Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) “Wherever you get your podcasts” is a radical statement
Als betroffene Person kann ich nur zustimmen. Wir haben mit den Bohrleuten mit dem Weggang von Marcel unseren Provider vor einigen Monaten gewechselt, und das ist für die Zuhörendenschaft komplett ohne jede Auffälligkeit von der Bühne gegangen. Die Niedrigschwelligkeit des Mediums und die Unabhängigkeit von den Plattformen und ihren ausbeuterischen wie zutiefst problematischen Inhaltskontrollpraktiken sind riesige Pluspunkte. Letztlich ist der Podcast trotz seines jungen Alters (was den Durchbruch als Medium angeht) ein Überbleibsel der alten Web-2.0-Ideale aus den frühen 2000er Jahren.
2) Viktor Orbán hat sein Ziel noch längst nicht erreicht
Bei allem Problem, das Orban immer noch darstellt: seine Niederlage, egal wie verbrämt, ist ein gutes Zeichen und stützt die These Alexander Clarkons, dass die EU derzeit einen Strukturstärkungsprozess durchmacht. Klar hat er immer noch Blockadeoptionen, aber er hat seine Hand überspielt und die EU Zähne gezeigt. Das ist ein ermutigendes Zeichen. Es gelang Orban zwar, einige Gelder freizupressen, aber umgekehrt hat er, anders als in den Jahren zuvor, bei weitem nicht seinen Willen durchsetzen können und fiel, wenngleich mit Bestechungsgeld, in Linie. Das ist im Kern auch nichts anderes als die Bestechung Margret Thatchers in den 1980er Jahren. Wenn Putin darauf gehofft hat, dass sein Lakai in Budapest die EU blockiert, wurde er enttäuscht; einmal mehr zeigt sich, dass Russland nichts zu bieten hat, das auch nur entfernt mit den Verlockungen des EU-Strukturfonds mithalten kann. Und die EU blockieren kann grundsätzlich eh jeder, wie die FDP gerade auch schön zeigt (siehe Resterampe b)).
3) Der ziellose Zorn der Wähler
Eine Merkwürdigkeit, die mir in Analysen der AfD und besonders eines möglichen Parteiverbots (das ich für komplett unrealistisch halte, aber sei's drum) immer wieder auffällt, ist der zumindest für mich existierende und nicht aufzulösende Widerspruch von "mit einem Parteiverbot werden die Wählenden der AfD nicht verschwinden" und dem "die Wählenden der AfD waren schon immer da und hatten diese Einstellungen". Zumindest für mich kann davon nur eines eine richtige Erkenntnis sein. Wenn die Leute schon immer da waren, dann würde ein Parteiverbot offensichtlich großen Effekt haben, denn dann hatten sie vorher kein Organ und waren deswegen gezwungen entweder demokratische Parteien (CDU und FDP, effektiv) zu wählen oder sich rauszuhalten. Oder aber ein Parteiverbot hätte keinen Effekt, weil diese Leute so radikalisiert sind, dass sie nach einem Verbot...was genau tun würden? Das ist mir völlig unklar. Diese beiden Dinge werden gerne als Axiome formuliert, aber ich halte sie weder für empirisch belegt (was nicht heißt, dass sie falsch sein müssen!) noch für irgendwie argumentativ ausgearbeitet. Es läuft in das übliche Problem der Diskussion um die AfD, dass die zu ihr gehaltenen Positionen (siehe auch Fundstück 5) sich gegenseitig ausschließen und fast immer einfach nur die eigenen Präferenzen wiederspiegeln; ich hatte dazu geschrieben.
4) Macht Sparen rechts? Und warum?
Dieser lange Aufsatz hat für mich zwei relevante Aspekte, die ich vertiefen möchte, und einem, den ich widersprechen will.
Das erste wäre die Rolle der Kommunen. Wir haben an dieser Stelle ja schon öfter diskutiert, dass eine Austeritätspolitik in dem Sinne, dass der Anteil der Staatsausgaben am BIP nennenswert gesunken wäre, nicht stattgefunden hat. Gleichwohl gab es aber eine Umschichtung, die vor allem mit einer permanenten Finanzkrise der Kommunen (und einer Verlagerung der Ausgaben auf den Bund) einhergeht. Das bedeutet, dass auf kommunaler Ebene eine spürbare Einschränkung vielerorts (und besonders in strukturschwachen Gegenden) sehr wohl spürbar ist, auf einer sehr unmittelbaren Weise. Nirgendwo sonst kann man den Wegfall von Leistungen so offen sehen wie in schließenden Schwimmbädern und Bibliotheken und dem Verfall von Strukturen, durch die man tagtäglich geht.
Das andere ist die Funktion der Mitte. Ich habe wenig zu Kaufmanns Analyse hinzuzufügen, möchte aber hervorheben, für wie relevant ich die Fassung als klassenloses Konzept halte, vor allem im Abbau der "Arbeiterklasse", die mittlerweile politisch heimatlos geworden ist (wie unlängst hier ebenfalls diskutiert). Das sind Effekte, die sich überhaupt nicht trennen lassen.
Zuöetzt halte ich die Vorstellung, dass "die da unten sehen nicht, dass Reiche mehr haben als Migrant*innen" für kompletten Unsinn. Das ist nicht der Grund. Jeder Trottel weiß, dass eine Million mehr ist als 550€ Bürgergeld. Was irgendwie auf der Linken partout nicht gesehen werden will ist, dass diese Leistungen als a) unverdient und b) aus der eigenen Tasche betrachtet werden, während die Vermögen der Reichen als a) verdient und b) nicht aus der eigenen Tasche gesehen werden. Wir können wieder streiten, wie gerechtfertigt das ist, aber es ist eine politische Tatsache. Linke Analysen, die das ignorieren, werden immer völlig am Problem vorbeigehen und verstehen weder, warum sich nicht für Reichen-, Vermögens- und Erbschaftssteuern mobilisieren lässt noch woher eigentlich die Attraktivität der AfD kommt.
Es ist amüstant, Rechtskonservative Begriffe der Linken übernehmen zu sehen (moral panic). Der Vorwurf der "Hysterie" ist ja dort mittlerweile eh Allzweckwaffe, ob Klimakrise oder Gefährdung der Demokratie. Alles ist Hysterie, aber wehe, irgendwo soll ein neuer Fahrradweg gebaut werden. Mir wäre auch nicht in Erinnerung, dass in den 2000er Jahren allzuviele Konservative für rot-rot-grüne Bündnisse zur "Entzauberung" der LINKEn argumentiert hätten; vielmehr war da eine - dare I say it - Hysterie und moral panic über die fiesen Linkspopulisten und ihre zerstörerische Agenda am Laufen. Aber deren Positionen hat man auch abgelehnt, während die Forderung nach Koalitionen mit der AfD wohlfeil ist, teilt man doch die Positionen - nur nicht die Radikalität und den Stil.
Anyway, das Problem an dem eigentlichen Argument ist ein anderes. Vielleicht hat Serrao (und alle anderen rechtskonservativen Kolumnist*innen, die den gleichen rasend innovativen Gedanken formulieren) Recht, und es ist alles übertriebene Furcht und die AfD klappte im Fall einer Koalition zusammen. Möglich. Nur: es ist auch möglich, dass die Befürchtungen zutreffend sind. Das ist die Ambivalenz der Situation: wir wissen es schlicht nicht. Und wenn wir uns irren, können wir nicht zurück. Ein letzter Gedanke dazu: die NSDAP schien 1933 auch nicht wie die NSDAP, die wir von 1945ff. kennen. Auch damals wurde Hysterie vorgeworfen und Übertreibung. Und die NSDAP stellte sich als harmlos dar; man wollte sie in der Koalition entzaubern und ging davon aus, dass sie das alles eh nicht ernst meinen und eine Bedrohung darstellen könne. Das sah man alles erst, als es zu spät war.
Resterampe
a) Die Attraktivität der AfD auf junge Menschen - wie viel ist Social Media?
b) Zum Lieferkettengesetz und der FDP-Blockade. Die ach so regierungsnahe Tagesschau hat übrigens nen anderen Spin. Hier noch Politico. Lindner selbst zum Thema ist schon maximale kognitive Dissonanz.
c) Good point.
e) Sehr gute Analyse des russischen Verfassungskonflikts 1993.
f) Und deswegen ist die CDU erfolgreicher als ihre Gegner.
g) Special counsel clears President Biden in documents case. Völlig lächerlich.
h) Investors have no idea what they’re doing.
i) Wie FDP-Querschüsse Deutschlands Ansehen in der EU beschädigen.
j) The truth has a liberal bias.
k) Sehr gutes Interview mit Johannes Franzen.
l) Plagiatsvorwürfe werden mehr und mehr zu einer Waffe. Anlass ist der Fall. Siehe auch hier und hier.
m) Ukraine: Anton Hofreiter nennt Festhalten an Schuldenbremse ein »Sicherheitsrisiko«. Klar, aber hat die Koalition nicht eh die Formel, dass die Schuldenbremse ausgesetzt wird, wenn sich die Lage verschlechtert?
n) Web vs. print: A mini case study. Faszinierend. Was für Ralf :)
o) Der Mitte-Rechts "Enthüllungsblog" OeRRBlog hat letzthin für Aufmerksamkeit gesorgt, als er eine Auflistung machte, welche Interviewpartner*innen in den Medien ohne ihre Parteimitgliedschaft in SPD und Grünen genannt werden. Wie lächerlich das war, zeigt diese Aufstellung. Betrieben wird der Blog übrigens von...einem CDU-Politiker.
p) Die hier beschriebene Entwicklung ist echt dramatisch.
q) Polen legt bei der Aufrüstung schon echt krass vor.
r) Der Versuch eine Renaissance der Kernenergie scheitert in den USA, ganz ohne Merkel und EEG.
s) So sehr ich den hier gemachten Forderungen in der Stoßrichtung zustimme, so sehr bedauere ich, wie viel da hohle Phrase bleibt.
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