Donnerstag, 16. Januar 2020

Trump entwickelt Krebsmedikamente auf dem deutschen Diplomatiegipfel im Iran - Vermischtes - 16.01.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Warum es nicht schlimm ist, wenn eine 18-jährige auf TikTok Quatsch über den Iran erzählt
Die Schülerin hätte sich blamiert, schrieb das Redaktionsnetzwerk Deutschland und die Die Neue Züricher Zeitung zeigte das Video gleich ganz aufgeregt ihrem „erfahrenen Auslandredaktor“ mit dem schönen Namen Beat Bumbacher. Und der erfahrende Auslandredaktor Beat Bumbacher ließ sich nicht zweimal bitten und boomerbachersplainte stabil: „Das ist Weltpolitik aus einer fast kindlichen Sicht.“ No Shit, Sherlock! Ein Fast-Noch-Kind sieht die Weltpolitik aus einer fast kindlichen Sicht! Das ist erstens nicht überraschend und zweitens nicht schlimm. Erwachsene liegen bisweilen auch daneben: Jakob Augstein schrieb 2016 noch im Spiegel, dass Donald Trump, wenn es um den Weltfrieden gehe, allen Ernstes die bessere Wahl sei als Hillary Clinton. [...] Anstatt 18-jährige TikTokerinnen zu belehren, könne man ihre Ängste ja mal ernst nehmen und fragen, wie man sie mit serösen Informationen erreicht. Ein wenig hat man aber das Gefühl, als müssten manche Politiker und Medien ihren Rezo-Komplex überkompensieren. Damals war die Überraschung groß, als sich im Zuge des „Die Zerstörung der CDU-Videos“ herausstellte, dass sich auf diesem YouTube Menschen für Politik interessieren. Offenbar meint man jetzt, jede politische Äußerung eines Influencers extra durchnudeln, einordnen und faktchecken zu müssen. Bei Laura Sophie wird das nicht mehr notwendig sein. Die junge Frau hat angekündigt, sich in Zukunft nur noch privat politisch äußern zu wollen. Bestimmt sind jetzt alle zufrieden. (Christian Schiffer, Bayern2)
An diesem Beispiel kann man gut sehen, dass das Ganze "die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen" einfach nur eine Phrase ist, um die eigenen Vorurteile besser raushauen zu können, ohne sich hinter sie stellen zu müssen. Wöllte man tatsächlich Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen, würde das auch für Teenagerinnen gelten, für ethnische Minderheiten, für diskriminierte Frauen und so weiter. Aber dieses ganze Ding hat sich immer nur auf eine sehr eng umgrenzte Demographie bezogen. Und das wäre auch nur halb so schlimm, wenn man Laura Sophies Sorgen und Ängste halt einfach nicht ernst nähme und es damit bewenden ließe. Denn wer von einer 18jährigen Influencerin erwartet, substanzielle Analysen zum Iran zu bekommen, dem kann ich auch nicht helfen. Aber dabei lässt man es nicht bewenden. Die gleichen Leute, die von mir händeringend fordern, doch bitte brüllende Proleten mit Nazitattoo in Dresden ernstzunehmen, kippen haufenweise Häme, Spott und Ablehnung über Fridays-for-Future-Demonstranten oder eben eine Influencerin wie Laura Sophie. Da muss man an der Integrität der ursprünglichen Forderung doch zweifeln.

 2) SPD-Fraktion macht den Parteichefs klar, wer das Sagen hat
Das Duo hatte den Mitgliederentscheid um die SPD-Chefposten mit dem von ihnen erweckten Eindruck gewonnen, sie wollten die Partei aus der selbst gewählten Gefangenschaft der großen Koalition mit der Union befreien. Sie triumphierten damit auch über die SPD-Abgeordneten, die in ihrer großen Mehrheit vor einer Wahl der Außenseiter gewarnt und für deren Konkurrenten, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, geworben hatten. Wenige Wochen später nun ist festzustellen: Bei der Wahl mag die Fraktion mit ihrer Pro-GroKo-Position verloren haben. Danach aber haben die Abgeordneten – assistiert von den SPD-Ministern in der Regierung – die neue Parteiführung schnell domestiziert. [...] Dann allerdings machte Mützenich klar, wer in dieser Zusammenarbeit Koch ist – und wer Kellner. „Die Kompetenz und die Expertise, die die SPD-Fraktion mit ihren 152 Abgeordneten hat, ist ganz maßgeblich auch für die Arbeit der SPD.“ Die Fraktion sei eigenständig, Absetzbewegungen in der Koalition nicht ihr Ziel. Es gehe darum, sozialdemokratische Positionen in Gesetze und Politik umzusetzen – und das, so ist das zu verstehen, geht eben nur in der Regierung. Ein vorzeitiges Ende der GroKo jedenfalls spielte auf der Klausur keine Rolle. Mützenich hatte das Arbeitsprogramm entsprechend gestaltet. Es gehe nicht nur darum, die Weichen für die nächsten Monate zu stellen, sagte er, sondern „für dieses Jahrzehnt“. Ins Zentrum stellte der Fraktionschef die inhaltliche Vorbereitung auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte – was eine Fortsetzung der Koalition impliziert. [...] Mit DGB-Chef Reiner Hoffmann hatte er sich außerdem einen weiteren, ausgewiesenen Befürworter der GroKo als Gast eingeladen. Außerdem will die SPD auch künftig den Wehrbeauftragten des Bundestags stellen, dessen Amtszeit im Mai ausläuft. Das sei im Koalitionsvertrag so vereinbart, so Mützenich, und darauf werde man auch bestehen. [...] Es verstärkt sich mithin der Eindruck: Die neuen Vorsitzenden, als Anti-Establishment-Kandidaten gestartet, sind mittlerweile selbst im Berliner Establishment angekommen. Auf der Strecke geblieben sind dabei ihre hochtrabenden Versprechungen. Beim Mindestlohn etwa besteht Esken nicht mehr auf eine Erhöhung auf zwölf Euro in einem Schritt; sie müsse „substanziell“ sein, heißt es nun. (Thorsten Jungholt, Welt)
Der Eindruck verstärkt sich wahrlich. Der SPD-Funktionärsapparat lähmt die Partei genauso wie einst die dortige Funktionärsschicht die DDR. Die SPD in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf, gewissermaßen. Ich möchte erneut betonen, dass diese Debatte die eigentlichen inhaltlichen Konfliktgrenzen überschreitet. Ob man der Meinung ist, die SPD müsse unbedingt weiter nach links, oder ob man der Meinung ist, sie sei eigentlich schon extremistisch geworden, spielt für diese Frage genauso wenig eine Rolle wie die, ob sie in der GroKo bleiben solle oder nicht. Die eigentliche Frage ist die, ob es einen Grund gibt, diese Partei zu wählen, für irgendjemand. Und das ist aktuell einfach immer weniger der Fall. In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Die SPD ist aktuell der personifizierte, institutionalisierte Mittelweg. Mir ballt sich immer noch die Faust in der Tasche, wenn ich daran denke wie Martin Schulz im "TV-Duell" 2017 darauf bestanden hat, irgendein arkanes Detail einer nebensächlichen policy zu diskutieren, während vier Moderatoren um ihn herum darauf bestehen, die Republik der AfD zum Fraß vorzuwerfen. Diese Partei zerreißt sich über mickrige Anpassungen bei der Grundrente, die keine Sau interessiert. Was will ich mit dem Laden?

3) Mordfall Lübcke: Verbindungen zum NSU-Komplex weiten sich aus
Die Verbindungen zwischen der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) waren offenbar enger als gedacht. Im Mittelpunkt steht der ehemalige Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Andreas Temme. [...] Geschossen wurde nach Aussage des Zeugen Jürgen S. in zwei Kasseler Schützenvereinen, zunächst in Vellmar, später in Waldau, jeweils nur wenige Kilometer Luftlinie vom späteren NSU-Tatort im Norden Kassels entfernt. Geübt wurde mit der Dienstwaffe des Sicherheitsmannes - einem Revolver der Marke „Rossi“, Modell 27, Kaliber 38 Spezial. Mit einer Waffe dieses Typs wurde dreizehn Jahre später Lübcke erschossen. Ob auch Temme mit der „Rossi“ übte, bleibt in dem Vermerk unklar. [...] V-Mann-Führer Temme war nur wenige Meter entfernt, als am 6. April 2006 der 21-jährige Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé mit zwei gezielten Kopfschüssen getötet wurde. Kassel markierte den neunten NSU-Mord. Temme galt zwischenzeitlich als tatverdächtig, wurde festgenommen und mehrfach verhört. Dennoch konnte die Tat bislang nicht aufgeklärt werden. Neben seinem „Faible für Waffen“ gab Temme bei einer Sicherheitsüberprüfung im Juli 2006 „Motorrad fahren“ als Hobby an. Er räumte ein, den Präsidenten der Kasseler Hells Angels zu kennen. Den Kontakt vermittelt habe ihm sein „Freund“ Jürgen S. - der Fahrer des Kasseler Geldtransporters. Laut Bundesanwaltschaft soll Jürgen S. Temme für den ersten NSU-Mord im Jahr 2000 in Nürnberg ein Alibi verschafft haben. Rockergangs wie Hells Angels oder Bandidos sollen hessischen Neonazis Waffen besorgt haben. Die Bundesanwaltschaft prüft zurzeit den Verbleib von Waffen aus Schleswig-Holstein, darunter auch Revolver vom Typ „Rossi“. [...] Der Verfassungsschützer Temme, Beiname „Kleiner Adolf“, wurde verdächtig, weil er sich als einziger Zeuge des Kasseler NSU-Mordes nicht freiwillig bei der Polizei gemeldet hatte. Während seiner späteren Vernehmungen widersprach sich der Sportschütze mehrmals. (Jörk Köpke, RND)
Ich bin bezüglich dieser Nachricht etwas zerrissen. Einerseits braucht ein Geheimdienst, dessen Aufgabe die Überwachung eines rechtsextremen Sumpfs ist, solches Gesocks. Wer sollte Informationen aus einem Bottich Abschaum durchstechen, wenn nicht Abschaum? Soweit macht die Rekrutierung von V-Leuten aus diesem Milieu ebenso Sinn wie die Zusammenarbeit eines Auslandsgeheimdiensts mit Funktionären brutaler Diktaturen. Wenn man Insiderinformationen will, braucht man Insider.
Andererseits: was für ein Sumpf ist das! Ich könnte abends nicht schlafen gehen, wäre ich ein Beamter des Verfassungsschutzes. Und genau das ist das Problem: Die können das sehr gut, weil die diese Leute gar nicht als so schlimm empfinden. Der Verfassungsschutz war schon immer auf dem rechten Auge blind und den Leuten, die er eigentlich überwachen soll, wesentlich zu nahe. Da brauchte es nicht erst einen Totalausfall wie Maaßen für, um das zu sehen. Aber wenn man sich solchen Abschaum als V-Leute holt, dann muss man sich darüber klar sein und die überwachen und dann auch deren Informationen zum Verhindern von Straftaten nutzen. Und das Bild, das sich hier ergibt, ist, dass der Verfassungsschutz den NSU finanziert hat und daneben stand, während der seine Straftaten verübte, immer mit dem Argument, dass man die ganzen Infos ja für eine effektive Strafverfolgung brauche. Und als es an die ging, haben sie tonnenweise Akten geshreddert. Dieser Laden ist hoffnungslos in die rechte Szene verwickelt, die er eigentlich überwachen soll (und da haben wir noch nicht mal drüber geredet, dass sie agents provocateurs in die linksextreme Szene einschleusen...) und muss einfach abgeschafft werden. Da führt kein Weg dran vorbei. Die Kompetenzen ans BKA und Laden dicht.

 4) Finnland hat es geschafft, dass es so gut wie keine Obdachlosen mehr gibt
Seit den 1980er Jahren hatten sich finnische Regierungen bemüht, Obdachlosigkeit zu reduzieren  – doch Langzeitobdachlose blieben ohne Dach über dem Kopf. Es gab zu wenig Not-Unterkünfte und viele haben es nicht geschafft, sich aus ihrer Lage zu befreien: Sie haben keine Jobs gefunden, keine Wohnung – und hatten Probleme, Sozialleistungen zu beantragen. Sie waren gefangen. Doch 2008 hat die finnische Regierung eine neue Politik für Obdachlose eingeschlagen: Sie setzt das „Housing First“-Konzept um. Seitdem ist die Zahl der Betroffenen stark gesunken. Und das Land hat Erfolg: Es ist das einzige EU-Land, in dem die Obachlosenzahl zurückgeht. NGOs wie die „Y-Foundation“ stellen Wohnungen zur Verfügung. Sie kümmern sich entweder um den Bau oder kaufen Wohnraum am privaten Wohnungsmarkt bzw. renovieren vorhandene Wohnungen. Die Wohnungen selbst haben ein bis zwei Zimmer. Auch ehemalige Notunterkünfte wurden zu Apartments umgebaut, um langfristig Wohnraum anzubieten. [...] Diese Politik heißt „Housing first“. Sie kehrt die herkömmliche Obdachlosen-Hilfe um. Häufig ist es so, dass von Betroffenen erwartet wird, sich einen Job zu suchen und sich von psychischen Problemen oder Suchterkrankungen selbst zu befreien. Erst dann gibt es Hilfe bei der Wohnungssuche. „Housing first“ dagegen geht es andersherum an: Obdachlose Menschen bekommen eine Wohnung – ohne Voraussetzung. Sozialarbeiter helfen bei Anträgen rund um Sozialleistungen und sind Ansprechpartner bei Problemen. In dieser neuen, sicheren Ausgangslage fällt es den Betroffenen dann leichter, sich um einen Job und um ihre Gesundheit zu kümmern. (Kathrin Glösel, Kontrast.at)
Studie um Studie, die sich mit Obdachlosigkeit beschäftigt, zeigt auf, dass die effektivste Art, sie zu bekämpfen ist, den Obdachlosen eine Wohnung zu geben und fertig. Das gilt im Übrigen für praktisch alle Sozialleistungen. Fördern und Fordern ist ein gigantisches bürokratisches Monstrum, das Leuten das Leben schwer macht, Milliarden kostet und nichts nützt. Eigentlich müssten Parteien wie CDU oder FDP Sturm dagegen laufen und es vereinfachen. Aber wenn es um Sozialstaatsnutznießer geht, ist keine bürokratische Hürde zu hoch, keine Behörde zu kafkaesk, um nicht noch verschärft zu werden. Das hängt direkt mit dem Moralismus dieser Gruppe zusammen, der, wie man fairerweise sagen muss, sich mit einer breiten Bevölkerungsmehrheit deckt. Der ständig moralisierend erhobene bürgerliche Zeigefinger hat nämlich ein entschiedenes Problem damit, Leuten, die das "nicht verdient" haben, irgendetwas zu geben. Im Gegenzug müssen sie wenigstens leiden, das ist Teil des Deals. Egal, wie ineffizient es ist. Das ist in die kollektive politische Psyche eingegraben.

 5) Tweet
Es ist wirklich faszinierend, dass ein Plakat gegen Rassismus, das keinerlei AfD-Bezug aufweist, von AfD-Leuten als gegen sie gerichtet empfunden wird. Auch der Verweis auf die "linksgrünen" Lehrer darf natürlich nicht fehlen, zusammen mit der Behauptung, die Schüler würden "gezwungen", gegen die Partei anzugehen, ach nein, halt, "die Gesellschaft zu spalten". Das ist die gleiche Partei, die Denunziationsportale für Lehrer geschalten hat. Wahrscheinlich, um den Dialog zu fördern und das Land zu einen oder so, man weiß ja, wie Faschisten das üblicherweise machen wollen.

 6) Washington and Brussels Need a New “Special Relationship”
In 2008, the world faced a global financial crisis of similar proportions, but it responded together with extraordinary actions. Instead of our current, failing nationalist approach, America and the European Union must work together again. They can do this by building a new “special relationship” between Washington and Brussels, in which they commit to domestic reforms in flexible coordination with one another. This would have two economic aims: to combat corporate monopolies and to boost worker power globally. [...] We could use a process similar to the post-financial-crisis reforms to increase the power of workers and farmers and rein in monopolies. To boost the economic power of workers, this U.S.-EU agreement would include commitments to raise or secure union density against the range of political interests and economic forces pressing against it. In the U.S., under a progressive administration and a progressively minded Senate, this would be achieved through a host of domestic reforms to undo 40 years of conservative attacks on unions, including enhanced strike rights and penalties for lawbreaking employers, as well as by adopting sector-wide bargaining. In addition to giving more power to workers, the new U.S.-EU agreement would combat monopolies. It would begin by both the U.S. and Europe welcoming antitrust enforcement efforts by the other jurisdiction. And it would go one step further—countries in this new agreement would work together on antitrust investigations to maximize their resources and effectiveness. Much like attorneys general in different states in the U.S. are working in conjunction to investigate big tech companies, different countries who had signed onto this agreement could work together when investigating multinational companies or concentrated sectors. This wouldn’t bind countries to the same exact outcomes, lest that result in lowest-common-denominator enforcement. But pooling limited government resources can help us tackle enormously complex global companies and international supply chains. (Andy Green, Washington Monthly)
Das ist einer dieser Artikel, bei denen ich der Prämisse mit ganzem Herzen zustimme und gleichzeitig feststellen muss, dass die Chancen dafür ungefähr so gut sind wie Tiefschnee in der Hölle. Eine "special relationship" zwischen den USA und der EU wäre grundsätzlich eine gute Sache, egal von welchem Gebiet wir sprechen. Eine Allianz dieser beiden Wirtschaftsräume (bei den USA ist ja immer NAFTA mit dabei) mit dem Ziel, gegen Monopole vorzugehen und Arbeitnehmerrechte zu stärken? Traumhaft. Aber genau das ist es halt. Ein Traum. Selbst wenn Bernie Sanders oder Elizabeth Warren Präsident würden, könnte die Zusammenarbeit nur auf Fall-zu-Fall-Basis und mit den ihnen zur Verfügung stehenden präsidialen Mitteln passieren, also hauptsächlich durch Regeln der Behörden. Ein entsprechendes Vertragswerk würde ja niemals ratifiziert werden können. Und das setzt willige Partner in der EU voraus, die ja legendär darin ist, eine außenpolitisch einheitliche Linie zu fahren und resistent gegen Lobbyismus zu sein. Jedoch will ich nicht zu negativ sein: Bereits darüber zu reden und fallweise zusammenzuarbeiten würde viel ändern und könnte möglicherweise einen längerfristigen Wandlungsprozess in Gang setzen. Ich gehe aber davon aus, dass die Maßnahmen aktuell eher unilateral wären. Die meisten Maßnahmen, wie sie im Artikel angesprochen werden, laufen dem vorherrschenden Freihandelsregime völlig zuwider, und auch, wenn es sich gerade mit zunehmender Geschwindigkeit auflöst, bilden seine Institutionen auch in zerfallendem Zustand immer noch mächtige Blockaden.

 7) Obama Should Never Have Appeased Iran
There were some problems with this answer. Just a few years earlier, Obama had withdrawn U.S. forces from Iraq, in effect delivering America’s Iraqi allies to Iran on a silver platter. Iran would now have a land bridge all the way across Iraq, Syria, and Lebanon to the Israeli border, and could hardly be expected not to take advantage it. Moreover, while it was no doubt true that dealing with Iran would be less difficult if it didn’t have the bomb, the nuclear deal didn’t exactly solve that problem, because it left Iran with all the basic elements of both a plutonium- and uranium-pathway serial production capability for nuclear warheads, which it could activate in a matter of months. Third, the deal itself was seen by many in Tehran as a surrender on America’s part, not entirely without justice considering the U.S. had caved on the key demands in U.N. Security Council resolutions going back nearly a decade. For all these reasons, Obama’s well-wishes notwithstanding, the baseline presumption had to be that Iran would feel emboldened, and it would it would be more, not less, difficult to deal with Iran’s other “nefarious activities.” And so it proved. In Iraq, Iranian support for Shiite militias translated into influence over the Iraqi government itself. In Syria, Obama acquiesced to Russia’s and Iran’s entry into the civil war, making Assad’s eventual victory a foregone conclusion. In Lebanon, Hezbollah has all but completed its takeover of the state. The rise of ISIS brought the U.S. back to Iraq after a brief interregnum, but under a dispensation which left Iran free to continue its subjugation of Iraq. As such, the U.S. arguably served as Iran’s proxy air force in Iran’s fight against ISIS, further helping to cement Iran’s regional hegemony. (Mario Loyola, The Atlantic)
Loyola ist einer Architekten der Bush-Außenpolitik. Deswegen sollte man seine Worte mit mehr als einer Prise Vorsicht genießen. Ich finde seine Analyse vor allem deswegen interessant, weil sich hier Argumentationsmuster reproduzieren, die mich massiv an die Debatte über die Ostpolitik erinnern. Funktioniert Wandel durch Annäherung, oder ist es reines Appeasement, das Diktatoren gibt, was sie wollen? Mein Gefühl ist jedenfalls nicht, dass der Iran sonderlich viel "embolding" bedurft hätte. Zu Bush-Zeiten forschte das Land unter dem notorischen Scharfmacher Achmadinejad an Atomwaffen. Dieser Ansatz wurde später wieder aufgegeben. Ich denke, die Fehleinschätzung ist schlicht die des US-Einflusses auf die iranische Politik. Was das Weiße Haus sagt und tut ist deutlich weniger bedeutsam als die innenpolitische Lage in Teheran und das dortige Personal. Die USA gehen in ihren außenpolitischen Debatten gerne davon aus, dass alle Welt nur darauf wartet, was der Präsident sagt, und ignoriert alle weiteren Auswirkungen. Das halte ich für kompletten Blödsinn. Obamas Vertrag basierte letztlich auf der Annahme, dass der Iran an Öffnung interessiert ist. Die republikanische Position basiert auf der Annahme, dass er das nicht ist, aber ein rationaler Akteur ist, der sich abschrecken lässt. Was davon stimmt - keine Ahnung.

 8) A guide to getting real on Iran
This lack of political buy-in to adequately support wars of choice cedes leverage to the country the United States is trying to coerce. The Iranian leadership need only read the New York Times or watch a segment on Fox News to get a sense of the fundamental political constraints placed upon American power and the lack of support for anything beyond relatively small airstrikes. These assumptions, in turn, allow the Iranian leadership to make critical assumptions about U.S. intent before making the decision to escalate. And this is just what happened. Iran took care to minimize the chance of killing Americans, but still chose to launch the most ballistic missiles at American forces since Saddam Hussein in the two Gulf Wars, lofting on a ballistic trajectory tons of high explosive that fell into the center of a military base in Iraq famous for its American contingent. This was a demonstration of Iran’s stand-off capabilities. It could have been much worse than a demonstration, but it is still an undesired outcome — and requires thinking about how to convince Iran, politically, not to fire them again. Iran will not give up these assets, and has instead indicated that it will use them to coerce the United States and its regional allies if threatened. [...] After Trump’s remarks, there was widespread relief that America wasn’t going to war. But that’s only because the bar is so low it is a quarter of an inch off the floor. There is no reason to celebrate. The United States is back to its default ineffectual setting: sanctions and threats. Washington cannot articulate how it will get Iran to negotiate and, when pressed, officials bluster and threaten without offering a roadmap for diplomacy. This is because to truly engage with Iran, the United States would have to acknowledge that the regime — the Islamic Republic — will receive a positive benefit for cooperation and will need to be trusted to follow through on an agreement it reached with the international community. (Aaron Stein, War on the Rocks)
Passend zu Fundstück 7 haben wir hier eine Sicht auf die Logik hinter der amerikanischen Iran-Politik (bzw. dem, was aktuell als solche durchzugehen versucht). Es sind klassische Abschreckungsmechanismen, die von beiden Seiten gefahren werden. Trump hat, etwa in Syrien, deutlich klar gemacht, dass er zu allem bereit ist, solange es nichts kostet (außer Geld). Der Mann würde sofort wie angedroht Kulturstätten in Schutt und Asche legen, als ob er ein römischer Feldherr wäre, und damit Kriegsverbrechen begehen. Man sehe sich nur dieses sinnlose Abfeuern von zig Marschflugkörpern auf einen leeren syrischen Flughafen an. Er liebt Gesten dieser Art, die seiner Macho-Seele streicheln. Also sorgt der Iran dafür, dass es etwas kostet. Die Logik ist simpel. Der Iran hat deutlich gemacht, dass er bereit ist, bei Angriffen der USA mit Attacken auf deren Installationen zurückzuschlagen. Der Iran hat nicht die Möglichkeit, das amerikanische Staatsterritorium selbst zu treffen, aber das muss er auch nicht. Seit dem Kalten Krieg sind die USA extrem empfindlich gegenüber Angriffen auf ihre Basen, und der Raketenschlag - auch wenn er keine US-Opfer forderte - machte deutlich, dass ein Preis zu bezahlen ist. Und den ist Trump offensichtlich nicht gewillt auf sich zu nehmen. Zuletzt halte ich das Gerede von einem neuen, besseren Abkommen für Fantasie. Trump hat keinerlei Glaubwürdigkeit. Keine Abmachung, kein Vertrag mit diesem Mann oder seiner Regierung besitzt irgendwelchen Wert, das hat er deutlich genug bewiesen. Schlimmer, er hat damit die Glaubwürdigkeit des US-Staates selbst in Frage gestellt. Jegliches Abkommen bindet offensichtlich den nächsten Präsidenten nicht, und weil der Senat ja nichts ratifiziert, reicht jedes Abkommen auch maximal bis zum Ende der Amtszeit des aktuellen Amtsinhabers, und im Falle Trumps vielleicht bis zum nächsten Klogang. Welches belastbare Abkommen sollte da raus kommen?
9) The war on the war on cancer
Virtually no sector of the EPA’s work has escaped reversals that will cause disease and death among the U.S. population. The agency scrapped the Clean Power Plan and a rule to improve fuel efficiency standards for cars, depriving the public of not just the climate benefits but also the improvements to air quality and health both would have brought. The EPA rejected its own science in deciding not to ban chlorpyrifos, a pesticide linked to autism and other neurodevelopmental problems in children. Dozens of other EPA rollbacks — including the gutting of the Clean Water Act, the undermining of guidelines on emissions of methane from landfills, the loosening of restrictions on toxic air pollution from industrial facilities, the disbanding of a panel on air pollution — will have dire health consequences, as will the dramatic reduction in the enforcement of environmental laws. The erosion of these protections may leave Americans at greater risk of all kinds of health effects, including fertility issues, birth defects, and neurodevelopmental problems — all of which have been linked to chemical exposure. But among the most devastating of Trump’s legacies will be an increase in cancers. With the election of Donald Trump, a small and previously marginalized group of toxics apologists suddenly and unexpectedly took control over health and environmental regulations in the United States. Considered too fringe, too craven, and too fact-averse for mainstream politics, this closely connected group had long been dismissed for taking the idea of environmental deregulation well past the point of absurdity. Under Trump, the EPA has begun executing some of these extremists’ schemes to undercut the federal government’s ability to protect the public from life-threatening toxic chemicals. (Sharon Lerner, The Intercept)
Elections have consequences. Wenn man eine Rotte Leute wählt, die nicht nur für die Interessen der Superreichen eintreten sondern auch bereit sind, dafür über Leichen zu gehen, dann kriegt man eine Politik, die buchstäblich tödliche Konsequenzen hat. Für die Trumpianer ist, wie man immer wieder deutlich machen muss, cruelty the point: Da sind teilweise Menschen zugange, die solche Sachen nicht machen, obwohl andere zu schaden kommen, sondern weil. Es sind fanatische Extremisten. Und das war von Anfang an klar.

 10) Im deutschen Paralleluniversum
Sicherlich sind Talkshows keine außen- und sicherheitspolitischen Strategieseminare, um nüchtern über die politischen Optionen einer Mittelmacht zu diskutieren. Aber bisweilen geben sie einen Einblick in die Unfähigkeit, solche Optionen überhaupt noch zu denken. Insofern muss diese Sendung über „Trump und die Mullahs: Hat die Vernunft noch eine Chance?“ als gelungen betrachtet werden. Was hierzulande unter Vernunft verstanden wird, scheint sich in eine Art Paralleluniversum abzuspielen. Oder glaubt jemand ernsthaft an die Möglichkeit, einen der einflussreichsten Repräsentanten des iranisch-islamistischen Expansionismus namens Qassem Soleimani festnehmen zu können, um ihn vor Gericht zu stellen? Diesen Vorschlag machte Jürgen Trittin. Natürlich glaubt der immer noch einflussreichste Außenpolitiker der Grünen selber nicht an die Bereitschaft Irans, einen ihrer Generäle auszuliefern. Aber dahinter steckt ein Verständnis von Außenpolitik, das Vernunft als die Formulierung wolkiger Phrasen definiert. In einem lichten Moment fand der Politikwissenschaftler Christian Hacke später eine passende Antwort zu solchen Ideen. Wir lebten in einem „Zeitalter brutaler Großmachtdiplomatie, gestützt auf militärische Macht.“ Bei uns gilt mittlerweile selbst diese schlichte Beschreibung von Fakten als Verstoß gegen die guten Sitten. So führte Norbert Röttgen wahre Eiertänze auf, um die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimation dieses amerikanischen Angriffes nicht beantworten zu müssen. Der CDU-Außenpolitiker plädierte als Repräsentant der Bundesregierung für eine differenzierte Sichtweise. Die lässt sich vielleicht so zusammenfassen: Diese Tötung ist zwar irgendwie abzulehnen, wobei die Begründung für dieses Vorgehen trotzdem plausibel erscheint. (Frank Lübberding, FAZ)
Noch als Ergänzung für Fundstücke 7 und 8 hier die deutsche Perspektive. Es ist einfach nur lächerlich, wie hierzulande in der Debatte als sinnvolle Außenpolitik verstanden zu werden scheint, einfach reflexhaft alle Seiten zur Mäßigung aufzurufen und die Bedeutung diplomatischer Lösungen zu betonen, als ob der Zauberstab der Verhandlungen diese einfach bereitstellen würde. Und man kann ja sagen, dass man nicht involviert sein will. Das ist angesichts des Dauerdebakels der dilettantischen US-Außenpolitik vielleicht nicht die schlechteste Lösung. Oder man kann sich aktiv auf die Hinterbeine stellen und Diplomatie tatsächlich durchsetzen, indem man eine Vermittlerrolle einnimmt und die jeweiligen Beschlüsse und so weiter auch durchzusetzen bereit ist. Mit dem Minsker Abkommen oder Obamas Atomdeal war Deutschland im Gerüst der EU ja solche Verpflichtungen eingegangen. Aber allzu oft sieht man gerade eine Ersatzhandlung, die im Endeffekt nichts als heiße Luft ist.

 11) Die türkise Provokationsstrategie
Schon während der Verhandlungen drangen angeblich bizarre Forderungen der Grünen nach außen. Sie würden wegen des Insektenschutzes das Flutlicht in Stadien abdrehen wollen. Anschließend gab Kurz den Retter des heimischen Fußballs. Mit betonter Lässigkeit lächeln Kogler und Co all diese "Fouls" weg und halten im Sinne der Koalition die zweite Wange hin. Dabei übersehen die Grünen, dass das keineswegs Ausrutscher und Unachtsamkeiten sind, sondern dass es einer Strategie folgt. Mit immer wiederkehrenden kleinen und großen Nadelstichen wird so ein Koalitionspartner vorgeführt, gefügig gemacht und schlussendlich zermürbt. Das klingt dramatisch, deckt sich aber mit dem Vorgehen gegen die eigenen Leute in der ÖVP (wie es Reinhold Mitterlehner so treffend in seinem Buch beschrieben hat), gegen die SPÖ und auch gegen die FPÖ (wenngleich hier zu Beginn weitaus milder). Es ist bemerkenswert, mit welcher Vehemenz dies noch vor der Angelobung gegen die Grünen passiert ist. Diese Nadelstiche sind auch ein Austesten, wie weit man gehen kann. Die Grünen wissen, dass sie eine Fassade des Wohlwollens zu erhalten haben und dementsprechend keinen lauten Widerspruch gegen den eigenen Regierungschef kundtun können. Das weiß eben auch die ÖVP. Das Perfide ist, dass die Grünen damit in eine Lose-lose-Situation gelangen. Wehren sie sich, riskieren sie wegen einer vermeintlichen Banalität den Koalitionszwist. Lassen sie es über sich ergehen, wirken sie schwach und lassen sich von der ÖVP treiben. Die ÖVP macht das aber nicht zum launigen Zeitvertreib, sondern weil es ihr dabei hilft, die eigene Agenda zu befördern. Die neue ÖVP unter Kurz hat einen Plan und will diesen kompromisslos umsetzen. Am Ende steht der autoritäre Umbau der Gesellschaft zuungunsten der schwächsten Gruppen. Während die Grünen versuchen, in dieser Regierung auf einer Sachebene zu arbeiten, arbeitet die ÖVP vor allem auf der Machtebene. Es geht nicht um Ausgleich, Kompromiss und Konsens, sondern um die Durchsetzung der eigenen Interessen und die Interessen derer, denen man verpflichtet ist. (Natascha Strobl, Standart.at)
Diese Provokationsstrategie ist eine aggressivere Variante von Merkels Strategie der Pulverisierung ihrer Koalitionspartner. Merkel arbeitete hauptsächlich damit, einerseits alle Themen zu neutralisieren und kooptieren - indem sie sie sich entweder zu eigen machte (man denke an die "Klimakanzlerin" vor 10 Jahren) oder indem sie sie en bloc zu Beginn der Legislatur abarbeitete, so dass sich zum Wahltermin niemand mehr daran erinnert (das passiert der SPD dauernd). Kurz' Spiel ist natürlich nicht die feine Art, aber der Mann ist nicht ohne Grund Kanzler geworden. Schröder hat das seinerzeit in der rot-grünen Koalition auch gut beherrscht. Wir erinnern uns heute ja noch mit großer Freude an das Dosenpfand zurück. Ich kann dabei auch wenig Verwerfliches entdecken. Wenn Kurz ein besserer Politiker als seine Koalitionspartner oder Gegner ist, verdient er den Sieg. Progressives need to step up their game, wie der Angelsachse sagen würde.

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