Mittwoch, 8. Januar 2020

Sebastian Kurz schreibt in Australien mit demokratischen Präsidentschaftskandidaten über Rechtsextremismus - Vermischtes 08.01.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Sehnsucht nach Macht, nicht Programm
Sebastian Kurz war womöglich nicht erfolgreich, weil er ein stringentes, zugleich modernes und urwüchsig konservatives Programm ersonnen hat. Und wo er ein klares Programm hat - in seiner Härte gegenüber Zuwanderern und seiner prinzipiellen Offenheit gegenüber der radikalen Rechten - da eifert ihm ja gerade keiner der denkbaren Unionskanzlerkandidaten nach. Eher ist es andersherum: Ihm wurde nachgesagt, ein schlüssiges Programm zu haben, weil er erfolgreich war. Insofern ist Sebastian Kurz vor allem Projektionsfläche einer Sehnsucht nach Macht. Oder ab und an auch argumentatives Mittel zum Zweck, um der eigenen Kanzlerin einen mitzugeben. Analog dazu verlor die CDU zuletzt womöglich gar nicht Stimmen, weil Merkel so viele Kernthemen der Union aufgegeben hat oder die Partei hat beliebig werden lassen. Noch 2013 hatte sie für die Unionsparteien fast die absolute Mehrheit geholt, da lagen die Familienpolitik Ursula von der Leyens, der zweite Atomausstieg und die Aussetzung der Wehrpflicht nicht lange zurück. Dass Beliebigkeit gar nicht das Problem der Union ist, dafür spricht auch, dass derzeit CSU-Chef Markus Söder populärer wird. [...] Söder ist flexibel. Er hatte als bayerischer Umweltminister kurz vor der Reaktorkatastrophe von Fukushima noch längere Laufzeiten für Atomkraftwerke und danach bemerkenswert schnell den Ausstieg gefordert. Er hatte jedenfalls nicht aufbegehrt, als ein Minister seiner Partei, Karl-Theodor zu Guttenberg, das Ende der Wehrpflicht betrieb. Er hatte bis zum Sommer 2018 den harten Asylkritiker gegeben, um dann ebenso hart umzuschwenken. Er geißelt heute die AfD, statt wie zuvor gelegentlich mit ihrer Sprache zu kokettieren. Er umarmt auf einmal Bäume. Und er gibt sich gar keine Mühe, seine Richtungswechsel zu bestreiten. Suchten die Konservativen wirklich weltanschauliche Widerspruchsfreiheit, müsste Söder es schwer haben. Da er es leicht hat, ist Konsistenz wahrscheinlich nicht das, was viele in den Unionsparteien vermissen. (Jonas Schaible, SpiegelOnline)
Ích bin in der Analyse völlig bei Jonas, wobei die Frage offen bleibt, welche Konsequenzen daraus folgen. Erfolg gebiert irgendwelche ex-facto-Erklärungen, das ist offenkundig; nicht nur bei Kurz und Söder. Jonas verweist zu Recht auf die früheren Erfolge Merkels. Was hatten wir Ende der Nuller- und Anfang der Zehnerjahre nicht an Artikeln über das Geheimnis hinter Merkels Erfolg, das Feiern ihrer gewaltigen Erfolge! Damals war es noch eine radikal linke Position, ihr zu unterstellen, dass sie eigentlich gar nichts macht. Inzwischen ist die Kritik ein Standardbaustein konservativer Sonntagsreden. Ich bin zu jung um persönliche Erinnerung zu haben, aber nach meinem Dafürhalten ging es Kohl damals nicht anders. Erst bewundert, dann, ab Mitte der 1990er Jahre, zunehmend kritisiert, hauptsächlich dafür, noch da zu sein. Generell scheint es mir, als ob wahnsinnig viele Analysen zu Erfolg und Nichterfolg hauptsächlich darauf fußen, dass Erfolg oder Nichterfolg bestehen - reine Zirkelschlüsse. Die AfD ist so erfolgreich, weil sie erfolgreich ist. Die CDU verliert Stimmen, weil sie Stimmen verliert. Die SPD kommt nicht mehr auf die Füße, weil sie nicht auf die Füße kommt. Und so weiter. Auch so ein Genre, neben dem "Partei X muss machen was ich will damit sie Wahlerfolge hat", das diese Art von Artikeln so häufig beinhaltet.

 2) Tweet
Ich wäre wirklich froh, wenn die CDU-Ministerpräsidenten und FDP-Oppositionspolitiker ähnlich schnell mit Verurteilungen rechten Terrors an der Hand wären, wie sie es bei linkem Terror sind. Genausowenig, wie Vollidioten, die Polizisten mit Steinen bewerfen irgendwelches Verständnis oder das Fragen nach ihren Sorgen und Nöten verdienen, genauso wenig verdienen es Leute, die Asylbewerberheime anzünden oder Migranten durch die Straßen hetzen. Leider findet man die gleiche Relativierei auf beiden Seiten. In linken Zeitungen wird gerade hoch und runter diskutiert, ob der Einkaufswagen in die Polizisten gerammt oder geschoben wurde, statt dass man sich auf die common-sense-Lösung einigt, dass Einkaufswagen generell auf Demonstrationen nicht auf Polizeikordons zubewegt werden sollten. Das ist auch nur eine Spielart von Maaßen, der auf irgendwelchen semantischen Spitzfindigkeiten besteht, damit seine Nazi-Freunde Ausländer nicht durch die Straßen gehetzt, sondern nur zu überdurchschnittlich schnellem Laufen animiert haben.

 3) Yes, 1.5 Degrees Celsius Is Long Gone as a Climate Change Target
Die merkwürdigen politischen Dynamiken der Klimakrise sorgen dafür, dass Drums - völlig richtiges - Argument hauptsächlich aus der liberalen Ecke kommt, dort aber bedauerlicherweise gerne als Feigenblatt für die eigene Untätigkeit genutzt wird. Denn wenn es ein globales Problem ist, das nur global gelöst werden kann, wo der Beitrag der eigenen Nation insgesamt unbedeutend erscheint, dann muss man ja erst einmal gar nichts tun. Es ist auch nur eine Variante der Lindner'schen Beschwörung zukünftiger Durchbruchstechnologien, ohne irgendeinen Schritt dafür zu tun, dass diese Technologien tatsächlich entstehen. Umgekehrt besteht oft genug im progressiven Spektrum ein blinder Fleck gegenüber diesen Problemen. Die Kritik daran, individuelle Verhaltensänderungen zu diskutieren (weniger Autofahren, Veggieday, Energiesparlampen etc.) entbehrt ja nicht ihrer rationalen Grundlage, läuft aber natürlich ihrerseits wieder in die Falle des Nichtstuns. Auf der anderen Seite sorgen die beknackten Mechanismen der Identity Politics dafür, dass die eine Seite die Kritik der anderen jeweils in Bausch und Bogen verdammt; so lehnen Liberale und Konservative oft genug auch sinnvolle individuelle, inkrementelle Veränderungen ab, während Progressive ein tiefes Misstrauen gegenüber der Wirtschaft und den kapitalistisch verfassten Staaten haben, die als einzige in der Lage sind, die großen Veränderungen zu bewirken, und hier für Lähmung sorgen. Es ist ein Trauerspiel.

 4) The Secret to Joe Biden’s (Hypothetical) Electability
In other words, from one angle, 2020 Biden looks like 2016 Hillary Clinton, if Hillary Clinton were less inspirationally pathbreaking, more corrupt, and a much worse public speaker. [...] None of this means that Biden will necessarily be a strong standard-bearer in 2020, let alone that his “electability” advantage is large and certain enough to outweigh his substantive deficiencies. But it is enough to suggest that Biden does possess some genuinely electorally advantageous quality, which may or may not compensate for his myriad liabilities. New political science research published in the Washington Post’s Monkey Cage blog offers some insight into what that quality might be. In the Democratic primary, Biden has proven disproportionately popular with African-American voters. But a new survey from political science scholars at the Universities of Virginia and Montana suggests the former vice-president boasts another source of outsize strength: white voters who resent the political power of African-Americans; or, in the researchers’ more precise phrasing, voters who evince high levels of “white consciousness.” [...] All this said, this unique electoral advantage may prove less beneficial than it appears today. For one thing, although Biden has strong support from African-Americans in general, his backing from younger black voters — who, as a group, are less reliable voters but whose turnout rate could tip the balance in critical swing states — appears less robust. For another, it’s far from clear that “white conscious” independents will retain their affinity for Biden once he becomes the standard-bearer of the nonwhite party. But to the extent that Biden is a strong general-election candidate, it is likely because his long résumé has earned him goodwill from African-Americans and “Why isn’t there a white history month?” voters alike. (Eric Levitz, New York Magazine)
An und für sich ist die Erkenntnis, die hier formuliert wird, nicht neu. Bidens Erfolgsrezept wäre exakt dasselbe wie Obamas. Dessen ganze Strategie fußte auch darauf, sich selbst als ungefährlich für das "weiße Gewissen" zu präsentieren und mit aller Macht zu vermeiden, sich mit der schwarzen Hautfarbe zu identifizieren. Das fällt Biden naturgemäßer noch leichter. Die Gefahr, darüber die junge Basis der Partei zu verlieren, ist natürlich real. Auf der anderen Seite ist, wie Levitz ja auch andeutet, die Gefahr gleichzeitig überschaubar. Diese junge Parteibasis ist unzuverlässig und hat eine geringe Wahlbeteiligung, sieht man einmal von 2018 ab. Bidens Wette ist daher dreierlei: Dass er die Obama-Koalition wieder erwecken kann, dass die Jungen mit "normaler" Beteiligung wählen (also fast gar nicht) und dass sie ohnehin keine andere Wahl haben, als selbst moderate Democrats zu wählen, weil die Republicans keine Alternative sind. Diese Wette kann durchaus aufgehen. Sie kann aber auch nach hinten losgehen. Wir werden sehen.

Although a shorter working week has many benefits, it is not a magic solution. The Wellcome Trust backtracked on plans for a four-day week, saying it would be “too operationally complex”. Gothenberg dropped its six-hour-day experiment because of increased costs. Bosses worry a shorter working week will create staffing challenges and make it harder to serve customers, while employees worry that working less will make them look lazy. These challenges are not insurmountable. Indeed, reduced working days are nothing new. Since the industrial revolution, the number of hours worked has been falling. When working hours in Britain were cut from about 54 hours a week to 48 hours a week in 1919, it had no effect on productivity and competitiveness. Kellogg’s, the US cereal manufacturer, successfully operated a six-hour working-day policy for many years in the middle of the 20th century. It was only dropped because management wanted the firm to have work practices like other companies. It is entirely possible to be happier and more productive and environmentally friendly at work. It might sound too good to be true, but it could be the norm in a few years. (André Spicer, The Guardian)
In unserer fortlaufenden Meta-Diskussion zu kürzeren Arbeitszeiten hier der Verweis auf Finnland, das gerade ein landesweites Experiment in diese Richtung startet. Ich bin ja grundsätzlich ein Verfechter dieser Politik, aber Finnlands landesweite Umsetzung wird uns eine große Menge Datenmaterial geben, auf dessen Basis wir künftige Policy-Schritte dieser Art evaluieren können. Der Blick nach Norden rentiert sich daher. Ich will das an dieser Stelle nur als Hinweis belassen, die Sache im Auge zu behalten. Wenn jemand mehr Kontext zum finnischen Experiment beisteuern kann, gerne!

 6) So unfair werden angehende Lehrer*innen behandelt
Ja, dass das ganze System völlig intransparent, ausbeuterisch und darauf ausgelegt ist, alle Menschen mit eigenem Stil oder anderen Blickwinkeln mundtot zu machen und anzupassen, ist mittlerweile nicht mehr mein direktes Problem, denn ich habe mein Ref erfolgreich beendet. Aber dass anscheinend der Konsens gefunden wurde, dass man das System akzeptiert, weil es eben so ist, das ist schon mein Problem. Und weil ich jetzt nicht mehr von den Meinungen meiner Ausbildungsbeauftragten, Schulleiterin, Fachleiter*innen und Seminarleiter*innen abhängig bin, habe ich endlich die Freiheit, diesen Artikel zu schreiben und einmal ganz laut zu sagen: Liebe Bezirksregierung. Ändert endlich dieses System. Denn statt nur die Lehramtsanwärter*innen auf den Prüfstand zu stellen, zu hinterfragen, zu durchleuchten und zu Transparenz anzuhalten, sollte es jemanden geben, der*die genau das Gleiche mit den Ausbilder*innen macht. Es sollte sichergestellt sein, dass die Basis an der Schule stimmt und die Referendar*innen dort eben nicht die Trottel für alle sein müssen, sondern angemessen unterstützt und vor allem ausgebildet werden. Noten sollten nicht nach Lust, Laune und Sympathie vergeben werden, sondern anhand sinnvoller Kriterien, die die Bewertungen transparent und nachvollziehbar machen. Kleine Fehlerchen sollten als menschlich akzeptiert werden. Genau wie der Fakt, dass Schüler*innen eben manchmal nicht zuhören oder langsam verstehen, ohne dass deswegen sofort die Arbeitsanweisung unklar war. Man sagt doch, dass man aus Fehlern lernt. Also lernt ihr doch endlich auch aus euren. (Leia Winter, ze.tt)
Das Referendariat ist eine legendär brutale Ausbildung. Die Intransparenz der Notengebung kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, ebenso viele andere der im Artikel genannten Kritikpunkte. Ich würde allerdings nicht zu einer solchen Generalkritik ansetzen wollen wie das Winter hier tut. Die größten Probleme im Referendariat, wie ich sie erlebt habe, bestehen in dem beispiellosen Druck, dem man darin ausgesetzt ist, der Unklarheit über die Anforderungen in den "weichen" Segmenten (wie der angesprochenen Schulleiterbeurteilung) und der gleichzeitigen völligen Hilflosigkeit der eigenen Position. Das Referendariat war, wie für so viele andere Referendare auch, eine höllische Zeit. Ich bin mehr als froh, dass sie rum ist. Und sie müsste nicht so höllisch sein. Bedauerlicherweise ist es so wie häufig in diesen Systemen, dass das Problem dadurch reproduziert wird, dass die Abgänger nun mit einem "für mich war es schlimm, warum sollte es für dich anders sein" die Probleme aufrechterhalten. Auch das habe ich leider nur allzu oft erlebt. Gleichzeitig aber, und das ist die Kehrseite des Ganzen, ist das Referendariat auch eine ungeheuer gute Ausbildung. Wer es mit einer vernünftigen Note übersteht, kann sich auf die Schulter klopfen - das ist alles, aber keine Selbstverständlichkeit, und man hat dafür wirklich etwas geleistet. Auch wenn Seiteneinsteiger das nicht gerne hören, die Ausbildung durch das Referendariat ist ein elementarer Bestandteil des Lehrerdaseins. Wer es nicht gemacht hat, dem fehlt nicht nur etwas, sondern einiges.

 7) In eigener Sache
Mit dem heutigen Tag scheide ich beim BR aus – auf eigenem Wunsch [Ergänzung 2.1.20: mit dem 31.12.19 lief mein Beschäftigungsverhältnis formell aus]. Gerade Ihre öffentlichen Äußerungen in jüngster Zeit über die Verantwortung des BR in Zeiten von Fake News und Hate Speech waren für mich nur mehr schwer zu ertragen. Wie kann man sich auf Bühnen stellen und von Werten reden, wenn man diese im Tagesgeschäft aber auch gegenüber dem eigenen Rundfunkrat so eklatant vermissen lässt? Wenn uns Medienmacher etwas von den großen Tech-Konzernen aus dem Silicon Valley unterscheidet, dann doch wohl unser journalistisches Ethos. Als Intendant haben Sie – mehr als jeder andere Amtsträger des Hauses – nicht nur große Verantwortung, sondern auch Vorbildfunktion. Was Sie tun (oder eben nicht tun) setzt den Maßstab dafür, wie sich Ihre Untergebenen verhalten, seien es die Direktoren, der Chefredakteur, bis hin zu jedem einzelnen Redaktionsleiter. Vor drei Jahren hatte ich mich in einem persönlichen Brief an Sie gewandt. Ich hatte versucht, Ihnen die Situation begreiflich zu machen, in der sich meine Familie und ich befinden. Sie hätten uns helfen können, hätten sich aktiv und für alle Welt sichtbar vor Ihren Mitarbeiter stellen können. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, zugleich Vorsitzender der ARD – was für ein Zeichen wäre das gewesen! Stattdessen haben Sie weggeschaut – und das obwohl Sie als einer der Wenigen schon frühzeitig über alle Details, insbesondere über die antisemitischen Motive unserer Angreifer, bestens informiert waren. (Richard Gutjahr)
Genauso wie bereits beim #Omagate-Skandal finde ich es absolut erschreckend, wie disloyal die Intendanten der Öffentlich-Rechtlichen mit ihren "freien" Mitarbeitern umgehen. Diese Leute leben ohnehin bereits in einem ständig prekären Zustand, weil sie durch ihren Status kaum berufliche Absicherung genießen. Wenn ihnen dann der eigene Sender, für den man (wie in Gutjahrs Fall) Jahrzehnte gearbeitet hat, dermaßen in den Hintern tritt, wenn Probleme auftreten - vor allem mit den mittlerweile zur Gewohnheit werdenden rechten Hetzmobs - dann ist das absolut beschämend. Wozu haben wir denn einen so abgesicherten, von direkter Einwirkung und Kritik weitgehend insulierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn dieser diese Sicherheit dann nicht einmal nutzt, um die Pressefreiheit gerade bei den Schwächsten zu verteidigen? Und zwar völlig unbesehen davon, was man so persönlich als Intendant von den jeweiligen Beiträgen hält. Ein Arbeitgeber verfügt über eine gewaltige Macht, und wie schon Onkel Ben wusste, erwächst aus großer Macht auch große Verantwortung. Dieser Verantwortung kommen Arbeitgeber leider allzu oft nicht nach, wenn sie vorschnell irgendwelchem Druck nachgeben, um ja so wenig Scherereien wie möglich zu haben. Ich schreibe hier ja oft und gerne gegen die widerliche Praxis an, Leuten, die irgendwelche Fehltritte haben, sofort die Existenzbasis unterm Hintern wegzublasen. Ob das irgendwelche Hitlergrüßenden Studenten sind, Leute die rassistische Kommentare machen oder sonst was. Für solche Zwecke gibt es das Mittel der Abmahnung, da muss man nicht sofort mit der Kündigung an der Hand sein. Und auf der anderen Seite gilt, dass man als wohlbezahlter Intendant durchaus mal den Shitstorm aushalten und sich vor seine schwächeren Mitarbeiter stellen kann, auch wenn es unangenehm ist. Das ist nämlich Teil des Jobs und der angesprochenen Verantwortung.

 8) Video
Angesichts dieser vollen Ladung Bullshit von FOX News ist mir ehrlich gesagt unklar, wie jemand sagen kann, dass die früher nicht bereits völlig daneben gewesen wären. In den Kommentaren hatten wir diese Diskussion ja jüngst mit Erwin Gabriel. Bereits 2009 behauptete FOX, dass Obama ein "muslimischer König" gewesen sei, "die amerikanische Flagge hasst" und den Islam höher wertet als die USA. Dieser Wahn ist eben schon deutlich älter als Trump; viel grundlegender: er hat Trump erst möglich gemacht. Es war jahrelange FOX News Propaganda dieser Art, die die rassistische Tea-Party-Revolution 2010 ermöglichte, und sie war es, die wiederum die weitere Radikalisierung der Partei zu dem Punkt befeuerte, an dem sie den orangen Showmaster wählten. Das kommt nicht aus dem Nichts.

 9) One Year in Washington
It is clear there is a shift happening in American politics, one that favors Ocasio-Cortez’s long-term prospects. Trump’s demagogic populism is a part of it, and so is the fact that Americans ages 18 to 24 are more favorably inclined toward socialism than capitalism, that 80 percent of young people think the federal government should address climate change, that over 70 percent say the wealthy should pay higher taxes, and that some of the highest percentages ever recorded call their politics far left or liberal. Post-millennials are majority nonwhite in 13 states and in nearly 40 percent of the nation’s largest metro areas; they are close to majority nonwhite nationwide. Sanders leads by large margins among the young, but also fares better than almost any Democrat against Donald Trump — proof, perhaps, of millennials’ desire for someone liberal and the heartland’s desire for different political ideas. And Ocasio-Cortez is all of these things: Latina, liberal, “authentic,” fluent in social media and popular culture. Outspoken lefties have come and gone before, but often they were like Bernie or, before him, Ralph Nader: rumpled, grouchy, hectoring. For leftists, politics used to be something to avoid, a corrupting drag on the purity of activism. Ocasio-Cortez has changed that. “You hear that trope all the time. ‘I am a workhorse; I am not a show horse.’ But what I think people don’t understand is that educating the public is a part of this job. The most effective public servants are part of our culture. They are just as fluidly part of the conversation as Lizzo or as this movie that you saw,” she said. (David Freelander, New York Magazine)
Ich denke überhaupt nicht, dass das "klar" ist. Dass es eine langfristige Verschiebung nach links gibt ist eine Theorie, die bald ihren 16. Geburtstag feiert ("emerging Democratic majority", 2004). Ich hoffe definitiv, dass das so kommt, aber es ist far from clear. Freelander macht außerdem den Fehler, die Zustimmung zu Policy-Positionen wesentlich zu hoch zu bewerten. Ich erinnere mich noch daran, wie wir seinerzeit in der Großen Koalition wie besoffen Umfragezahlen hochhielten, in denen >70% der Befragten den Mindestlohn, den Abzug aus Afghanistan und das Ende von Hartz-IV befürworteten und aus diesen Zahlen goldene Aussichten für die diese Positionen als einzige vertretende LINKE ausrechneten. Es kam bekanntlich anders; die Haltung zu einzelnen Policy-Fragen ist für die Wahlentscheidung nämlich praktisch bedeutungslos. It's all identity politics.
Aber! Auf der anderen Seite sollte man nicht geringschätzen, wie einhellig junge Menschen diese Positionen vertreten. Die politischen Überzeugungen, die in dieser Lebensphase gebildet werden, halten üblicherweise ein Leben lang. Ebenfalls bedeutend sind inspirierende Führungsfiguren wie Alexandria Ocasio-Cortez, die potenziell in der Lage sind, ganze Parteiflügel und darüber vielleicht sogar die Partei selbst neu zu definieren. Menschen wie sie haben das auf der Rechten vollbracht und die republikanische Partei in nur zwei Dekaden zu einer rechtsextremen, antidemokratischen Maschine gewandelt. Da sollte es nicht zu weit hergeholt sein, eine Sozialdemokratisierung der Democrats für möglich zu halten.

Kelton is also one of the leading proponents of modern monetary theory, a controversial economic school of thought that holds that governments should simply print more money to finance spending needed to revive the listless global economy – as long as doing so does not cause inflation to soar. This contrasts with conventional economic thinking, which generally holds governments need to finance spending in excess of their incomes by borrowing money. She has little time for the Australian political scene’s obsession with running a budget surplus. “I don’t want to be disrespectful, but it’s economically illiterate,” she said. “It is the wrong way for a government to behave – in other words, prioritising a budget outcome as if the numbers that get churned out of the budget box each year are what matter. “I always say that governments that behave this way are willing to force their economies to balance their budgets and what I would do is the opposite of that – I would use my budget, allow my budget to balance the broader economy. “I don’t care what number falls out of the box at the end of each fiscal year as long as it delivers good macroeconomic conditions. “So if I have full employment, if my inflation rate remains low, I am indifferent to the budget outcome.” (Ben Butler, The Guardian)
Ich habe bereits hier im Blog über MMT geschrieben. Ich denke, wenn die Progressiven sich von der fixen Idee der schwarzen Null und der ausgeglichenen Haushalte lösen, dann wird eine Argumentation wie Keltons oben der entscheidende Baustein der politischen Kommunikation dieses Schritts sein. Dazu ist es nötig, anderen Indikatoren (wie die von Kelton angesprochene Vollbeschäftigung oder niedrige Inflationsrate) als Benchmark zu nehmen und den Haushalt dagegen zu vernachlässigen. Nach Jahrzehnten der Pawlow'schen Konditionierung ist das aber keine leichte Aufgabe. Die eigenen Wähler müssen dabei davon überzeugt werden, dass das so funktioniert. Ich habe da wenig Vertrauen, ehrlich gesagt, aber vielleicht unterschätze ich die Kommunikationsfähigkeiten des einen oder anderen Kandidaten hier.

 11) What Should Liberals and Conservatives Write More About?
Still, this should stop. Personal contributions to fighting climate change are pretty near zero, and it’s not controversial to say that we should stop trying to guilt our way to saving the planet. Practically every serious environmentalist is on board with this. On a personal level, you should go ahead and do whatever you want. If that means making a difference by getting rid of your dryer and hanging your clothes on a line in the backyard, then do that. If it means flying to Bermuda, then fly to Bermuda. They’re both perfectly good choices—the first since every little bit helps, and the second since, nonetheless, the only way we’ll make a real dent in global warming is via massive collective action—that is, action at the national and international level. Of course, this is National Review. The only time they mention climate change is when there’s a chance to mock people who take it seriously. Likewise, the only time they mention the plight of the poor is when there’s a chance to write about a program that doesn’t work or a beneficiary who cheated. The only time they mention African Americans is when there’s a chance to defend the police or mock some aspect of modern wokeness. [...] That’s what I’d like to see them write more about—from a conservative perspective, of course. But what do they think we progressive writers ignore that we shouldn’t? Perhaps they think I should write more about ways to improve the military. Or ways to keep our borders secure. Or ways to keep universities open to conservative voices. Or something else. That is, I shouldn’t write about these things only when I have a chance to mock conservative hypocrisy or cite a study showing that conservatives are wrong. (Kevin Drum, Mother Jones)
Widmen wir uns zuerst der ersten Hälfte von Drums Argument. Er hat natürlich Recht damit, dass individuelle Verhaltensänderungen erst einmal wenig Effekt haben, aber ich halte dieses Argument gleichzeitig für einen gigantischen blinden Fleck. Man hört es auch gerne aus FDP- und gelegentlich CDU-Kreisen, und erneut, technisch gesehen ist es richtig. Der CO2-Ausstoß kommt hauptsächlich aus Industrie, Energieerzeugung und Transport. Nur globale Lösungen, die hier ansetzen, werden den Klimawandel ernstlich aufhalten können. Aber: Wer glaubt denn ernsthaft, dass Maßnahmen, die die hier benötigten drastischen Einschnitte bringen, keine Auswirkungen auf das individuelle Konsumverhalten haben werden?! Ich sehe den relevanten Wert individueller Verhaltensänderungen vor allem darin, das Bewusstsein zu schaffen und Akzeptanz für diese Änderungen zu generieren, ein Problem, das sowohl Drum als auch Lindner meiner Meinung nach stark vernachlässigen. Beim anderen Punkt Drums kann ich nur zustimmend nicken und selbst verlegen Nägel kauen; schuldig im Sinne der Anklage. Vermutlich sollte ich wirklich mal mehr über Themen außerhalb meiner eigenen Komfortzone schreiben. Daher hier der Aufruf: Was wollen die Leser von mir hören? Sicherung der EU-Außengrenzen? Haushaltskonsolidierung? Verhindern von Mitnahmeeffekten beim Sozialsystem? Bedrohung durch Linksextremismus? Das wären so spontan einige Sachen die mir einfallen, zu denen ich normalerweise nicht schreibe.

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