Ein Blick zurück
Zur Erinnerung. 2005 gab Franz Müntefering nach der Niederlage in einem kleinen innerparteilichen Machtkampf das "schönste Amt nach dem Papst" an Matthias Platzeck ab, der damals sehr erfolgreich Brandenburg regierte. Platzeck erlitt 2006 einen Hörsturz, was eine erneute Neubesetzung möglich machte. Die SPD war hier bereits von ihrem Höhenflug bei der Bundestagswahl 2005 kuriert und deutlich abgestürzt.Der neue Vorsitzende sollte daher ein Aufbruchsignal in die Zukunft geben: die damals von der Parteiführung offiziell als Zielsetzung verfolgte Ampel-Koalition auf der einen Seite (dass Guido Westerwelle diese Avancen permanent zurückwies, wurde ebenso beharrlich ignoriert wie die Tatsache, dass die FDP völlig unvereinbare programmatische Zielsetzungen hatte; ich habe hier darüber geschrieben, wie so ein Bündnis hätte aussehen können) und einen Schröder'schen Appeal an die Kernwählerschichten auf der anderen Seite.
Theoretisch war Kurt Beck dafür eine logische Wahl. Der Mann strahlte die typische SPD-Aufsteigerbiographie aus: Aus ärmlichen Verhältnissen, hochgearbeitet, klassische Werte. Man denke nur an "waschen und rasieren Sie sich, dann finden Sie auch einen Job". Auf der anderen Seite hatte Beck in Rheinland-Pfalz, der Kanzlerschmiede, aus der auch Helmut Kohl entsprungen war, jahrelang die letzte sozialliberale Koalition Deutschlands angeführt und kürzlich die absolute Mehrheit errungen.
Kramp-Karrenbauer ihrerseits entstammt dem Saarland. Sie kann nicht auf eine ganz so illustre Karriere zurückblicken wie Beck, aber in der Theorie ist auch sie die Richtige für den spezifischen Moment. Sie übernahm im Saarland die erste Jamaika-Koalition, hatte nach deren Auseinanderbrechen wegen der FDP (eine offensichtliche Parallele zu 2017) mit Abgebrühtheit Heiko Maas` Angebot einer Großen Koalition ausgeschlagen, Neuwahlen angesetzt und diese mit großem Erfolg gewonnen, woraufhin sie eine deutlich handzahmere SPD in die Große Koalition führte.
Ihre Biographie stand für eine grundsätzliche Kontinuität der modernisierten CDU, aber gleichzeitig mit etwas klarerer Kante gegenüber den Elementen, die nur eingeschränkt in die CDU zu passen schienen. Was Becks öffentliche Verachtung eines Hartz-IV-Empfängers war, war für Kramp-Karrenbauer ihre ebenso öffentliche Absage an die Rechte von Homosexuellen. Unter AKK war die CDU nach allen demokratischen Seiten bündnisfähig. Jamaika, Schwarz-Gelb (so ein Wunder passieren sollte), Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot, sie konnte alles. Kein Weg war verbaut. Optimale Bedingungen für die Fortsetzung der CDU-Dominanz jenseits von 2021, könnte man meinen.
In beiden Fällen blieb die Realität weit hinter den theoretischen Erwartungen zurück.
Der Vergleich
Kurt Beck tat sich schwer damit, auf die unter Schröder vollzogene Modernisierung der SPD eine Antwort zu finden. Der "Waschen und Rasieren"-Kommentar wurde nicht, wie erhofft, markiges Zeichen einer auf Arbeit und Leistung setzenden Partei, die bei den Facharbeitern und der Mittelschicht reüssieren konnte, sondern zum Symbol der Abgehobenheit und sozialen Kälte. Die unter ihm beschlossene Rentensenkung durch das Erhöhen des Eintrittsalters auf 67 war da wenig hilfreich.Annegret Kramp-Karrenbauer tat sich schwer damit, auf die unter Angela Merkel vollzogene Modernisierung der CDU eine Antwort zu finden. Zwar fehlte ihr ein Fettnäpfchen, das mit Beck vergleichbar gewesen wäre, aber auch ihr gelang der Spagat nicht, die imaginierte konservative Kernwählerschaft durch identitätspolitische Appelle zufriedenzustellen.
Kurt Beck stürzte über die hessischen Landtagswahlen. Nachdem im Wahlkampf von ihm ein Kooperationsverbot gegenüber der jungen LINKEn ausgegeben worden war, unter dessen Primat sich auch die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti gestellt hatte, ließ das Ergebnis nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Große Koalition unter Roland Koch oder Minderheitenregierung mit Tolerierung der LINKEn. Kurt Beck gab die Entscheidung frei und schuf damit einen neuen Präzedenzfall für den Umgang in den Ländern. Das Experiment scheiterte. Die SPD erholte sich von dem Debakel nie mehr.
Annegret Kramp-Karrenbauer stürzte über die thüringischen Landtagswahlen. Nachdem im Wahlkampf von ihr ein Kooperationsverbot gegenüber der LINKEn und der jungen AfD ausgegeben worden war, unter dessen Primat sich auf der thüringische CDU-Chef Mike Mohring gestellt hatte, ließ das Ergebnis nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit oder Tolerierung mit der LINKEn oder Neuwahlen mit ungewissem Ausgang. Morhing entschied sich dann für Variante Nummer drei und intrigierte gemeinsam mit FDP-Chef Kemmerich und AfD-Chef Höcke zur Wahl Kemmerichs und schuf damit einen Präzedenzfall zur Zusammenarbeit mit Faschisten. Das Experiment scheiterte. Ob sich die CDU davon erholen wird, ist derzeit unklar.
Kurt Beck war Vorsitzender einer zutiefst zerrissenen Partei. Teile hatten ihren Frieden mit der Agenda2010 gemacht, diese sogar enthusiastisch unterstützt. Andere Teile lehnten sie als Verrat an den Werten der Partei ab. Ein Kompromiss zwischen diesen beiden Lesarten, wie Beck ihn sich vorgestellt hatte - rhetorisch Arbeiterpartei, praktisch Partei der oberen Mittelschicht - ließ beide Gruppen entfremdet zurück.
Annegret Kramp-Karrenbauer war Vorsitzende einer zutiefst zerrissenen Partei. Teile hatten ihren Frieden mit dem Atomausstieg und der Flüchtlingspolitik gemacht, diese sogar enthusiastisch unterstützt. Andere Teile lehnten sie als Verrat an den Werten der Partei ab. Ein Kompromiss zwischen diesen beiden Lesarten, wie AKK ihn sich vorgestellt hatte - rhetorisch konservativ, praktisch aber liberal - ließ beide Gruppen entfremdet zurück.
Kurt Beck hatte zudem mit einer winzigen innerparteilichen Gruppe zu kämpfen, die Fundamtentalopposition betrieb, sich den Positionen des radikalen Gegners verschrieben hatte und eine unbedingte Zusammenarbeit mit diesem forderte. Politiker wie Ottmar Schreiner und Publizisten wie Albrecht Müller nutzten ihre Zugehörigkeit zur SPD, um mehr mediale Relevanz zu erreichen, als sie es außerhalb der Partei könnten, und forderten permanent die Zusammenarbeit mit und Übernahme der Positionen der LINKEn, während sie die aktuelle Parteiführung und ihr aktuelles Programm permanent delegitimierten.
Annegret Kramp-Karrenbauer hatte zudem mit einer winzigen innerparteilichen Gruppe zu kämpfen, die Fundamtentalopposition betrieb, sich den Positionen des radikalen Gegners verschrieben hatte und eine unbedingte Zusammenarbeit mit diesem forderte. Politiker wie Friedrich Merz und hochrangige Funktionäre wie Hans-Georg Maaßen nutzten ihre Zugehörigkeit zur CDU, um mehr mediale Relevanz zu erreichen, als sie es außerhalb der Partei könnten, und forderten permanent die Zusammenarbeit mit und Übernahme der Positionen der AfD, während sie die aktuelle Parteiführung und ihr aktuelles Programm permanent delegitimierten.
Die Folgen für die SPD
Für die SPD war die Zeit unter Kurt Beck ein Menetekel. Das lag weniger an Kurt Beck selbst. Die Übernahme der Parteiführung durch Müntefering, der Kanzlerkandidatur durch Steinmeier und die Betonung von dessen Zusammenarbeit mit dem recht beliebten Steinbrück zeigen dies deutlich: Abwahl der Großen Koalition und Demütigung mit nur 23% der Stimmen.Beck agierte zwar glücklos und traf einige Entscheidungen, die wenig zielführend waren. Aber er sah sich einer unmöglichen Aufgabe gegenüber. Eine Versöhnung der Agenda2010-Gegner mit denen, die sie akzeptiert hatten, warum unmöglich. Die Politik der Partei zeigt dies deutlich. Nach dem Debakel von 2009 relativierte die Partei ihre Position, versuchte, einen Kompromiss zu finden. Von der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I bis zum Mindestlohn, von der Grundrente zur Mütterrente, nichts änderte etwas am Problem. Jede dieser Änderungen ließ einen Teil der Partei unbefriedigt und einen anderen vor den Kopf gestoßen zurück.
Das grundsätzliche, unauflösbare Dilemma ist, dass die Modernisierung unter Schröder von einem (großen!) Teil der Partei getragen wird, während ein anderer (kleiner, aber für den Machterhalt entscheidender) Teil ihn ablehnt. Jedes ignorieren des kritischen Teils treibt diesen weiter von der Partei und Wahlergebnissen der 30%+ - und damit dem Volkspartei-Anspruch - weg. Jedes Zugehen auf diesen Teil entfremdet den Teil der Partei, der seine Identität und Karriere darauf aufgebaut hat. Jeder Kompromiss lässt alle unbefriedigt zurück.
Profitiert von dieser Entwicklung hat, auf den ersten Blick vielleicht erstaunlich, weniger die LINKE. Zwar konnte diese im Vergleich zu 2005 ihre baseline von 8% auf etwa 10% hochschieben. Aber angesichts der Verluste ist das nicht viel. Über die Grüne kann man spekulieren, aber ich denke, es ist recht unstrittig zu sagen, dass eine Abschaffung von Hartz-IV in Deutschland nicht wirklich konsensfähig ist. Die großen Gewinner waren stattdessen die Grünen, die sich als neue, liberale Mittelschichtenpartei etablieren konnten und mittlerweile ernsthaftere Anwärter auf die Kanzlerschaft sind als die SPD.
Die Folgen für die CDU
Auch für die CDU war die Zeit unter AKK ein Menetekel. Auch hier liegt die Ursache weniger in ihrer Person selbst, obgleich sie sich vermutlich mehr Fehltritte vorwerfen lassen muss als ihr rheinland-pfälzischer Gegenpart. Ich bin aber recht zuversichtlich, dass auch eine Führung durch Merz oder Spahn und eine Kanzlerschaft durch einen der ihren oder sogar Markus Söder wenig an der Gesamtsituation ändern wird.Denn das Problem der CDU ist dasselbe wie das der SPD. Auch diese Partei besitzt einen großen Teil, der seinen Frieden mit der Modernisierung unter Angela Merkel gemacht hat. Identitäten und Karrieren wurden darauf aufgebaut. Und auch diese Partei besitzt eine kleinere, aber bei weitem nicht irrelevante Gruppe, die diese Modernisierung aus tiefster Seele ablehnt. Und auch hier ist ein echter Kompromiss nicht zu finden, ist jede Halbmaßnahme vor allem dazu angetan, beide Seiten zu vergrätzen, ohne dass die Konzentration auf eine der beiden eine Option wäre.
Die Logik, der sich die CDU gegenübersieht, ist daher dieselbe wie die der SPD. Damned if you do, damned if you don't. Bei der SPD haben wir den Vorteil, dass wir das Ende dieser Geschichte bereits kennen. Aber es ist nicht unplausibel anzunehmen, dass ein Zugehen auf die Positionen der AfD vor allem dabei hilft, diese Partei als Alternative zu legitimieren.
Wie bei der SPD auch kommt nämlich die massive Kritik an der CDU zu großen Teilen von Personen, die die Partei gar nicht wählen würden. Die Übernahme der Positionen der LINKEn wurden am lautesten von denen gefordert, die ihr Kreuz auch bei derselben machten. Und die Übernahme von Positionen der AfD wird von denen gefordert, deren Werte(union) mit der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft ebenso wenig übereinstimmt wie mit denen der Partei.
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