Mittwoch, 15. März 2023

Chinesische Solarpanele lösen die deutsche Bildungsmisere mit falschen Zahlen über die das parteiische Gesundheitssystem - Vermischtes 15.03.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Wie die deutsche Energiewende an China hängt

Ausgerechnet der einstige Star der heimischen Ökostromproduktion wird heute nahezu komplett in China gefertigt: Ein Solarmodul kommt üblicherweise zu rund 85 Prozent von dort. Die Wafer, der Hauptbestandteil, stammen laut dem Solarexperten Jochen Rentsch vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme sogar zu nahezu 100 Prozent aus Asien. [...] Dabei war Deutschland noch in den Nullerjahren Vorreiter, es produzierte mehr Solarzellen als jedes andere Land auf der Welt. Wirtschaftsminister wie Peter Altmaier (CDU) kürzten die lukrative Förderung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. "Was in Deutschland einst langsam wuchs, hat China innerhalb von einem Jahr aufgebaut und damit auch viele Zulieferer zu sich geholt", sagt Rentsch. So wurden Glasfasern oder auch Metallpasten für die Elektrokontakte einst in Europa produziert, aber auch diese Industrien sind nach China abgewandert. "Wenn wir diese Energie wieder hier ansiedeln wollen, geht das nicht ohne staatliche Unterstützung", so Rentsch. [...] China produziert bislang vor allem für seinen eigenen Markt Windräder. Axthelm beobachtet aber ein stärkeres Interesse chinesischer Produzenten am Verkauf in Deutschland: Beim wichtigsten Branchentreff, der Husum Wind, hätten sich dieses Jahr so viele chinesische Hersteller angemeldet wie noch nie. "Wir sollten wachsam sein – Windräder sollten zur kritischen Infrastruktur hinzugezählt werden und damit auch im eigenen Interesse möglichst souverän hergestellt oder aus vielen verschiedenen Ländern importiert werden", so Axthelm. Die Windkraft, die wichtigste erneuerbare Energie in Deutschland, wurde von der Politik nach einer Boomphase gezielt ausgebremst. Statt fester Vergütungssätze für jede Kilowattstunde Windstrom führte Wirtschaftsminister Peter Altmaier Ausschreibungen ein. Dieses Modell hat seit 2017 den Zubau so gut wie halbiert und lokalen Bürgerenergieprojekten das Leben schwer gemacht. Die heimische Produktion ging wegen der aufwändigeren Auktionen zurück, wie auch eine internationale Studie nachweist. (Annika Joeres, ZEIT)

Wenige Entscheidungen aus der Merkel-Ära sind so verheerend wie die gezielte Sabotage der erneuerbaren Energien. Dass die schwarz-gelbe Politik gerne darauf verweist, dass das EEG nie ohne Subventionen auskam und der Sektor diese brauchte, nur um jetzt mit massiven Subventionen eine schlechtere Energieart (eFuels) zu fördern, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Das geschah aus ideologischer Verblendung: man war gegen das EEG, weil die Erneuerbaren vage als rot-grünes Projekt wahrgenommen und bekämpft wurden. An seine Stelle trat - nichts. Auch das ein Charaktermerkmal der Merkel-Ära. Freunde der Atomenergie werden das nachfühlen können.

Das Ganze ist auch deswegen so absurd, weil das neuerliche Hochfahren des Sektors der Erneuerbaren - das zur Energiewende zwingend nötig ist und um das wir nicht herumkommen, was auch 2012 schon absehbar war - Kosten von bis zu 15 Milliarden verursachen wird. Das "Sparen" von Subventionen hat hier, wie so oft, riesige Folgekosten verursacht, die um ein Vielfaches über dem Ursprungsbetrag liegen; von dem verlorenen Wettbewerbsvorteil, den wir einmal hatten, ganz zu schweigen. Bewusste Sabotage aus ideologischer Verblendung zum Schaden aller.

2) Ein radikaler Ansatz gegen die Schulmisere

Die Hauptursache für die Schulmisere sieht er in den verteilten Zuständigkeiten zwischen Schulaufsicht, Schulträgerschaft und Schulleitung. Gute Schule könne nicht gelingen, wenn an den Schulen selbst viele zuständig seien, wenn Schulen in zahlreichen Vorschriften untergingen und wenn die Arbeitsbedingungen keine Freiräume ermöglichten. Eine Möglichkeit, schnelle Verbesserungen zu erreichen, sieht die Telekom Stiftung deshalb in der Dienstherreneigenschaft der einzelnen Schu­len für das gesamte an ihr tätige Personal und ein eigenes Budget. [...]Mehr verantwortete Freiheit für die Schulen be­deute weniger Vorschriften. Über die Nutzung analoger und digitaler Hilfsmittel wie Schulbücher oder Bildungsangebote im Internet sollten die Schulen vor Ort entscheiden. Einrichtungen wie Lehrbuchkommissionen sollten entfallen, allenfalls einzelne Hilfsmittel von der Schulaufsicht untersagt werden. Als Korrektiv für die individuelle Freiheit von Schulleitungen soll die Transparenz über die erreichte Lernleistung dienen: Das bedeutet, dass klar sein muss, ob eine Schule die Mindest-, Regel- und Optimalstandards erreicht. Bisher bleibe es meist folgenlos, wenn eine Schule die sogenannten Bildungsstandards nicht er­reiche. Bei Problemen müsse es Interventionsmöglichkeiten für die Schulaufsicht/-inspektion geben, sowohl als Feedback als auch als Unterstützung. [...] Als dritten raschen Reformschritt schlägt die Stiftung eine Reform der Lehrerarbeitszeitmodelle vor. Es sei anachronistisch, dass die Lehrer­arbeitszeit seit mehr als hundert Jahren unverändert am Lehrdeputat ge­messen werde. [...] Deutschland brauche eine wöchentliche Arbeitszeit mit An­wesenheitsregeln in der Schule und Urlaub. (FAZ)

Als Lehrer an einer Privatschule dürfte es wenig überraschend sein, dass ich die hier vorgebrachten Lösungsansätze weitgehend unterstütze. Die Befreiung der Schulen vom Vorschriftenballast ist mehr als überfällig; leider geht die Entwicklung eher in die andere Richtung. Und das reichlich farbenblind: das Überfrachten der Verordnungen durch immer standartisiertere Leistungsfeststellungen, auf die das ganze System ausgerichtet wird, ist maßgeblich für diese Misere verantwortlich, und da sind ja gerade Konservative und Liberale federführend (andere Sektoren sind eher die Spielwiese von SPD und Grünen, die geben sich da nichts).

Natürlich kann das nur funktionieren, wenn die Ausstattungslevel für die Schulen garantiert sind. Schon jetzt profitieren Schulen massiv davon, wenn sie in reichen Kommunen liegen, weil die die Ausstattung finanzieren - oder eben nicht. Bekommen die Schulen jetzt vom Land die Personalhoheit, deren Fehlen bislang für eine halbwegs gerechte Verteilung der knappen Personalressourcen sorgt, werden sich bestehende Ungleichheiten schlagartig um ein Vielfaches verschlimmern, mit einer klaren Ranghierarchie verschiedener Schulen. Das kann niemand wollen, weswegen die Umsetzung solcher Reformen ungeachtet aller politischen Hindernisse sehr trickreich ist.

Völlig unrealistisch dagegen ist die geforderte Arbeitszeitreform, und zwar aus rein strukturellen Gründen. Es klingt ja toll, Anwesenheitszeiten an der Schule festzulegen (ich nehme an, für Unterrichtsvorbereitung und Korrekturen, denn Konferenzen und Unterricht finden ja eh an der Schule statt). Nur gibt es dafür keine Arbeitsplätze. Ich kann das in der Schule schlicht nicht machen, weil es den Raum nicht gibt, die Lehrkräfte unterzubringen. Das ist eine bauliche Frage. Und das lässt sich auch ohne den Neubau ALLER SCHULGEBÄUDE DEUTSCHLANDS auch nicht ändern, weil das System halt auf die Heimarbeitsplätze von Lehrkräften (und deren privater Finanzierung) ausgerichtet ist.

3) Tweet


Auf der einen Seite ist es natürlich faszinierend, dass die Bevölkerung der USA anscheinend zu rund 200% aus Minderheiten besteht. Aber diese "gefühlten Wirklichkeiten" sind ja ein Riesenthema. Man denke nur an Kriminalstatistiken: dass die Kriminalität seit mittlerweile Jahrzehnten (!) rückläufig ist, dringt überhaupt nicht durch; die Panik vor Kriminalität ist jederzeit reaktivierbar. Gleiches gilt für die völlig absurden Annahmen über die relative Häufigkeit von Minderheiten, die notorisch massiv überschätzt wird.

Aber: ich würde die Zahlen selbst nicht überbewerten. In der Tendenz bleibt das richtig, aber 99% der Menschen sind katastrophal schlecht im Umgang mit Prozentzahlen und haben null Gefühl dafür, wie viel das eigentlich jeweils ist. Viel sinnvoller wäre, in Kategorien von "few", "some" und "many" oder so was zu fragen - denn nichts anderes wird mit den Zahlen tatsächlich ausgedrückt. Korrekte Schätzungen sind, so sagen mir meine Freunde bei YouGov, selbst bei Expert*innen für diese Themen sehr selten.

4) The Perks Workers Want Also Make Them More Productive

Policies like these have conventionally been seen as good for workers’ personal lives but bad for business. But thanks to the massive, sudden changes brought on by the pandemic, we now have more data than ever, and it shows that assumption is mostly wrong. Overall, policies that are good for employees’ personal lives are, when enacted correctly, good for their work lives, too. In fact, they seem to be good for everyone. The only question is whether we’ll start to see more companies adopt them. [...] Instead of addressing those problems, many managers have been reluctant to believe the positives of working from home and major companies have persisted in return-to-office policies. The drive seems largely driven by managers who are struggling to the new work environment as well: In the beginning of the pandemic, 40 percent lacked confidence they could manage their employees remotely, according to another study from the Harvard Business Review, though some managers have adjusted better than others.  [...] There’s no federal law in the U.S. mandating that employers provide paid sick leave for their employees. Nearly a quarter of workers — especially low-income workers, often in the kinds of service jobs deemed essential during the pandemic — can’t call in sick when they get a cold or their child is sent home from school with a fever. Under certain conditions, workers are entitled to periods of unpaid leave, but the fact that it’s unpaid can make it a burden to use. [...] It’s not surprising that paid sick leave is better for workers who have access to it. A study in Health Affairs found that state-mandated sick pay led to a 5.6 percent reduction in emergency room visits, indicating that workers able to take paid sick leave were able to deal with health problems before they worsened. And a study from Drexel University also found that paid sick leave mandates led to a 6 percent increase in productivity. (Monica Potts, The Atlantic)

Diese Studie zeigt für mich einmal mehr, mit wie viel Bauchgefühl und scheinbar festen Regeln, die in Wahrheit nichts sind als Daumenregeln ohne jede empirische Unterfütterung, die Wirtschaft operiert. Das hat sie mit Schule gemeinsam: beide tun so, als würden ihre Ergebnisse objektiv messbar und rational zustandekommen, während in Wahrheit soziale Faktoren, individuelle Vorlieben und eine gehörige Portion Vorurteile mit hineinspielt.

Auf der anderen Seite: 5% weniger Emergency Room visits! Das amerikanische Gesundheitssystem ist schon grob bescheuert, aber das Ausmaß, in dem dieses System Menschenleben zerstört beziehungsweise die Lebensqualität von Millionen Menschen massiv senkt UND dabei noch teurer ist als vergleichbare Systeme ist völlig absurd.

5) Ziemlich heiße Luft

Für die Grünen sieht die Welt gerade so aus: Es gibt enthemmt dadaistische Angriffe vonseiten der CSU (Insekten-Burger, Luftballonverbot), Tag für Tag neue Schreckensmeldungen in der Bild zu Habecks Energiepolitik ("Machen die Grünen unseren Wohlstand kaputt?"), flankiert vom Koalitionspartner FDP. Die Klimabewegung wirkt geschwächt und weitgehend integriert (Fridays for Future), oder sie wird dominiert von radikaleren, zuweilen unverständlichen Aktionen wie denen der Letzten Generation. Obendrauf kommen die grünen Wahlniederlagen in Berlin, Mainz und Frankfurt, die nebst schwachen Umfrage-Ergebnissen signalisieren, dass die antigrünen Kampagnen Wirkung zeigen. Bei so viel Gegenwind ist es leichter, ein Windrad zu sein, als welche zu bauen. [...] Solange es aber diesen Wettbewerb um die beste und schnellste Klimapolitik nicht gibt, solange Klima als ein "Thema" (ach, die Welt ist voller Themen) der Grünen behandelt wird, so lange ist deren Zustand immer auch ein Gradmesser für die Verlogenheit einer Gesellschaft, die abstrakt ganz doll für Klimaschutz ist, aber nur wenn er ohne konkrete Friktionen, herbe Anstrengungen und ohne identitätspolitischen Muskelkater auskommt. Was Söder derzeit gegen die Grünen richtet, ist das Bellen des inneren Schweinehundes. (Bernd Ulrich, ZEIT)

Vor allem spannend im Kontext von Stefan Pietschs Behauptung, keine Partei sei so unbeliebt und unfair behandelt wie die FDP. Man sieht die Angriffe auf das eigene Lager immer als die schlimmsten von allen und die von allen anderen als nicht so dramatisch. Ich sehe etwa die wohlwollende Begleitung von Lindners Finanzpolitik durch Handelsblatt und Co mehr als Kritik an den Liberalen. Letztlich ist das glaube ich normal.

Ansonsten kann ich Ulrich nur zustimmen: die parteipolitische Polarisierung des Klimathemas ist eine Riesen-Eselei, die wir uns eigentlich nicht erlauben können. Aber das hat schon in der Pandemie niemanden abgehalten. Wenn wir blöd genug waren, die zu Identitätspolitik zu machen, warum sollte das bei der Klimakrise anders sein...?

Resterampe

a) Tolle Reportage in der Republic.ch über den Durchbruch der Sexualstrafrechtsreform in der Schweiz und wie er erreicht wurde.

b) Die durchschnittliche Verfahrensdauer in Deutschland ist einfach behämmert.

c) Sehr gute Gedanken zum Thema eFuels. Und die nicht unberechtigte Kritik seitens des Auslands. Und nebenbei zerlegt Wissing auch noch Schadstoffregeln, damit mehr Gift in die Luft darf. Selbst Rudi Bachmann kritisiert es.

d) Das ist doch ein überraschendes Ergebnis. Keine Ahnung, wie repräsentativ es ist, aber trotzdem.

e) Die Daten von Teilzeitarbeit im Geschlechterschnitt sind echt erschreckend.

f) So schlimm scheint der Fachkräftemangel echt nicht zu sein.

g) Nicht ganz unproblematisch, WARUM Pistorius (auch) bei der Truppe besser ankommt.

h) Im Atlantic wird der neue "Im Westen nichts Neues" gebasht. Sehr gut!

j) Kevin Drum über die Lektionen aus der Pandemie und was wir (leider) tatsächlich lernten.

k) Ich fürchte, das trifft zu.

l) Liability. Aber der VP ist eh egal.

m) Politico hat einen großartigen Longread zur Vorhersage des Ukrainekriegs, die Adam Tooze hier kommentiert.

n) Noch ein interessanter Text zur GTP-Debatte.

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