Es ist geschehen. Mit den Stimmen der Nazis hat sich der FDP-Landesvorsitzende Thüringens zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Ich habe eine Zusammenarbeit der demokratischen Rechten mit den Nazis erwartet, aber nicht so schnell. Ich ging davon aus, dass sie sich eine Schamfrist von fünf Jahren lassen würden, oder etwas Vergleichbares. Was hier passiert ist, ist ein absoluter Schandfleck für die Bürgerlichen. Und zwar nicht nur aus meiner Perspektive, sondern auch an den Maßstäben, die FDP und CDU für sich selbst aufgestellt hat. Sie wurden gewogen und für zu leicht befunden.
Um zu verstehen was ich damit meine, müssen wir zwölf Jahre zurück gehen. 2008 war die LINKE seit einem Jahr fusioniert und saß seit drei Jahren (damals noch als Linksparte/WASG) im Bundestag. In Hessen gab es nach der Landtagswahl 2008 eine ähnliche Situation wie in Thüringen: SPD und Grüne sowie CDU und FDP konnten aus eigener Kraft keine Regierung stellen. Zusammen mit der LINKEn kamen erstere auf eine hauchdünen Mehrheit. Eine Koalition mit der SED-Nachfolgepartei galt als völlig ausgeschlossen.
Als die damalige SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti dann ankündigte, sich mit den Stimmen der LINKEn zur Ministerpräsidentin wählen und danach eine Minderheitenregierung führen zu wollen, brach ein gigantischer Shitstorm über die Republik herein. Befeuert von praktisch sämtlichen Massenmedien lief vor allem die Springerpresse Sturm.
Hintergrund dieses Sturms, den FDP- und CDU-Politiker im Gestus aufrechter Empörung entfachten und mittrugen: Bereits die Wahl zur Ministerpräsidentin würde einen ungeheuren Bruch darstellen, eine Zusammenarbeit mit undemokratischen Extremisten. Es wäre völlig undenkbar. Die Geschichte endete mit der Rebellion von vier SPD-Abgeordneten, die Ypsilanti verrieten und zu Fall brachten - und dafür als Helden von der FAZ über Spiegel zur BILD gefeiert wurden.
Sprung nach 2017. Die SPD kündigte nach dem Desaster in den Bundestagswahlen an, die Große Koalition nicht fortzuführen. Die Koalitionsverhandlungen werden zwischen CDU, Grünen und FDP geführt und scheitern schließlich an Letzteren. Lindner erklärt, seine Partei könne es mit ihren Prinzipien nicht vereinbaren, Kompromisse mit den Forderungen der Grünen zu schließen. "Lieber nicht regieren als falsch", lässt er danach als erfolgreiches Schlagwort herausgeben.
In der Folgezeit wirbt die FDP aggressiv um Wähler der AfD. Permanent sind Lindner und seine auf Linie gebrachten Parteigenossen dabei, Normenbrüche am rechten Rand auszuloten, sich der Sprache der Rechtsradikalen zu bedienen und deren Narrative hoffähig zu machen. Von Verteidigern der Partei wird dies zur großartigen Rettung der Republik hochgejazzt; eine demokratische Einbindung der Nazi-Wähler. Ich habe diese Argumentation von diversen Kommentatoren auch hier im Blog permanent gelesen.
Wir wissen jetzt, dass es alles Bullshit war. Die erste Gelegenheit, sich von Nazis zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen, wurde von der FDP ergriffen. Die Partei, die rhetorisch in den letzten zwei Jahren wie keine andere nach rechts schlug. Für die zusätzliche Windräder nicht akzeptabel waren, aber die Stimmen von Nazis stellen kein Problem dar. Die Wahl einer Minderheitenregierung durch Linkspopulisten ging überhaupt nicht, aber durch Nazis, kein Problem. Das ist ein "Erfolg für die bürgerliche Mitte", in den Worten der FDP.
Die FDP und die CDU versuchen gerade, mit genau denselben Argumenten wie Ypsilanti das Ganze kleinzureden. Was ihnen unzweifelhaft geholfen hat ist, dass sie ihren Plan geheim gehalten und wie einen Putsch als Nachmittagsüberraschung durchgeführt haben. Sicherlich, wie beide Parteien eilig betonten, ist das ganze verfassungsrechtlich legal. Keine Frage. Aber das offensichtliche schlechte Gewissen spricht aus diesen Handlungen mehr als deutlich.
Die Argumente sind so dünn, so offensichtlich heuchlerisch, dass man sich nur mit Abscheu ablehnen kann. Genau dieselben Argumente wurden für die Zusammenarbeit mit der LINKEn nie akzeptiert. Sie werden sogar im selben Atemzug immer noch vorgebracht. Ein so harmloser, moderater Linker wie Bodo Ramelow ist schlimmer als Bernd Höcke, auf dessen Unterstützung das so genannte "bürgerliche Lager" angewiesen war?
An diesem Lager ist nichts mehr bürgerlich. Wer sich mit Nazis gemein macht, sitzt mit ihnen im Boot. Den Blödsinn, dass man "nur einem Vorschlag" zugestimmt hat, galt für den umgekehrten Fall auch nie.
Damit wären wir bei den Folgen. Die Zusammenarbeit der FDP scheint, angesichts des in der Partei betriebenen Personenkults um Christian Lindner, eine mit der Bundespartei abgesprochene Aktion gewesen zu sein. Die hat sich hier eindeutig positioniert.
Bei der CDU ist die Lage komplizierter. Die Bundes-CDU will die Zusammenarbeit mit der AfD offensichtlich nicht. Das ist eine Rebellion des thüringer Landesverbands. Selbst Markus Söders CSU hat sich klar gegen die Intrige: "Wer glaubt, dass er sich mit den Stimmen der AfD wählen lassen kann und glaubt dadurch demokratische Legitimation zu erhalten, der irrt." Markus Söder!
Die FDP hat sich damit deutlich rechts von der CDU UND der CSU positioniert. Ich habe vor dieser Entwicklung die letzten zwei Jahre permanent gewarnt. Beständig wurde mir hier in den Kommentaren vorgeworfen, das sei nur, weil ich mich radikalisiert habe und meine Sicht völlig verzerrt sei. Jetzt haben wir es von der Parteispitze schwarz auf weiß. Wir haben es mit einem krassen Tabubruch.
Und die FDP und Thüringen-CDU arbeiten hier nicht mit der Werteunion zusammen, oder der AfD eines Bernd Lucke. Das hier ist der Landesverband von Bernd Höcke. Die Jugendorganisation der Thüringer AfD nennt sich "Höcke-Jugend", damit sie HJ als Initialen nutzen kann. DAS ist die Partei, das sind die Nazis, mit denen die FDP hier zusammenarbeitet.
Von hier wird es kein Zurück geben können. In der deutschen Innenpolitik ist gerade etwas zerbrochen. Nicht nur arbeiteten "bürgerliche" Parteien mit Nazis zusammen und rechtfertigen das explizit damit, dass sie damit das "bürgerliche" gegen das "linke" erhalten wollen, wodurch diese komplette Argumentation verbrannt wird. Wie soll eine CDU-Bundesvorsitzende künftig von bürgerlichen Bündnissen reden können, ohne dass sofort die Assoziation zu einem mit Nazi-Stimmen gewählten Ministerpräsidenten kommt.
Aber noch schlimmer ist, wie dieses Manöver durchgeführt wurde. Das gesamte schlechte Gewissen der Thüringer CDU und der FDP zeigt sich daran, dass es nie offen diskutiert wurde. Während das R2G-Projekt in allen Medien hoch und runter diskutiert (und kritisiert) wurde, wurde diese Zusammenarbeit nie diskutiert. Sie wurde auch im Wahlkampf nicht angesprochen. Wenn Ypsilantis Vorstoß 2008 Betrug an den Wählern war ("Lügilanti"), weil sie im Wahlkampf jegliche Kooperation ausschloss, was ist dann dieser Überraschungsvorstoß?
Es fühlt sich an wie ein Putsch, auch wenn - das sei erneut betont - verfassungsrechtlich nichts dabei ist. Es ist ein Normenbruch, eine Kampfansage seitens des rechten Spektrums. Was die FDP und Teile der CDU offen kommunizieren ist, dass sie bereit sind, zur Verhinderung moderat linker Politik mit Nazis zusammenzuarbeiten. Man kann nur hoffen, dass Markus Söders - erneut, Markus Söder! Der Vorsitzende der CSU! - Forderung nach Neuwahlen erhört wird. So ist das einfach nur zu verurteilen.
Schande über die FDP. Schande über die Thüringen-CDU.
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