Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Der Artikel beschreibt die Veränderung in der Darstellung von Körpern und Sexualität in Film und Kultur. Er bezieht sich auf den Film "Starship Troopers" von 1990, in dem die Körperkultur und Militärpropaganda dargestellt werden. Er betont, wie heutige Filme, insbesondere Superheldenfilme, perfekte Körper präsentieren, die jedoch nicht erotisch oder sexuell aufgeladen sind. Es wird argumentiert, dass die moderne Körperdarstellung auf Selbstoptimierung und ästhetische Perfektion abzielt, aber die natürliche Sexualität unterdrückt. Dies wird mit der Zunahme von Essstörungen und dem Verlust der Libido in Verbindung gebracht. Der Artikel setzt diese Entwicklungen in den Kontext von historischer Körperkultur, Kriegen, den 9/11-Anschlägen und der aktuellen Kultur. Er schließt mit Hoffnung auf eine Veränderung dieser Entwicklung, wie im Fall von Robert Pattinson, der sich gegen körperliche Optimierung in der Rolle des Batman entschied. (RS Benedict, 54books)
Benedict Ist nicht der Erste, dem die Sexlosigkeit des modernen Kinos auffällt. Es ist natürlich nicht schwer, gegenüber den 1970er Jahren hier weniger zu haben, aber selbst im Vergleich zu den 1990er Jahren hier ist es auffällig. Diese Prüderie ist ein merkwürdiges Gegenstück zur performativen Wokeness. Ich glaube, das ist aber nur meine Theorie, dass dies an zwei Faktoren hängt.
Einerseits am Aufstieg von Disney zum Unterhaltungsmegakonzern. Disney war schon immer sehr prüde, hat aber seit den späten 2000er Jahren eine fast marktbeherrschende Stellung eingenommen. Besonders für das Marvel-Universum fällt dies auf, in dem Sexualität überhaupt nicht vorkommt, nachdem sie gerade bei den Superheldenfilmen der 1990er noch ziemlich prävalent war, zumindest in den Kostümen.
Andererseits könnte es auch mit dem Aufstieg des Feminismus zu tun haben. Sex in Filmen früher gegen überwiegend mit einer Objektifizierung von Frauen einher, die mittlerweile glücklicherweise verpönt ist. Eine äquivalente Objektifizierung von Männerkörpern hat nie stattgefunden, genauso wenig, wie eine adäquate Filmsprache entwickelt wurde, die den heutigen Werten besser entsprechen würde. Am ehesten ist dies HBO gelungen, und auch hier wirken bereits die frühen Staffeln von „Game of Thrones“ bereits wie aus der Zeit gefallen. Ich würde daher davon ausgehen, das hier wieder ein Modewechsel stattfinden wird, sobald jemand eine neue visuelle Sprache findet.
2) Rezension: L. Stokes: Fear of the Family
Die Passage aus dem Buch von Lauren Stokes behandelt die deutsche Angst vor "Überfremdung" und die Einwanderung ausländischer Familien in der Bundesrepublik Deutschland. Die Autorin betont, wie diese Ängste in der Migrationsgeschichte strukturell verankert waren und sich konjunkturell äußerten. Die Willkommenskultur für Gastarbeiter:innen-Familien in der frühen Bundesrepublik hatte jedoch eher integrationsverhindernde Motive. Die Behörden sahen die Anwesenheit der Familien als Möglichkeit zur Vermeidung von Integration und unerwünschten Beziehungen zu Deutschen. Die Instrumentalisierung der Familie für Reproduktionsarbeit und Pflege diente der Entlastung des Wohlfahrtsstaates. Die Passage beleuchtet auch die diskriminierenden Praktiken und die Vulnerabilität der Familien, insbesondere der Frauen. Es wird gezeigt, wie die Ausgrenzungslogik innerhalb der neoliberalen Gesellschaft funktioniert und wie Migrant:innen und ihre Familien die Last dieser Logik trugen. Die Autorin betont die Bedeutung der Familienperspektive für das Verständnis der Migrationsgeschichte und -politik in Deutschland. (Florian Wagner, HSozKult)
Ich finde es immer wieder beeindruckend, wieviel unserer heutigen sogenannten „Integrationsprobleme“ auf die verfehlte Politik in den 1960er und 1970er Jahren zurückgehen. Ganz besonders gilt dies für die Zielstrebigkeit, mit der genau die Ergebnisse angestrebt wurden, die wir heute als gigantische Defizite sehen. Gerade die Ghettoisierung und der mangelnde Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung waren, wie die vorliegende Studie zeigt, erwünschte Policy-Ergebnisse! Ich möchte an dieser Stelle im Übrigen auch noch einmal auf den Report des ersten „Ausländer-Beauftragten“, Heinz Kühn, von 1979 verweisen. Er stellte die Probleme der damaligen Politik in großer Klarheit dar, was dann von der folgenden Regierung Kohl 16 Jahre lang ignoriert wurde, bevor die Debatte dann in den späten 1990er Jahren Fahrt aufnahm.
3) Bundesjustizministerium bestätigt großes Arsenal bei rechten Terroristen
Die "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß plante, Mitglieder des Bundeskabinetts gefangen zu nehmen, das demokratische System in Deutschland zu stürzen und die Macht mit Gewalt zu übernehmen. Eine Razzia im Dezember führte zu Verhaftungen. Laut "Der Spiegel" entdeckten die Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen eine größere Anzahl von Waffen als bisher bekannt. Es wurden 362 Schusswaffen, 148.761 Munitionsteile, 347 Hieb- und Stichwaffen sowie 17 Sprengmittel sichergestellt. Ermittelt wird gegen 69 Beschuldigte, darunter Berufssoldaten und ehemalige Polizisten. Die Gruppe hatte das Ziel, das politische System in Deutschland zu stürzen und eine neue Regierung mit Waffengewalt zu installieren. Die Herkunft und Legalität der Waffen sind noch Gegenstand der laufenden Untersuchungen. Politiker fordern strengere Gesetze, um den Zugang von Verfassungsfeinden zu Waffen zu verhindern. Etwa 23.000 Menschen gehören der "Reichsbürger"-Szene laut Verfassungsschutz an. (dpa, Tagesspiegel)
Es bleibt mir unbegreiflich, wie wenig Aufmerksamkeit der rechte Terrorismus findet. Vergleicht man ihn mit dem Buhei, der um die Klimakleber gemacht wird, ist das Missverhältnis besonders augenfällig. Ich will mir die Berichterstattung gar nicht ausmalen, wenn bei denen auch nur eine einzige Schusswaffe gefunden worden wäre. Das ist keine Rechtfertigung für die letzte Generation, sondern ein verzweifeltes Haare raufen über das Ignorieren dieser Gefahr. Das gilt auch für die Menge der beteiligten Personen. Die sogenannten „Reichsbürger“ übertreffen die letzte Generation sicherlich um den Faktor 10, wenn nicht sogar 100. Zudem hatten sie eindeutig gewalttätige Pläne: in dieser Szene existierten Listen von Feinden, die man am Tag X zu ermorden gedachte. Wieso das nicht größere Besorgnis hervorruft, ist mir schleierhaft, denn es betrifft alle demokratischen Parteien.
4) Nur ein paar Milliarden Peanuts für die Industrie
Die deutsche Bundesregierung unter Wirtschaftsminister Robert Habeck setzt verstärkt auf eine "Mission Economy", die gezielt Subventionen und Ansiedlungen von Unternehmen fördert. Dies zeigt sich durch massive Investitionen wie die 5 Milliarden Euro für Tesla und die jüngsten Finanzierungen für Intel, TSMC und Thyssenkrupp. Die Strategie zielt darauf ab, die nationale Sicherheit, industrielle Basis und grüne Transformation zu fördern. Der Industriestrompreis ist ein Beispiel dieser Politik, der bestimmte Branchen von hohen Energiepreisen befreit, um Abwanderung zu verhindern. Die "Mission Economy" ermöglicht flexible Ziele und unterstützt wirtschaftliche Interessen, während Kritiker vor übermäßiger staatlicher Lenkung und Verzerrungen im Wettbewerb warnen. Der Staat spielt in der modernen Wirtschaft eine entscheidende Rolle, besonders im globalen Wettbewerbsumfeld, wo die Konkurrenz nicht mehr nur regional ist. (Dieter Schnaas, Wirtschaftswoche)
Ich glaube, man kann zu der Frage von Subventionen und staatliche Wirtschaftspolitik im Prinzip stehen, wie man will: da mit den USA und China die beiden größten volkswirtschaftlichen Player aktive Wirtschaftspolitik betreiben und massiv subventionieren, während sie gleichzeitig protektionistische Grenzen hochziehen, wird es schwierig, mit reinem Moralismus dagegen zu halten. Einmal abgesehen davon, dass auch die Staaten der Europäischen Union keine Unschuldslämmer bei Protektionismus und Industrieförderung sind und ihre Krokodilstränen gerade eine heuchlerische Note besitzen, macht es schlicht keinen Sinn, als 7%-Partei in einer 2%-Volkswirtschaft zu glauben, man könne mit moralischen Appellen die Welt retten. Die Europäische Union im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen werden schlicht nicht umhinkommen, ebenfalls aktive Standortpolitik zu betreiben.
5) Welcome to the West’s Olaf Scholz Era
Olaf Scholz trat mit ruhigem und bescheidenem Auftreten sein Amt an. Trotz einer Koalition aus drei Parteien erschienen die Ziele seiner Regierung minimalistisch, aber vernünftig: die Beschleunigung der Dekarbonisierung, die Verbesserung der Lebenssituation Benachteiligter, die Einhaltung eines strikten Budgets und die Förderung der Digitalisierung. Scholz überraschte mit seiner Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine, die eine Transformation Deutschlands zu einem militärischen Akteur signalisierte und mit der Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg brach. Jedoch wird Scholzs Führungsstil durch wenig Handeln und Sprechen geprägt, bis Hindernisse überwunden sind, was einige Zweifel an seiner Fähigkeit aufkommen lässt, Deutschlands derzeitigen Herausforderungen zu bewältigen. Obwohl Deutschland in der europäischen Politik eine Ausnahme bleibt, wird Scholzs inkrementeller revolutionärer Ansatz dynamische Führung benötigen, um die progressiven Politik in Europas größter Wirtschaft zu lenken. (John Kampfner, Foreign Policy)
Die Klage besonders der SPD, dass Deutschland deutlich mehr tue, als man allgemein zugestehen würde, ist grundsätzlich berechtigt. Der gegenteilige Eindruck indessen ist absolut die Schuld des Kanzlers und seiner Partei: das ständige Lavieren, die enervierenden innerparteilichen Streitigkeiten um immer dasselbe Thema und die generell missratene Kommunikation gehen auf ihr Konto. Sowohl die Koalitionspartner FDP und Grüne als auch die oppositionelle CDU mussten die SPD schließlich immer wieder zum Jagen tragen. Gleichwohl ist es korrekt, dass die deutsche Regierung in Europa aktuell eine der progressivsten ist. Mit Sicherheit ist es die progressivste deutsche Regierung seit mindestens 2005. Besser wird es schlichtweg nicht. Möglicherweise wird sich in der Rückschau zeigen, das Olaf Scholz doch schlichtweg unglaublich geschickt hinter den Kulissen operierte und seine scheinbare Apathie nur grandiose Strategie war. Allerdings wurde mit genau diesem Argument jahrelang Merkel beschrieben.
Resterampe
a) Zur Schrottigkeit von Hybriden. Auch so ein Rorschachtest: für die Rechten zeigt es die dummen Grünen, für die Progressiven zeigt es die dumme Autoindustrie.
b) Wissing. Immer wieder Wissing.
c) Das hier ist genau die Art von "Skandal", die ich so hasse. Was soll der Blödsinn? Perks of office. Fertig.
d) Zum Thema "Leute mit respektabler Fasse, die eigentlich immer schon so radikal waren" vom letzten Vermischten.
e) Spannendes Interview zu linker Kritik am BGE.
f) Weitere Beiträge zur AfD-Debatte: Kai Arzheimer, Adam Tooze. Das schließt sich IMHO gegenseitig aus, aber ich weiß langsam echt nicht mehr, welche Argumentation mich mehr überzeugt. Ich habe da auf Twitter auch eine kleine Diskussion gestartet.
g) Die Situation von Schutzsuchenden ist schon echt furchtbar.
h) Das ist eine Gesetzgebung, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann und echt schrecklich finde.
i) Als Nachtrag zum Podcast mit Alexander Dilger, und weil diese 2%-Diskussion eh ständig läuft.
j) Sehr interessantes Interview mit einer Schweizer Anglistin zum Thema Universitäten, Freiheit der Lehre, Cancel Culture und vielem mehr.
k) Als Nachtrag zu der Gehaltsdiskussion, die ich mit Ariane im Podcast letzthin hatte.
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