Donnerstag, 20. Februar 2020

Wenn ich König der SPD wär, revisited

Einige Monate vor den Bundestagswahlen 2017 schrieb ich einen Artikel, in dem ich im Stil eines offenen Briefs der SPD acht Vorschläge machte, wie sie meiner bescheidenen Meinung nach den Wahlkampf am besten führen solle. Ich komme in Gedanken immer wieder auf diesen Artikel zurück, und ich dachte, dass angesichts der mittlerweile vergangenen Halbzeit der Großen Koalition ich dasselbe tun könnte wie die Partei und einmal tief durchatmen, zurückschauen und sehen, wie sich meine Worte so bewährt haben.
1) Die Extremisten sind ein dankbarer Gegner Ihr seid eine Mitte-Links-Partei. Ihr könnt kübelweise politischen Unrat über die AfD kippen, ohne dass es der Kernwählerschaft zu sehr schadet. Und ihr braucht einen Feind. Martin Schulz ist super geeignet, um sich bei den anderen europäischen Ländern, vor allem aber Frankreich, einzuhaken und eine gemeinsame Front gegen den Rechtspopulismus aufzubauen. Das sollte DAS Thema der SPD sein. Die Versuche der AfD, ihre reaktionäre Ader als Gerechtigkeit für's Volk zu verkaufen sind ein idealer Anlass, um ständig selbst über soziale Gerechtigkeit zu sprechen - und nicht in dem langweiligen Singsang mit leeren Formeln, sondern konkret in Opposition zur AfD. Was ist Gerechtigkeit wirklich? Was ist fair? Was ist modern? Was ist offen? Was ist gut? Die Antwort muss in allen Fällen wenn nicht schon "SPD" heißen, so doch wenigstens auf roten Plakaten stehen. Schwingt euch zum Verteidiger von Demokratie und Freiheit gegen den Extremismus von rechts. Da kann man auch gerne ein bisschen Folklore aus Weimar drauf packen, oder wenn man es konfrontativer mag aus den Auseinandersetzungen mit der CDU/CSU bis einschließlich Strauß. Und keine Angst, das Profil der AfD  damit zu heben oder sonst so was, das hat der LINKEn auch nie geholfen.
Ich fühle mich in diesem Punkt durch die Ereignisse ziemlich bestärkt. Die SPD hat all diese Schritte offensichtlich nicht ergriffen. Der Stärke der AfD hat es nicht geschadet (Punkt für meine These, dass es ihnen nicht geholfen hätte) und stattdessen wurde die Flanke komplett für die Grünen geöffnet, die sich seither als Gegenpol etabliert haben. Am krassesten konnte man das bei der Landtagswahl in Bayern sehen, wo die zentrale Alternative, wenn man sich klar gegen rechts positionieren und nicht die Bürgerlichen wählen wollte, die Grünen waren. Die haben seither auch praktisch überall gewonnen. Warum? Weil sie die Anti-AfD sind. Und diese Rolle hat ihnen die SPD einfach geschenkt. Die Grünen müssen das nicht mal sagen oder so, sie sind es einfach.

Gleichzeitig bleibt auch festzustellen, dass wegen dieser (aus der Sicht der Grünen sicherlich parteitaktisch sinnvollen) Zurückhaltung die von mir gestellten Fragen immer noch unbeantwortet sind. Was ist fair? Was ist modern? Was ist offen? Was ist fair? Das alles ist 2020 nicht klarer als 2017.

Und was die historische Abarbeitung mit dem Wahlkampf der SPD 2017 angeht, werden wir in den Folgepunkten auch immer wieder darauf zurückkommen, aber es ist auch im Nachgang absolut erschreckend, wie ungeheuer inkompetent dieser Wahlkampf geführt wurde. Schulz war die große Hoffnung Macrons 2017, und Macron war im gleichen Jahr der große Hoffnungsträger gegen Le Pen, ein leuchtendes Erfolgsbeispiel im Kampf gegen Rechts. Das Potenzial, das hier verschenkt wurde, ist geradezu Amtsmissbrauch der Wahlkämpfer.
2) Euer Problem ist Merkel Das Hauptproblem der SPD ist Angela Merkel. Irgendein verknöcherter CDU-Reaktionär wäre ein ordentlicher Gegner, der eine schöne Folie abgibt an der man sich reiben kann. Angela Merkel dagegen ist die Meisterin des Teflon. Sie neutralisiert Themen und Aufreger, noch bevor im Willy-Brandt-Haus das Design der Plakate fertig ist. Da Merkel persönlich ziemlich beliebt bei den Leuten ist (außer bei der "Volksverräterin Merkel"-AfD, aber da sollte die SPD lieber die Finger von weg lassen), machen direkte Angriffe wenig Sinn. Glücklicherweise hat die CDU selbst die Anleitung geliefert, was man in so einem Fall machen kann: assoziiere deinen todlangweiligen Gegner mit einem aufregenden Gegner. Für die CDU und FDP war es immer das dankbare Schreckgespenst der LINKEn: stellt euch mal vor, die machen eine Koalition mit denen! MIT DENEN! Das ist ja quasi DDR!

Da konnte die SPD noch so oft beteuern, dass sie nie, nie, niemals mit DENEN eine Koalition eingehen würde. Also, hängt der CDU die AfD um den Hals. Zieht die sächsischen Quislinge vor die Kamera und zitiert jeden noch so obskuren CDU-Gemeinderat, der gerne mit der AfD punktuell zusammenarbeiten würde als sei der nächste Generalsekretär. Keiner wird euch glauben dass Merkel das machen will, also baut den rechten Flügel der CDU (der eh dauernd öffentlich über Merkels viel zu flüchtlingsfreundlichen Kurs grummelt) als den Feind auf, der jeden Moment die arme Kanzlerin entmachten will. Das lässt gleichzeitig Merkel als schwach und angreifbar erscheinen, während Gottkanzler Martin Schulz mit 100% Zustimmung im Rücken (ja, macht damit Werbung) den Rechten die Stirn bietet. Die Story schreibt sich doch von selbst.
Und, was ist im Wahlkampf passiert? Die SPD hat Merkel den Gefallen getan, effektiv als verlängerter Arm der Partei zu kandidieren. Das fand seinem Höhepunkt in dem "TV-Duell", in dem Martin Schulz die Hälfte der Zeit zusammen mit Merkel gegen die vier Moderatoren stand (was auch ein eklatantes Versagen dieser Moderatoren war, wie ich damals schrieb) und die andere Zeit irgendwelche obskuren Details der Verwaltungsgesetzgebung in Stellung brachte, bei denen Merkel effektiv ein "Danke, dass du mich an die unwichtigen Details erinnerst, mein untergeordneter Verwaltungsangestellter, dessen natürliche Vorgesetzte ich bin" fahren konnte. In anderen Worten, er tat genau das, was er keinesfalls hätte tun dürfen, und einfach falls das bisher nicht klar war: Ich hab's vorher gesagt. :) Noch viel bestätigter fühle ich mich bei allem, was ich zur Verbindung zwischen Merkel, der CDU und der AfD geschrieben habe. Ich fühle mich geradezu als Visionär. Genau das ist nämlich passiert. Die rechten Kräfte in der CDU haben den Aufstand geprobt und Merkel entmachtet (was die SPD in eine brutale Bredouille gebracht hat, die sie - wie üblich - nur unter massiver Selbstverleugnung lösen konnte) und diese Elemente haben seither an jeder möglichen Stelle versucht, die Brandmauern einzureißen.

Ich will gar nicht die Debatte darüber wiederbeleben, wie böse das die CDU macht - dafür hatten wir zig Beiträge hier im Blog in den vergangenen zwei Wochen - sondern das unter dem Blickwinkel der politischen Strategie der SPD sehen. Hätten sie von Anfang an gemacht, was ich oben beschrieben habe, wären sie als die Mahner dagestanden, als diejenigen, die die Gefahr früh erkannt und dagegen gearbeitet hätten. Vielleicht wären die Stimmen, die jetzt in Thüringen alle Bodo Ramelow in den Schoß fallen, selbst einfahren können. Auch hier: ein absolutes Politversagen auf allen Ebenen.
3) Ignoriert die BILD Seit 2005 war die BILD ein konstanter Gegner der SPD. Erinnert sich noch jemand an "Lügilanti"? Oder "Beck muss weg"? Keine noch so enge Anbiederung an die CDU und ihre Positionen wird die Leute bei Axel Springer auf eure Seite ziehen. Die BILD ist ein Medium im Niedergang. Ihre Leser sind alt und reaktionär. Die wählen euch nicht und werden euch nicht wählen. Scheißt auf die BILD. Ihre Feindschaft ist ein Ehrenabzeichen. Erwähnte ich schon, dass eure Feinde auf der Rechten stehen? Assoziiert das Schmierblatt mit dem Gegner aus 1) und 2). Keine Bange, eure Leute machen die Verbindung ohnehin instinktiv. Das läuft.
Ich habe hier wenig zu sagen. Die BILD ist inzwischen ein solcher Nicht-Faktor, das Blatt spielt im Vergleich zu vor zehn Jahren praktisch keine Rolle mehr. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass die Partei spezifisch vor der Springer-Presse in die Knie gegangen wäre.
4) Scheiß auf Zahlen und Programme [caption id="" align="alignright" width="408"] Im Zweifel tut es das als Erklärung wie das alles gehen soll.[/caption] Wisst ihr was eure schlimmste Obsession ist? Wunderbar ausgefeilte Programme, mit 150 Seiten, voller detaillierter policy-Vorschläge und Bezahlbarkeitsrechnungen. Und warum? Weil's keinen interessiert. Niemand liest Parteiprogramme, außer beim politischen Gegner. Die suchen irgendeinen obskuren Mist von Seite 134 und führen eine Kampagne damit. Remember Veggie-Day! Eine Zehn-Punkte-Liste tut's auch. True Story: ich habe versucht auf eurer Homepage eine Zusammenfassung in einem Absatz zu finden, wofür die SPD findet. Das gibt es nicht. Dafür 21 verschiedene Seiten, die eure Kernthemen erklären. Einundzwanzig! Die. liest. keine. Sau. Wisst ihr, was im CDU-Wahlprogramm steht? Ich auch nicht. Und auch sonst niemand. Weil's keinen interessiert. Und das gilt für euer Programm auch. Stattdessen braucht ihr Narrative, aber dazu kommen wir gleich.

Vorher gibt es nämlich noch was Wichtigeres: Vergesst Zahlen. Ihr habt diese echt süße Idee, dass die Vorschläge aus eurem Wahlprogramm bezahlbar sein müssen. Das ist völliger Blödsinn. Niemand interessiert, ob etwas aufkommensneutral finanziert wird oder nicht, die tun alle nur so. Habt ihr jemals erlebt, dass in der BILD die Frage thematisiert wird, wie die Steuerkürzungen der FDP eigentlich gegenfinanziert werden? Da steht dann ein Hokuspokus vom sich selbst tragenden Aufschwung, mit ein paar erfundenen Zahlen. Das könnt ihr auch. Wer kriegt was? Die 99%. Wer zahlt? Die Bonzen. Fertig. Eure Vorschläge sind so oder so hinfällig, weil ihr einen Partner braucht. Rechnen kann man immer noch in den Koalitionsverhandlungen. Schaut euch Schäuble an: der verspricht Hilfspakete für Griechenland, Steuerkürzungen für alle, aber besonders für die Mittelschicht, und die Renten bleiben stabil. Und das kostet keinen Cent! Und niemand zieht auch nur eine Augenbraue hoch, denn die CDU ist bekanntlich die Partei wirtschaftspolitischer Seriosität. Egal wie sehr ihr euch bemüht, das Handelsblatt wird euch nie liebhaben. Die Leute nehmen immer an, dass ihr Geld ausgebt. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert. Das klingt zynisch. Aber die anderen machen es auch, ihr merkt das nur nicht, und ihr schießt euch selbst in den Fuß.
Auch hier fühle ich mich absolut bestätigt. Wie bereits in 2) beschrieben verlor sich Schulz ständig in irgendwelchen bedeutungslosen Details. Als ob es angesichts der Generalkritik an Merkels Flüchtlingskurs relevant wäre, dass die SPD 200.000 Euro mehr für Unterkünfte gefordert hätte oder so was. Da in der inkompetenten Wahlkampfführung die Themen der SPD nicht mal vorkamen und die Partei es zuließ, den ganzen Wahlkampf zu einem Referendum über Merkels Flüchtlingspolitik zu machen, spielte dieser Punkt keine große Rolle. Aber nicht, weil die Partei einen geschickteren Wahlkampf gemacht hätte, sondern weil sie dermaßen inkompetent waren, dass diese Problematik nicht einmal zum Tragen kam. Ein absolutes Trauerspiel.
5) Nicht jeder versteht unter seriös das Gleiche Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Leitmedien nur eine Form von Wirtschaftspolitik anerkennen: die ordoliberale Form. Nicht alle von ihnen haben das gleiche erotische Verhältnis zu ökonomischen Schmerzen wie es Wolfgang Schäuble und das Handelsblatt haben (ernsthaft, die Leute sind wesentlich zu glücklich dabei, Phrasen wie "Gürtel enger schnallen", "über Verhältnisse leben", "Anpassungen" und "Wahlgeschenke" durch die Gegend zu werfen, wenn es um den Lebensstandard der kleinen Leute geht), aber die wenigsten sehen in höheren Investitionsausgaben nicht sofort die Hand des Teufels. Kennt euer Publikum. Wenn man die Leute fragt, ob sie einen ausgeglichenen Haushalt wollen, sagen sie alle ja, aber wenn man sie fragt ob sie bereit sind dafür Rentenkürzungen hinzunehmen eher nicht.

Verbindet euer cleveres Narrativ aus 4) und 5) damit und definiert eine eigene Seriosität. Ihr seid für Fortschritt, ihr seid für ein ordentliches Leben. Wen interessieren die finanzpolitischen Vorlesungen der Elitenschwätzer bei der CDU und FDP? Die Leute werden euch nie abnehmen, dass ihr den Haushalt besser kontrolliert als Schwarz-Gelb, und dafür wählen sie euch auch nicht (schon mal vom Mommy-Daddy-Divide gehört?). Hört auf euch als das zu inszenieren als das ihr gerne gesehen werden wollt und konzentriert euch darauf wie euch die Leute sehen wollen, auf deren Stimmen ihr angewiesen seid.
Auch hier: Die Partei tritt mit Konzepten wie der Bürgerversicherung an (die dann von meinem Kollegen Stefan Pietsch hier auseinander genommen wurden, was meinen Punkt 4) bestätigt). Und das wird geframed als...was genau? Gleiches gilt für die Mütterrente, die Grundrente und all den anderen sozialpolitischen Kram dieser Zeit. Alles nett, aber es fehlt diese Idee sozialdemokratischer Seriosität. Stattdessen werden da Sachen gefordert, hinter denen die Spitzenpolitiker der Partei selbst ziemlich offensichtlich nicht stehen, und jedes Mal wenn man ihnen sagt dass ihre Programme unzureichend sind (von links) oder unausgegoren (von rechts) murmeln sie sowas wie ein "Ja aber" in ihren Bart und geben einen Fachvortrag über die verwaltungstechnischen Besonderheiten ihres Vorschlags. Sechs, setzen.
6) Ihr braucht Narrative Statt der 21 Kernprogrammpunkte braucht ihr eine Story. Eine, die ihr ständig wiederholt. Per-ma-nent. Zwei oder drei knackige Slogans, die man bei jeder Gelegenheit raushauen kann. Und zwar welche, die auch irgendeine Bedeutung transportieren. "Mehr Soziale Gerechtigkeit" ist kein Slogan. Das wollen wenn man sie fragt alle. Die SPD kommt nur dann an die Regierung, wenn sie es schafft einen Aufbruch zu vermitteln. Für die Verwaltung des Niedergangs war schon immer die CDU zuständig. Ob das der "Machtwechsel" von 1969 und das anschließende Motto der "Lebensqualität" ist oder die "Innovation und Gerechtigkeit" von 1998, ihr müsst eine glorreiche Zukunft prophezeien und euch nicht als Wahrer von Besitzständen gegen die anonyme Macht der Globalisierung inszenieren. Das ist der Job der LINKEn. Schaut auf Macron, schaut auf Obama, schaut (*schauder*) auf Tony Blair. Die haben das alle so gemacht. Und auch hier: Mut zur Lücke. Die konkreten Maßnahmen sind viel weniger wichtig als die Vision. Helmut Schmidt war anderer Meinung, aber der wurde auch abgewählt.
Und damit sind wir beim zentralen Problem. Ich habe es weiter oben schon geschrieben, aber die SPD hat 2017 nicht einmal versucht, ein Narrativ zu etablieren, und ist seither ohnehin nur mit Nabelschau beschäftigt. Warum brauche ich diese Partei? Warum wähle ich sie? Sie gibt keine Antworten. Weiterhin auch nicht. "Merkel weg"? Wie ich in 2) beschrieben habe ging das eh von Anfang an nicht.

Wer gegen Merkel ist, wählt AfD, nicht SPD. Soziale Gerechtigkeit? Der Begriff ist komplett sinnentleert, und die Partei weigert sich weiterhin standhaft, ihn mit Inhalt zu füllen. Ein "Weiter so"? Das kann Merkel besser. Auch 2020 weiß ich nicht, warum ich meine Stimme der Sozialdemokratie geben sollte. Das ist mittlerweile drei Jahre später. Die politische Unfähigkeit, die diese Partei im Griff hat, ist atemberaubend.
7) Ihr braucht eine Führungsfigur Eure zweitschlimmste Obsession ist zu glauben, dass die ganze Republik vor dem Wahljahr voller knisternder Spannung an den Fingernägeln kaut um endlich zu erfahren, wer euch in den Wahlkampf führt. Aber ein Dreivierteljahr ist ein Witz. Ihr habt 2009 den Steinmeier hingestellt, weil niemand anderes verfügbar war, und 2013 Steinbrück hervorgezogen, weil es dem wahrlich nicht an Selbstbewusstsein mangelte. Die Kandidaten aber, die jemals Kanzler wurden, kannte man ordentlich vorher. Gerhard Schröder war schon 1994 ein Top-Tier in der SPD, und Lafontaine war schon mal Kanzlerkandidat. Willy Brandt habt ihr dreimal aufgestellt bis es endlich geklappt hat, und Schmidt war wahrlich auch nicht unbekannt.

Man hört es jetzt schon raunen, dass ihr nach der Wahl Manuela Schwesig hochpuschen wollt. Kann man schon machen, aber wenn, dann dankt Martin Schulz artig für seine Dienste, macht ihn zum Oppositionsführer im Bundestag und haltet Schwesig raus, so dass sie von außen kritisieren kann. Und dann pusht sie. Vier Jahre lang. Oder macht das gleiche mit Schulz. Hat beides Vor- und Nachteile. Aber glaubt bitte nicht irgendjemand fände es spannend, wenn ihr die Entscheidung bis 2021 rausschiebt. Ihr braucht eine Figur, die das in 5) beschlossene Narrativ a) glaubwürdig und b) permanent in die Welt hinausposaunen kann. Für Europa und gegen AfD? Nehmt Schulz. Für Fortschritt, Innovation, Zukunft? Schwesig.
Die konkreten Namen aus dem obigen Abschnitt sind mittlerweile alle Makulatur, in Schwesigs Fall mit einer Note persönlicher Tragik, in Schulz' Fall absolut verdient. Immerhin muss man sagen, dass die SPD sich offensichtlich entschlossen hat, den Fehler quasi mit aller Macht zu wiederholen und zu verstärken.

Erst hat Andrea Nahles die SPD-Führung übernommen. Ich sehe, warum die Partei das gemacht hat. Nahles war letztlich eine gute Kompromissfigur zwischen den Flügeln und hatte theoretisch die Fähigkeit, die SPD-Seriosität mit markigen, an Facharbeiter gerichtete Sprüche herüberzubringen. Theoretisch. Aber auch hierzu hätte es halt das commitment der Partei gebraucht, die neue Vorsitzende auch tatsächlich zur Führungsfigur und nicht nur Verwaltungschefin zu machen. Das fehlte. Entsprechend scheiterte Nahles.

Alles, was danach kam, kann man nur als Desaster beschreiben. Die komplette Basiswahl der SPD-Spitze ging völlig in die Hose. Erst findet sich kein einziger prominenter Sozialdemokrat, sondern eine Riege von Leuten, die keine Sau kennt; dann springt ausgerechnet Olaf Scholz in den Ring, der quasi in seiner ganzen Biographie sämtliche Fehler und Elemente verkörpert, die die SPD an den Abgrund gebracht haben. Der wird dann durch einen massiven Kraftakt der Basis verhindert, die zwei weitgehend unbekannte Mittsechziger an die Spitze hieven.

Aber weil die SPD die SPD ist, tut die Partei seither alles, um ihre so gegen den Willen des Funktionärapparats gewählten Vorsitzenden zu sabotieren und sie in Olaf-Scholz-Abbilder zu verwandeln. Wenig überraschend haben weder Esken noch Walter-Borjans (true story: Ich musste seinen Namen gerade googeln) irgendeine Hausmacht hinter sich und damit keine Chance, sich innerparteilich durchzusetzen. Jede Gliederung der SPD macht, was sie will, als ob die ganze Partei die CDU Thüringen wäre.

Und in Sachen Kanzlerkandidatur ist noch weniger entschieden als Ende 2016. Während die einen SPD-Spitzenleute öffentlich darüber nachdenken, ob man überhaupt einen Kandidaten aufstellen soll, schreien andere ganz emphatisch, dass man immer noch Volkspartei sei und ganz sicher jemanden aufstellen werde, aber keiner weiß, wer das sein soll. Nächstes Jahr, allerspätestens, ist Wahlkampf. Die Partei hat keine Ahnung, wer sie in diesen Wahlkampf führen soll. Und sie macht keine Anstalten, eine Entscheidung zu treffen. Es ist zum Haare raufen.
8) Konzentrierter Wahlkampf Ihr habt 2013 Peer Steinbrück aufgestellt. Der wollte einen Wahlkampf à la 2009 machen. Das war eine doofe Idee, aber das war die einzige Art Wahlkampf, die er vernünftig vertreten konnte. Stattdessen habt ihr mit dem Programm von 1987 seinen Wahlkampf organisiert, und weil der Mann keine institutionelle Bindung hatte und keine eigene Machtbasis (ein dickes Warnsignal übrigens) konnte er dem nichts entgegensetzen. Wenn ihr euch für eine Führungsfigur entschlossen habt, um Gottes Willen, dann macht nicht Wahlkampf gegen sie. Das Willy-Brandt-Haus scheint eigentlich dauerhaft im Schadensbegrenzungsmodus. Werft diese institutionelle Vorsicht über Bord. Bringt eure externen Berater von BUTTER (und Jim Messina und wen auch immer ihr von außerhalb einkauft) alle zusammen und setzt sie auf das Narrativ an, und nur auf das. Sonst wird das nichts.
Und der letzte Punkt. Alle meine Befürchtungen hier sind wahrgeworden. Auch 2017 führe die SPD mehrere Wahlkämpfe parallel, mit mehreren Schwerkraftzentren, und Martin Schulz hatte keine Chance, die institutionelle Macht der Partei auch nur ansatzweise zu bündeln. Dazu kam eine atemberaubende Inkompetenz aller Ebenen dieses Wahlkampfs. Ich habe es bereits in meiner Bücherliste empfohlen, aber wer masochistisch genug ist, sich das anzutun, dem sei Martin Feldkirchens Buch "Die Schulz-Story" nur anempfohlen, in der man das ganze Desaster quasi in Zeitlupe bei der Entfaltung betrachten kann.

Sorry, wenn dieser Artikel wie ein Rant wurde. Aber ich meine, ich bin kein politischer Berater. Ich bin kein professioneller Wahlkämpfer. Und ich sehe, was für einen gigantischen Bockmist diese Partei seit Jahren schießt. Die investieren hunderttausende, ja, Millionen von Euro in diesen stinkenden Müllhaufen, den sie Wahlkampf nennen. Schulz fuhr das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte ein, und gegenüber den Umfragen, in denen die Partei aktuell darum kämpft zweistellig zu bleiben, ist das ein fast unerreichbarer Erfolg. Mein Gefühl war, dass die Partei 2017 ihre letzte Chance hatte. Vielleicht war das seinerzeit schon zu positiv gesehen. Aber inzwischen? Das Ding ist gegessen. R.I.P. SPD.

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