1) Das wird man ja wohl noch fragen dürfen!?
Es ist gut, dass auf diese Mechanismen prominent hingewiesen wird, aber die Botschaft muss auch gehört und angenommen werden. Man muss diese Art des Fragens, das keinerlei Antwort erwartet oder erhofft und nur dem Agenda-Setting dient, von echten, neugierigen Fragen unterscheiden. Denn diese brauchen die ernsthafte Auseinandersetzung, sie befördern den Diskurs. Die hier angesprochenen "Fragen" dagegen dienen dazu, Neugier und Diskurs zu ersticken. Dazu passt im Übrigen das Phänomen der aktuellen Verschwörungsmythenanhänger, die gerne den Eindruck der Recherche ermitteln und die Fragen auch dazu nutzen, neue Anhänger dadurch zu gewinnen und immunisieren, dass diese "eigenständig" zu den "wahren" Antworten kommen.Dabei wäre es an der Zeit, auch Fragen selbst zu hinterfragen. Wer das wagt, gilt jedoch schnell als autoritär. Fragen wird man ja wohl dürfen!, heißt es dann. Ein Satz, der besser begründbar ist als "Das wird ja man wohl noch sagen dürfen", aber in seiner strategischen Entrüstung und Selbstverharmlosung ihm doch verwandt. Denn Fragen sind nicht so harmlos, wie er suggeriert. [...] Forschende der Universität Exeter konnten etwa zeigen, dass Verschwörungstheorien auch dann verfangen, wenn sie nicht explizit erklärt, sondern nur implizit angedeutet werden, zum Beispiel durch die Frage: "Und wer profitiert davon?" Fragen können sogar auf Wegen beeinflussen, die Aussagen nicht kennen. [...] Seine Unterstellungen aber in eine Frage zu gießen, heißt, sie weniger angreifbar zu machen. Wer fragt, kann kaum der Lüge überführt werden. Man fragt ja nur, und die Frage liegt jenseits von Kategorien wie wahr oder falsch. [...] Einfach, aber effektiv ist etwa der "Whataboutism", benannt nach der Frage: "Aber was ist mit...?". Damit gemeint ist die Taktik, eine Diskussion zu stören, indem man nach einer anderen Sache fragt. [...] Dass Fragen per se antiautoritär seien, ist eine Illusion. Genau wie der damit verbundene Glaube, sie förderten auf diesem Weg Fortschritt und Veränderung. Denn Fragen können auch geradezu "restaurative Tendenzen" haben [...] Das alles ist keine Rede gegen Fragen, nur gegen die Vorstellung, ihre Weste sei so blütenweiß. "Fragen kostet nichts" und "es gibt keine dummen Fragen"? Natürlich gibt es dumme Fragen und natürlich können sie etwas kosten, Nerven zum Beispiel, Zeit, Fortschritt, Erkenntnisse. Das Fragen kennt mindestens so viele rhetorische Tricks wie das Sagen. Es versteckt sie nur besser. (Maja Beckers, ZEIT)
2) Trump’s Law And Order Message Isn’t Resonating With Most Americans
Es ist halt nicht mehr 1968. Trump verliert klassisch konservative Positionen. Nicht nur "Law&Order", schon immer nur ein Code für Gewalt der weißen Mehrheitsgesellschaft gegen die schwarze Minderheit, auch das Militär versagt ihm Unterstützung. Das wundert nicht, wenn man bedenkt, welche abscheulichen Aussagen Trump tätigt. So verkündete er etwa, dass er nicht nach Arlington wolle, weil dort "nur loser begraben lägen". Jeder, der in Vietnam gedient hätte, sei ein "sucker". Das verwundert bei einem Präsident, der dank seines reichen Vaters um den Militärdienst herumkam, während andere ihren Hals hinhalten mussten, nicht. Aber was für George W. Bush noch funktioniert hat, ist bei Trump - wie alles - so offensichtlich, das es kaum mehr zu ignorieren ist. Das heißt, wie immer, nicht, dass er nicht doch noch gewinnen kann. Grundsätzlich kann die Strategie noch funktionieren, wenn externe Ereignisse zu Hilfe kommen, die das Narrativ Trumps doch noch irgendwie zum Durchbruch bringen. Aber die aktuellen Dynamiken weisen nicht darauf hin, weil die Mehrheit der Amerikaner die aktuellen Proteste unter dem Stichwort "race relations" fasst und nicht unter dem Stichwort "crime". Wenn sich das ändert haben die Republicans vielleicht bessere Karten, aber aktuell ist es ein Loser-Thema.
3) Nawalny und das Russland-Dilemma
Lange Zeit gehörte es zu den Markenzeichen des Kreml, dass einiger Wert auf plausible deniability gelegt wurde, d.h., auf die Möglichkeit, sich von seinen eigenen Missetaten öffentlich zu distanzieren. Das hat sich in den letzten Jahren geändert: Inzwischen wird Gewalt ganz offen eingesetzt. Der russische Staat handelt kaum noch undercover; im Gegenteil: Geradezu genüsslich führt er dem Westen vor, wie sehr er sich nicht an die zivilisatorischen Gepflogenheiten hält. [...] In den deutschen Medien – und Teilen der Bundespolitik – beginnt sich nach russischen Übergriffen dieser Art rasch eine Spirale der Empörung zu drehen, oft begleitet von der Forderung nach „Konsequenzen“. Doch schon bald melden sich auch mahnende Stimmen, die sich „mehr Dialog“ wünschen, vor einer „Vorverurteilung“ warnen und sich darum sorgen, dass „der Gesprächsfaden abreißen könnte“. Im harmonieverliebten Deutschland mit einer zurückhaltenden Kanzlerin und einem Auswärtigen Amt, das sich noch immer in der Tradition einer vermeintlich erfolgreichen Ostpolitik wähnt, bleibt letztlich alles beim Alten. Nach ein paar Monaten trifft sich dann „Heiko“ wieder mit „Sergej“ – man duzt sich – und das russische Regime versteht, dass Berlin ihm nichts zu sagen hat, weil es ihm nichts sagen will. Das Signal, das im Kreml ankommt, lautet „nur zu“, und bald kann das Spiel wieder von vorn beginnen. [...] Doch auch im Fall Nawalny darf man vermuten, dass auf Empörung alsbald wieder Beschwichtigung folgt. Der permanente, systematische und ostentative Bruch von Recht und Normen durch den Kreml wird wohl auch in Zukunft bestenfalls symbolische Konsequenzen nach sich ziehen. (Jan Behrends, Salonkolumnisten)Ich verweise immer wieder auf meinen Artikel vom Zauberstab der Verhandlungen, und Heiko Maas ist sicherlich der Meistermagier, was das angeht. Egal, was das Thema ist, man kann sich sicher sein, dass Heiko Maas Dialog und eine diplomatische Lösung fordern wird, ohne je zu konkretisieren wie das gehen soll oder einen signifikanten Beitrag dazu zu leisten. Bezüglich der Situation mit Russland spezifisch möchte ich auf diesen Artikel in der ZEIT verweisen, der dazu noch einmal alles schön darlegt. Grundsätzlich ist es, wie im obigen Fundstück auch gesagt, bemerkenswert, mit welcher Offenheit und Schamlosigkeit Russland mordet und sich als Störer des Friedens geriert - und wie treu ihre Freunde von der LINKEn bis Trump ihnen dabei die Fahne halten.
4) „Er war ein opportunistischer Realpolitiker“ (Interview mit Jürgen Zimmerer)
In der allgemeinen Debatte um das koloniale Erbe, die Umbenennung von Straßen und so weiter ist, vor allem dank der Öffentlichkeitsarbeit von Jürgen Zimmer, auch die Person Bismarcks in den Diskurs zu bringen. Glücklicherweise ist das für Deutschland eine wesentlich arkanere Diskussion als die toxische Debatte um Rebellen-Generäle in den USA; hierzulande gibt es keine Partei oder größere gesellschaftliche Formation, die einen engen Bezug zu Bismarck hat, so dass man die Geschichte des Kaiserreichs vergleichsweise nüchtern litigieren kann. Zum eigentlichen Gegenstand: Eine Verehrung Bismarcks sollte außer Frage stehen, aber das ist auch seit den 1970er, 1980er Jahren ohnehin im starken Niedergang begriffen. Wer in der "modernen" BRD sozialisiert wurde, also ab etwa den 1960er Jahren und damit der historischen Debatte nach Fritz Fischer, hat üblicherweise keinen Bismarck- oder Reichs-Mythos mehr mitbekommen, sondern kennt ohnehin bereits eine kritische Auseinandersetzung. Dem noch die Facette der Kolonialherrschaft anzuschließen, sehe ich als recht problemlos. Man muss nur das überholte Klischee loswerden, dass Bismarck ein Gegner der Kolonien gewesen sei und eigentlich keine wollte, und dann hat sich das.Aber daran ist nicht Bismarck allein schuld.Nein, und genau da liegt ein weiteres Problem mit solchen heroischen Personendenkmälern wie demjenigen in Hamburg: dass sie auf einzelne Männer – und für das 19. Jahrhundert kann man durchaus generisch „Männer“ sagen – fokussieren und ein Geschichtsbild perpetuieren, in dem „große Männer“ Geschichte machen. Strukturen werden ebenso ausgeblendet wie marginalisierte Gruppen. Dazu gehören alle, die nicht Staatsmänner, Aristokraten oder Feldherrn waren. Und natürlich werden die Opfer ausgeblendet. [...]Heißt das, man soll gar nicht an Bismarck erinnern?Doch. Wir erinnern doch auch regelmäßig an die Verbrechen Adolf Hitlers. Aber Geschichtsschreibung und Erinnerungspolitik sind zwei völlig verschiedene Dinge. Selbstverständlich sollen wir Bismarck in seinen Ambivalenzen würdigen. Das ist aber etwas anderes, als ein Denkmal stehen zu lassen – beziehungsweise wieder aufzurichten –, das seine heroische Anziehungskraft weiter entfalten kann und eine Person ausdrücklich als Vorbild feiert.Aber sollte man Bismarck nicht aus seiner Zeit heraus verstehen, in der nicht das Unrechtsbewusstsein von heute herrschte?Natürlich sollte man ihn aus der Geschichte heraus verstehen. Das heißt aber nicht, dass man ihn immer noch feiern muss. Abgesehen davon waren Menschen auch damals wach genug, die kritischen Seiten zu bemerken. Sonst hätten sich ihm Sozialdemokraten, Katholiken und die Kolonisierten nicht entgegengestellt. Wer „aus der Zeit heraus verstehen“ sagt, meint oft: Bismarcks damalige national-egoistische Perspektive teilen. (Petra Schellen, taz)
5) Zwei Herzen im Gleichtakt
Ich halte diese Analyse für zutreffend. Die Grünen existieren gerade einfach vor sich hin und profitieren von großer innerparteilicher Geschlossenheit und einer völligen Abwesenheit von Skandalen. Ihr größter Nachteil ist, dass ihre Themen gerade nicht prominent verhandelt werden. Aber die Medien und, natürlich, die Konkurrenz sind verzweifelt auf der Suche nach einem Aufreger und finden keinen. Das wäre für eine Partei wie die LINKE, die Schlagzeilen braucht um sich ins Gedächtnis zu bringen, tödlich. Aber für die Strategie der Grünen, nach allen Seiten koalitionsfähig und so harmlos wie möglich zu sein, ist das genau richtig.Entsprechend kursieren in der Mediengesellschaft derzeit gleich sechs Hauptprobleme: Die Grünen sind zu wenig radikal und zu mittig, die Grünen sind zu links, die Grünenspitze hat ein strategisches Problem mit Ministerpräsident Kretschmann, die Grünen müssen sich endlich zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck entscheiden, die Grünen müssen sich zu Grün-Rot-Rot bekennen, sonst ist alles aus. Die Grünen müssen sich gegen Grün-Rot-Rot bekennen, sonst ist alles aus. [...] Alle gehen halt davon aus, dass die nächste Bundesregierung um die Grünen herum gebaut wird. Und zwar unabhängig davon, ob diese nun das Kanzleramt besetzen werden oder nicht. Vielleicht hat Kretschmann recht und er ist der einzige Grüne, der in Land oder Bund mehrheitsfähig ist. Aber die Älteren werden sich erinnern, dass selbst er am Anfang gegen die damalige Mehrheitspartei zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Das Führungsangebot von Annalena Baerbock & Robert Habeck meint eben nicht „grüne“ Führung oder Führung durch eine Frau oder einen Mann, sondern eine neue Methodik: Die Koordination neuer gesellschaftlicher Bündnisse, die die liberale Demokratie, ihr Wirtschaften und Verteilen sozialökologisch voranbringen können. Strategisch haben die Grünen jedenfalls kein Problem. Sie brauchen bloß eines – aus Sicht der Konkurrenz. Solange sie sich keins aufschwatzen lassen, sind sie das Zentrum, und ihre Bundesvorsitzenden müssten bescheuert sein, wenn sie die Kraft zweier Herzen im Gleichtakt aufgeben würden – oder sich thematisch oder koalitionär auf andere Parteien beziehen. Noch dazu auf solche, die gerade hinter den Nebeln von Avalon verschwinden. (Peter Unfried, taz)
6) Von Mann zu Mann: Bei der Startup-Förderung des Bundes haben Frauen kaum mitzureden
Weil es in den Kommentarspalten hier ja immer wieder bezweifelt wird, sei hier noch einmal ein Beleg dafür angeführt, dass strukturelle Diskriminierung ein Problem ist und bleibt. Dass gerade die Privatwirtschaft sich so weigert das anzuerkennen ist besonders absurd, wird hier doch gerne auf die angeblich höhere Effizienz und Innovationsfähigkeit verwiesen, während gleichzeiitig massenhaft Potenziale brach liegen, weil die Herren der Schöpfung ihren Vorurteilen unter dem Mäntelchen wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten freien Lauf lassen.
7) Bayerische Polizei: Mit Corona-Gästelisten gegen Kleinkriminalität
Insgesamt ging es um "repressive" sowie "präventiv-polizeiliche" Verfahren. Sie sollen nahezu alle Regionen im Freistaat betroffen haben, vor allem aber die Zuständigkeitsbereiche der beiden Polizeipräsidien München und Oberbayern Süd, die zusammen auf die Hälfte der Fälle kommen. Einmal schnappte sich das Landeskriminalamt die Daten, um gegen bandenmäßigen Drogenhandel vorzugehen. [...] Hagen hält das Vorgehen für hochproblematisch: "Diese Gästelisten wurden ausschließlich zur Pandemiebekämpfung eingeführt", monierte er gegenüber der SZ. "Eine Zweckentfremdung zerstört das Vertrauen der Bürger in staatliches Handeln und die Akzeptanz für die Corona-Regeln." Wenn künftig "nur noch Max Mustermann und Micky Maus im Restaurant einchecken, wird die Nachverfolgung von Infektionsketten unmöglich". In Berlin droht für falsche und lückenhafte Angaben in den Gästelisten von Samstag an aber nach einem neuen Senatsbeschluss ein Bußgeld von 50 bis 500 Euro. Von der Staatsregierung forderte Hagen eine rechtliche Klarstellung, was mit den Daten passieren darf und was nicht. Es fehle eine rechtliche Grundlage. Schon zuvor hatte der bayerische SPD-Abgeordnete Florian Ritter konstatiert: "Eine Herausgabe ohne richterlichen Beschluss ist rechtlich nicht zu verantworten." Die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, Katharina Schulze, plädierte für bundeseinheitliche Vorgaben über ein Begleitgesetz, um Willkür zu verhindern. Laut Hermann erwartet der Bürger aber, dass die Polizei im Rahmen der Rechtsordnung alles zu seinem Schutz unternehme und "nicht unter dem Deckmäntelchen eines falsch verstandenen Datenschutzes die Hände in den Schoß legt". (Stefan Krempl, heise)Es ist diese übliche Kurzsichtigkeit bei der Polizei beziehungsweise Sicherheitsbehörden sowie der SicherheitspolitikerInnen. Die Katze kann quasi das Mausen nicht lassen. Ich verstehe die Versuchung durchaus: wenn irgendwelche Daten verfügbar sind, will man diese natürlich für die Strafverfolgung nutzen. Aber die Neigung der Sicherheitsbehörden, alle Überlegungen auszublenden, die nicht mit ihrem direkten Tagesgeschäft zu tun haben, stehen ihnen dabei selbst im Weg. Klar kann man als PolizistIn die Nase über politische Überlegungen rümpfen, die eventuell die Strafverfolgung erschweren, aber dass man bei der Bevölkerung massiv Vertrauen verliert wird mittel- und langfristig der Strafverfolgung wesentlich mehr schaden als die Anwesenheitsliste in der Bar.
8) "Lasst die Lehrkräfte in Ruhe, aber nicht die Schulen" (Interview mit Aladdin el-Mafalaani)
Abseits von Corona: Wie ist Schule generell aufgestellt für Kinder aus armen Familien oder aus sozial benachteiligten Verhältnissen? Es hat viele gute Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten gegeben, aber man muss wissen, dass die Problematik von Kindern, die heute in prekären Verhältnissen aufwachsen, eine grundlegend andere ist als noch vor 30 Jahren. Das Problem ist, dass wir es in den untersten benachteiligten Milieus heute häufig mit Resignation zu tun haben. Die Kinder wachsen nicht nur in ökonomisch prekären Lagen auf, sondern dazu auch noch in einem Milieu, in dem die Erwachsenen häufig keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben. Die Eltern – und damit auch die Kinder und Jugendlichen – bringen immer weniger von dem mit, was in der Schule erwartet wird. [...] Was Lehrkräfte richtig gut können, ist ein Klassenunterricht, in dem man 20 bis 30 ganz junge Menschen in eine Richtung lenkt. Eine hoch anspruchsvolle Aufgabe, die sie so gut wie niemand anderes machen. Aber Diagnostik und individuelle Förderung sind eine große Schwäche. Jetzt kann man sagen, dann müssen wir das ändern, die Lehrkräfte fortbilden und so weiter. Man kann aber auch sagen, hier liegt in den digitalen Mitteln ein riesengroßes Potenzial. [...] In den vergangenen Monaten wurde vieles an der Schule und an den Lehrkräften kritisiert. Sind die Erwartungen an Lehrende zu hoch? Ja, sie sind viel zu hoch. Im Augenblick erwarten wir von den Lehrkräften, dass sie für alles Experten sind. Für Gewaltprävention, für Rassismus, für Antisemitismus, für religiösen Fundamentalismus, für digitales Mobbing – egal, was gerade aktuell gesellschaftlich passiert, das sollen Lehrkräfte dann auffangen, und das in einem auf Kante genähten Schulsystem. Das funktioniert nicht. Internationale Studien zeigen, dass es kaum ein anderes Schulsystem gibt, das so stark wie das deutsche von Lehrkräften als professionellen Akteuren geprägt ist. Deswegen wäre mein Hauptansatzpunkt, die Lehrkräfte in Ruhe zu lassen, aber nicht die Schulen. Nach dem quantitativen Ausbau des Ganztags sollten wir ihn stattdessen auch qualitativ mit multiprofessionellen Teams verbessern. (Lea Schrenk, BpB)Dieses Problem der Nicht-Qualifikation erlebe ich auch täglich. Lehrkräfte sind, gerade am Gymnasium, als Experten für Wissens- und Kompetenzvermittlung ausgebildet. Wir sind keine Sozialpädagogen, keine Sozialarbeiter und keine Medienentwickler. Wir sind auch keine Verwaltungsfachkräfte. Die Bildungssysteme laden aber diese Zuständigkeiten alle auf die Schultern der Lehrkräfte, um die Einstellung des qualifizierten Personals - und die genannten Berufe sind ja Ausbildungsberufe oder gar eigenständige Studiengänge, und das nicht ohne Grund! - zu sparen. Da aber der Tag von Lehrkräften auch nur 24 Stunden hat, muss die Übernahme ständig neuer, jobfremder Aufgaben zwingend entweder zu Überlastung führen - mit all den Folgen für Gesundheit, Krankenstand, Frühpensionierungen und so weiter - oder aber zur Reduktion im Kerngeschäft. Beides ist scheiße. Dazu spricht El-Mafaalani auch einen Punkt an, der ebenfalls relevant ist. Wir sind dazu ausgebildet, Klassen zu führen. Diese ganze Individualförderung ist zwar zunehmend in die LehrerInnenausbildung integriert, ist aber zeitlich nicht zu machen (erneut: völlige Überlastung). Entweder also stellt man wesentlich mehr Lehrkräfte ein und reduziert die Volldeputatsstundenzahl, oder - was wesentlich sinnvoller ist - man stellt Fachpersonal ein, das sich gezielt in Absprache mit den Lehrkräften darum kümmert. So oder so ist die Folge aber, dass das Bildungssystem deutlich teurer wird. Diese Investitionen aber würden zu wesentlich höherer Qualifikation der Bevölkerung sorgen und wäre daher auch volkswirtschaftlich dringend geboten.
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Es ist und bleibt völlig irre, dass die Democrats mindestens (!) 3% mehr Stimmenanteile als die Republicans erreichen müssen, um auch nur eine Chance zu haben, die Wahl zu gewinnen. Das ist eine Verzerrung der Demokratie, die völlig inakzeptabel ist. Dass das als ein rein parteiisches Thema gehandelt wird, ist ein gigantischer Skandal und ein massives Versagen der demokratischen Spin-Doktoren.Chance of a Biden Electoral college win if he wins the popular vote by X points:0-1 points: just 6%! 1-2 points: 22% 2-3 points: 46% 3-4 points: 74% 4-5 points: 89% 5-6 points: 98% 6-7 points: 99% — Nate Silver (@NateSilver538) September 2, 2020
10) Tweet
Mit dieser Entwicklung steht Deutschland weitgehend allein auf weiter Flur. Angesichts der Tatsache, dass wir im europäischen Vergleich bisher sehr gut durch die Krise gekommen sind, ist das nicht weiter verwunderlich. Die Große Koalition hat sich bisher als hinreichend kompetente Krisenmanagerin erwiesen, besonders im internationalen Vergleich. Ich würde das daher nur zu Teilen auf die typisch deutsch-obrigkeitsstaatliche Mentalität abheben, sondern dies auch als genuine Reaktion auf Erfolg verbuchen. Gleichzeitig trägt sicherlich auch die wenig polarisierte politische Landschaft dazu bei. Wir haben keine Zustände wie etwa in den USA, wo es praktisch unmöglich ist, als Anhänger der einen Partei IRGENDWELCHE Maßnahmen der anderen Partei gut zu finden. In Deutschland kann ich problemlos Anhänger der FDP sein und trotzdem einer schwarz-roten Maßnahme zuzustimmen, ohne dass das meine politische Identität gefährdet - was durch die Tatsache, dass im deutschen System jederzeit eine Koalition nötig werden kann, verstärkt wird.Auch hat #Corona über gesellschaftliche Gruppen hinweg eine deutliche *Zunahme* an Vertrauen in die Demokratie und Politik gebracht. pic.twitter.com/ADbMGJfJC3— Christian Odendahl (@OdendahlC) September 2, 2020
11) The racist myth of France’s ‘descent into savagery’
A new word has entered France’s political lexicon: “ensauvagement." Or rather, this new word — which translates as “descent into savagery”— has made its way from the political fringes into the mainstream discourse. When Marine Le Pen in 2013 first plucked the term from a book written by the far-right author Laurent Obertone, no one paid much attention. But since September 2018, the leader of the far-right National Rally has used it in every speech and TV appearance, painting a picture of a country under siege from a surge of uncontrolled criminal violence she blames on cities’ poor inner suburbs and the effects of “mass migration.”[...] But the claim that France is descending into some apocalyptic twilight world of migrant-driven violence is nonsense. Or rather, it is a lie calculated to stir racial prejudice and hatred. The use of the word “savage” is not accidental. [...] According to an Elabe poll published last week, 32 percent of French people are now anxious for their personal safety, compared with 18 percent a year ago. Almost 60 percent of French people say that violence is increasing. There is, in fact, no evidence that France is becoming more violent. Rather the opposite. In the last 25 years, the French murder rate has fallen by almost half and is five times lower than in the United States, when you account for population. Violent robbery and acts of personal violence are stable — even falling, if you exclude sexual assaults which, thankfully, are now reported more systematically to the police. (John Lichfield, Politico)Es ist ein Trend seit mittlerweile fast 30 Jahren, dass die Kriminalitätsrate in der westlichen Welt stetig sinkt. Die Gründe hierfür sind immer noch nicht abschließend geklärt - unter anderem, weil der komplette öffentliche Diskurs in die völlig gegenteilige Richtung geht und permanent der Eindruck erweckt wird, die Kriminalitätsraten stiegen - was nicht stimmt, nicht einmal im viel diskutierten Bereich der Jugendkriminalität. Ein anderer Punkt, auf den ich gerne eingehen möchte, ist Kommunikationsstrategie. Es ist nur ein Satz im Artikel, aber die Tatsache, dass der Rassemblement National über mehrere Jahre lang eine Kommunikationsstrategie konsequent fährt, ist gerade im Vergleich zu seiner politischen Konkurrenz bemerkenswert. Es ist das Einmaleins politischer Kommunikation: Wenn du denkst, dir hängt die permanente Wiederholung zum Hals heraus - das ist genau der Moment, in dem Durchschnittsbürger zum ersten Mal davon hören. Davon sollte sich die gesamte demokratische Konkurrenz mal eine Scheibe abschneiden.
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