Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1)
Das Hufeisen schlägt zurück
Natürlich, man kann als Christdemokrat gegen eine Zusammenarbeit mit der Linken sein, weil sie auf den meisten Politikfeldern tatsächlich eine diametral entgegengesetzte Politik vertritt. Nur gibt es eine Sache, die noch wichtiger ist als Windräder, Bildungspolitik und innere Sicherheit: Das Verhältnis zur pluralen Demokratie. Das ist die Hardware, und da gibt es mehrere ganze entscheidende Unterschiede zwischen der Linkspartei und der AfD. Die Linke hat sich in ihrer überwiegenden Mehrheit seit 1989 mit wachsendem Erfolg in die bundesdeutsche Demokratie integriert, ohne ihre Spielregeln grundlegend infrage zu stellen. Man könnte sogar sagen, sie hat geholfen, die Wendewut vieler Ostdeutscher ins geordnete demokratische Verfahren zu übertragen. Ähnlich wie die Grünen ist die Linkspartei einen Weg fortlaufender Anpassung gegangen. Weniger hat die Linke das System verändert als umgekehrt. Auf der anderen Seite gibt es die AfD, deren Vorstellungen von Demokratie denen Viktor Orbáns ähneln. Bürger nichtweißer Hautfarbe, nichtchristlichen Glaubens oder nichtrechter Einstellung sind in ihrem Weltbild keine richtigen Bürger, sondern der innere Feind. Dementsprechend müssen die Öffentlich-Rechtlichen sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen von nichtrechten Einflüssen befreit werden. Die AfD fügt sich nicht ins demokratische Spektrum ein, sondern sie radikalisiert sich immer weiter. Wer glaubt, eine Regierungsbeteiligung könne sie zähmen, der hat nicht verstanden, dass die Partei Bestandteil eines internationalen rechten Netzwerkes ist, das dabei ist, die Demokratien des Westens von innen auszuhöhlen und zu minderheitenfeindlichen Mehrheitsdiktaturen umzubauen. Diese Gegenüberstellung müsste für eine CDU, die sich und ihre Werte ernst nimmt, zu einer klaren Schlussfolgerung führen: Wenn es nicht anders geht, ist eine Regierung mit der Linken möglich. Mit der AfD hingegen verbietet sich jede Zusammenarbeit. Eine solche Festlegung hätte auch den Vorteil, dass der AfD auf die Dauer die Machtperspektive genommen wäre, was für ihr inneres Gefüge gravierende Folgen hätte. Und wahrscheinlich auch für ihre Wahlergebnisse. (Christian Bangel, ZEIT)
Die "Hardware" der pluralen Demokratie ist tatsächlich der entscheidende Unterschied. Und ja, die LINKE ist auf dem Feld besser als die AfD, aber solche Anwandlungen sind ihr auch nicht komplett fremd. Ich erinnere mich noch an den Umgangston der Nuller-Jahre; da waren sie auch immer die einzige Partei, die gegen die korrupten Eliten den wahren Volkswillen vertritt, und so weiter. Es ging nie so weit wie bei der AfD, was das Infragestellen der pluralen Demokratie anbelangt, aber dieses "in Wahrheit steht das Volk hinter uns"-Ding haben die leider auch nicht erfunden.
Man sollte umgekehrt aber nicht vergessen, dass die Idee der "illiberalen Demokratie" in den rechten Dunstkreisen große Zugkraft hat. Die LINKE hat, schon alleine durch die nachhaltige Erfahrung des Scheiterns der DDR 1989, keinerlei Allüren in diese Richtung gezeigt. Es war quasi nur Rhetorik. Aber zweifelt irgendjemand daran, dass die AfD, hätte sie die Möglichkeit dazu, ähnlich wie Orban oder Kaczinsky agieren würde? Bei der LINKEn wissen wir inzwischen, dass sie es nicht tun, dafür haben sie zu viele Regierungsbeteiligungen (und mittlerweile in Thüringen sogar eine eigene Regierung) hinter sich. Solange das noch gegeben ist, darf die AfD nicht an die Regierung, und wenn die CDU dafür mit zugehaltener Nase mit der LINKEn kooperieren muss.
2)
Democrats Ignore The Immigration Elephant In The Room
At Tuesday’s Democratic debate sponsored by CNN and the Des Moines Register, nobody seemed to notice the elephant in the room—or perhaps the candidates and moderators just didn’t want to acknowledge its presence. Whether it was out of blindness or stubbornness, it tells us a great deal about the state of the Democratic Party in our time—and also about the state of American politics. That elephant is immigration, and the issue it represents is the defining one of our time. It is the most intractable, the most emotional, and the most irrepressible of all matters facing Western societies. And yet it was almost totally ignored in the most crucial debate so far in the Democratic quest for a presidential nominee. Two passing references was all the issue got over two hours of polemical fireworks. [...] A Pew Research Center survey revealed after the 2016 election that 66 percent of Trump supporters considered immigration to be a “very big” problem, the highest percentage for any issue. For Hillary Clinton supporters, the corresponding percentage was just 17. Also, fully 79 percent of Trump voters favored building the border wall he advocated, compared to just 10 percent for Clinton supporters. [...] The Democratic Party has become the party of the country’s elites—globalist, internationalist, anti-nationalist, free-trade, and open borders. Those views are so thoroughly at variance with those of Trump voters that it is difficult to avoid the conclusion that we have here a powerful issue of our time, perhaps the most powerful issue. Yet the journalistic moderators at Tuesday’s event didn’t see fit to ask about it. And the candidates weren’t inclined to bring it up in any serious way. (Robert W. Merry, The American Conservative)
Merrys Kritik ist sicherlich nicht ganz aus der Luft gegriffen; wir hatten die ähnliche Frage hier im Blog ja jüngst auch (ich schreibe ja auch normalerweise nicht zum Thema Integration). Es ist aber nicht das erste Mal, dass ein Präsidentschaftswahlkampf ein zentrales Thema so merkwürdig ausklammert. 2016 wurde in keiner der drei TV-Debatten eine einzige Frage zum Klimawandel gestellt. Auch sonst wurde das Thema geradezu totgeschwiegen. Und hier könnte ich genauso wie Merry mit dem "perhaps most powerful issue of our time" argumentieren, denn als solches sehe ich Immigration sicherlich nicht.
Aber das ist eben eine Frage der Krisenwahrnehmung.
Natürlich ist einsichtig, dass während der Primaries nicht groß über das Thema diskutiert wird. Merry nennt die Zahlen im Artikel doch selbst! Die Wähler interessieren sich schlicht nicht dafür. Es ist ja nicht gerade so, als ob während der republikanischen Primaries 2016 viel über Ungleichheit, Schwangerschaftsurlaub oder Mindestlohn debattiert worden wäre.
3)
Grundsätzlich tun sich bei den Linken in dieser Angelegenheit zwei Lager auf. Die Linksaußengruppe um Wagenknecht und Lafontaine fordert eine Rückbesinnung auf traditionelle Wählerschichten, auf Arbeiter und Arbeitslose. Die Linke solle die "Partei derer sein, denen es in diesem Land mies geht", sagte Wagenknecht im Kosmos. Ähnlich sehen es einiger Reformer um Bartsch und Korte. Sie alle setzen auf starke Abgrenzung zum bildungsbürgerlichen Grünen-Milieu. Zugrunde liegt die Annahme, dass die dort vorherrschenden Themen und Wünsche eher abschreckend wirken auf das klassische Klientel, vor allem in der ostdeutschen Fläche. Wenngleich Lafontaine und Co. tatsächlich Vorbehalte gegen die Grünen antreiben dürfte. Sie galten über die Jahre hinweg als Warner vor allzu großer Bündniseuphorie bei den Linken. [...] Auf der anderen Seite stehen Leute, die es für fahrlässig hielten, wenn die Linken nicht bei den Grünen wilderten - ohne die potenziellen Partner dabei zu hart anzugreifen. Prominenteste Vertreterin ist Parteichefin Katja Kipping, die bei den Linken in den vergangenen Jahren zentrale Figur in den großen Grabenkämpfen mit der Fraktionsspitze war. Wenn die Linken über Milieus und die Grünen reden, dann ist das natürlich auch nach innen gerichtet, dann reden sie indirekt immer ein bisschen auch über Kipping und deren Leute. (Kevin Hagen, SpiegelOnline)
Wir hatten die Diskussion bereits in den Kommentaren, weswegen ich diesen Artikel nutzen will, um ein bisschen was zu ergänzen. Das Problem der LINKEn ist, dass das bildungsbürgerliche Milieu, von dem sich Wagenknecht et al hier abgrenzen wollen, halt auch Teil der Parteibasis ist. Man muss sich nur mal die Statistiken über den Anteil an Abiturienten oder abgeschlossenen Studiengängen unter den Wählern anschauen. Die LINKE ist hier zwar schon deutlich unter den Grünen, aber etwa auf einem Level mit der FDP und immer noch doppelt so hoch wie CDU, SPD und AfD. Das ist keine Gruppe, von der du dich mal so einfach abgrenzen kannst.
Und gleichzeitig ist eine andere Wählerbasis ohne Zweifel immer die Gruppe der ostdeutschen Flächenbewohner und Wendeverlierer gewesen, die die Partei im Osten zu einem Machtfaktor gemacht haben und die die Partei gerade massiv an die AfD wegblutet. Das sind dann diese Schichten, die etwas verbrämt "reaktionärer als die Parteispitze es wahrhaben will" genannt wurden.
Meine Theorie: Dieser Spagat hat hauptsächlich deswegen funktioniert, weil die LINKE im Osten halt immer die Partei war, die ein Ventil für die genannten Wendeverlierer geboten hat, ein Narrativ eines "besseren" Ostens mit einer diffusen Anti-Eliten- und Anti-Establishment-Haltung. Aber das macht die AfD halt besser. Wer überhaupt keine Hemmungen hat, kann bei dieser Gruppe immer gewinnen. Ich weiß auch nicht, was die Idee Lafontaines hier ist. Die Zeiten, in denen er nur gegen "Fremdarbeiter" wettern muss, um da anzukommen, sind vorbei. Wir haben mit der AfD eine Partei, die dermaßen offen an niedere Instinkte, Rassismus und Sexismus appelliert, das ist ein Wettlauf, den kann eine demokratische, pluralistische Partei nur verlieren.
Klar kann die LINKE wenn sie will versuchen, mit striktem Antikapitalismus und dem Feindbild der Reichen einen ähnlichen Kurs zu fahren. Das hat noch nie funktioniert. Die Rechtsextremen werden immer attraktiver sein als die Linksextremen. Dasselbe Dilemma hat die SPD ja auch: disparate Wählerschichten, die wenig gemeinsam haben außer einer ungefähr geteilten Mission von "mehr Gerechtigkeit", was auch immer das heißen mag.
4)
Ein neues Level der Polizeiarbeit
Die PR-Abteilungen der Polizeibehörden sind in den letzten Jahren ja enorm gewachsen. Anscheinend steigt ihre vermeintliche Bedeutung den Social-Media-Machern und PR-Strategen mancher Dienststellen so zu Kopf, dass sie gar nicht mehr wissen, was eigentlich ihre Aufgabe ist. Hier ein aktuelles Beispiel aus Hessen. Dort fahndet die Polizei öffentlich nach Männern, die bei Unglücksfällen nicht nur keine Erste Hilfe geleistet haben sollen (Bericht der hessenschau). Sie stehen auch im Verdacht, die Unglücke gefilmt und die Aufnahmen veröffentlicht zu haben. Sicher keine schönen Sachen. Allerdings könnte man sich an dieser Stelle fragen, ob das schon „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ sind, wie sie § 131b StPO für eine Öffentlichkeitsfahndung zur Voraussetzung macht. [...] Die Polizei, dein Freund und Helfer. Seit Neuestem also auch zuständig für eine Bestrafung, lange bevor sich ein Gericht mit der Sache beschäftigt hat. Die Methode: publizistisch unterstützte Existenzvernichtung durch eine Polizeibehörde. Ihr könnt noch so lange in der Strafprozessordnung blättern, eine rechtliche Grundlage für so ein Vorgehen gibt es nicht. (Uwe Vetter, Lawblog)
Solche Probleme werden nicht dadurch geringer,
dass etwa der Leipziger Polizeisprecher per Twitter mal privat, mal dienstlich, stets aber intransparent in Debatten mitmischt, die er in dienstlicher Funktion gestartet hat. Ich begrüße grundsätzlich, dass sowohl Polizei als auch Bundeswehr aktiver in den sozialen Netzwerken vertreten sind und mit den Bürgern in Dialog treten. Dass dabei vor allem anfangs auch Fehlgriffe erfolgen liegt in der Natur der Sache; die müssen mit diesen Formen auch erst experimentieren und sind als Exekutivorgane (Gewaltmonopol und so weiter) natürlich in einer Position, für die es keine Erfahrungswerte gibt. Aber so was muss schnellstens gestoppt werden. Ich erwarte nicht, dass keine Fehler passieren; ich erwarte, dass die Fehler schnellstmöglich ausgemerzt werden.
5)
Hillary Clinton Has Been Exonerated… Again
During the 2016 election, it wasn’t just Russia that launched a disinformation campaign against Hillary Clinton in order to influence the election. Homegrown conspiracy theorists made their own contributions that allowed Trump to spread the meme about “Corrupt Hillary.” The Berkman Klein Center at Harvard documented those efforts and the complicity of mainstream media last spring with a report titled, “Partisanship, Propaganda and Disinformation: Online Media and the 2016 Presidential Election.” One of the most revealing aspects of their investigation came from this chart showing what the media covered in the run-up to the 2016 election. What we see is that, when it came to Donald Trump, the media focused on the issues he was talking about (primarily immigration). But with Hillary Clinton, it was all about supposed “scandals.” As Jennifer Rubin wrote, “Hillary Clinton is the most exonerated politician ever.” By my count, she has been cleared of four major attempts to smear her reputation: (1) Whitewater, (2) Benghazi, (3) emails, and (4) the Clinton Foundation. Regardless of what anyone thinks of her politics, the collusion between her opponents and mainstream media to defame her have been relentless, with little to no accountability for the lies. Beyond getting the story wrong so many times, it is important for those who colluded to be held accountable because we are now witnessing the same group of people spread conspiracy theories about other Democrats. Peter Schweizer is the one who initiated the whole Biden/Burisma lie in his book, Secret Empires. Just in case Biden isn’t the Democratic nominee, he is about to publish a book this month titled, Profiles in Corruption, that will attempt to smear the rest of the 2020 presidential candidates. (Nancy LeThourneau, Washington Monthly)
Man kann es drehen und wenden wie man will, Trump ist Präsident hauptsächlich wegen dieser bescheuerten Dynamik. Clinton war keine schmutzige Politikerin, sicherlich nicht schmutziger als der Rest, während Trump eine brennende Mülldeponie an Korruption ist, was bis heute bemerkenswert wenig Leute interessiert, vor allem diejenigen nicht, die sich in ihrem irrealen Hass an Clinton abgearbeitet haben.
Abgesehen vom historischen Wert -
ich habe meine eigene Analyse ja bereits seit Längerem abgeschlossen - ist das für uns heute hauptsächlich deswegen interessant, weil sich niemand der Illusion hingeben sollte, dass Biden (oder Sanders oder Warren) in irgendeiner Art und Weise davon verschont bleiben würden. Besonders für Biden ist bereits extrem offensichtlich, dass die
Republicans sich darauf vorbereiten, exakt die gleiche, bothsideristische Kampagne erneut zu fahren. Und die bisherige Berichterstattung verweist deutlich darauf, dass das klappen wird.
6)
How climate change has supercharged the left
Not only do extreme crises force invidious choices. They also make strange bedfellows. In an emergency, you cannot afford to be choosy. Your enemy’s enemy is your friend. Despite the fond imaginings of Ocasio-Cortez and her cohorts, World War II was not won by the New Deal or by digging for victory. The effort on the homefront in Britain and the United States was modest in comparison with that of the other combatants. The dirty work of winning the war against Nazi Germany was done by the Soviet Union and its Stalinist regime at a cost far greater than anything the West has ever experienced. [...] The obvious question for the present is the relationship of the new climate left in the West to China. In the 1930s and 1940s, the Popular Front gave shape to relations between socialists, social democrats, communists, and the Soviet Union. What is the relationship of the Western left to the Chinese Communist Party regime today? [...] It is not too much to say that the future of humanity depends on the success of Beijing’s climate politics. [...] Meanwhile, U.S. and European liberals, faced with China, are divided between a desire to uphold a commitment to human rights, fading hopes of economic and political convergence, and the tug of realpolitik. What is the position of the climate left? History suggests it does not have an alternative to detente with China. (Adam Tooze, Foreign Policy)
Der Artikel befasst sich auch ausführlich mit der ambivalenten Haltung der Linken zum Thema und ist alleine deswegen die Lektüre wert; dazu kommt, dass Adam Tooze einfach IMMER eine aufmerksame Lektüre wert ist. Aber ich habe den obigen Ausschnitt vor allem deswegen gewählt, weil er die außenpolitische Dimension der Argumentation vom Kopf auf die Füße stellt. Praktisch jede Diskussion über Klimakonferenzen und -verträge dreht sich um die Frage, was man mit den USA machen solle, die sich unter den
Republicans der bewussten Zerstörung des Klimas und der Umwelt verschrieben haben und in denen wenig Chance auf eine rechtsverbindliche Umsetzung irgendwelcher Abkommen besteht.
Aber wie Tooze zeigt, sollten wir den Blick viel lieber nach Osten wenden. China ist eigentlich spätestens seit dem bilateralen Abkommen mit Obama 2014 der relevante Player im Umwelt- und Klimaschutz, und die verheerenden Konsequenzen der bisherigen Politik, die eine zunehmend vernetzte und wohlhabende Gesellschaft treffen, zwingen die dortige Regierung zum Handeln. Die Dynamik ist völlig pervers. Eine entfesselte Marktwirtschaft hat der Bevölkerung unvergleichliche Wohlstandsgewinne in kurzer Zeit gebracht und ist die Voraussetzung für den öffentlichen Druck, die Probleme zu beseitigen, die diese Entfesselung maßgeblich mitverursacht hat. Bislang hat noch niemand ein besseres Entwicklungsmodell gehabt, und die Vorstellung, dass Indien und die Tigerstaaten denselben Zyklus durchlaufen werden, ist haarsträubend. Und es gibt praktisch keinen Ausweg aus diesem Dilemma.
Und dann sind wir noch nicht einmal dabei, dass China eine verbrecherische Diktatur ist, die Millionen von Angehörigen einer ethnischen Minderheit in KZs steckt und dort wenn nicht bewusst ermordet, so doch kulturell vernichtet. Und die Zusammenarbeit mit diesem widerwärtigen Regime ist die einzige Hoffnung auf Rettung des Planeten. Hurra.
7)
Trump’s Brand of Transactional Politics
Trump’s father, Fred, learned early that to get lucrative assignments, he had to court the local Democratic Party. He cultivated this relationship for decades, making giant political donations and regularly attending local Democratic fundraising dinners. [...] From a broke and broken metropolis, he siphoned off tax breaks—worth millions of dollars a year for 40 years into the future—for the property that is now the Grand Hyatt Hotel. This was the first time New York had offered a tax break for commercial real-estate development. To get the concessions, Trump worked his connections with both city hall and Albany. Trump arranged an impromptu city-hall meeting to persuade the property owner to sell to him, a 29-year-old developer who was untested but who had cashable political chits. At the meeting, Mayor Abe Beame put his arm around Donald and his father, who was also there, and said, “Anything they want, they get.” [...] The hotel turned out to be profitable the day it opened. New York has since paid out a tax expenditure of hundreds of millions to the hotel. Trump no longer owns it, but the City is still paying, and will do so through April 2020. [...] New York’s system was already corrupt, but the Trumps pushed it even further. Each time Trump called a politician and demanded to know where his tax abatement, or regulatory change, or financing package was, each time he pointedly noted his large donations, he helped normalize the influence of money over political power. Now that Trump is president, he can be on the receiving end of this system. (Andrea Bernstein, The Atlantic)
Wie bereits in Fundstück 6 angesprochen: Es ist absolut erstaunlich wie erschreckend, dass das gigantische Ausmaß von Trumps Korruption so weitgehend ignoriert wird. Ich will an dieser Stelle versuchen, einen Erklärungsansatz dafür zu liefern. Für mich ist der hauptschuldige Faktor dieses elende Politzynismus, der in den letzten zwei Dekaden massiv, aber bereits seit den 1960er Jahren langsam und stetig um sich gegriffen hat. Das Ansehen von Politikern wie Politik ist auf einem absoluten Nullpunkt. Permanent werden sie als Lügner, Betrüger und/oder Manipulatoren dargestellt. Die Reaktion auf praktisch jeden Skandal ist nicht mehr Zorn, Überraschung oder Empörung, sondern Resignation. "House of Cards" hat diese Scheiße als Prinzip erhoben und hätte sicherlich noch mehr Staffeln produziert, wenn sein Star nicht wegen Vergewaltigungsvorwürfen abrupt abgesetzt worden wäre. Trump hat das erkannt und damit erst aktiv Wahlkampf betrieben, es dann als Methode seines Regierens übernommen. Es ist ja nicht so, als würde versucht werden, irgendeinen dieser mittlerweile nicht mehr überschaubaren kriminellen Vorfälle zu leugnen oder durch vorgespielte Reue loszuwerden; vielmehr geht Trump damit ja als Stärke hausieren. "Schaut her, meine Wähler, wie wenig mich Gesetze kümmern!" Seine kult-artig organisierte Basis, die völlig rückgratlose GOP und der halbstaatliche Propagandasender FOX fressen ihm damit aus der Hand. Wir sehen den gleichen Mechanismus bei anderen Populisten; ein Chavez hat sich dieser Mechanik genauso bedient wie es aktuell die AfD tut. Pack tut, was Pack tut.
In this respect, Biden isn't promising a straightforward restoration of the Obama administration. He's actually proposing that the country can return to something more like the consensus politics of the middle decades of the 20th century — a time when Democrat John F. Kennedy proposed a major tax cut, members of both parties came together to pass landmark civil rights legislation, and Republican Richard Nixon oversaw the creation of the Environmental Protection Agency and the expansion of affirmative action policies. The case for attempting this form of governance is emphatically not that the outcome of some extended negotiation between President Biden and leading members of the congressional GOP will automatically produce the best policy. (Committed members of each party will sharply disagree about what the best policy is.) The case for attempting to reach bipartisan consensus is that, given how divided the country is, whatever emerges from such a process will be the best we can achieve under present circumstances. In the best-case scenario, both sides as well as lots of independents would not only find something to like in what gets enacted into law through such a process. Their confidence in the institutions that produced this decent outcome would increase from its currently low level, making future policy accomplishments somewhat more likely. The country and its institutions would begin healing from the partisan traumas of recent years. Biden is the only candidate running for office who's holding out the prospect of such a path forward. Now of course it's also possible, and perhaps likely, that this plan would fail — as countless Biden critics on the center-left and left have predicted it will. For one thing, a truly bipartisan policy may well please no one and so end up discrediting our institutions — along with efforts to bridge our country's deep divides — even further. (Damon Linker, The Week)
Normalerweise schätze ich Damon Linkers Artikel ja durchaus, aber die Prämisse hier ist vollkommener Blödsinn. Biden verspricht exakt eine "
restoration of the Obama administratrion". Auch wenn man das dank der in Fundstück 5 angesprochenen medialen Mechanismen und des allgemeinen Politzynismus bereits wieder vergessen hat: Obama gewann seine Wahl 2008, weil er genau das versprach und wollte, was Biden jetzt verspricht und will. Es liegt nicht an den
Democrats, dass das nicht passiert ist, sondern an der (korrekten) Einschätzung der GOP, dass ihnen Kompromisse und tatsächliche Reformen und Verbesserungen nichts nützen und dass sie mit einer extremistischen Verweigerungshaltung mehr gewinnen können.
An dieser Rechnung hat sich für die Partei nichts geändert, sie ist sogar stärker geworden. Die Partei hat sich in den letzten vier Jahren noch weiter radikalisiert, hat Säuberungswellen hinter sich gebracht und ist praktisch komplett auf Linie. Die Vorstellung, dass die GOP im Kongress nur auf Joe Biden wartet, der den bahnbrechenden Vorschlag von überparteilichen Kompromissen ausbreitet, ist völlig hanebüchen. Es ist schlichtweg Hybris, Traumtänzerei.
Leider sieht es bei Bidens Gegnern auch nicht viel besser aus. Clinton war 2016 völlig realistisch, was die Möglichkeiten anbelangt, die sie als Präsidentin haben würde. Bernie Sanders' ganze Strategie basiert letztlich immer noch auf der "Revolution der Straße", die jeden Widerstand einfach hinwegfegt. Ich weiß nicht, ob Pete Buttigieg je sinnvoll zu dem Thema Stellung bezog. Sieht man dagegen Warren an, hat sie noch den realistischen Blick auf die Sache, aber viele ihrer Vorschläge erfordern wenigstens eine einfache Mehrheit im Kongress und die Abschaffung des Filibusters; beides, um es vorsichtig zu sagen, eher unwahrscheinliche Ereignisse. Es ist ein Trauerspiel.
9)
Ein Tag im Lehrerleben
Dieser Text soll einen Einblick in das Leben dieser engagierten Lehrkräfte ermöglichen. Und er ist auch eine Verbeugung: Fast alles, was gut ist an Schulen, ist den Lehrer*innen zu verdanken, die keinen Dienst nach Vorschrift machen, sondern sich im besonderen Maße engagieren. Wahrscheinlich jeder kann sich an solche Pädagog*innen in seiner Schulzeit erinnern, die ihr Leben bereichert haben. Im unserem Schulsystem bekommen solche engagierte Lehrer*innen wenig Vergünstigungen oder Unterstützung. Im besten Fall haben sie wie ich an meiner Schule eine Schulleitung, Kolleg*innen, Eltern und Schüler*innen, die ihnen zumindest Wertschätzung entgegen bringt. Nicht selten werden sie aber ausgebremst, missachtet und sogar gemobbt. Vor allem aber treibt sie oft ihr Arbeitsethos in die Überlastung in einem System, das zu wenig Ressourcen bietet, um den Beruf adäquat auszuführen. Viele einst engagierte Lehrer hat das System so klein gekriegt. Umso wichtiger wäre es, die Arbeitsbedingungen so zu verändern, dass engagierte Lehrer*innen ihren Job bei guter Gesundheit machen können und die Leistungsträger unseres Schulsystems honoriert werden. Während aber die Bildungspolitiker das Schulsystem in den vergangen Jahren seit dem „Pisa-Schock“ mehrfach umgekrempelt haben, wurde so gut wie nichts dafür getan, die Arbeitsbedingungen der Lehrerkräfte zu verbessern. (Bildungslücken)
Ich möchte das Fundstück vor allem als Einblick in das Leben engagierter Lehrer und die Hindernisse, die ihnen in den Weg geworfen werden, präsentieren. Als Seitenbemerkung: die Vorstellung, dieses Engagement in harte Faktoren gießen zu können, anhand derer man eine "leistungsgerechte Bezahlung" organisieren kann, halte ich nach wie vor für unrealistisch. Aber der Artikel sollte generell für Leute interessant sein, die wenig Einblick in die Realität des Berufs haben. Zum Thema siehe auch dieser
Artikel zu den Belastungen des Lehrerberufs.
10)
"Dorfkinder haben den Dreh raus": Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) wirbt mit einer Kampagne für den ländlichen Raum. Am Sonntagabend postete sie dazu vier Fotos auf Twitter versehen mit dem Hashtag #Dorfkinder. Darunter sollen "positive Beispiele und innovative Ansätze der ländlichen Entwicklung" gesammelt werden. So lautet die Erklärung auf der Seite des Ministeriums. Tatsächlich hat der Hashtag nach nicht einmal 24 Stunden bereits viel Aufmerksamkeit bekommen – wohl aber nicht so, wie sich Klöckner das vorgestellt hatte. Statt der gewünschten Posts über Engagement und Ideen gibt es auf Twitter Kritik und Spott an der Kampagne. Manche User nehmen sie zum Anlass, um auf schlechte Infrastruktur im öffentlichen Raum hinzuweisen - schlechte Busanbindungen etwa oder fehlende Freizeitangebote für Jugendliche. Vielfach wird auch darauf Bezug genommen, wie schlecht das Internet in vielen ländlichen Regionen nach wie vor ist: [...] Klöckner wird zudem vorgeworfen, sie instrumentalisiere Kinder für ihre Kampagne. Ob die CDU-Politikerin mit ihrer Aktion auch konkrete Maßnahmen verbindet, um ländliche Regionen zu fördern, ist bisher nicht bekannt. Auf Twitter würden sich das wohl aber viele Menschen wünschen. [...]Bisher hat Klöckner nicht auf die Kritik reagiert. Ihr Ministerium bedankte sich in jedoch in einem Tweet für die Aufmerksamkeit, denn genau darum gehe es: "Die Dörfer ins Gespräch bringen." (SpiegelOnline)
Dass ein Politiker für eine Kampagne Spott auf Twitter erntet, ist, nun ja, wenig überraschend. Ich schrieb bereits in Fundstück 5 vom verbreiteten Politzynismus als Problem. Der ergießt sich über alles, weil die Vorstellung, dass irgendetwas Positives oder gar Anregendes aus der Politik kommen könnte ja praktisch instinktiv abgewehrt wird.
Ich will aber auch über die Kampagne selbst reden. Lassen wir zuerst einmal die offenkundige Heuchelei beiseite, mit der hier problemlos politisch "Kinder instrumentalisiert" werden, was der CDU bei den Fridays-for-Future-Demonstrationen noch solchen Herzschmerz bereitet hat. Ich habe da auch kein Problem damit. Es geht um Kinder, also warum sie nicht auf die Wahlplakate packen? Vor allem, da das offensichtlich eh Agenturbilder sind.
Nein, spannend ist die Kampagne, weil Klöckner hier
identity politics in Reinform fährt. Auch das ist,
wie wir gelernt haben, völlig normale Politik und nicht verwerflich; ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, um den Blick entsprechend zu schärfen. Diese Identitätspolitik ist angesichts der Abgehängtheit der ländlichen Regionen auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden in Deutschland. Auch wenn der letzte Satz des Artikels natürlich das übliche Ministeriums-PR-Geschwafel ist, so stimmt es in dem Fall sogar: Trotz allen Spotts kam ein Gespräch über Dörfler in Gang.
Dieses Gespräch nahm nicht nur die von Glöckner intendierte positive Richtung, aber so ist das halt mit Gesprächen. Das gehört zur pluralistischen Demokratie, wie sie die AfD gerne abschaffen will, hinzu. Dörfliche Gegenden sind leider eben auch oft stark konformistisch, grenzen Andersdenkende aus und sind sehr abgeschottet gegenüber Neulingen, was nicht eben hilft, dem Problem der Landflucht entgegenzuwirken. Dass in Klöckners Kampagne alle Dörfler weiß und in heterosexuellen Normalfamilien sind, macht diese Problematik nicht eben besser und füttert ein typisches Rechtsnarrativ von der Landbevölkerung als den "wahren Deutschen", anders als den eher kosmopolitisch und progressiver orientierten städtischen Regionen. Das ist, um es milde zu sagen, suboptimal.
Judenhass bekämpft Offman nicht nur bei Rechten, sondern auch im linken Milieu Münchens. Dort kommt das Ressentiment meist mit einer verschwiemelten Ablehnung Israels daher. Dass damit mehr als bloß die Regierung in Jerusalem gemeint ist, offenbart sich immer dann, wenn es unter der antizionistischen Fahne auch gegen einen deutschen Sozialpolitiker geht. Und zwar gegen einen, der Jude ist und auch deswegen zu Israel steht – weswegen sich Offman unter anderem sehr kritisch zur Boykottbewegung BDS geäußert hat – was die Veranstalter zum Anlass für seine Ausladung machten. Der jüdische Staat ist für Juden eben auch eine Rückversicherung, wenn der Hass hier wieder stärker wird. Nun wird sie also ganz abgesagt, die Friedenskonferenz, die seit 2003 eine Antwort auf die Münchner Sicherheitskonferenz darstellt. Die Absage muss man zugleich bedauern und begrüßen. Bedauern, weil das früher auch als Wehrkundetagung bezeichnete jährliche Treffen von Rüstungslobbyist:innen, Politiker:innen und Militärs ja wirklich Widerspruch benötigt. Doch zu begrüßen und notwendig ist die Absage auch, weil die Melange von Antisemitismus und Friedensbewegung so offenkundig geworden ist, dass die linken Friedensfreunde dringendst Einkehr üben müssen. Was die Veranstalter jedoch bislang als Begründung ihrer Absage verlautbaren ließen, deutet an, dass sie von der nötigen Selbstkritik sehr weit entfernt sind. Für sie sind immer noch, immer nur die anderen schuld. Und die anderen, das sind für sie auch Juden. (Martin Krauss, taz)
Ich finde es extrem bedauerlich, welch großes Problem die linke Szene weiterhin damit hat, Antisemitismus in ihren Reihen klar zu benennen und zu bekämpfen. Das war bei Jeremy Corbyn und Labour ein Problem und das ist es im Umfeld praktisch aller Anti-Israel-Aktionen, von den Palästinensertüchern bis zum Boykott und offensichtlich auch in Teile der Friedensbewegung hinein. Das verwundert nur eingeschränkt, bedenkt man den langen Schatten des Erbes der Kalten-Kriegs-Propaganda.
Es ist aber umso trauriger, weil es wahrlich genug gibt, was man an der israelischen Politik kritisieren muss. Nur erweist man mit dem Vertreiben von Leuten wie Offmann dem ganzen Unternehmen einen Bärendienst, weil man sich sofort gemein mit den widerlichen Elementen macht. Das ist ja ein ähnliches Problem, wie es auch die "Werteunion" und andere eher, nennen wir es traditionelle, Teile der CDU haben. Du kannst nicht die Sprache und Mechanismen des politischen Randes kopieren und glauben, dabei sauber bleiben zu können.
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