Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Christian Lindner, der FDP-Finanzminister, feierte sein Jubiläum mit einer Veranstaltung zur Schuldenbremse, bekräftigte aber lediglich seine Treue zu dieser Maßnahme. Trotz zunehmender Kritik und Forderungen nach Reformen bleibt er standhaft. In seinem Streben, die Schuldenbremse einzuhalten und gleichzeitig ein Wachstumsprogramm zu verfolgen, sieht er sich vor große Herausforderungen gestellt. Die Aufstellung des Haushalts gestaltet sich schwierig, und Lindner findet sich zunehmend isoliert in seinem Kampf für die Schuldenbremse wieder. Trotzdem verfolgt er ambitionierte Pläne zur Steuerentlastung und zur Förderung des Wirtschaftswachstums. Lindners Verhalten im Ministerium, geprägt von Misstrauen und parteipolitischer Einflussnahme bei Personalentscheidungen, sorgt für Unruhe und Doppelarbeit. Seine Fokussierung auf Themen außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs und die Ausweitung des Ministeriums auf Aufgaben wie Geoökonomie und Sicherheitspolitik werden kritisiert. Lindner setzt sich auch für eine verstärkte Sicherheit im Ministerium ein, was als Zeichen von Eitelkeit und Misstrauen gesehen wird. Zudem setze er auf parteipolitisch linientreues, nicht kompetentes, Personal. (Christian Reiermann, Spiegel)
Ich finde an dem Artikel einen Widerspruch ziemlich auffällig, der sich in der politischen Berichterstattung leider oft findet: auf der einen Seite wird Lindner vorgeworfen, dass er nicht durchsetzungsfähig sei (was angesichts der relativen Stärke der FDP ohnehin ein schwieriges Argument ist, by the by) und andererseits, dass er sein Personal nach Linientreue und Loyalität auswählt. Sorry, aber letzteres nicht zu tun ist einfach bekloppt. Du kannst nicht mit einer Bürokratie arbeiten, die deine Ziele nicht teilt oder ihnen gar entgegengesetzt ist. Wenn du dich durchsetzen willst, muss das Personal an einem Strang ziehen. Selbstverständlich tauscht er das Personal aus, und selbstverständlich achtet er auf ideologische Linientreue und nicht auf "Sachkompetenz" (was auch immer das im politischen Kontext überhaupt heißen soll; es gibt sicherlich hochkompetente linke Finanzpolitiker, aber was will Lindner mit denen...?).
Andererseits hat sich die FDP hier natürlich eine gewisse Fallhöhe geschaffen: der moralische Anspruch, anders als die anderen zu sein, für Entbürokratisierung zu stehen etc. verträgt sich natürlich nicht mit diesen machtpolitischen Ansätzen. Auch die FDP bläht, wenn sie ein Ministerium kontrolliert, die Verwaltung auf, schafft Stellen, hievt Günstlinge mit zweifelhafter Qualifikation in hohe Positionen und so weiter. Das gehört zum politischen Prozess dazu, und von dem ist auch die FDP nicht ausgenommen. Dass sie mehr Kritik bekommt liegt nur an der eigenen vorgetragegenen moralischen Überlegenheit. Das kennt man in anderen Kontexten von anderen Parteien. CDU-Leute werden bei Ehebruch schärfer kritisiert, SPD-Leute bei hohen Gehältern, Grüne wenn sie die Flugbereitschaft nutzen und so weiter. Jede Partei hat da ihre eigene Schwäche.
Zum Thema siehe auch Resterampe h).
Der Artikel behandelt den tragischen Vorfall, bei dem sieben Mitarbeiter von World Central Kitchen (WCK) in Israel von israelischen Streitkräften getötet wurden. Israel entschuldigte sich, leitete eine Untersuchung ein und entließ zwei hochrangige Offiziere. Trotzdem behaupten viele Medien und Personen, Israel habe absichtlich gehandelt. Der Autor argumentiert, dass es einen Unterschied zwischen bewusstem Handeln und absichtlichem Töten gibt. Israel unternimmt umfangreiche Anstrengungen, um zivile Opfer zu vermeiden, und hat mehrere Warnungen an Zivilisten ausgegeben. Der Artikel kritisiert die Tendenz, Länder als homogene Einheiten zu behandeln, und betont die Unterschiede zwischen Regierungen und Bevölkerungen. Schließlich zeigt er auf, dass Israel oft mit speziellen Maßstäben gemessen wird und dass die Täter nicht mit der gesamten Nation gleichzusetzen sind. (Jonah Goldberg, The Dispatch)
Ich habe in einem vergangenen Vermischten darauf hingewiesen, dass es immer schwieriger wird, das Vorgehen Israels in Gaza zu verteidigen. Auf der anderen Seite aber bleibt völlig korrekt, was Goldberg hier schreibt: Es existiert ein Doppelstandard für Israel, den das Land unmöglich erfüllen kann - und den es doch mehr Mühe zu erfüllen aufwendet als jedes andere Land. Gerade die Anrufe bei Leuten in Zielgebieten, die Evakuierungskorridore und vieles mehr sind so offensichtlich Dinge, die eine Armee eigentlich nicht tun müsste und die keine Armee tut, dass ich mich ernsthaft frage, wie jemand den Genozid-Vorwurf ernsthaft in den Raum stellen kann. Letztlich ist es eine ausweglose Situation: wie Goldberg völlig richtig beschreibt, ist es die explizite Strategie der Hamas, ihrer eigenen Bevölkerung zu schaden. Und leider geht diese völlig auf.
Eine Leseempfehlung in diesem Zusammenhang ist dieser Time-Artikel, der Japans Kriegsführung und antikoloniale Propaganda im Zweiten Weltkrieg mit Hamas vergleicht.
3) Kommaregeln? Fehlerquotient? Wären Goethe egal gewesen
Die meisten Bundesländer, außer Hessen, planen, Rechtschreibfehler in Klassenarbeiten nicht mehr zu bewerten, um besser auf individuelle Lernbedürfnisse einzugehen. Die Entscheidung stößt auf Empörung, besonders in Bezug auf Hessen, das am Fehlerquotienten festhält. Die Diskussion offenbart auch Ironie, da viele Klagen über Bildungsstandards selbst Fehler enthalten würden. Die Kritik an der neuen Regelung argumentiert, dass Flüchtigkeitsfehler berücksichtigt werden sollten, aber viele Schüler haben Schwierigkeiten mit den Regeln. Die Änderung ermöglicht es, Anstrengungen individuell zu bewerten, anstatt nur auf Fehler zu achten. Dies ist wichtig, da die Zusammensetzung der Schüler vielfältiger geworden ist und es schwierig ist, die Leistung objektiv zu beurteilen. Beispiele zeigen, dass auch bekannte Schriftsteller wie Goethe nicht immer korrekt schrieben. (Alan Posener, Welt)
Bei Posener klingt das so, als würden Formfehler in den anderen Bundesländern nicht zu Abzug führen; das ist keineswegs so. In der Oberstufe können diese bis zu drei Notenpunkte kosten! Gerade im Abitur ist die Gefahr von Abzug durch Formverstöße sehr real. Nur gibt es dafür üblicherweise nicht den irrwitzigen Versuch, das in irgendwelche Formeln zu pressen (arme hessische Kolleg*innen!). Gerade hier in BaWü wurde erst letztes Jahr eine deutliche Verschärfung erlassen, die auch für Klausuren zu Formkorrektur un Abzug zwingt. Für uns Lehrkräfte ist das super ätzend, weil die Formalkorrektur (also das Anstreichen der Rechtschreibfehler etc.) ungeheuer viel Zeit frisst. Würde es etwas bewirken, wäre das ja in Ordnung. Das dramatische aber ist, dass das Ganze empirisch nicht nur nichts nützt, sondern sogar negative Effekte hat. Die Anstreicherei ist ein sinnloser Zeitfresser, der simuliert, dass ein Lernprozess zu formaler Korrektheit stattfindet. Nur passiert der nicht. Das ist im Übrigen ein allgemeines Problem mit Korrekturen: die sind fast durch die Bank nutzlos, weil eine Beschäftigung mit ihr nicht stattfindet; auch hier sind die Lerneffekte sogar leicht negativ! Wir machen die im Endeffekt nur aus bürokratischen Gründen: damit am Ende eine Note steht, die rechtssicher ist. Mit Lernen hat das nichts zu tun.
4) Zum Wohle der Ampel sollte Lisa Paus gehen
Die grüne Familienministerin Lisa Paus steht wegen fehlender Kosten- und Personalplanung für die Kindergrundsicherung in der Kritik. Ihr starrsinniges und ungeschicktes Vorgehen löst auch im Bundeskabinett Erstaunen aus. Paus kann keine genauen Angaben zu den Kosten und dem Personalbedarf machen, was Zweifel an ihrer Kompetenz aufkommen lässt. Ähnlich wie Christine Lambrecht bei den Sozialdemokraten wird Paus zunehmend als Belastung für die Koalition angesehen. Sie zeigt wenig Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, und begreift das Projekt der Koalition nicht als gemeinschaftliche Aufgabe. Es wird daher für den grünen Vizekanzler Zeit, über die Entlassung von Paus nachzudenken, um das Wohl der Regierung zu gewährleisten. (Jacques Schuster, Welt)
Völlig ungeachtet der Performance von Paus ist diese Argumentation natürlich wohlfeil. Ich habe das in meiner Besprechung der Kindergrundsicherung jüngst bereits angesprochen: das hängt alles von den eigenen parteipolitischen Präferenzen ab. Ich könnte denselben Artikel problemlos über Volker Wissing schreiben. Auch der sollte "zum Wohl der Ampel" gehen. Schließlich blockiert er ständig Beschlüsse, pusht die Wasserstoff-Lüge und sorgt auf EU-Ebene für diplomatische Eklats; dazu geht vor allem auf seine Kappe, dass die (übrigens im Koalitionsvertrag nicht vorgesehene!) Aufweichung der Sektorziele beschlossen wurde (die die Grünen geschluckt haben...). Alles eben immer im Auge des Betrachtenden.
5) Während der Pandemie hätte ich lieber Deutschlands Regierung gehabt
Der deutsch-amerikanische Autor erlebte die dramatischen Auswirkungen der ersten Covid-Welle in New York. Er erinnert sich an die entsetzliche Stille, die zahlreichen Todesfälle und den Mangel an Schutzausrüstung für medizinisches Personal. Die amerikanische Regierung, insbesondere unter Trump, versäumte es, angemessen auf die Pandemie zu reagieren. Es gab keine ausreichenden Tests, und die Schadenfreude der Regierung angesichts des Leids in den städtischen Gebieten war deutlich spürbar. Der Autor weist darauf hin, dass die Impfstoffe Leben gerettet haben und betont die Bedeutung der Impfkampagnen. Er kritisiert die Verbreitung von Verschwörungstheorien und die Ablehnung von Impfungen in einigen Bevölkerungsgruppen. Abschließend richtet er eine Botschaft an Deutsche, die glauben, ihr Land habe zu viel gegen die Pandemie getan, und fragt, ob sie die Situation in New York und die Auswirkungen der Pandemie wirklich verstehen. (Hannes Stein, Welt)
Angesichts der zahllosen Klagen über die deutsche Pandemiepolitik ist der internationale Vergleich tatsächlich instruktiv. Während unsere Reaktion sicher nicht die beste war, bleibt sie weiterhin doch insgesamt ziemlich ordentlich - vor allem, wenn man die jeweilige Faktenlage bedenkt, denn hinterher sind natürlich alle immer schlauer. Wie Sonja Kastilan in der Welt betont, entwickelt sich die Kenntnislage beständig - und was einmal richtig war, kann danach falsch sein und umgekehrt. Das wäre eine wichtige Erkenntnis für zukünftige Krisen. Ebenfalls bemerkenswert bleibt für mich der gewaltige Erfolg bei der schnellen Entwicklung und Verteilung des Impfstoffs (während die Anti-Impfen-Kampagne ein Desaster für die ganze Welt war...).
Resterampe
a) Fox News has destroyed American confidence in itself.
b) Lehramts-Studium wird reformiert: Weniger Fachwissen, mehr Pädagogik. Ich halte das nach wie vor für den falschen Ansatz. Das Ganze sollte viel mehr als duale Ausbildung konzipiert sein: Fachstudium an den Unis, Didaktik/Pädagogik an den Seminaren.
c) Rechtsextremismus: Zahl der Straftaten im Jahr 2023 stark angestiegen.
d) Interessant Analyse der "Anti-Iran-Allianz".
e) Wollen wir das: Rechthaber an der Spitze unseres Staates? Breyer wirft da Zielgerichtetheit, Rechthaberei, Kontinuität und Autorität alles ziemlich wild zusammen.
f) Plädoyer für Kanzlerkandidat Habeck. Einerseits ist es dafür noch etwas früh, andererseits aber: klar, wer sonst? Ricarda Lang?
g) Sosehr sich das Projekt "weltoffener Konservatismus" schätze, so unkritisch halte ich diese Aphorismenkiste über Friedrich II.
h) Das Korruptionsproblem der deutschen Politik. Der Artikel leider IMHO darunter, dass die Begriffe da durcheinander laufen. Korruption und Begünstigung sind nicht dasselbe.
i) Lob des Klimakompromisses in der Welt.
j) Der Kulturkampf in Bayern schreitet voran.
k) Dass die Erfinder*innen der Cancel-Culture-Panik eifrig zu canceln versuchen, kann nicht überraschen.
l) Sehr guter Punkt zur Hegemonialstellung der USA - oder anderer Staaten und Reiche.
m) Den Rechten geht es gut, wenn es dem Land und den Menschen schlecht geht.
n) Die apokalyptische Hysterie über den Atomausstieg bleibt falsch.
o) Zu dem Punkt mit der Policy vom letzten Vermischten.
Fertiggestellt am 24.04.2024
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