinnen. Ich weiß auch nicht, was die Idee Lafontaines hier ist. Die Zeiten, in denen er nur gegen "Fremdarbeiter" wettern muss, um da anzukommen, sind vorbei. Wir haben mit der AfD eine Partei, die dermaßen offen an niedere Instinkte, Rassismus und Sexismus appelliert, das ist ein Wettlauf, den kann eine demokratische, pluralistische Partei nur verlieren. Klar kann die LINKE wenn sie will versuchen, mit striktem Antikapitalismus und dem Feindbild der Reichen einen ähnlichen Kurs zu fahren. Das hat noch nie funktioniert. Die Rechtsextremen werden immer attraktiver sein als die Linksextremen. Dasselbe Dilemma hat die SPD ja auch: disparate Wählerschichten, die wenig gemeinsam haben außer einer ungefähr geteilten Mission von "mehr Gerechtigkeit", was auch immer das heißen mag.

4) Ein neues Level der Polizeiarbeit

Donnerstag, 16. Januar 2020

Trump entwickelt Krebsmedikamente auf dem deutschen Diplomatiegipfel im Iran - Vermischtes - 16.01.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Warum es nicht schlimm ist, wenn eine 18-jährige auf TikTok Quatsch über den Iran erzählt
Die Schülerin hätte sich blamiert, schrieb das Redaktionsnetzwerk Deutschland und die Die Neue Züricher Zeitung zeigte das Video gleich ganz aufgeregt ihrem „erfahrenen Auslandredaktor“ mit dem schönen Namen Beat Bumbacher. Und der erfahrende Auslandredaktor Beat Bumbacher ließ sich nicht zweimal bitten und boomerbachersplainte stabil: „Das ist Weltpolitik aus einer fast kindlichen Sicht.“ No Shit, Sherlock! Ein Fast-Noch-Kind sieht die Weltpolitik aus einer fast kindlichen Sicht! Das ist erstens nicht überraschend und zweitens nicht schlimm. Erwachsene liegen bisweilen auch daneben: Jakob Augstein schrieb 2016 noch im Spiegel, dass Donald Trump, wenn es um den Weltfrieden gehe, allen Ernstes die bessere Wahl sei als Hillary Clinton. [...] Anstatt 18-jährige TikTokerinnen zu belehren, könne man ihre Ängste ja mal ernst nehmen und fragen, wie man sie mit serösen Informationen erreicht. Ein wenig hat man aber das Gefühl, als müssten manche Politiker und Medien ihren Rezo-Komplex überkompensieren. Damals war die Überraschung groß, als sich im Zuge des „Die Zerstörung der CDU-Videos“ herausstellte, dass sich auf diesem YouTube Menschen für Politik interessieren. Offenbar meint man jetzt, jede politische Äußerung eines Influencers extra durchnudeln, einordnen und faktchecken zu müssen. Bei Laura Sophie wird das nicht mehr notwendig sein. Die junge Frau hat angekündigt, sich in Zukunft nur noch privat politisch äußern zu wollen. Bestimmt sind jetzt alle zufrieden. (Christian Schiffer, Bayern2)
An diesem Beispiel kann man gut sehen, dass das Ganze "die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen" einfach nur eine Phrase ist, um die eigenen Vorurteile besser raushauen zu können, ohne sich hinter sie stellen zu müssen. Wöllte man tatsächlich Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen, würde das auch für Teenagerinnen gelten, für ethnische Minderheiten, für diskriminierte Frauen und so weiter. Aber dieses ganze Ding hat sich immer nur auf eine sehr eng umgrenzte Demographie bezogen. Und das wäre auch nur halb so schlimm, wenn man Laura Sophies Sorgen und Ängste halt einfach nicht ernst nähme und es damit bewenden ließe. Denn wer von einer 18jährigen Influencerin erwartet, substanzielle Analysen zum Iran zu bekommen, dem kann ich auch nicht helfen. Aber dabei lässt man es nicht bewenden. Die gleichen Leute, die von mir händeringend fordern, doch bitte brüllende Proleten mit Nazitattoo in Dresden ernstzunehmen, kippen haufenweise Häme, Spott und Ablehnung über Fridays-for-Future-Demonstranten oder eben eine Influencerin wie Laura Sophie. Da muss man an der Integrität der ursprünglichen Forderung doch zweifeln.

 2) SPD-Fraktion macht den Parteichefs klar, wer das Sagen hat
Das Duo hatte den Mitgliederentscheid um die SPD-Chefposten mit dem von ihnen erweckten Eindruck gewonnen, sie wollten die Partei aus der selbst gewählten Gefangenschaft der großen Koalition mit der Union befreien. Sie triumphierten damit auch über die SPD-Abgeordneten, die in ihrer großen Mehrheit vor einer Wahl der Außenseiter gewarnt und für deren Konkurrenten, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, geworben hatten. Wenige Wochen später nun ist festzustellen: Bei der Wahl mag die Fraktion mit ihrer Pro-GroKo-Position verloren haben. Danach aber haben die Abgeordneten – assistiert von den SPD-Ministern in der Regierung – die neue Parteiführung schnell domestiziert. [...] Dann allerdings machte Mützenich klar, wer in dieser Zusammenarbeit Koch ist – und wer Kellner. „Die Kompetenz und die Expertise, die die SPD-Fraktion mit ihren 152 Abgeordneten hat, ist ganz maßgeblich auch für die Arbeit der SPD.“ Die Fraktion sei eigenständig, Absetzbewegungen in der Koalition nicht ihr Ziel. Es gehe darum, sozialdemokratische Positionen in Gesetze und Politik umzusetzen – und das, so ist das zu verstehen, geht eben nur in der Regierung. Ein vorzeitiges Ende der GroKo jedenfalls spielte auf der Klausur keine Rolle. Mützenich hatte das Arbeitsprogramm entsprechend gestaltet. Es gehe nicht nur darum, die Weichen für die nächsten Monate zu stellen, sagte er, sondern „für dieses Jahrzehnt“. Ins Zentrum stellte der Fraktionschef die inhaltliche Vorbereitung auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte – was eine Fortsetzung der Koalition impliziert. [...] Mit DGB-Chef Reiner Hoffmann hatte er sich außerdem einen weiteren, ausgewiesenen Befürworter der GroKo als Gast eingeladen. Außerdem will die SPD auch künftig den Wehrbeauftragten des Bundestags stellen, dessen Amtszeit im Mai ausläuft. Das sei im Koalitionsvertrag so vereinbart, so Mützenich, und darauf werde man auch bestehen. [...] Es verstärkt sich mithin der Eindruck: Die neuen Vorsitzenden, als Anti-Establishment-Kandidaten gestartet, sind mittlerweile selbst im Berliner Establishment angekommen. Auf der Strecke geblieben sind dabei ihre hochtrabenden Versprechungen. Beim Mindestlohn etwa besteht Esken nicht mehr auf eine Erhöhung auf zwölf Euro in einem Schritt; sie müsse „substanziell“ sein, heißt es nun. (Thorsten Jungholt, Welt)
Der Eindruck verstärkt sich wahrlich. Der SPD-Funktionärsapparat lähmt die Partei genauso wie einst die dortige Funktionärsschicht die DDR. Die SPD in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf, gewissermaßen. Ich möchte erneut betonen, dass diese Debatte die eigentlichen inhaltlichen Konfliktgrenzen überschreitet. Ob man der Meinung ist, die SPD müsse unbedingt weiter nach links, oder ob man der Meinung ist, sie sei eigentlich schon extremistisch geworden, spielt für diese Frage genauso wenig eine Rolle wie die, ob sie in der GroKo bleiben solle oder nicht. Die eigentliche Frage ist die, ob es einen Grund gibt, diese Partei zu wählen, für irgendjemand. Und das ist aktuell einfach immer weniger der Fall. In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Die SPD ist aktuell der personifizierte, institutionalisierte Mittelweg. Mir ballt sich immer noch die Faust in der Tasche, wenn ich daran denke wie Martin Schulz im "TV-Duell" 2017 darauf bestanden hat, irgendein arkanes Detail einer nebensächlichen policy zu diskutieren, während vier Moderatoren um ihn herum darauf bestehen, die Republik der AfD zum Fraß vorzuwerfen. Diese Partei zerreißt sich über mickrige Anpassungen bei der Grundrente, die keine Sau interessiert. Was will ich mit dem Laden?

3) Mordfall Lübcke: Verbindungen zum NSU-Komplex weiten sich aus
Die Verbindungen zwischen der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) waren offenbar enger als gedacht. Im Mittelpunkt steht der ehemalige Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Andreas Temme. [...] Geschossen wurde nach Aussage des Zeugen Jürgen S. in zwei Kasseler Schützenvereinen, zunächst in Vellmar, später in Waldau, jeweils nur wenige Kilometer Luftlinie vom späteren NSU-Tatort im Norden Kassels entfernt. Geübt wurde mit der Dienstwaffe des Sicherheitsmannes - einem Revolver der Marke „Rossi“, Modell 27, Kaliber 38 Spezial. Mit einer Waffe dieses Typs wurde dreizehn Jahre später Lübcke erschossen. Ob auch Temme mit der „Rossi“ übte, bleibt in dem Vermerk unklar. [...] V-Mann-Führer Temme war nur wenige Meter entfernt, als am 6. April 2006 der 21-jährige Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé mit zwei gezielten Kopfschüssen getötet wurde. Kassel markierte den neunten NSU-Mord. Temme galt zwischenzeitlich als tatverdächtig, wurde festgenommen und mehrfach verhört. Dennoch konnte die Tat bislang nicht aufgeklärt werden. Neben seinem „Faible für Waffen“ gab Temme bei einer Sicherheitsüberprüfung im Juli 2006 „Motorrad fahren“ als Hobby an. Er räumte ein, den Präsidenten der Kasseler Hells Angels zu kennen. Den Kontakt vermittelt habe ihm sein „Freund“ Jürgen S. - der Fahrer des Kasseler Geldtransporters. Laut Bundesanwaltschaft soll Jürgen S. Temme für den ersten NSU-Mord im Jahr 2000 in Nürnberg ein Alibi verschafft haben. Rockergangs wie Hells Angels oder Bandidos sollen hessischen Neonazis Waffen besorgt haben. Die Bundesanwaltschaft prüft zurzeit den Verbleib von Waffen aus Schleswig-Holstein, darunter auch Revolver vom Typ „Rossi“. [...] Der Verfassungsschützer Temme, Beiname „Kleiner Adolf“, wurde verdächtig, weil er sich als einziger Zeuge des Kasseler NSU-Mordes nicht freiwillig bei der Polizei gemeldet hatte. Während seiner späteren Vernehmungen widersprach sich der Sportschütze mehrmals. (Jörk Köpke, RND)
Ich bin bezüglich dieser Nachricht etwas zerrissen. Einerseits braucht ein Geheimdienst, dessen Aufgabe die Überwachung eines rechtsextremen Sumpfs ist, solches Gesocks. Wer sollte Informationen aus einem Bottich Abschaum durchstechen, wenn nicht Abschaum? Soweit macht die Rekrutierung von V-Leuten aus diesem Milieu ebenso Sinn wie die Zusammenarbeit eines Auslandsgeheimdiensts mit Funktionären brutaler Diktaturen. Wenn man Insiderinformationen will, braucht man Insider.
Andererseits: was für ein Sumpf ist das! Ich könnte abends nicht schlafen gehen, wäre ich ein Beamter des Verfassungsschutzes. Und genau das ist das Problem: Die können das sehr gut, weil die diese Leute gar nicht als so schlimm empfinden. Der Verfassungsschutz war schon immer auf dem rechten Auge blind und den Leuten, die er eigentlich überwachen soll, wesentlich zu nahe. Da brauchte es nicht erst einen Totalausfall wie Maaßen für, um das zu sehen. Aber wenn man sich solchen Abschaum als V-Leute holt, dann muss man sich darüber klar sein und die überwachen und dann auch deren Informationen zum Verhindern von Straftaten nutzen. Und das Bild, das sich hier ergibt, ist, dass der Verfassungsschutz den NSU finanziert hat und daneben stand, während der seine Straftaten verübte, immer mit dem Argument, dass man die ganzen Infos ja für eine effektive Strafverfolgung brauche. Und als es an die ging, haben sie tonnenweise Akten geshreddert. Dieser Laden ist hoffnungslos in die rechte Szene verwickelt, die er eigentlich überwachen soll (und da haben wir noch nicht mal drüber geredet, dass sie agents provocateurs in die linksextreme Szene einschleusen...) und muss einfach abgeschafft werden. Da führt kein Weg dran vorbei. Die Kompetenzen ans BKA und Laden dicht.

 4) Finnland hat es geschafft, dass es so gut wie keine Obdachlosen mehr gibt
Seit den 1980er Jahren hatten sich finnische Regierungen bemüht, Obdachlosigkeit zu reduzieren  – doch Langzeitobdachlose blieben ohne Dach über dem Kopf. Es gab zu wenig Not-Unterkünfte und viele haben es nicht geschafft, sich aus ihrer Lage zu befreien: Sie haben keine Jobs gefunden, keine Wohnung – und hatten Probleme, Sozialleistungen zu beantragen. Sie waren gefangen. Doch 2008 hat die finnische Regierung eine neue Politik für Obdachlose eingeschlagen: Sie setzt das „Housing First“-Konzept um. Seitdem ist die Zahl der Betroffenen stark gesunken. Und das Land hat Erfolg: Es ist das einzige EU-Land, in dem die Obachlosenzahl zurückgeht. NGOs wie die „Y-Foundation“ stellen Wohnungen zur Verfügung. Sie kümmern sich entweder um den Bau oder kaufen Wohnraum am privaten Wohnungsmarkt bzw. renovieren vorhandene Wohnungen. Die Wohnungen selbst haben ein bis zwei Zimmer. Auch ehemalige Notunterkünfte wurden zu Apartments umgebaut, um langfristig Wohnraum anzubieten. [...] Diese Politik heißt „Housing first“. Sie kehrt die herkömmliche Obdachlosen-Hilfe um. Häufig ist es so, dass von Betroffenen erwartet wird, sich einen Job zu suchen und sich von psychischen Problemen oder Suchterkrankungen selbst zu befreien. Erst dann gibt es Hilfe bei der Wohnungssuche. „Housing first“ dagegen geht es andersherum an: Obdachlose Menschen bekommen eine Wohnung – ohne Voraussetzung. Sozialarbeiter helfen bei Anträgen rund um Sozialleistungen und sind Ansprechpartner bei Problemen. In dieser neuen, sicheren Ausgangslage fällt es den Betroffenen dann leichter, sich um einen Job und um ihre Gesundheit zu kümmern. (Kathrin Glösel, Kontrast.at)
Studie um Studie, die sich mit Obdachlosigkeit beschäftigt, zeigt auf, dass die effektivste Art, sie zu bekämpfen ist, den Obdachlosen eine Wohnung zu geben und fertig. Das gilt im Übrigen für praktisch alle Sozialleistungen. Fördern und Fordern ist ein gigantisches bürokratisches Monstrum, das Leuten das Leben schwer macht, Milliarden kostet und nichts nützt. Eigentlich müssten Parteien wie CDU oder FDP Sturm dagegen laufen und es vereinfachen. Aber wenn es um Sozialstaatsnutznießer geht, ist keine bürokratische Hürde zu hoch, keine Behörde zu kafkaesk, um nicht noch verschärft zu werden. Das hängt direkt mit dem Moralismus dieser Gruppe zusammen, der, wie man fairerweise sagen muss, sich mit einer breiten Bevölkerungsmehrheit deckt. Der ständig moralisierend erhobene bürgerliche Zeigefinger hat nämlich ein entschiedenes Problem damit, Leuten, die das "nicht verdient" haben, irgendetwas zu geben. Im Gegenzug müssen sie wenigstens leiden, das ist Teil des Deals. Egal, wie ineffizient es ist. Das ist in die kollektive politische Psyche eingegraben.

 5) Tweet
Es ist wirklich faszinierend, dass ein Plakat gegen Rassismus, das keinerlei AfD-Bezug aufweist, von AfD-Leuten als gegen sie gerichtet empfunden wird. Auch der Verweis auf die "linksgrünen" Lehrer darf natürlich nicht fehlen, zusammen mit der Behauptung, die Schüler würden "gezwungen", gegen die Partei anzugehen, ach nein, halt, "die Gesellschaft zu spalten". Das ist die gleiche Partei, die Denunziationsportale für Lehrer geschalten hat. Wahrscheinlich, um den Dialog zu fördern und das Land zu einen oder so, man weiß ja, wie Faschisten das üblicherweise machen wollen.

 6) Washington and Brussels Need a New “Special Relationship”
In 2008, the world faced a global financial crisis of similar proportions, but it responded together with extraordinary actions. Instead of our current, failing nationalist approach, America and the European Union must work together again. They can do this by building a new “special relationship” between Washington and Brussels, in which they commit to domestic reforms in flexible coordination with one another. This would have two economic aims: to combat corporate monopolies and to boost worker power globally. [...] We could use a process similar to the post-financial-crisis reforms to increase the power of workers and farmers and rein in monopolies. To boost the economic power of workers, this U.S.-EU agreement would include commitments to raise or secure union density against the range of political interests and economic forces pressing against it. In the U.S., under a progressive administration and a progressively minded Senate, this would be achieved through a host of domestic reforms to undo 40 years of conservative attacks on unions, including enhanced strike rights and penalties for lawbreaking employers, as well as by adopting sector-wide bargaining. In addition to giving more power to workers, the new U.S.-EU agreement would combat monopolies. It would begin by both the U.S. and Europe welcoming antitrust enforcement efforts by the other jurisdiction. And it would go one step further—countries in this new agreement would work together on antitrust investigations to maximize their resources and effectiveness. Much like attorneys general in different states in the U.S. are working in conjunction to investigate big tech companies, different countries who had signed onto this agreement could work together when investigating multinational companies or concentrated sectors. This wouldn’t bind countries to the same exact outcomes, lest that result in lowest-common-denominator enforcement. But pooling limited government resources can help us tackle enormously complex global companies and international supply chains. (Andy Green, Washington Monthly)
Das ist einer dieser Artikel, bei denen ich der Prämisse mit ganzem Herzen zustimme und gleichzeitig feststellen muss, dass die Chancen dafür ungefähr so gut sind wie Tiefschnee in der Hölle. Eine "special relationship" zwischen den USA und der EU wäre grundsätzlich eine gute Sache, egal von welchem Gebiet wir sprechen. Eine Allianz dieser beiden Wirtschaftsräume (bei den USA ist ja immer NAFTA mit dabei) mit dem Ziel, gegen Monopole vorzugehen und Arbeitnehmerrechte zu stärken? Traumhaft. Aber genau das ist es halt. Ein Traum. Selbst wenn Bernie Sanders oder Elizabeth Warren Präsident würden, könnte die Zusammenarbeit nur auf Fall-zu-Fall-Basis und mit den ihnen zur Verfügung stehenden präsidialen Mitteln passieren, also hauptsächlich durch Regeln der Behörden. Ein entsprechendes Vertragswerk würde ja niemals ratifiziert werden können. Und das setzt willige Partner in der EU voraus, die ja legendär darin ist, eine außenpolitisch einheitliche Linie zu fahren und resistent gegen Lobbyismus zu sein. Jedoch will ich nicht zu negativ sein: Bereits darüber zu reden und fallweise zusammenzuarbeiten würde viel ändern und könnte möglicherweise einen längerfristigen Wandlungsprozess in Gang setzen. Ich gehe aber davon aus, dass die Maßnahmen aktuell eher unilateral wären. Die meisten Maßnahmen, wie sie im Artikel angesprochen werden, laufen dem vorherrschenden Freihandelsregime völlig zuwider, und auch, wenn es sich gerade mit zunehmender Geschwindigkeit auflöst, bilden seine Institutionen auch in zerfallendem Zustand immer noch mächtige Blockaden.

 7) Obama Should Never Have Appeased Iran
There were some problems with this answer. Just a few years earlier, Obama had withdrawn U.S. forces from Iraq, in effect delivering America’s Iraqi allies to Iran on a silver platter. Iran would now have a land bridge all the way across Iraq, Syria, and Lebanon to the Israeli border, and could hardly be expected not to take advantage it. Moreover, while it was no doubt true that dealing with Iran would be less difficult if it didn’t have the bomb, the nuclear deal didn’t exactly solve that problem, because it left Iran with all the basic elements of both a plutonium- and uranium-pathway serial production capability for nuclear warheads, which it could activate in a matter of months. Third, the deal itself was seen by many in Tehran as a surrender on America’s part, not entirely without justice considering the U.S. had caved on the key demands in U.N. Security Council resolutions going back nearly a decade. For all these reasons, Obama’s well-wishes notwithstanding, the baseline presumption had to be that Iran would feel emboldened, and it would it would be more, not less, difficult to deal with Iran’s other “nefarious activities.” And so it proved. In Iraq, Iranian support for Shiite militias translated into influence over the Iraqi government itself. In Syria, Obama acquiesced to Russia’s and Iran’s entry into the civil war, making Assad’s eventual victory a foregone conclusion. In Lebanon, Hezbollah has all but completed its takeover of the state. The rise of ISIS brought the U.S. back to Iraq after a brief interregnum, but under a dispensation which left Iran free to continue its subjugation of Iraq. As such, the U.S. arguably served as Iran’s proxy air force in Iran’s fight against ISIS, further helping to cement Iran’s regional hegemony. (Mario Loyola, The Atlantic)
Loyola ist einer Architekten der Bush-Außenpolitik. Deswegen sollte man seine Worte mit mehr als einer Prise Vorsicht genießen. Ich finde seine Analyse vor allem deswegen interessant, weil sich hier Argumentationsmuster reproduzieren, die mich massiv an die Debatte über die Ostpolitik erinnern. Funktioniert Wandel durch Annäherung, oder ist es reines Appeasement, das Diktatoren gibt, was sie wollen? Mein Gefühl ist jedenfalls nicht, dass der Iran sonderlich viel "embolding" bedurft hätte. Zu Bush-Zeiten forschte das Land unter dem notorischen Scharfmacher Achmadinejad an Atomwaffen. Dieser Ansatz wurde später wieder aufgegeben. Ich denke, die Fehleinschätzung ist schlicht die des US-Einflusses auf die iranische Politik. Was das Weiße Haus sagt und tut ist deutlich weniger bedeutsam als die innenpolitische Lage in Teheran und das dortige Personal. Die USA gehen in ihren außenpolitischen Debatten gerne davon aus, dass alle Welt nur darauf wartet, was der Präsident sagt, und ignoriert alle weiteren Auswirkungen. Das halte ich für kompletten Blödsinn. Obamas Vertrag basierte letztlich auf der Annahme, dass der Iran an Öffnung interessiert ist. Die republikanische Position basiert auf der Annahme, dass er das nicht ist, aber ein rationaler Akteur ist, der sich abschrecken lässt. Was davon stimmt - keine Ahnung.

 8) A guide to getting real on Iran
This lack of political buy-in to adequately support wars of choice cedes leverage to the country the United States is trying to coerce. The Iranian leadership need only read the New York Times or watch a segment on Fox News to get a sense of the fundamental political constraints placed upon American power and the lack of support for anything beyond relatively small airstrikes. These assumptions, in turn, allow the Iranian leadership to make critical assumptions about U.S. intent before making the decision to escalate. And this is just what happened. Iran took care to minimize the chance of killing Americans, but still chose to launch the most ballistic missiles at American forces since Saddam Hussein in the two Gulf Wars, lofting on a ballistic trajectory tons of high explosive that fell into the center of a military base in Iraq famous for its American contingent. This was a demonstration of Iran’s stand-off capabilities. It could have been much worse than a demonstration, but it is still an undesired outcome — and requires thinking about how to convince Iran, politically, not to fire them again. Iran will not give up these assets, and has instead indicated that it will use them to coerce the United States and its regional allies if threatened. [...] After Trump’s remarks, there was widespread relief that America wasn’t going to war. But that’s only because the bar is so low it is a quarter of an inch off the floor. There is no reason to celebrate. The United States is back to its default ineffectual setting: sanctions and threats. Washington cannot articulate how it will get Iran to negotiate and, when pressed, officials bluster and threaten without offering a roadmap for diplomacy. This is because to truly engage with Iran, the United States would have to acknowledge that the regime — the Islamic Republic — will receive a positive benefit for cooperation and will need to be trusted to follow through on an agreement it reached with the international community. (Aaron Stein, War on the Rocks)
Passend zu Fundstück 7 haben wir hier eine Sicht auf die Logik hinter der amerikanischen Iran-Politik (bzw. dem, was aktuell als solche durchzugehen versucht). Es sind klassische Abschreckungsmechanismen, die von beiden Seiten gefahren werden. Trump hat, etwa in Syrien, deutlich klar gemacht, dass er zu allem bereit ist, solange es nichts kostet (außer Geld). Der Mann würde sofort wie angedroht Kulturstätten in Schutt und Asche legen, als ob er ein römischer Feldherr wäre, und damit Kriegsverbrechen begehen. Man sehe sich nur dieses sinnlose Abfeuern von zig Marschflugkörpern auf einen leeren syrischen Flughafen an. Er liebt Gesten dieser Art, die seiner Macho-Seele streicheln. Also sorgt der Iran dafür, dass es etwas kostet. Die Logik ist simpel. Der Iran hat deutlich gemacht, dass er bereit ist, bei Angriffen der USA mit Attacken auf deren Installationen zurückzuschlagen. Der Iran hat nicht die Möglichkeit, das amerikanische Staatsterritorium selbst zu treffen, aber das muss er auch nicht. Seit dem Kalten Krieg sind die USA extrem empfindlich gegenüber Angriffen auf ihre Basen, und der Raketenschlag - auch wenn er keine US-Opfer forderte - machte deutlich, dass ein Preis zu bezahlen ist. Und den ist Trump offensichtlich nicht gewillt auf sich zu nehmen. Zuletzt halte ich das Gerede von einem neuen, besseren Abkommen für Fantasie. Trump hat keinerlei Glaubwürdigkeit. Keine Abmachung, kein Vertrag mit diesem Mann oder seiner Regierung besitzt irgendwelchen Wert, das hat er deutlich genug bewiesen. Schlimmer, er hat damit die Glaubwürdigkeit des US-Staates selbst in Frage gestellt. Jegliches Abkommen bindet offensichtlich den nächsten Präsidenten nicht, und weil der Senat ja nichts ratifiziert, reicht jedes Abkommen auch maximal bis zum Ende der Amtszeit des aktuellen Amtsinhabers, und im Falle Trumps vielleicht bis zum nächsten Klogang. Welches belastbare Abkommen sollte da raus kommen?
9) The war on the war on cancer
Virtually no sector of the EPA’s work has escaped reversals that will cause disease and death among the U.S. population. The agency scrapped the Clean Power Plan and a rule to improve fuel efficiency standards for cars, depriving the public of not just the climate benefits but also the improvements to air quality and health both would have brought. The EPA rejected its own science in deciding not to ban chlorpyrifos, a pesticide linked to autism and other neurodevelopmental problems in children. Dozens of other EPA rollbacks — including the gutting of the Clean Water Act, the undermining of guidelines on emissions of methane from landfills, the loosening of restrictions on toxic air pollution from industrial facilities, the disbanding of a panel on air pollution — will have dire health consequences, as will the dramatic reduction in the enforcement of environmental laws. The erosion of these protections may leave Americans at greater risk of all kinds of health effects, including fertility issues, birth defects, and neurodevelopmental problems — all of which have been linked to chemical exposure. But among the most devastating of Trump’s legacies will be an increase in cancers. With the election of Donald Trump, a small and previously marginalized group of toxics apologists suddenly and unexpectedly took control over health and environmental regulations in the United States. Considered too fringe, too craven, and too fact-averse for mainstream politics, this closely connected group had long been dismissed for taking the idea of environmental deregulation well past the point of absurdity. Under Trump, the EPA has begun executing some of these extremists’ schemes to undercut the federal government’s ability to protect the public from life-threatening toxic chemicals. (Sharon Lerner, The Intercept)
Elections have consequences. Wenn man eine Rotte Leute wählt, die nicht nur für die Interessen der Superreichen eintreten sondern auch bereit sind, dafür über Leichen zu gehen, dann kriegt man eine Politik, die buchstäblich tödliche Konsequenzen hat. Für die Trumpianer ist, wie man immer wieder deutlich machen muss, cruelty the point: Da sind teilweise Menschen zugange, die solche Sachen nicht machen, obwohl andere zu schaden kommen, sondern weil. Es sind fanatische Extremisten. Und das war von Anfang an klar.

 10) Im deutschen Paralleluniversum
Sicherlich sind Talkshows keine außen- und sicherheitspolitischen Strategieseminare, um nüchtern über die politischen Optionen einer Mittelmacht zu diskutieren. Aber bisweilen geben sie einen Einblick in die Unfähigkeit, solche Optionen überhaupt noch zu denken. Insofern muss diese Sendung über „Trump und die Mullahs: Hat die Vernunft noch eine Chance?“ als gelungen betrachtet werden. Was hierzulande unter Vernunft verstanden wird, scheint sich in eine Art Paralleluniversum abzuspielen. Oder glaubt jemand ernsthaft an die Möglichkeit, einen der einflussreichsten Repräsentanten des iranisch-islamistischen Expansionismus namens Qassem Soleimani festnehmen zu können, um ihn vor Gericht zu stellen? Diesen Vorschlag machte Jürgen Trittin. Natürlich glaubt der immer noch einflussreichste Außenpolitiker der Grünen selber nicht an die Bereitschaft Irans, einen ihrer Generäle auszuliefern. Aber dahinter steckt ein Verständnis von Außenpolitik, das Vernunft als die Formulierung wolkiger Phrasen definiert. In einem lichten Moment fand der Politikwissenschaftler Christian Hacke später eine passende Antwort zu solchen Ideen. Wir lebten in einem „Zeitalter brutaler Großmachtdiplomatie, gestützt auf militärische Macht.“ Bei uns gilt mittlerweile selbst diese schlichte Beschreibung von Fakten als Verstoß gegen die guten Sitten. So führte Norbert Röttgen wahre Eiertänze auf, um die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimation dieses amerikanischen Angriffes nicht beantworten zu müssen. Der CDU-Außenpolitiker plädierte als Repräsentant der Bundesregierung für eine differenzierte Sichtweise. Die lässt sich vielleicht so zusammenfassen: Diese Tötung ist zwar irgendwie abzulehnen, wobei die Begründung für dieses Vorgehen trotzdem plausibel erscheint. (Frank Lübberding, FAZ)
Noch als Ergänzung für Fundstücke 7 und 8 hier die deutsche Perspektive. Es ist einfach nur lächerlich, wie hierzulande in der Debatte als sinnvolle Außenpolitik verstanden zu werden scheint, einfach reflexhaft alle Seiten zur Mäßigung aufzurufen und die Bedeutung diplomatischer Lösungen zu betonen, als ob der Zauberstab der Verhandlungen diese einfach bereitstellen würde. Und man kann ja sagen, dass man nicht involviert sein will. Das ist angesichts des Dauerdebakels der dilettantischen US-Außenpolitik vielleicht nicht die schlechteste Lösung. Oder man kann sich aktiv auf die Hinterbeine stellen und Diplomatie tatsächlich durchsetzen, indem man eine Vermittlerrolle einnimmt und die jeweiligen Beschlüsse und so weiter auch durchzusetzen bereit ist. Mit dem Minsker Abkommen oder Obamas Atomdeal war Deutschland im Gerüst der EU ja solche Verpflichtungen eingegangen. Aber allzu oft sieht man gerade eine Ersatzhandlung, die im Endeffekt nichts als heiße Luft ist.

 11) Die türkise Provokationsstrategie
Schon während der Verhandlungen drangen angeblich bizarre Forderungen der Grünen nach außen. Sie würden wegen des Insektenschutzes das Flutlicht in Stadien abdrehen wollen. Anschließend gab Kurz den Retter des heimischen Fußballs. Mit betonter Lässigkeit lächeln Kogler und Co all diese "Fouls" weg und halten im Sinne der Koalition die zweite Wange hin. Dabei übersehen die Grünen, dass das keineswegs Ausrutscher und Unachtsamkeiten sind, sondern dass es einer Strategie folgt. Mit immer wiederkehrenden kleinen und großen Nadelstichen wird so ein Koalitionspartner vorgeführt, gefügig gemacht und schlussendlich zermürbt. Das klingt dramatisch, deckt sich aber mit dem Vorgehen gegen die eigenen Leute in der ÖVP (wie es Reinhold Mitterlehner so treffend in seinem Buch beschrieben hat), gegen die SPÖ und auch gegen die FPÖ (wenngleich hier zu Beginn weitaus milder). Es ist bemerkenswert, mit welcher Vehemenz dies noch vor der Angelobung gegen die Grünen passiert ist. Diese Nadelstiche sind auch ein Austesten, wie weit man gehen kann. Die Grünen wissen, dass sie eine Fassade des Wohlwollens zu erhalten haben und dementsprechend keinen lauten Widerspruch gegen den eigenen Regierungschef kundtun können. Das weiß eben auch die ÖVP. Das Perfide ist, dass die Grünen damit in eine Lose-lose-Situation gelangen. Wehren sie sich, riskieren sie wegen einer vermeintlichen Banalität den Koalitionszwist. Lassen sie es über sich ergehen, wirken sie schwach und lassen sich von der ÖVP treiben. Die ÖVP macht das aber nicht zum launigen Zeitvertreib, sondern weil es ihr dabei hilft, die eigene Agenda zu befördern. Die neue ÖVP unter Kurz hat einen Plan und will diesen kompromisslos umsetzen. Am Ende steht der autoritäre Umbau der Gesellschaft zuungunsten der schwächsten Gruppen. Während die Grünen versuchen, in dieser Regierung auf einer Sachebene zu arbeiten, arbeitet die ÖVP vor allem auf der Machtebene. Es geht nicht um Ausgleich, Kompromiss und Konsens, sondern um die Durchsetzung der eigenen Interessen und die Interessen derer, denen man verpflichtet ist. (Natascha Strobl, Standart.at)
Diese Provokationsstrategie ist eine aggressivere Variante von Merkels Strategie der Pulverisierung ihrer Koalitionspartner. Merkel arbeitete hauptsächlich damit, einerseits alle Themen zu neutralisieren und kooptieren - indem sie sie sich entweder zu eigen machte (man denke an die "Klimakanzlerin" vor 10 Jahren) oder indem sie sie en bloc zu Beginn der Legislatur abarbeitete, so dass sich zum Wahltermin niemand mehr daran erinnert (das passiert der SPD dauernd). Kurz' Spiel ist natürlich nicht die feine Art, aber der Mann ist nicht ohne Grund Kanzler geworden. Schröder hat das seinerzeit in der rot-grünen Koalition auch gut beherrscht. Wir erinnern uns heute ja noch mit großer Freude an das Dosenpfand zurück. Ich kann dabei auch wenig Verwerfliches entdecken. Wenn Kurz ein besserer Politiker als seine Koalitionspartner oder Gegner ist, verdient er den Sieg. Progressives need to step up their game, wie der Angelsachse sagen würde.

Montag, 13. Januar 2020

Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf verlagert sich mit Luftfiltern nach Barcelona - Vermischtes 13.01.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Do Democrats Need a Progressive to Excite the Base?
Proponents who think a progressive excite the base more often mistake the visible enthusiasm of a candidates’ supporters for widespread appeal. It’s easy see photos of Sanders or Warren events, or their passionate social media followings, and assume they represent the party’s  best chance of winning in 2020. But crowd sizes and Facebook posts can be misleading. The kind of voters who are more likely to be drawn to Sanders and Warren—younger and seeking revolutionary change—are the kind of people more likely to attend a rally or be prolific on social media. Just because a candidate has large rallies, or a rabid social media following, doesn’t mean he or she has the largest base of support. In a way, Bernie Sanders is a like semi-popular band whose loyal followers wrongly assume their own level of enthusiasm is shared by others. In fact, the numbers show that no matter how vocal progressives may be, the majority of Democratic voters as a whole are simply not that progressive. According to the Pew Research Center, self-identified liberals make up 46 percent of the party while self-identified moderate or conservative Democrats represent 53 percent. Democratic voters are largely united in shared priorities and big picture goals, but they are divided on the kind of policy proposals that distinguish candidates like Sanders and Warren from more moderate Democrats like Joe Biden and Amy Klobuchar. According to Gallup polling, 78 percent of Democrats or Democrat-leaning voters believe the federal government’s should ensure that all Americans have health insurance. But further polling reveals that only 44 percent support a single government program. In the current Democratic primary, both Sanders and Warren (who support Medicare for All) are trailing Joe Biden (who doesn’t) even though they each have twice as many individual donors. If Reich and Moore’s theory was right, Sanders and Warren would be crushing Biden today. (Nancy LeThourneau, Washington Monthly)
Wir hatten die Diskussion bereits im letzten Vermischten. Ich bin nicht sicher, ob es nicht die falsche Frage ist, und ob die richtige wäre: was für eine Wahl haben wir? Die Wählerbasis beider Parteien ist asymmetrisch. Während die Democrats eine breit aufgestellte Koalition haben, die verschiedene Schichten, Rassen, Geschlechter, Staaten und noch mehr in sich vereint, ist die GOP wesentlich homogener. Der Vorteil der breiten Koalition ist, dass, wenn sie mobilisiert wird, der Gewinn garantiert ist. Das hat man 2018 eindrücklich gesehen. Der Vorteil einer schmalen Koalition ist, dass sie sich leichter mobilisieren lässt und dann mit knappen Werten siegen kann. Das hat man 2016 eindrücklich gesehen. Die Frage ist daher, ob wir 2020 eine Wiederholung von 2016 oder von 2018 haben werden. Das ist aktuell nicht abzusehen. Letztlich schließen alle Kandidaten eine Wette darauf ab, wer Recht behalten wird. Bernie Sanders etwa setzt eher darauf, dass eine kleinere, aber enthusiastische Koalition den Sieg davontragen wird, während Joe Biden daran glaubt, dass eine breite Bewegung Trump hinwegspülen wird. Die Republicans haben ihre Entscheidung getroffen, so viel steht fest. Für die Democrats wird das noch eine unangenehme Diskussion bleiben.

 2) Joe Biden's free ride is over
However, it appears Biden's free ride is finally coming to an end. With actual primaries coming up soon and no sign his lead is disappearing, his top rivals Bernie Sanders and Elizabeth Warren have begun attacking his record — Sanders explicitly, and Warren with the release of a bankruptcy reform plan that would overturn one of the blackest marks on Biden's Senate career. It's high time Biden's record got close scrutiny. [...] It bears repeating that Biden is just a wretchedly unsuitable candidate for 2020. His atrocious record in Congress aside (don't forget teaming up with southern Dixiecrats to stop school integration!), he has long been on the right wing of a party that is quickly moving left, and much of his family has eagerly cashed in on his political connections. Hunter Biden gets all the attention with his ludicrous $50,000 a month job sitting on the board of a Ukrainian oil company, but Joe's brother James also reportedly traded openly on the family name while running an investment fund. While there is no evidence whatsoever Biden did anything concrete to help his family in their business endeavors, all this is still extremely sleazy. He's not exactly the guy you want running against Mr. "Drain the Swamp." (Ryan Cooper, The Week)
Hier gleich mal eine Gegenmeinung zu Fundstück 1, ich fürchte aber, das ist zu sehr aus der Medienblase heraus gedacht. Diese ganzen Details, über die sich die Hauptstadtpresse Tag um Tag das Maul zerreißt und die jedes Mal als gewaltige Entwicklungen im Primary-Wahlkampf gelten, kommen bei 90% der Wähler doch überhaupt nicht an. Hier hängt alles davon ab, welches framing die Identitätspolitik bestimmen wird, sobald es tatsächlich an die Wahlen geht, welche Story der Kandidaten also den Wahlkampf bestimmt. Ich stimme allerdings völlig zu, dass Bidens Vergangenheit ihm wie ein Mühlstein um den Hals hängen wird. Seine Vergehen sind deutlich schlimmer als Hillarys verdammte Mails, und es gibt keinen Grund zu glauben, dass die bescheuerten Leitmedien sich wieder mit dem gleichen Bothsiderismus auf Biden stürzen werden, mit dem sie Clinton zerrissen haben.

 3) Conservatism Is White Identity Politics
It’s an article of faith on the right that the Democrats are hopelessly wedded to identity politics and that conservatives don’t care what color anybody is because they’re all about principles. This is Goldberg’s starting point, but what concerns him is that too many conservatives are beginning to act in a tribal manner with respect to Donald Trump. He’s careful to say that he expects officeholders to be partisan and dishonest, but he’d like to hold everyone else to a higher standard. The most obvious problem here is that the Republican Party has long been a party that identifies with America’s majority race and majority religion. This is the reason that the Republican base spends their evenings flipping between Fox News and reruns of The Andy Griffith Show. They want a return to a world where other races and religions are invisible.  So, Trump’s white nationalism is less an innovation than the same old thing with a few examination points thrown in for flair. Likewise, the tribalism on display with Trump is not really all about him. It’s more about the joy that comes with gaining the freedom to be openly tribal as a white person. Trumpism is identity politics for whites, and the undisguised racism is what makes it so appealing and pleasurable to folks who are tired of walking on eggshells. [...] Goldberg complains that his conservative colleagues sound like idiots when they say, “Shut up … Trump is a hero for wanting to get out of endless wars, and he’s a hero for being willing to get us into another one.” He’s right, they do sound incoherent. But ideology is not what binds people to Trump, or conservatives to each other. Goldberg thinks things have changed under Trump’s leadership, but they’ve really just become clearer and more explicit. The GOP is a party for white people—and who want an America for white people. This isn’t new at all, but this is the first time these “deplorables” have been offered the unvarnished version. They don’t care if the Republicans remain the party of Wall Street and globalization and ownership just so long as it continues to pursue white nationalism in its messaging and its immigration policies. But he’s basically saying that No True Conservative would eschew all their values and their respect for the truth in pursuit of racist ideals. The problem is: That’s a fallacy and has been a fallacy with respect to the Conservative Movement from the very beginning. (Martin Longman, Washington Monthly) 
Noch eine gute Ergänzung zu meinem Artikel. Die Vorstellung, dass Identitäspolitik eine linke Angelegenheit wäre, ist unglaublich albern. Glücklicherweise hat sie sich seit 2016 weitgehend verflüchtigt; inzwischen ist der neue konservative talking point, dass die bösen Linken das erfunden hätten. Aber es ist wichtig zu sehen, dass bereits der Erfolg der GOP 2016 auf Identitätspolitik beruhte. Ich sage das auch nicht verurteilend; mein Punkt ist ja gerade, dass jeder jederzeit Identitätspolitik betreibt. Wenn man das nicht grundlegend erkennt, wird man nie richtig die Ursachen analysieren können, und eine solche Analyse läuft dann in die Irre. Ich habe so viele Kolumnen darüber gelesen, dass Trump ein Fremdkörper sei, der nichts mit dem eigentlichen Herz des amerikanischem Konservatismus zu tun hat, gerne garniert mit der erwähnten Feststellung, das sei ja nur eine Abwehr gegen die bösen linken identity politics. Aber wie Longman hier aufzeigt ist das ein Trugschluss (wer die Begriffe wie True Scotsman etc. nicht mehr kennt, schaue noch mal hier nach). Wer sich darüber in die Tasche lügt, dass Trump sehr wohl ein Produkt sui generis der GOP ist, wird nie die Ursachen für seinen Aufstieg und Erfolg nachvollziehen können.

 4) Tweet
Wo wir gerade bei Ursachen sind, auch in Großbritannien sollte man nicht auf die Idee kommen, dass das rechtsdemokratische Spektrum dort (anders als in Deutschland) noch alle Tassen im Schrank hat. Diese Zeitung gilt als einer der größten und angesehensten des Landes, und wenngleich der britischen politischen Tradition entsprechend die Zeitungen schon immer deutlich Stellung im Parteienkonflikt bezogen haben, so ist es doch bemerkenswert, dass man die Normen bereits so weit erodiert glaubt, dass eine solche Überschrift in Ordnung ist. Ich habe keine größere Erkenntnis als das, aber es entsetzt schon, dass die britische "bürgerliche Presse" inzwischen auf ein Niveau abgesunken ist, wo man in der BILD-Redaktionskonferenz ein schlechtes Gewissen hätte.

 5) Bedrohung von Lokalpolitikern wird zum Flächenproblem
Das Ausmaß zeigte eine Umfrage für „Report München“ aus dem vergangenen Jahr, an der sich mehr als 1000 Bürgermeister beteiligten. Demnach hatten mehr als 40 Prozent der kommunalen Verwaltungen Erfahrungen mit Hassmails, Einschüchterungsversuchen oder anderen Übergriffen gemacht. In acht Prozent der Gemeinde- oder Stadtverwaltungen kam es zu körperlichen Attacken. „Sollte die Bedrohungslage so bleiben, könnte das langfristig dazu führen, dass sich immer weniger Menschen als Kommunalpolitiker engagieren wollen“, sagt Elxnat. Laut Elxnat ist neben rechtem Hass auch Unverständnis gegenüber politischen Entscheidungen Auslöser für die Attacken. „Es gibt Bürgermeister, die angegriffen werden, weil sie sich für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen.“ In einem anderen aktuellen Fall trat Arnd Focke, der Bürgermeister im niedersächsischen Estorf, zurück. Hakenkreuze auf dem Auto, Drohungen und nächtlicher Telefonterror waren zu viel. Focke wollte sein Umfeld schützen. Einer der Auslöser für den Hass gegen ihn war offenbar eine Ratsentscheidung über die Erhöhung der Grundsteuer. [...] Auch wenn es mittlerweile Schwerpunktstaatsanwaltschaften gibt, die sich um das Problem kümmern, und zum Teil spezielle Ansprechpartner bei der Polizei: Viele Mandatsträger haben nicht das Gefühl, dass sie ausreichend Unterstützung bekommen. [...] Doch selbst wenn es nicht zu körperlicher Gewalt kommt, ist die psychische Belastung für die Bedrohten enorm. Letzten November beantragte Martina Angermann, Bürgermeisterin im sächsischen Arnsdorf, die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand – zuvor war sie monatelang bedroht und attackiert worden. (Maria Fiedler/Frank Janßen, Tagesspiegel)
Diese Welle von Gewalt und Einschüchterung gegen gewählte Politiker kommt (derzeit) ausschließlich von rechts. Und sie schlägt locker alles, was irgendwie sonst an Bedrohungen durch Extremismus abgeht. In dem Moment, in dem gewählte Repräsentanten durch Gewalt und Einschüchterung aus dem Amt gedrängt werden, hören Rechtsstaat und Demokratie zu existieren auf. Und in der Zwischenzeit wird auch noch bekannt, dass in der Silvesternacht ein 72jähriger CDU-Politiker, der der so genannten Werteunion nahesteht und Kontakte zu Maaßen und der AfD hat, auf einen 20jährigen Migranten geschossen hat. In der Stadt Salzgitter haben Rechte die Adresse des CDU-Oberbürgermeisters veröffentlicht, der sich gegen die AfD positionierte; die Junge Freiheit und PI News haben das dann ebenfalls gemacht. Da zerbricht gerade etwas. Der nächste politische Mord an einem Kommunalpolitiker durch Rechtsterroristen ist nur noch eine Frage der Zeit.

 6) Barcelona schmeißt die Autos aus der Stadt, um die Stadt vor dem Kollaps zu retten
Denn Barcelona kämpft wie viele andere Großstädte mit den Auswirkungen urbanen Lebens: Die Luftqualität ist schlecht, laut einer Studie sterben jährlich 3500 Menschen durch verschmutzte Luft. Die Vorgaben der EU zur Luftreinheit hat Barcelona nie erreicht - allein 1200 Todesfälle könnten durch die Einhaltung der vorgeschriebenen Werte für Stickstoffdioxid verhindert werden, so eine weitere Studie. Dazu kommt der Lärm des Verkehrs. Rund 61 Prozent der Einwohner von Barcelona lebt mit einem höheren Lärmpegel als den gesetzlich als gesund geltenden. Ein weiteres Problem: Eine Vielzahl an Verletzten und Toten im Straßenverkehr. Mehr als 9000 Unfälle passieren dort jährlich. Die wenigen Grünflächen ermuntern darüber hinaus wenig zur Bewegung in der stickigen Stadt. In der City gibt es nur 2,7 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner. Zum Vergleich: In London sind es 27 Quadratmeter, in Amsterdam mehr als 87. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt neun Quadratmeter pro Kopf an Grünflächen. Auch das ist ein Grund, warum es in Barcelona meist drei Grad wärmer ist als im Umland, manchmal sind es sogar neun Grad. Ohne Grün heizt die Stadt sich merklich auf. Und der Mangel an Bewegungsfläche zeigt eine weitere unerfreuliche Wirkung: Inzwischen ist jedes fünfte Kind in Barcelona übergewichtig. [...] "Autos nehmen 60 Prozent des öffentlichen Raums in der Stadt ein", sagte Barcelonas stellvertretende Bürgermeisterin für Städtebau Janet Sanzzur "BBC". "Sobald Sie diesen Raum neu verteilen und die Situation neu ausbalancieren, unterstützen wir Gruppen, die bis dahin keinen Zugang zu diesem Raum hatten."  [...] Barcelona verdrängt bei dem Block-Modell nicht nur einfach Autos aus den Nebenstraßen - das Prinzip ist ganzheitlich. So wurden die Strecken der Fahrradwege von 100 Kilometer auf 200 Kilometer verdoppelt. Jeder Bewohner eines Superblocks soll nicht weiter als 250 Meter zu einer Busstation gehen müssen. Und die Busse selbst sollen in einem Sechs-Minuten-Takt fahren. Außerdem gibt es ein Fahrkartenangebot: Für 40 Euro im Monat können Stadtbewohner in der gesamten Metropolregion den Nahverkehr nutzen.  [...] Klar ist: Barcelona will weniger Individualverkehr und mehr Öffentlichen Nahverkehr, mehr Fahrradfahrer, mehr Fußgänger. Das ist radikal und könnte sich doch zu einem Exportschlager entwickeln. Denn den Wunsch einer autofreien Innenstadt haben auch andere Verwaltungen - und scheuen sich doch vor dem Unmut der Autofahrer. (Katharina Grimm, Stern)
Ich bin sehr, sehr froh über solche Projekte, denn sie zeigen, dass es auch anders geht. Es gibt keinen Grund, die Innenstädte dermaßen mit Verkehr zu verstopfen, wie das hier in Deutschland gang und gäbe ist. Und wenn nicht so viele Autos durch die Stadt gurken (und, conditia sine qua non, Mobilitätsalternativen vorhanden sind!), braucht man auch nicht so bescheuert viele Parkplatzflächen, die dann für Menschen statt für Autos genutzt werden können.
Ich war im September selbst in Barcelona. Ich hatte leider nicht die Gelegenheit, einen der Superblocks zu besichtigen (obgleich ich es mir vorgenommen hatte, gute Vorsätze und so). Was ich in jedem Fall bestätigen kann ist der wahnsinnige Lärm, der in der Stadt herrscht. Es ist infernalisch, zumindest für mitteleuropäische Verhältnisse. Und dabei ist die Stadt im Vergleich zu deutschen Metropolen bereits vorbildlich, was die Ausstattung mit Mobilitätsalternativen angeht. Überall gibt es eScooter (ganz ohne die in Deutschland für deren Einführung prognostizierte Apokalpyse) und gefühlt alle 200 Meter eine Batterie von Mietfahrrädern. Eine Jahreskarte für die Dinger kostet 50 Euro. Und überall fahren Leute mit ihnen rum. Das wäre problemlos auch hierzulande möglich.
An emergency situation that turned out to be mostly a false alarm led a lot of schools in Los Angeles to install air filters, and something strange happened: Test scores went up. By a lot. And the gains were sustained in the subsequent year rather than fading away. [...] He finds that math scores went up by 0.20 standard deviations and English scores by 0.18 standard deviations, and the results hold up even when you control for “detailed student demographics, including residential ZIP Code fixed effects that help control for a student’s exposure to pollution at home.” For context, this is comparable in scale to some of the most optimistic studies on the potential benefits of smaller class sizes, with Alan Krueger finding that cutting class size by a third leads to a 0.22 standard deviation improvement in academic performance. Other studies find smaller or even negative effects (because adding teachers means bringing in less experienced or less effective ones), but even accepting the positive findings, it costs much more than $700 per classroom to achieve class size reductions of that scale. [...] The impact of the air filters is strikingly large given what a simple change we’re talking about. The school district didn’t reengineer the school buildings or make dramatic education reforms; they just installed $700 commercially available filters that you could plug into any room in the country. But it’s consistent with a growing literature on the cognitive impact of air pollution, which finds that everyone from chess players to baseball umpires to workers in a pear-packing factory suffer deteriorations in performance when the air is more polluted. [...] The benefits, on their face, would be extremely large at a relatively low cost. And since air pollution is generally worse in lower-income communities, you would not only raise test scores nationally, but make progress on the big socioeconomic gaps in student achievement that have proven very difficult to remedy. (Matthew Yglesias, vox.com)
Ich finde es ungeheuer faszinierend, welche Effekte solche Kleinigkeiten haben können. Ich will auch gar nicht weiter über die Effekte von Luftfiltern sprechen, sondern einen generellen Punkt aufmachen. Die Ausstattung sowohl von Bildungseinrichtungen auf der einen als auch, häufig genug, von Arbeitsplätzen auf der anderen Seite hinkt ebenfalls deutlich hinter dem was wir wissen hinterher, mit massiven negativen Folgen. Man denke beispielsweise an Ergonomie. Obwohl deutlich gesünder, erhalten Arbeitnehmer höhenverstellbare Schreibtische erst, wenn sie Rückenschäden nachweisen können - dabei könnten die gerade solche Schäden verhindern. Und was den Schülern an Stühlen und Tischen und ungesundem Dauersitzen in der Schule angetan wird, spottet ohnehin jeder Beschreibung (von den Unis ganz zu schweigen). Auch psychologisch gesehen hinkt alles Jahrzehnte hinterher. Längst wissen wir, dass die klassischen Formen von Großraumbüros und Klassenzimmern Gift für Produktivität und Kreativität sind, aber immer noch finden Arbeit und Schule praktisch ausschließlich in diesen Formen statt. Hier fehlt völlig jeder Wille, gigantische Produktivitäts- und Gesundheitsgewinne auszuschöpfen, gerade auch von den ach so auf solche Effekte geeichten privatwirtschaftlichen Führungskräften.

8) Der Phantomkandidat
Maaßen hingegen ist hier unter Gleichgesinnten. Seit seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand reist er durch die Republik, agitiert gegen die große Koalition, gegen deren Migrationspolitik und vor allem gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dabei grenzt er sich zwar von der AfD ab, sucht aber gleichzeitig ihre inhaltliche Nähe. Sein Vehikel ist die "Werteunion", ein Verein, dem nach eigenen Angaben 3600 Mitglieder von CDU und CSU angehören. [...] In Niederorschel fordert Maaßen seine Partei auf, einen Kandidaten aufzustellen und nicht zum "Steigbügelhalter der Sozialisten" zu werden. Alles andere, ruft er, sei "ein Verrat" an den Opfern der SED und den Werten der Union. [...] Die AfD in Erfurt findet übrigens die Idee eines Kandidaten Maaßen gut. "Ich kann mir gut vorstellen, dass meine Fraktion ihn wählen würde", sagt Höckes Co-Landeschef Stefan Möller dem SPIEGEL. "Maaßen ist uns mehrfach lieber als Ramelow." (Martin Debes, SpiegelOnline)
Es ist immer wieder überraschend, was für ein winziger Laden die Werteunion eigentlich ist. 3600 Mitglieder sind ein Scherz, vor allem verglichen mit der Medienaufmerksamkeit, die sie erhalten. Man sollte das natürlich nicht nur als Medienschelte begreifen (wobei ich die Aufmerksamkeit auf diese Splittergruppe für völlig übertrieben halte); die Leute sind auch sehr gut darin, sich in den Schlagzeilen zu halten. Interessant an der Geschichte ist auch die Rolle von Maaßen. Er versucht, sich als Mittler zwischen den beiden rechten Blöcken der Zukunft zu etablieren, quasi als zu rechts für die CDU und zu links als die AfD, ein idealer Brückenbauer - ob als Kandidat oder als Strippenzieher im Hintergrund. Vom Temperament her scheint er mir eher als ein neuer Hugenberg oder Papen als ein Schleicher, aber ich mag mich täuschen. Maaßen fährt effektiv dieselbe Strategie wie Sarrazin, aber er hat anders als dieser Egomane eine kleine Parteistruktur als Multiplikator hinter sich und eine wesentlich ambitioniertere Agenda als nur "kauft mein Buch".

Von Gaucks wiederholtem Drängen angeregt, brachte der langjährige Thüringer CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus eine "Projektregierung" mit den Linken ins Spiel – und zwar im Einvernehmen mit Landeschef Mohring, einst politischer Ziehsohn Althaus'. [...] Tatsächlich wäre eine Projektregierung für die Linken ebenfalls ein Risiko, sie würde sich in Abhängigkeit der CDU begeben, müsste sich den Vorwurf der Beliebigkeit gefallen lassen. Andererseits sehnen sich gerade die Pragmatiker bei den Linken nach politischer Anerkennung und Akzeptanz. Und was würde da mehr helfen als eine Zusammenarbeit mit der wohl staatstragendsten Partei der Republik und die Unterstützung eines ehemaligen Bundespräsidenten? [...] Initiator Althaus sieht das anders. Er hält vielmehr die Position der Bundespartei für überholt. "Der in diesem Zusammenhang diskutierte Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU Deutschlands aus dem Dezember 2018 macht insbesondere vor dem Hintergrund der jüngeren Entwicklungen in Ostdeutschland und des Willens zahlreicher Bürger in der jetzigen Form keinen Sinn", sagte er dem SPIEGEL. Die Thüringer CDU suche einen Weg, "eine geeignete Form der politischen Mitverantwortung zu finden". Der amtierende Linken-Ministerpräsident Ramelow sei "im Land zum Beispiel bei vielen Unternehmern hochgeschätzt und genießt auch in Deutschland breites Ansehen", sagt Althaus. "Und auch die Linkspartei in Thüringen ist 30 Jahre nach der friedlichen Revolution nicht mehr die SED, und sie steht als Gesamtpartei im Grundsatz auf dem Boden des Grundgesetzes. Genau da existieren hinsichtlich der AfD die Zweifel." (Florian Gathmann/Kevin Hagen/Lydia Rosenfelder, SpiegelOnline)
Ich halte diese Entwicklung für längst überfällig. Besser spät als nie, natürlich, aber der richtige Zeitpunkt dafür wäre gewesen, als Gauck zum ersten Mal für die Bundespräsidentschaft kandidierte, denn was er hier sagt, war damals ebenfalls schon wahr. Es war halt Bartsch statt Ramelow. Es ist allerdings gut zu sehen, dass diese Diskussion gerade in Gang kommt und dass im Umfeld der CDU so viele vernünftige Stimmen zu hören sind. Es ist auch vermutlich eine Blaupause für den Umgang mit AfD in mittelfristiger Zukunft. Auf längere Sicht werden Bündnisse zwischen CDU und AfD unvermeidbar sein, genauso wie Bündnisse zwischen SPD und LINKEn (oder PDS) unvermeidbar waren. Die Hoffnung ist, dass die CDU firm bleibt, bis ein AfD-Landesverband existiert, mit dem eine solche Kooperation demokratiekompatibel möglich ist. Das ist aktuell schlicht nicht der Fall. In fünf Jahren mag die Lage natürlich anders aussehen.

In the near future, then, Democrats will likely need to offset any Republican gains in the Rust Belt by winning more elections in Sun Belt states, which are adding more of the diverse, white-collar, and urbanized voters at the core of the modern Democratic coalition. Through the coming decade and beyond, the crucial variable that could tilt the national balance of power between the parties may be whether Democrats can leverage those demographic advantages in the Sun Belt to break the hold Republicans have enjoyed on most of the region since at least the 1970s. [...] The challenge facing Democrats is that while the demographic trends are more favorable for them in the Sun Belt, the political attitudes among the white population specifically are not. This could expose the party to the same risk in 2020 that I wrote about on Election Day 2016: that the Democrats’ old coalition in the Rust Belt will crumble faster than its new coalition coalesces in the Sun Belt. If that happens, it could leave Democrats just short in enough key states in both regions to allow Trump to win reelection, even if he loses the total popular vote by a greater margin than he did last time. [...] But the steady decline of the Midwest now has consequences for both parties because those states are so integral to Trump’s political strategy. From immigration and trade to race relations and gun control, Trump has focused his agenda on maximizing the GOP’s support among older, blue-collar, nonurban, and Christian white voters, groups that remain powerful, even preponderant, across the Midwest, even as they’re shrinking as a share of the national population. That emphasis helped him flip a total of five Rust Belt states that voted for Barack Obama in 2012, including the three he dislodged from the Democrats’ “blue wall”: Pennsylvania, Michigan, and Wisconsin. But if Brace’s projections are right, in this century those five states will shed a combined 13 Electoral College votes. Put another way: Trump is steering the GOP toward greater reliance on the Rust Belt precisely as the region’s overall electoral clout is receding. That’s a geographic parallel to the demographic trade Trump has imposed on his party by trying to squeeze bigger margins out of voter groups that are dwindling. (Ronald Brownstein, The Atlantic) 
Wie ich bereits im letzten Vermischten angedeutet habe, wird diese "near future" den Democrats seit 2004 prophezeit, weswegen ich da inzwischen ziemlich skeptisch bin. Denn 16 Jahre sind nicht mehr "near". Aber die Entwicklungslinien der letzten Wahlen weisen deutlich auf diese Verschiebung hin; die Frage scheint daher tatsächlich eher zu sein, wann die Umbrüche kommen und wie groß sie sein werden. Wenn - und das ist ein großes wenn - es so kommt, wäre es tatsächlich desaströs für die GOP - und eine gute Nachricht.

 11) The biggest delusion of the Trump era
This continuity has been growing increasingly obvious for quite a while, with more people realizing it all the time. But it's been easy to miss because of the continued prominence of Never Trump Republicans — many of them veterans of the Bush 43 administration — in the media. How could the Trump administration be broadly continuous with the Bush administration when senior members of that administration oppose Trump so loudly and vociferously? The answer, I think, is that these anti-Trump obsessives are intellectuals and moralists who work with words and ideas for a living. They loved when Bush did very similar things because he wrapped them in noble rhetoric about American ideals of liberty. [...] The political analysts who have noticed and highlighted these continuities from the beginning of the Trump administration can mostly be found on the democratic-socialist left. Leading figures of the center left, including Hillary Clinton, Joe Biden, and Michael Bloomberg, share many assumptions with Republicans about political rhetoric, and they have each had reasons to want to play up the discontinuities between Trump and his GOP predecessors. But those on the harder left are stirred by different notions of justice and the common good than conservatives. That has made them less reactive to the glaring rhetorical shift from Bush to Trump and thereby more capable of keeping their eyes on what the administration is actually doing policy-wise. This doesn't mean that the more leftward candidates are better placed to defeat Trump in November. But it does mean that those of us who make a living trying to understand politics might be better off taking our cues from left-wing critics of the president than from those who oppose him from closer to the center of the spectrum. (Damon Linker, The Week)
Man darf immer wieder daran erinnern, wie viele Kommentatoren sich davon bereits 2016 haben blenden lassen. Ich werde nie Augsteins behämmerte Kolumne vergessen, in der er behauptete, mit Donald Trump sei der Weltfrieden deutlich sicherer als mit Hillary Clinton - eine Einschätzung, mit der er wahrlich nicht alleine war. Diverse andere Kommentatoren, gerade im linken Spektrum, glaubten in Trump gar eine Art FDR zu erkennen, der das verhasste Freihandelssystem zum Einsturz bringen könnte, quasi einen Geistesverwandten Bernie Sanders', wenngleich leider rassistisch. Das war schon immer Unsinn. Und dasselbe gilt spiegelbildlich auch für die Partei! Hier mangelt es bis heute nicht an großen Theorien von der Übernahme Trumps und der Beschwörung der "prinzipientreuen Konservativen", die den ganzen hässlichen Mist von Konzentrationslagern über Übergriffigkeiten nicht mitmachen würden. Passiert ist nie etwas, weil das eben die Natur der Partei war. Trump gewann die Vorwahlen nicht trotz, sondern wegen der Instinkte dieser Partei. Und es ist absolut an der Zeit, das endlich anzuerkennen.