Donnerstag, 23. Januar 2025

Die Demokratie scheitert an bürokratischen Kriegern an Hitlergrüßen in Privatschulen - Vermischtes 23.02.2025

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Das Dilemma der Demokratie

Die Weimarer Republik, Deutschlands erste Demokratie, stand von Anfang an unter Druck rechtsextremer Kräfte, die sie als „Judenrepublik“ diffamierten und bekämpften. Theodor Heuss, späterer Bundespräsident, engagierte sich als Publizist, Hochschullehrer und Abgeordneter der DDP für die Verteidigung der Demokratie. Er warnte vor den Gefahren durch die Nationalsozialisten, prangerte rechte Gewalt an und forderte staatliches Handeln. Zudem setzte er auf politische Bildung, um Bürger für die Demokratie zu gewinnen. Trotz seiner Bemühungen unterschätzte auch Heuss die Gefahr durch die NSDAP. Sein Buch Hitlers Weg versuchte, die Partei sachlich zu analysieren, konnte aber die Wähler kaum erreichen. Die Zustimmung Heuss’ zum Ermächtigungsgesetz 1933 spiegelt das Dilemma vieler Demokraten wider: Im Glauben an demokratische Prinzipien zollten sie selbst Gegnern Respekt und versäumten es, entschlossen gegen die Nazis vorzugehen. Heuss hoffte auf eine Integration und „Entzauberung“ Hitlers, doch diese Strategie scheiterte. Heuss’ Versuche, die Weimarer Republik zu verteidigen, zeigen, wie schwierig es ist, Demokratie gegen entschlossene Feinde zu schützen. Seine Geschichte mahnt, die Bedrohung durch autoritäre Kräfte ernst zu nehmen und frühzeitig konsequent zu handeln, um demokratische Werte zu bewahren. (Thorsten Holzhauser, FAZ)

Wie vertraut die ganzen Versuche Heuss' und der Liberalen der Weimar Zeit sind, irgendwie ein Verhältnis zum Rechtsextremismus zu entwickeln, ist einerseits erhellend, andererseits aber auch erschreckend. Die gleichen Rezepte damals wie heute, mit dem gleichen Effekt. Aufklärung, egal ob mit parteiischem Einschlag oder, wie Heuss das unternahm, "objektiv", funktioniert nicht. Der Versuch, die Themen selbst zu übernehmen und quasi eine gemäßigte Version anzubieten, funktioniert nicht. Der Versuch, durch Kooperation eine Moderation zu erreichen, schlug fehl. Das ist das Scheitern auf der Ebene. Andererseits muss man aber auch feststellen, dass die Rezepte der anderen Seite auch nicht dermaßen tragfähig waren. Die Warnungen der SPD und ihre Weigerung, mit den Nazis zusammenzuarbeiten, blieben letztlich auch wirkungslos. Ich bin einigermaßen ratlos, was den besten Umgang mit den Rechtsradikalen angeht. Ich bin nur sehr zuversichtlich, dass sie als Spiegel zu betrachten und einfach nur die eigenen Politikpräferenzen als Lösung anzubieten, nicht funktionieren kann.

2) Deutschland halbiert sein Bürokratieproblem

Die Bürokratie in Deutschland wird im Wahlkampf 2025 stark diskutiert, vor allem von Konservativen und Liberalen, die Bürokratieabbau und Digitalisierung als Schlüssel zur Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation fordern. Während Unternehmen und Bürger über „Papierkram“ klagen, zeigt eine Revision des Normenkontrollrats, dass die Bürokratiekosten über Jahre künstlich aufgebläht wurden. Der reale bürokratische Mehraufwand beträgt inzwischen nur noch 7,3 Milliarden Euro seit 2011, verglichen mit einem Unternehmensumsatz von 6200 Milliarden Euro – ein marginaler Anteil von 1,2 %. Die Anpassung betraf Gesetze wie das Mindestlohnerhöhungsgesetz, dessen vermeintlich hoher Mehraufwand durch fehlerhafte Berechnungen entstanden war. Studien wie vom Ifo-Institut zeigen, dass der Bürokratieaufwand in Deutschland seit 15 Jahren stagniert, während andere OECD-Länder Fortschritte gemacht haben. Dennoch bleibt Potenzial: Eine umfassende Reform könnte laut Ifo-Modell langfristig bis zu 150 Milliarden Euro jährliche Wirtschaftsleistung generieren. Die Debatte verdeutlicht, dass Bürokratieabbau zwar wichtig ist, seine Effekte jedoch erst langfristig sichtbar werden. Gleichzeitig relativiert der sinkende Anteil der Bürokratiekosten angesichts steigender Umsätze die Dringlichkeit der Forderungen. Der Fokus auf Digitalisierung und effiziente Prozesse bleibt jedoch entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. (André Kühnlenz, FUW)

Ich habe keine Ahnung, wie belastbar diese Zahlen sind. Aber ich möchte für einen Moment (schon allein, weil mir das gelegen kommt, ich will da nicht lügen) annehmen, dass es korrekt ist. Dann führen wir eine komplette Phantomdebatte. Das wäre auch nicht das erste Mal. Neben den angeblich so überbordenden Bürokratiekosten geht ja auch immer die Behauptung einer deutlich überdurchschnittlichen Steuerbelastung um, die sich auch nicht halten lässt, oder die von der angeblich so einzigartigen Komplexität des Steuerrechts (die hinreichend widerlegt ist; Steuerrecht ist IMMER kompliziert, in allen entwickelten Staaten). Ich finde es auch gut, dass Kühnlenz darauf hinweist, dass da immer noch viel Potenzial ist: die verschleppte Digitalisierung und genügend sinnlose Bürokratie, die weg könnte, könnte leicht Wachstumsgewinne bringen. Aber insgesamt bestätigt mir diese Analyse, dass die deutsche Verwaltung und Bürokratie eben doch oft besser ist als ihr Ruf.

3) Ein Hitlergruß ist ein Hitlergruß ist ein Hitlergruß

Der Text analysiert die kontroverse Geste Elon Musks während der zweiten Inauguration Donald Trumps, die als Hitlergruß interpretiert wird. Der Autor kritisiert Versuche, diese Geste umzudeuten, beispielsweise als Römergruß, und sieht darin ein kalkuliertes Spiel mit Aufmerksamkeit. In einer überfüllten Medienlandschaft ist Aufmerksamkeit das wichtigste Gut, und sowohl Trump als auch Musk nutzen selbst negative Aufmerksamkeit, um ihre Positionen zu stärken. Das Aufmerksamkeitsspiel führt laut Text zu einem Dilemma: Tabubrüche wie der Hitlergruß werden entweder ignoriert, was ihre Enttabuisierung fördert, oder skandalisiert, was die Aufmerksamkeit der Gegenseite weiter steigert. Der Text verweist auf das Konzept des Overton-Fensters, das den Rahmen des politisch Akzeptablen beschreibt. Trump und Musk verschieben dieses Fenster nach rechts, bis selbst radikale Gesten wie der Hitlergruß in den Bereich des Diskutierbaren gelangen. Die Gewöhnung an solche Provokationen wird als Strategie erkannt, die langfristig die Kontrolle über den Diskurs verfestigt. Der Text appelliert an den Journalismus, diese Mechanismen zu entlarven, auch wenn dies oft hilflos wirkt, da die Aufmerksamkeit letztlich immer den Provokateuren dient. (Lenz Jacobsen, ZEIT)

Die Aussicht, vier Jahre dauernd mit diesem Blödsinn verbringen zu müssen, frustriert mich gerade über alle Maßen. Es ist genau dasselbe wie vor acht Jahren. Niemand hat irgendetwas gelernt, und ich bezweifle auch, dass dies nach den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie anders sein kann. Frustrierend ist es aber trotzdem. Diese sinnlosen Debatten verschieben einfach nur das Overton-Fenster permanent und zwingen zu Loyalitätsbekundungen in die eine oder andere Richtung. Was Jacobsen hier für den Liberalismus tut macht Anna Schneider in der Welt im Verein mit Ulf Poschardt im Dienste der Autoritären. Diese Reflexe lassen sich überall beobachten. Einfach nur um gegen die Linken zu sein, werden da Hitlergrüße verharmlost. Auf der anderen Seite werden sie als Beleg für Nazi-Gesinnung und Vorbote neuer KZs gesehen, was fast genauso bekloppt ist. Was Musk hier tut ist eine Dominanzgeste. Er zeigt, dass er unverwundbar ist. Dass er das tun kann und niemand ihn stoppen kann. Und dass er alle Unterstützenden dazu zwingen kann, ihn zu unterstützen, und alle anderen in helle Aufregung versetzen. Da steckt keine große Ideologie dahinter. Wie Jacobsen auch schreibt ist es ein Stöckchen, über das wir alle springen - egal, wie sehr es uns anekelt.

4) Das zahlen Eltern für Privatschulen

In Deutschland ist die Zahl der Privatschulen in den letzten Jahren gestiegen: Im Schuljahr 2022/2023 gab es rund 3800 Privatschulen, verglichen mit gut 3500 vor zehn Jahren. Ihr Anteil an allen Schulen liegt bei 12 Prozent, während der Anteil der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen mit etwa 10 Prozent relativ konstant blieb. Dies wird durch kleinere Klassengrößen und den Ausgleich durch vergrößerte öffentliche Schulen erklärt. Anfang der 1990er-Jahre gab es lediglich gut 2000 Privatschulen, was den langfristigen Boom unterstreicht. Privatschulen sind meist kostenpflichtig. Laut Lohnsteuerdaten von 2020 zahlten Eltern im Durchschnitt 2032 Euro pro Jahr, wobei es große Unterschiede gab: 22 Prozent zahlten unter 500 Euro, 48 Prozent zwischen 500 und 2000 Euro, 23 Prozent zwischen 2000 und 5000 Euro, und 7 Prozent über 5000 Euro. Regional gibt es Unterschiede: Im Osten und Süden Deutschlands besuchen mehr Kinder Privatschulen, während die Kosten im Norden und Westen höher sind. Hessen hat mit 3230 Euro die höchsten, Sachsen mit 1239 Euro die niedrigsten durchschnittlichen Gebühren. Privatschulen umfassen kirchliche, reformpädagogische oder konfessionell orientierte Einrichtungen. (dpa, Spiegel)

Mich wundert dieser Trend nicht sonderlich. Die dauernde Überlastung des Schulsystems und das Schlechtreden desselben, der Aufstieg von Schichten, die bisher firm am Rand der Gesellschaft standen, sorgt für Fluchtbewegungen, und die Privatschulen bieten dafür einen Hafen. Die Schulgelder in Deutschland sind ziemlich gering und bieten daher eine niedrige Schwelle für die Sozialauswahl, aber eine Schwelle bieten sie. Ich bekomme das selbst bei meinen eigenen Kindern mit; die Diskussionen im Elternkreis drehen sich massiv um die Angst, mit den Schmuddelkindern auf derselben Schule zu sein. Die Privatschulen werden vor allem als Flucht vor dieser Bedrohung gesehen. Dabei ist das nicht einmal wirklich berechtigt; die Privatschulen bieten nämlich oft genug gerade denjenigen eine Chance, die vom staatlichen System ausgespuckt werden, von ihrem größeren Potenzial zu Innovation und größerer Flexibilität einmal ganz abgesehen.

5) The U.S. Needs Soldiers, Not Warriors

Die Nominierung von Pete Hegseth als Verteidigungsminister und sein Vorhaben, die "Kriegerkultur" im Verteidigungsministerium wiederzubeleben, stößt auf erhebliche Kritik. Der Archetyp des Kriegers, verkörpert durch Figuren wie Achilles, betont individuellen Mut, impulsives Verhalten und persönliche Ehre – oft mit fatalen Folgen wie Chaos und Gräueltaten. Soldaten hingegen sind disziplinierte Diener des Staates, die Pflichtbewusstsein, Organisation und das Gemeinwohl über alles stellen. Die Geschichte zeigt, dass militärische Erfolge auf Disziplin und nicht auf impulsivem Heldentum beruhen. Hegseths Rhetorik glorifiziert eine Kriegermentalität, die mit den Anforderungen moderner, technologiebasierter Verteidigung unvereinbar ist. Seine mangelnde Qualifikation, gepaart mit einer Vorliebe für „harten“ Führungsstil und Verachtung für militärische Rechtsanwälte, birgt die Gefahr, Disziplin und Ordnung in den Streitkräften zu untergraben. Zudem unterstützt er Trumps frühere Entscheidungen, Kriegsverbrecher zu begnadigen, was das Risiko für weitere Fehlentwicklungen erhöht. Erfolgreiche Verteidigungsminister wie Bob Gates haben zivile Aufsicht und militärische Professionalität in Einklang gebracht. Hegseths Ansatz jedoch, der auf Oberflächlichkeiten wie Machogehabe und „Toughness“ setzt, droht, die Professionalität und Effizienz des Verteidigungsministeriums zu unterminieren. Seine Ernennung stellt somit ein ernsthaftes Risiko für die Sicherheit der USA dar. (Eliot A. Cohen, The Atlantic)

Eine wichtige Intervention, meiner Meinung nach. Nicht nur sorgt eine "Kriegermentalität" für Kriegsverbrechen aller Art und entkoppelt die Soldaten von der Zivilgesellschaft. Sie ist auch aktiv schädlich. Wie Cohen im Artikel ja auch beschreibt, sind es moderne Organisationen, die Kriege gewinnen, nicht tapfere Recken in rotglänzenden Brünnen hinter breiten Schilden. Dieses Missverständnis, das Bret Deveraux in seiner Serie zu Sparta und der Fremen-Mirage auseinandergenommen hat, kostete schon diverse Staaten ihren Krieg. Auch wir Deutschen kennen das aus zwei Weltkriegen. Es ist übrigens auch bezeichnet, dass es Armsessel-Krieger wie Hegseth oder Trump sind, die in ihrem Leben nie beim Militär waren, die solchen markigen Bullshit verbreiten.

Resterampe

a) Es kommt halt immer darauf an, um wen es geht. (Twitter)

b) Trump pardons would-be murderer as reward for campaign support (Kevin Drum).

c) The Trump revenge train keeps chugging along (Kevin Drum).

d) Eine Voraussetzung, US-Korrespondent für wichtige deutsche Medien zu werden, ist wirklich, ohne Ahnung Allgemeinplätze abzusondern. (Spiegel)

e) Zu den Steuerlügen der FDP (Twitter). Auch krass hier.

f) Neue Grundregel: wenn jemand Moralisieren beklagt, moralisiert die Person (Twitter).

g) Korrekt, was Investitionen angeht (Twitter).


Fertiggestellt am 22.01.2025

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