Dienstag, 18. Februar 2020

Bernie bespricht beim Assassin's-Creed-Spielen mit Friedrich Merz Sicherheitspolitik - Vermischtes 18.02.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Über die Wahrung der demokratischen Form
Dennoch bleibt die Vorstellung, die Bundesregierung sei einem Neutralitätsgebot unterworfen, irritierend. Denn als demokratisches Organ kann sie nicht anders, als sich politisch zu äußern – und zwar nicht nur, wenn ihre Angehörigen zugleich ein Parteiamt bekleiden. Sollte eine Antwort auf die politische Krise wirklich darin liegen, mit verfassungsrechtlichen Mitteln aus Politikern Beamte zu machen und die eigentliche Politik damit im Ergebnis denen zu überlassen, die keine Ämter im geltenden System anstreben? Das Verständnis des Regierens als höhere Form des Verwaltens war für Max Weber ein wesentlicher Grund für den gerechtfertigten Niedergang des Kaiserreichs. Gut passt dazu der Ruf nach einer Expertenregierung in Erfurt. Verfassungsrechtlich entsteht auf diese Weise eine seltsame Zwei-Welten-Lehre einerseits aus Systemgegnern, die unter Berufung auf die Meinungsfreiheit fast alles, andererseits aus politischen Amtsträgern, die fast gar nichts mehr sagen dürfen. Die wehrhafte Demokratie kann so nicht im politischen Alltag beginnen. Die Vorstellung, Politik als „Kompetenzausübung“ zu verstehen und dadurch juristisch weitgehend einzuhegen, ist, das hat Christian Neumeier soeben in einer brillanten von Christian Waldhoff an der HU betreuten Promotionsschrift rekonstruiert, ein Kind des krisengeplagten deutschen Nationalliberalismus des späten 19. Jahrhundert. Eine Entsprechung in anderen demokratischen Verfassungsordnungen wird sie nicht finden. Dass eine Regierungschefin politisch neutral sein sollte, dürfte wohl nirgendwo auf Verständnis stoßen. Wäre sie es, würden sofort Klagen über das innenpolitische Vakuum laut, das eine solche Neutralität zwangsläufig erzeugt. Nicht zum ersten Mal wird hier eine politische Auseinandersetzung in einen Legalitätsdiskurs übergeleitet, der die demokratische Auseinandersetzung schwächt. Im Traum von der unpolitischen Regierung gehen bürgerliche Politikaversion, die nachwirkende Erfahrung mit der Behaglichkeit der alten Bundesrepublik, der Glaube an einen vorpolitischen Selbststand des Rechtsstaats, aber vielleicht auch eine intellektuell ausgezehrte Juristenausbildung eine Allianz ein, die mit dem Politikverständnis des Grundgesetzes nichts zu tun hat. „Die demokratische Form wahren“ – was immer das bedeuten soll, es kann nicht heißen, politisch neutral zu sein. Hier verwechselt Müller, aber nicht nur er, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Form der Demokratie ist die Form der Politik. (Christoph Müllers, Verfassungsblog)
Es ist gut, dass Müllers sich an die Fleißarbeit gemacht hat, die Idee einer "neutralen" Regierung zu widerlegen. Worauf er aber leider nicht eingeht, ist der Grund für die "bürgerliche Politikaversion", die den "Traum von der unpolitischen Regierung" hegt. Es ist derselbe Irrtum, der auch die instinktive Ablehnung dessen beinhaltet, was Bürgerliche gerne als "Identitätspolitik" schmähen (was es, wie wir wissen, nicht ist). Das Problem, das hinter dieser Fehlkonzeption steckt, ist die Absolutsetzung der eigenen Lebenserfahrung. Was meine ich damit? Bei all diesen Themen, bei denen Bürgerliche gegen Identitätspolitik wettern, ohne dabei zu bedenken, dass sie selbst ebenfalls heftig eine solche betreiben, geht es darum, dass die von ihnen wahrgenommene Normalität verstoßen wird. Und damit kommen wir zu Müllers Artikel zurück. Bürgerliche haben keine Politikaversion; sie haben eine Aversion dagegen, dass andere Politik machen, und setzen ihre Normalität absolut, so dass sie sie nicht als Politik empfinden. Der Adel des ausgehenden 18. Jahrhunderts war auch der Überzeugung, unpolitisch zu sein, und klagte über das provozierende, ständig Ärger machende Bürgertum. Sich selbst als apolitisch zu empfinden ist das Privileg der herrschenden Klasse. Das muss man sich klar machen, und dann findet sich der Rest logisch selbst.

2) „Wir brauchen die nicht mehr“
In was ein kleines Leitmotiv dieses Artikels werden dürfte will ich Friedrich Merz loben. Der Journalistenverband kann sich gerne empört aufplustern, aber Merz hat halt Recht. Die Deutungshoheit hat sich in den letzten zwei Dekaden massiv von den klassischen Medien verschoben. Die Zeiten, in denen einzelne Schlagzeilen Politikerkarrieren machen oder zerstören konnten, sind vorbei. Was Merz nicht erwähnt - und vielleicht auch noch nicht verstanden hat, wer weiß - ist, dass auch die Nachrichtenerzeuger diese Hoheit nicht haben. Merz liegt richtig, wenn er sagt, dass er zum Verbreiten seiner Botschaften nicht auf die Zeitungen oder die Tagesschau angewiesen ist; berichten werden sie am Ende ja ohnehin. Aber kontrollieren, was davon beim Rezipienten ankommt, kann er auch nicht. Gut möglich, dass er den Weg geht, den bereits mehrere vormals bürgerliche Parteien für sich entdeckt haben - etwa die Tories oder die Republicans. Er könnte die Nation analog zu Trump oder Johnson in einer Flut immer abstruserer Forderungen, Relativierungen und Geschichten ersticken, so dass Wahrheit und Lüge zu noch relativeren Kategorien werden als ohnehin. Es gibt keinen Grund, dass Deutschland dagegen immun sein sollte, und wenn die CDU das macht, dann wird es die gleichen Effekte wie im angelsächsischen Raum haben. Die Frage ist nur, ob Merz der Mann dafür ist, und ob er am Ende so davon profitieren würde. Zurückhaltung wäre in diesem Fall wohl die Tugend, an die er sich halten sollte.

3) Labor Unions Need All the Help They Can Get
Unions have historically been a pillar of the middle class, and strengthening them could help reduce wage inequality, increase labor’s share of national income and provide many low-wage workers with much-needed stability. So the PRO Act is a welcome development. But its focus might be too narrow to make much difference. [...] But none of these changes would address the real problem with the U.S. labor system, which is the way unions are allowed to organize. Under the current system, established in the New Deal in the 1930s, each workplace votes on whether to form a union. That means that unionized workplaces, if they successfully bargain for higher wages and benefits, can place themselves at a competitive disadvantage relative to nonunion shops. Even employers who would be willing to share more of their profits with their workers will try hard to bust a union if they fear it would mean losing business to rivals. And unions are probably less willing to bargain in the first place if their employer’s higher wages wouldn’t be matched by competitors. The solution is to allow collective bargaining at the level of an entire industry -- a policy known as sectoral bargaining. For example, instead of each fast-food restaurant being forced to choose whether to be a union shop, all the fast-food restaurants in a given city would strike the same bargain at the same time. That would end the competitive disparity that now does so much to undermine unionization. Sectoral bargaining could be done several ways. One is to require all establishments in a given industry in a given area to be represented by one union. Either all workers would have to be in the union, or the union would be allowed to bargain on behalf of non-members -- a system that is used to great effect in countries such as France. An alternative is to give multiple labor organizations a seat at the table in each sector, allowing them to compete for representation by offering services to their members. A third option is to set wages in a sector with a government-appointed wage board instead of union-management negotiations. (Noah Smith, Bloomberg)
Ich finde es spannend zu sehen, dass all die Vorschläge, die wir hier lesen können, letztlich auf eine Übernahme des deutschen Systems hinauslaufen - des deutschen Systems, wie es vor 30 Jahren bestanden hat. Denn die hier beschriebene Realität von Betriebsräten und Tarifverträgen ist ja in vielen Branchen längst nicht mehr Realität - sehr zum Schaden der Arbeitnehmer. Ich bleibe dabei, dass vor allem der Dienstleistungssektor - aber bei weitem nicht exklusiv - am meisten darunter leidet, dass die gewerkschaftliche Bindung in Deutschland so stark abgeschwächt wurde. Die Korrelation ist so eindeutig, dass Kausalität praktisch bewiesen ist: Wo Gewerkschaften stark sind, sind die Löhne für "normale" Arbeiter deutlich höher als dort, wo sie schwach sind. Das Gegenrezept liegt auf der Hand.

4) The Crime of Doing the Right Thing
Trump also fired Gordon Sondland, the ambassador to the European Union, who had tried to play both sides—testifying in a fashion that upset Trump while being cagey at first and thus raising questions to House members about his candor. Sondland had managed to please nobody, and his presence on the scene at all was, in any event, a function of his large donation to the presidential inaugural committee. He had bought his way into service at the pleasure of the president and, having done so, proceeded to displease the president. Most eyes will, I suspect, remain dry as Sondland blusters his way back to the hotel business. But Vindman is another story. His was not a political position. He is an active military officer, rotating through the NSC on assignment. The president can put quotation marks around lieutenant colonel, as he did in today’s tweets, in an effort to demean Vindman’s service, but there is nothing to demean about his service, which has been in all respects honorable. The conduct for which his career has been attacked, what the president calls Vindman’s “insubordination,” was exceptionally brave truth-telling—both in real time and later when Congress sought to hear from him. When that happened, Vindman did not shrink from the obligation to say what had happened. [...] And thus did Lieutenant Colonel Alexander Vindman join a very special club—a motley crew of public officials who have drawn the public ire of a president of uncompromising vindictiveness for the crime of doing the right thing. It’s a club composed of former FBI officials, including two former directors of the bureau; American ambassadors; a former attorney general; some lawyers and investigators; even the former ambassador to the United States from the United Kingdom—anyone who has a line he or she won’t cross to serve Trump’s personal needs or who insists on doing his or her job by not hiding unpleasant realities. [...] Unlike his boss, John Bolton, he did not withhold information from Congress, nor did he cite potential privileges that could be resolved only by court order or by book contract. Unlike Sondland, he didn’t waffle when called. Rather, along with a group of other public servants at the NSC, the State Department, and the Defense Department, he went up to Capitol Hill and told the truth. [...] It is all part of a civil-liberties violation so profound that we don’t even have a name for it: the power of the president to suddenly point his finger at a random person and announce that this is the point in the story when that person’s life gets ruined. (Benjamin Wittles, The Atlantic)
Mit einer der gefährlichsten Aspekte an Trumps Präsidentschaft ist der hier beschriebene Faktor. Der Präsident nutzt den ihm zur Verfügung stehenden Staatsapparat, um Rache an seinen politischen Gegnern zu nehmen. Wenn nicht so deprimierend klar wäre, wie es ausgeht, wäre allein das ein sehr guter Grund, gleich das nächste Impeachment zu starten. Exekutive Zurückhaltung auf diesem Feld ist eine Tugend, die selbst George W. Bush noch pflegte und auf der Obama quasi engelsgleich war. Doch die Zerstörung sämtlicher Normen unter der Ägide der republikanischen Radikalisierung hat dafür gesorgt, dass auch hier keine Hemmungen mehr bestehen. Wie immer ist es an den Democrats, die andere Wange hinzuhalten und nicht nach Vergeltung zu streben, sondern die Normen wieder an Ort und Stelle zu setzen. Es sind solche Normenzerstörungen, die die Demokratie gefährden. Gerade den Konservativen, die so gerne die Geschichte Roms zitieren, sollte klar sein, dass dieselben Mechanismen zum Fall der Republik führten.

5) A Bernie Sanders presidency would be remarkably familiar
This is about as realistic as the tricorn hat fantasies of Republican presidential candidates in 2012. To take only a single example, Medicare-for-All is not likely to win the support of Nancy Pelosi, to say nothing of Mitch McConnell. The revolution may be televised, but it won't be on Senate TV. All the dire warnings progressives have issued in the last three years about the scope of executive authority will have to be forgotten if Sanders hopes to accomplish even a fraction of the things he is talking about in this campaign. More so even than Trump, Sanders is someone who will have to rule by executive order — doing things like unilaterally redefining the scope of Medicare eligibility — or not at all. In the meantime, he and his supporters should feel free to continue pretending that it is "unconstitutional" for the president to move a congressionally appropriated nickel from one jar into another. But heaven's sake, or at least Bernie's, please don't actually start believing it. This is not a problem unique to Sanders. The concentration of quasi-legislative authority in the executive branch is something that is likely to continue apace regardless of who is in the White House. But there is another area in which a Sanders administration would distinctly resemble the present one: staffing. While I am sure that some of his enthusiastic young supporters dream of a cabinet full of Verso Books editorial assistants and aging counterculture luminaries (Attorney General Angela Davis, here we come?), the truth is that most of the people who are willing to implement Sanders' agenda are not qualified to hold executive branch jobs. Meanwhile, the people who are will be just as likely as Trump's early cabinet appointees were to sabotage his plans from within. Who, for example, does Sanders imagine will be capable of serving as his treasury secretary? Whom would he appoint to head the Federal Reserve? Some heterodox post-Keynesian economist from the University of Massachusetts Amherst? Is he going to put Dennis Kucinich in charge of the Pentagon? Or will his supporters be willing to accept the fact that Sanders too will likely have a secretary of defense who, because he is qualified for the position and has relevant experience, holds a number of assumptions that are at odds with the administration's most basic foreign policy goals. (Matthew Walter, The Week)
Das ist meine Rede seit den Vorwahlen 2015. Ich glaube einfach nicht an Bernie Sanders' theory of change. Seine Theorien dazu, wie er sein Programm umzusetzen gedenkt, sind in etwa so realistisch wie Joe Bidens Gerede von überparteilichem Kompromiss im Senat. Wie jeder andere Präsident auch müsste Sanders im völlig disfunktionalen US-System auf die Möglichkeiten der Exekutive zurückgreifen, und dafür fehlt ihm jegliches qualifiziertes Personal. Aber: Genau darin könnte auch seine Chance liegen. Chris Hayes hat dies in seinem letzten Podcast mit Jon Favreau diskutiert. Das einzige Feld, auf dem Trump (neben den Steuergeschenken für die Superreichen) etwas erreicht hat, ist bei der Migration. Natürlich war das rein destruktiv, aber das Verwandeln von ICE in eine Art eigener SA und das Errichten von Konzentrationslagern für Asylsuchende ist deswegen passiert, weil Trump mit Steven Miller einen ruchlosen und kaltschnäuzigen Ideologen an die Spitze gesetzt hat, dem völlig egal ist, ob etwas gesetzestreu ist oder der bisherigen Praxis entspricht. Er probiert einfach und nimmt, was er kriegt. Wenn das Gericht etwas wieder einkassiert ist meistens eh zu spät. Theoretisch könnte Sanders ruchlos genug sein, dasselbe von links zu machen. Oder Bloomberg, dem eine autoritäre Ader nicht gerade abgeht, um es milde auszudrücken.

6) Wo der Spaß aufhört 
Ich bitte um Verständnis, dass nun ein persönlicher Einschub folgt: Als Journalist, der seit mehr als einem Jahrzehnt über Spiele schreibt, habe ich selbst die Möglichkeit zur Darstellung von Gewalt in Games immer wieder verteidigt. Mir ging es dabei wie manch anderen Kolleginnen und Kollegen auch darum, dass Videospiele endlich als Kulturgut ernst genommen würden. Vor einem Jahrzehnt nämlich gab es noch eine regelrechte mediale Front gegen Games schlechthin. Es wurde damals regelmäßig und mit Verweis auf oft fragwürdige Studien behauptet, Spielen verrohe Jugendliche und senke bei ihnen womöglich die Hemmschwelle, auch im wirklichen Leben Gewalt anzuwenden. Der Kriminologe Christian Pfeiffer etwa tingelte mit dieser These eine Weile durch Talkshows. Der im Jahr 2009 erstmals vergebene Deutsche Computerspielpreis wiederum, hinter dessen Auslobung eine gemeinsame Initiative der Wirtschaft und des Bundestages steht, wurde auf der politischen Seite von Menschen getragen, die mitunter noch nie einen Controller angefasst hatten. Games, in denen geschossen wurde, wurden bei dem Preis lange nicht bedacht. Allein die routinemäßige Verwendung des Begriffs "Killerspiele" in der Diskussion um Games machte deutlich: Die galten als Problem, nicht als Kunst. Wie großartig etwa der Ego-Shooter Half Life 2 als Spiel war, ließ sich deshalb kaum debattieren: War das nicht das beste Game aller Zeiten? Aber fast gleichzeitig kam GTA San Andreas heraus, man musste ständig neu über diesen Superlativ nachdenken. Brutal waren beide Games. Wie sehr einen Doom 3 oder die Dead-Space-Spiele in einen Kosmos aus Angst und Grusel katapultieren konnten, einen der guten Sorte: Von all dem wussten diejenigen nichts, die Videospiele lediglich hinsichtlich ihrer vermeintlichen Wirkung (auf Heranwachsende vor allem) betrachteten, nicht aber als Kunstwerk. Bernd Neumann etwa, Kulturstaatsminister von 2005 bis 2013, hofierte durchaus den Filmregisseur Quentin Tarantino, vertrat hingegen die Meinung, dass Ego-Shooter "schwerlich kulturell und pädagogisch wertvoll" sein könnten. Die Aussage tauchte in einer Pressemitteilung dessen Hauses auf, als dann doch mal ein Ego-Shooter beim Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde, Crysis 2 im Jahr 2012. Der Vorgänger von Odyssey, das auch nicht unbrutale Assassin's Creed Origins, wurde in diesem Jahr mit dem Deutschen Computerpreis in der Kategorie Action-Adventure-Spiel prämiert. Die Zeiten haben sich also geändert. Aber vielleicht liegen die Zeiten ja auch wieder falsch, nun nur anders als angenommen: Wohin führt die Gewalt jetzt? Wie vor allem sieht sie aus? (Thomas Lindenmann, ZEIT)
Ich sehe das genau wie Lindenmann. Ich war mittendrin in diesen beknackten Debatten in den 2000er-Jahren, als in der FAZ ein Artikel erschien, der dem entsetzten Publikum erkläre, in Counterstrike bekomme man Bonuspunkte für das Abschießen von Omas mit Kinderwägen (in einem Spiel, das weder Punkte noch Omas noch Kinderwägen kennt). Das Niveau dieser Debatte war unterirdisch und hat eine ganze Generation radikalisiert. Meine Freunde von damals kriegen heute noch, mit Mitte 30, einen Hals, wenn sie an den Bullshit denken. Und diese Masse an Bullshit hat den Brunnen für jede vernünftige Debatte vergiftet. Die professionellen Bedenkenträger von einst sind weiter gezogen und verkaufen ihr Schlangenöl jetzt, indem sie vor Smartphones und Snapchat warnen. Gegenüber der Videospielbranche, die längst das mehrfache (!) des Umsatzes Hollywoods macht, haben sie vollständig kapituliert. Die intellektuelle Wüste der Debatte über Videospiele hat man bereits im #Gamergate-Skandal 2014 gesehen; das ist seither nicht besser geworden. Und das ist komplett die Schuld der blasierten Journalisten, Politiker und Elternvertreter von einst, die nicht bereit waren, auch nur die grundlegendsten Fakten über das zu lernen, über das sie sprachen. Und wenn das nicht eine Kontinuität zu den heutigen Debatten über das Smartphone ist, die auch völlig ohne die eigentlich Betroffenen, bar jeder Sachkenntnis und unter der Fahne heiliger Empörung geführt werden. Und damit eine Generation für jede Diskussion über vernünftige Mediennutzung immunisieren. Bravo. Bravo. Bravo.

7) Ohne Privatversicherungen würden die Kassen-Beiträge sinken
Wenn alle Bürger gesetzlich krankenversichert wären, würden die Kassen pro Jahr rund neun Milliarden Euro mehr einnehmen als bisher – und der Beitragssatz für alle könnte um bis zu 0,7 Prozentpunkte sinken.Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Berliner IGES-Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die heute veröffentlicht werden soll. Im Schnitt brächte demnach die Abschaffung des dualen Krankenversicherungssystems - im politischen Jargon Bürgerversicherung genannt - jedem bisherigen Kassenmitglied und seinem Arbeitgeber zusammen eine Ersparnis von 145 Euro im Jahr. Und selbst, wenn den Ärzten die Mehreinnahmen durch Privatversicherte komplett ausgeglichen würden, bliebe den Mitgliedern von AOK, Barmer & Co. unterm Strich noch ein Plus von 48 Euro. [...] Tatsächlich befinden sich in der PKV, wie die Studie ergab, in Relation zur Versichertenzahl weniger Menschen mit Pflegebedarf, Erwerbsminderung, Schwerbehinderung oder chronischen Erkrankungen als in der GKV. So sind 1,9 Prozent der Versicherten bei den gesetzlichen Kassen pflegebedürftig, bei den privaten nur 1,1 Prozent. Die Quote der Erwerbsgeminderten oder Schwerbehinderten beträgt bei der GKV 14,8 Prozent, bei der PKV 11,2 Prozent. Und bei den Versicherten mit längeren oder chronischen Erkrankungen liegt die GKV mit fast sechs Prozentpunkten vorn: Sie kommt hier auf einen Anteil von 44,1 Prozent, die PKV auf 38,3 Prozent. [...] „Der durchschnittliche GKV-Versicherte zahlt jedes Jahr mehr als nötig, damit sich Gutverdiener, Beamte und Selbstständige dem Solidarausgleich entziehen können“, resümiert der Bertelsmann-Gesundheitsexperte Stefan Etgeton. Dies sei „der Preis dafür, dass sich Deutschland als einziges Land in Europa ein duales Krankenversicherungssystem leistet.“ Aus dem „ideellen Solidaritätsverlust“, der mit dem dualen Krankenversicherungssystem einhergehe, werde auch ein ganz realer und finanzieller. (Rainer Woratschka, Tagesspiegel)
Ich halte eine Bürgerversicherung mit einem privaten Krankenversicherungswesen, das Zusatzversicherungen anbietet, für die beste Lösung. Erstens räumt es mit einem hyperkomplizierten und ineffizienten System auf (das dürfte Stefan Pietsch gefallen, der ist ja immer für möglichst einfache Systeme :P), zweitens macht es die Krankenversicherung für alle Beteiligten günstiger und drittens nimmt es eine ganze Latte Fehlanreize aus dem Markt. What's not to like?

8) Kommunal-CDU stimmt mit AfD und NPD // Tweet
Inhaltlich ging es bei der Abstimmung um einen Antrag, der den Zuzug in die 12.000-Einwohner-Stadt im Speckgürtel Berlins begrenzen soll. Um eine "zunehmende Entfremdung" zu verhindern, wurde nun der Bau von Wohnprojekten mit mehr als 50 Einheiten per Moratorium gestoppt. Auch der lange geplante Anschluss an das Berliner S-Bahn-Netz soll nicht weiter verfolgt werden. Vornehmlich soll der Zuzug aus Berlin selbst reduziert werden, eine AfD-Abgeordnete machte im Vorfeld des Votums jedoch auch mit dem Verweis auf einen Migrationshintergrund bei 40 Prozent der Zuziehenden Stimmung für den Antrag, berichtet die "Berliner Zeitung". (ntv)
Zwei Beispiele dafür, wie die Brandmauern weiter eingerissen werden. Ich kenne die Landesverbände zu wenig, um die Allgemeingültigkeit der Berliner CDU- und FDP-Gliederungen bewerten zu können, aber in beiden Fällen handelt es sich um scharfe Sprünge nach Rechts. Im Fall der CDU arbeitet man nicht nur mit der Partei der Neonazis zusammen (hallo, wir reden von der NPD!) sondern auch mit der mit Neonazis ein entspanntes Verhältnis pflegenden AfD. Und worin? In einer offen rassistischen Maßnahme zur ethnischen Reinhaltung der eigenen Stadt. Das ist dermaßen widerlich, man weiß gar nicht wo anfangen. Im anderen Falle haben wir einen weiteren Beleg für die krasse Verschiebung ins rechte Spektrum der FDP spätestens seit 2017. Wer sich zusammen mit der AfD zum Brüllen rechtsradikaler Slogans hochjazzt, der stellt sich bewusst in diesen Sumpf. Das ist, als würden Abgeordnete der Grünen zusammen mit Antifa-Leuten hinstehen und "All Cops Are Bastards!" brüllen. Aber ich bin sicher, dass unsere Kommentatoren Wege finden werden, beides zu entschuldigen. Geht ja gegen links und so.

9) Americans Are Suckers for a Certain Kind of Grifter
I look forward to not thinking about Avenatti; he will probably end up with a prison sentence, and I hope he emerges penitent and rehabilitated. But we should all think about the pathological processes that led him to be lionized in the first place. A lefty friend told me once that he thought Democrats needed to treat Trump like a schoolyard bully, and that the remedy for bullying is to make the bully cry by bullying him right back, harder. (Don’t worry; my friend is childless.) Under that theory, Avenatti was the good narcissist, and the left needed someone with sociopathic self-regard to save the country from the malignant narcissist, Trump. It needed someone who can commune with the divine rhythms of the news cycle, like a master sailor who knows winds and tides and by instinct alone arrives in port faster than others. The belief that such a person is the country’s political salvation has done incalculable damage, for the obvious reason that anyone so devoted to his own reflection in the media is likely not to have much time left to be devoted to much else. Trump himself is the most obvious example of this: a man preternaturally attuned to the vagaries of public opinion and media cycles, but faithless to all principle and guaranteed to disappoint, sell out, or denounce his most loyal supporters, as soon as it becomes convenient to do so. Avenatti, of course, never came near the Democratic nomination. But he revealed how defenseless we all are against a certain species of grifter. The psychological vulnerability is universal and devastating: Before a certain kind of soulless charlatan, our brains surrender themselves, as long as he promises that he is fighting on our side. I know of no political test, no gantlet one must pass before appearing on television or on a ballot, that stops such people. In fact these processes select for them, and the relationship between these showmen and the rest of us is best described as abusive and co-dependent. (Graeme Wood, The Atlantic)
Die Analyse Woods ist absolut zutreffend. Nur vergisst er zu erwähnen, dass Avenatti in allen entsprechenden Umfragen keinen Boden gewinnen konnte, genauso wenig wie Marianne Williamson, während bei den Republicans sowohl 2012 als auch 2016 die Spinnerbrigaden von Herman Caine zu Ben Carson, von Rick Santorum bis Donald Trump die Umfragen dominierten. Die Democrats sind sicherlich nicht immun gegen diese Art von Schlangenölhändlern, aber sie haben deutlich bessere Abwehrkräfte. Zumindest bislang. Ich sehe allerdings die aktuelle Entwicklung ebenfalls mit Sorge. 

10) Nicht mal mehr bedingt handlungsfähig


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