Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Das Zeitalter der bösen Überraschungen
Das ist für mich einer der Gründe, warum der Vorwurf der "Hysterie" seitens der Gegner von Klimaschutzmaßnahmen nicht trägt. Die Szenarien der Konsequenzen eines Verfehlens des 1,5-Grad-Ziels sind mit großer Unsicherheit behaftet, aber diese Unsicherheit geht in beide Richtungen. Es kann sein, dass wir weniger schlimme Folgen zu spüren bekommen werden - es kann aber auch sein, dass es wesentlich schlimmer wird. Die Kaskadeneffekte einerseits und die ständige Veränderung der komplexen Variablen durch den Klimawandel selbst andererseits belasten das Ganze mit einer riesigen Unsicherheit. Es ist aber gerade diese Unsicherheit, die es völlig unverantwortlich macht, nicht gegen die Klimakrise vorzugehen.
Zu Laschyks Thesen siehe auch hier. Mich überrascht das überhaupt nicht. Spätestens seit 2016 ist offenkundig, dass Faktenchecks - die ihre Hochzeit in der Obama-Ära erlebt haben - keinerlei nützliche Effekte haben. Ich predige das auch immer meinen Schüler*innen, wenn wir in Deutsch Erörtern und Argumentieren: Fakten sind irrelevant und überzeugen niemanden. Das liegt nicht daran, dass Fakten per se schlecht wären, sondern dass wir sie einerseits sehr selektiv wahrnehmen und andererseits völlig unterschiedlich interpretieren. Zuletzt steht oft genug auch der Bezug zum eigenen Erleben in Frage. Was nützt etwa das Fakt der BIP-Entwicklung oder des Fallens der Energiepreise, wenn das eigene Empfinden und der Diskurs der Umwelt in die entgegengesetzte Richtung laufen? Was nützen Fakten zur Integration von Zugewanderten, wenn man die Leute einfach nicht dahaben will? Was nützen Fakten zur Kriminalitätsrate junger Zugewanderter, wenn man die Debatte für grundlegend rassistisch hält? Man sieht auch an den "Faktenchecks" selbst, wie hoffnungslos diese im Sumpf der Meinungen und Interpretationen untergehen. Oft genug versuchen die Faktencheckenden, irgendetwas zu finden, um ihre Objektivität zu belegen, was dann zu dem Eindruck führt, dass alle die Unwahrheit sagen (erneut, die Obama-Ära verglichen mit Trump sagt einem dazu alles, was man wissen muss).
3) Die Tragik des Christian Lindner
Ich halte die Analyse, dass die FDP gleichzeitig Regierung und Opposition sein will, für Spot-On. Aber ich bezweifle, dass das nur an den Bündnispartnern liegt (wenngleich das offensichtlich auch eine Rolle spielt). Denn die FDP hatte das exakt gleiche Problem auch 2009 bis 2013. Und da hat sie mit ihren bürgerlichen Wunschpartnern koaliert. Das Problem ist tatsächlich kulturell. Die Partei ist nicht bereit für die Kompromisse der Regierungsarbeit. Man sollte auch vorsichtig mit allen Erklärungen sein, die SPD und Grüne nicht bedenken. Es ist ja nicht eben so, als wäre die FDP für die beiden eine Liebesheirat. Warum aber schlucken die Grünen die Kröte und die FDP nicht? Und warum ignorieren diese Analysen völlig beharrlich einerseits, dass die SPD auch massiv Stimmen verloren hat, und andererseits, dass die Partei trotzdem geschlossen hinter Koalition und Kanzler steht? Mir scheint da eine gewisse Realitätsverweigerung reinzuspielen.
4) Die Grünen, ein Hort der Stabilität und Vernunft
Es ist gut, dass gerade in der Welt ein solcher Artikel erscheint, denn das darf durchaus einmal gesagt werden. Bei aller Beknacktheit vieler Grünen-Positionen kann man zumindest der Führungsspitze kaum absprechen, aus Verantwortungsgefühl einerseits zu handeln und andererseits mit bemerkenswerter Nonchalance grüne Kernpositionen zu ignorieren. Das gilt natürlich nicht für alle Bereiche - ich darf etwa an die Laufzeitverlängerung der drei Kernkraftwerke erinnern oder die jetztige Obstinenz in der Migrationsdebatte -, aber insgesamt geht die Partei überraschend geräuschlos zentrale Kompromisse ein, eine Geräuschlosigkeit, die in markantem Kontrast zu der ständigen Blockadehaltung der FDP steht (siehe Fundstück 4).
Ich will die Gelegenheit auch nutzen, die aktuelle Gewalt gegen die Partei zu thematisieren. Zwar ist auch die SPD Opfer der zunehmenden rechten Gewalt, aber hauptsächlich richtet sich diese gegen die Grünen. Die Rolle der überbordenen Anti-Grünen-Rhetorik gerade seitens demokratischer Parteien dürfte dabei keine unwesentliche Rolle spielen. Wenig überraschend ist Thüringen ein Epizentrum dieser massiven Zunahme an Gewalt, die viel zu wenig thematisiert wird. Hier wäre dringend ein Schulterschluss aller demokratischer Parteien geboten. Die maßlose Rhetorik gießt jedenfalls Öl ins Feuer.
5) Der Weg ins Unheil für die Sozialdemokratie
Ich stimme Pauschs Kritik natürlich inhaltlich erst einmal zu; ob sich darin der eine große Grund für den Niedergang der SPD in den Umfragen finden lässt, weiß ich allerdings nicht. Es ist ja beinahe schon nostalgisch-schön, endlich mal wieder einen "die SPD geht kaputt weil sie nicht meine Politik umsetzt"-Artikel zu lesen, die Dinger sind in den letzten Jahren über die ganzen "die AfD ist stark, weil meine Politikpräferenzen nicht umgesetzt werden"-Artikel etwas außer Mode geraten. Ich gebe Pausch völlig Recht damit, dass die SPD wenig mit konservativer Finanzpolitik gewinnen kann. Ich sage das seit vielen Jahren.
Resterampe
a) Jepp.
b) Jeez.
c) "Früher war besser" stimmt einfach nie, sondern ist Nostalgie, jedes einzelne Mal.
d) Biberach und die Grünen: »Das war der Moment, an dem es wirklich, wirklich brenzlig war«. Wer Hass sät, wird Hass ernten. Das kriegt man davon, wenn man Feindbilder schafft. Die AfD hat wenigstens die Ausrede, dass sie das will. Wie sieht es bei der CDU? Siehe auch bei der Welt.
e) Özdemirs Tierschutzgesetz kommt zur richtigen Zeit. Eine Kolumne in der Welt (!).
f) Nato: Mehrheit der Bevölkerung unterstützt 2-Prozent-Ziel. Ach Leute, solche Umfragen sind völlig wumpe, wie oft muss man das noch durchbuchstabieren? Fragt die Leute, was sie bereit sind, für das 2%-Ziel aufzugeben. Dann reden wir weiter.
g) Es ist Zeit für eine enge deutsch-polnische Kooperation. Unbedingt, aber das ist angesichts der polnischen Idiosynkratien nicht eben leicht.
h) The Bait and Switch of Amazon Prime Video Pretending Its Movies Are Free. Enshittification is real.
i) Das Verkehrsministerium scheint echt ein ganz schön korrupter Laden zu sein, und wie so oft geht das lange zurück - auf die Union. Aber das ist auch so eine Magie mit dieser Partei: an der bleibt so was nicht hängen, an der FDP dagegen schon. Eine der vielen Unfairheiten des politischen Spiels.
j) Not everything is racist. Jepp. In dem Zusammenhang instruktiv: Republicans and racism.
l) Doch schneller: Schopper spricht sich für G9-Rückkehr zum übernächsten Schuljahr aus. Called it :)
m) Studie: Die meisten Lehrkräfte nutzen ihren Dienst-Laptop kaum – weil die Schul-IT nicht vernünftig funktioniert. Leider hat das auch andere Gründe. Aber das Nicht-Funktionieren ist natürlich ein wichtiger.
n) Christian Lindner: FDP-Chef gegen Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Ist halt alles Zahlenmassage. Klar haben wir aktuell dank Sondervermögen das 2%-Ziel erreicht, aber Lindner weiß natürlich so gut wie alle anderen, dass das perspektivisch nichts hilft. Aber da eine arbiträre Zahl eingehalten werden muss (plus eine weitere mit den 2%), ist die Zahl das wichtige, nicht die Substanz dahinter.
o) Auditing the rich really pays off. Schau mal, man braucht gar keine Steuererhöhungen wenn man die richtig eintreibt, die technisch gesehen gezahlt werden müssten. Ich wette, dann könnte man sogar senken.
p) Leistungsfähige Sozialsysteme brauchen eine starke Wirtschaft – und umgekehrt.
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