Dienstag, 9. November 2021

Warum die CO2-Steuer (allein) uns nicht retten wird

 

Angesichts der massiv voranschreitenden Klimakrise befinden sich in den meisten westlichen Ländern die Klimakrisenleugnenden immer weiter auf dem Rückzug. Mit Ausnahme der USA gibt es kaum mehr eine Nation, in der ein wesentlicher Teil des politischen Spektrums aktive Leugnung betreibt - in Deutschland etwa stellt sich die AfD damit ins Abseits. Seit den 1980er Jahren haben praktisch alle Parteien den Kampf gegen die Klimakrise offiziell in ihre Programme aufgenommen, aber erst die Welle an Protesten seit 2019 hat erneute Bewegung in die politische Debatte gebracht und es erforderlich gemacht, konkrete Politiken zu entwickeln. Diese bewegen sich meist entlang ideologischer Präferenzen. So fordert die LINKE schuldenfinanzierte Investitionen des Staates in den Klimaschutz, operieren die Grünen vor allem mit dem regulatorischen Werkzeugkasten, und so fordern vor allem FDP und CDU die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente. Unter diesen sticht besonders die CO2-Steuer hervor, von der sich eine Heilwirkung versprochen wird. Ich halte das für eine Illusion und will im Folgenden meine Gründe dafür darlegen.

Das Prinzip der CO2-Steuer ist simpel, und genau in dieser Simplizität liegt ihre große Attraktivität. Die Idee ist, das Emittieren von CO2, das bisher in einem Musterbeispiel der "Tragik der Allmende" praktisch kostenfrei ist, mit einem Preis zu belegen, so dass die üblichen Mechanismen der Marktwirtschaft - nennen wir es gerne mit Smith die unsichtbare Hand des Marktes - ihre wundersame Wirkung vollbringen und das Emittieren von CO2 wirtschaftlich unattraktiv machen. Ein wichtiges Werkzeug dafür ist der Handel mit CO2-Zertifikaten, die das Emittieren überhaupt erst erlauben und deren Menge vom Staat festgelegt wird. Wer wenig emittiert, kann Zertifikate verkaufen, wer viel emittiert, muss sie zusätzlich erwerben. Noch beliebter als der bereits existierende Zertifikatshandel aber ist die CO2-Steuer, die das Emittieren grundsätzlich verteuern würde.

Man kann sich das folgendermaßen vorstellen: wenn die Volkswirtschaft auf ein Excel-Spreadsheet projiziert würde (das dann wohl komplizierteste Spreadsheet, das je erstellt wurde, aber bleiben wir im Bild), dann hat eine Veränderung des Preises von CO2 Folgewirkungen entlang der kompletten Wertschöpfungskette, beeinflusst also das gesamte Spreadsheet. Die Kosten von CO2-intensiven Produkten steigen, während die Kosten von klimaverträglichen Produkten weitgehend gleich bleiben. Entsprechend werden Konstument*innen zu günstigeren Produkten wechseln und Unternehmen entsprechend durch den Markt gezwungen, ihre Preise zu senken - was sie nach Lage der Dinge tun werden, indem sie die Emissionen reduzieren. Um diesen Prozess zu forcieren, gehen die meisten CO2-Steuer-Konzepte von einem linear steigenden Preis aus.

Dieses Konzept ist simpel, bestechend, funktioniert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genauso wie oben beschrieben und wäre das vermutlich beste Mittel, um die Klimakrise zu bekämpfen. Es ist gleichzeitig auch ein Hirngespinst, das nicht umsetzbar ist.

Wie geht das zusammen?

Die CO2-Steuer ist, soweit ich als Amateur das überblicken kann, ökonomisch unangreifbar. Ihre Logik ist bestechend, ihre Funktionsweise kaum in Frage gestellt. Die größte Kritik, die ich von technischer Seite her kenne, ist das gleiche Problem, das JEDE klimapolitische Maßnahme hat, nämlich dass ein globales Regime besser wäre als eine nationale oder auch europaweite Lösung. Aber diese Feststellung ist ungefähr so hilfreich wie die, dass Weltfrieden und ewiger Sommer schon auch irgendwie schön wären. Und der Planet der Liebe wird die Erde sein - ist halt nicht. Weder bei der CO2-Steuer noch bei sonstwas.

Nein, meine Probleme sind politischer Natur. Denn so bestechend die CO2-Steuer in ihrer theoretischen Funktionsweise auch ist, ich glaube nicht, dass sie in der Praxis jemals wird umgesetzt werden können. Dafür gibt es mehrere Gründe. Ich will mich zuerst mit diesen beschäftigen, bevor ich darüber spreche, was das in meinen Augen für die CO2-Steuer bedeutet.

Die Einführung einer CO2-Steuer wird, so sie irgendwie funktional gestaltet ist (was leider nicht bei allen diskutierten Varianten der Fall ist, aber mittlerweile zumindest bei allen, die irgendwie ernsthaft in der Debatte sind), wird zu einer ungeheuren Verwerfung des Preisgefüges führen. An dieser Stelle mögen bewanderte Lesende mit den Schultern zucken und darauf verweisen, dass das offensichtlich ist. Eine CO2-Steuer, die nicht zu massiven Veränderungen im Preisgefüge führt, ist nutzlos.

Das ist klar, aber wie bei jeder Steuer ist schwer vorherzusagen, wo die Preisänderungen exakt passieren werden. Das wissen auch die betroffenen Unternehmen nicht, weil die Preisverschiebungen in unserem metaphorischen Excel-Spreadsheet durch die gesamten Lieferketten hoch und runter vibrieren werden, als würde man eine ganze Wagenladung Steine in einen Teich werfen. Diese Verschiebungen werden Gewinner*innen und Verlierer*innen kennen, teilweise vorher absehbar, teilweise nicht. So oder so aber werden sie, selbst wenn man am Ende ungefähr so dasteht wie am Anfang, eine massive Veränderung darstellen. Und Veränderungen werden bekämpft, immer. Das ist menschliche Natur.

Normalerweise sind es eigentlich gerade Konservative und Liberale, die die menschliche Natur gegen ähnlich ausgreifende linke Pläne ins Feld führen, was es natürlich umso ironischer macht, dass dieses Mal so ein linksgrün versiffter Gutmensch wie ich mahnend die Stimme hebe. Aber mir scheint diese Konsequenz deutlich zu wenig diskutiert zu werden. Zwar wird pflichtschuldig immer irgendeine Art sozialer Ausgleich gefordert, für den es auch sehr gute Konzepte gibt. Nur scheinen mir alle Beteiligten, von den Grünen bis zur FDP, völlig zu unterschätzen, dass man den Leuten zwar SAGEN kann, dass sie dank eines komplizierten Ausgleichesmechanismus und einer jährlichen Zahlung aus einem Fond oder irgendwelchen Subventionen an anderer Stelle am Ende auf null rauskommen oder gar besser stehen; aber ob die Leute das dann FÜHLEN und GLAUBEN, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Als Beispiel sehe man sich nur mal den Affordable Care Act (Obamacare) an. Rein auf der policy-Ebene gesehen war das eine völlig solide Reform, die den Eigenheiten des amerikanischen Gesundheitswesens Rechnung trug und der überwältigenden Zahl der Menschen entweder nicht schadete oder half. Allein, angefühlt hat es sich nicht so.

Und das führt uns zum nächsten großen Problem: Egal, wie ausgefeilt das Kompensationsmodell sein wird, die CO2-Steuer wird sich anfühlen wie eine zusätzliche und enorm disruptive Belastung. Genau die Teile, die am meisten helfen - beim etwa ACA das "individual mandate", also die Versicherungspflicht - werden den meisten Widerstand hervorrufen. Das ist keine reine Annahme von mir. Die Maßnahmen, die am meisten zur CO2-Reduktion beitragen, sind bei der Bevölkerung die unbeliebtesten, wie eine Studie kürzlich herausgearbeitet hat. Das betrifft vor allem solche, die das Auto Fahren verteuern.

Und damit sind wir beim Kern. Wo emittieren wir im Alltag das meiste CO2? Beim Auto Fahren und beim Heizen. Es sind nicht die Steaks auf dem Grill und nicht das Lagerfeuer im Schrebergarten. (Dass der Löwenanteil der Emissionen ohnehin in der Industrie anfällt und nicht im Individualkonsum sei hierfür erst einmal ignoriert.) Welche Kosten sind bereits jetzt sehr hoch, und welche Verteuerung ruft verlässlich und über alle Parteigrenzen hinweg energischen Widerstand hervor? Richtig, Energie und Treibstoff.

Man sieht bereits jetzt, wo das Ding praktisch nicht eingeführt und das Niveau der Preisdisruption noch ziemlich niedrig ist, welche Konsequenzen das politisch hat. So fordert Markus Söder eine Mehrwertsteuerermäßigung auf fossile Energieträger und Kraftstoffe (ein Plan, den auch die FDP hegt), was etwa bei Claus Hecking zu Recht harsch kritisiert wird. Söder bereitet sich damit bereits auf die Oppositionstätigkeit der Union vor, die gegebenenfalls jede Teuerung der ungeliebten CO2-Steuer zuschreiben und die Regierung damit angreifen wird. Und Teuerungen wird es genug geben, das liegt in der Natur der Sache, denn wenn CO2-Emissionen sich nicht verteuern, macht ja die ganze Steuer keinen Sinn. Die Disruption ist nicht ein Nebeneffekt, eine unvermeidbare Nebenwirkung; sie ist der Kern. Und sie ist politisch toxisch.

Dabei ist das Absurde, dass trotz hochgejazzter Unterschiede die Pläne der Parteien extrem ähnlich sind. Das CO2-Besteuerungskonzept von Grünen und Union, FDP und SPD unterscheidet sich wie Vanille und Straciatella. Eine CO2-Steuer ist simpel und wirksam. Sie hat weder Freunde noch Feinde. Ihre Funktionsweise ist in der Theorie jeglichem politischen Hickhack enthoben, weil sie eine Änderung der Variable im Spreadsheet ist. Keine Regulierung, keine ideologisch verbrämte Steuerung; sie ist die kalte, rationale Hand des Marktes bei der Arbeit.

Darin entspring sie demselben Mindset wie etwa die Schuldenbremse. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade Ökonom*innen die CO2-Steuer als hauptsächliches oder gar einziges Instrument des Kampfes gegen den Klimawandel empfehlen, halten sie sich doch für neutrale Arbiter, Vermittelnde zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft. Das ist natürlich eine trügerische Selbst-Illusion, aber sie ist mächtig in der Zunft.

Dass die CO2-Steuer weder Freund noch Feind hat, mag sie als objektiv und über dem Parteienstreit schwebend erscheinen lassen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist praktisch die Garantie ihrer Wirkungslosigkeit. Den Status Quo zu verändern ist eine aufreibende, anstrengende, großes Engagement und Investment erfordernde Sache. Den Status Quo zu erhalten ist in den meisten Fällen leicht und gefällig.

Es ist viel leichter, den Status Quo niedriger Benzinpreise zu erhalten, als sich zu überlegen, wie man für die steigenden Kosten einen vernünftigen Ausgleich schaffen will. Deswegen hintertreibt die CDU/CSU bereits jetzt ein Instrument, das de facto noch nicht einmal richtig eingeführt ist. Die CO2-Steuer soll CO2-Emissionen verteuern, damit der Mechanismus von Angebot und Nachfrage seine Wirkung tun und CO2-Emissionen aus dem Markt verdrängen kann. Durch staatliche Subventionen den Preis stabil zu halte ist das Prinzip "rechte Tasche, linke Tasche" und wird die gewünschte Verhaltensänderung bei Herstellern und Konsumenten nicht erreichen. Das dürfte Söder klar sein, der Mann ist ja intelligent. Aber die politischen Dynamiken sind zu stark, der leichte Gewinn auf Kosten der Gegner viel zu verlockend.

Und das wird immer der Fall sein. Die CO2-Steuer wird nie so funktionieren, wie sie das in der Theorie unseres metaphorischen Excel-Spreadsheets tut, genauso wenig wie der Maastricht-Vertrag und die Schuldenbremse oder das Zurückzahlen der in der Rezession angehäuften Staatsschulden im Boom nach keynesianischem Muster je taten. All diese von Ökonom*innen entworfenen Regeln mögen in der Theorie hervorragend funktionieren. An der Praxis zerschellen sie krachend.

Elektorale Gewinne im Wahlkampf werden Parteien dazu bewegen, Stimmung gegen die eigentlich erwünschten Verteuerungen CO2-intensiver Branchen und Produkte und die damit einhergehenden Preissteigerungen zu machen. Unternehmen werden versuchen, sich den notwendigen Veränderungen und Innovationen zu verweigern und stattdessen Lobbyismus betreiben, um staatlichen Schutz und/oder Subventionen zu erhalten. Bürger*innen werden ihre gewählten Repräsentant*innen nachdrücklich auffordern, sie vor den wirtschaftlichen Verwerfungen negativer Art zu schützen. Die Medien werden Horrorstories von steigenden Preisen und zerstörten Existenzen erzählen.

Niemand wird das aus Böswilligkeit tun. Sie werden es tun, weil es ebenso in der menschlichen Natur wie in der Natur der Institutionen, Prozesse und Dynamiken liegt, innerhalb derer wir uns alle bewegen. Das Konzept der CO2-Steuer aber missachtet diese Institutionen, Prozesse, Dynamiken, missachtet die Natur des Menschen. Es glaubt, Kraft der reinen ökonomischen Lehre diese Hindernisse beiseite wischen zu können. Das ist eine Hybris, die scheitern muss.

Bedeutet das alles nun, dass die CO2-Steuer nutzlos ist? Keineswegs. Ich bin sehr für die Einführung dieses Instruments. Denn erneut: die ökonomische Logik dahinter ist einleuchtend. Ich bin nur skeptisch über den Wirkungsgrad, den sie als Instrument entfalten kann, bin skeptisch gegenüber den Heilsversprechen des allein selig machenden Instruments.

Stattdessen bin ich ein gläubiger Jünger des Ansatzes, den die Amerikaner in unnachahmlicher Schnoddrigkeit als "everything and the kitchen sink" bezeichnen. Letzten Endes müssen wir in meinen Augen so viel wie möglich machen. "Scheiße an die Wand werfen und sehen, was kleben bleibt" wäre eine andere, prosaische Wendung desselben Prinzips. Ist das ineffizient? Sicherlich, in einem gewissen Ausmaß. Manche Maßnahmen werden sich konterkarieren, gar gegenseitig aufheben; manches wird nicht funktionieren und sich als Irrweg erweisen. Der Preismechanismus ist effizient, aber nicht zwingend effektiv: mit diesem Argument fordert Cedric Durand im New Left Review "ökonomische Planung". Ich weiß nicht, wie sehr ich mich hinter die Rückkehr der Planwirtschaft stellen will, und bin da sehr skeptisch. Aber auch hier gilt: wir müssen es versuchen.

Das Problem der Klimakrise ist zu wichtig, um auf eine einzige Lösung zu vertrauen, die zwar in der Theorie hervorragend funktioniert, aber in der Praxis schlicht noch nicht getestet wurde. Vielleicht funktioniert die CO2-Steuer ja auch genau so, wie ihre Apologeten sich das erhoffen. Das wäre natürlich super. Aber ich bin skeptisch, und wir können leider nicht eine solche Steuer einführen und zehn Jahre schauen, ob es funktioniert. Dafür ist die Lage mittlerweile viel zu ernst. Wir können nicht, um ein letztes amerikanisches Idiom zu gebrauchen, "all eggs in one basket" packen, denn die Stöße kommen immer näher, und es werden Eier zu Bruch gehen. Wir müssen darauf hoffen, dass genügend übrig bleiben werden, um die Herausforderung zu meistern. Wir werden keinen zweiten Versuch bekommen.

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