Dienstag, 9. Dezember 2008

Fundstücke 09.12.2008, 16.09 Uhr

Konservative Regression
TP - Fast alles spricht derzeit von der Wirtschaftskrise, nur der Berliner Boulevard beschäftigt sich lieber mit dem Bomber von Pankow. Konjunkturprogramme schwirren durch die Luft, Konsumgutscheine und Mehrwertsteuersenkungen. Dabei wird fast übersehen, dass dieser Tage im polnischen Poznan und im belgischen Brüssel für die Zukunft des globalen Klimas wichtige Verhandlungen abgehalten werden, und dass der Klimaschutz ja vielleicht der entscheidende Hebel sein könnte, mit dem sich die Weltwirtschaft aus dem Krisensumpf heraus wuchten könnte.
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Deutschland ist weltweit drittgrößter Waffenexporteur
TP - Deutschland ist auch durch Rüstungsexporte mit zum Exportweltmeister geworden. Letztes Jahr sind nach dem jährlich von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) vorgelegten Rüstungsexportbericht wieder 13 Prozent mehr Waffen im Wert von 8,7 Milliarden Euro, davon 3,7 Milliarden und 5 Milliarden mit Sammelgenehmigungen, an 126 Staaten verkauft worden. Weltweit sind die USA mit Abstand der größte Rüstungsexport, aber die vier EU-Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien kommen gemeinsam an zweiter Stelle, noch vor Russland. Die größten Rüstungsimporteure sind China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Griechenland und Südkorea.
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Kilometergeld für jeden
SZ - Linke-Chef Oskar Lafontaine erklärt im sueddeutsche.de-Interview, was er von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hält und warum ihm die Pendlerpauschale in der alten Form nicht ausreicht.
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Gute Chancen für Schulmilliarden
FTD - Fast 100 Mrd. Euro müssten Bund und Länder investieren, um Klassenzimmer und Hörsäle in Schuss zu bringen. Allein an den 44.000 Schulen bundesweit besteht nach Informationen des Instituts für Urbanistik ein Sanierungsbedarf von 73 Mrd. Euro. Für die Hochschulen schwanken die Schätzungen zwischen 15 und 20 Mrd. Euro. An der Uni Köln wurden zwölf Hörsäle wegen Einsturzgefahr gesperrt, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf stehen Eimer im Flur, die durchtropfendes Regenwasser auffangen. Hamburg diskutiert derzeit, die marode Uni abzureißen und in der Hafenstadt neu aufzubauen.
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Neue Schulen braucht das Land
FTD - Konsumgutscheine wären ein Geschenk, das keiner will. Ein groß angelegtes Investitionsprogramm hätte wesentlich bessere Chancen, Bürgern und Unternehmern Vertrauen zu geben.
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Aus für die Willkür
SZ - Auch wenn der Staat nicht verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer ein Kilometergeld zu gewähren - wenn er es tut, dann muss es dabei gerecht zugehen. Das sieht auch Karlsruhe so. Doch die vernünftigste Lösung wäre, die Pauschale ganz abzuschaffen.
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Kampf dem Übel der Welt
SZ - Im neuen Bestechungszahlerindex machen deutsche Unternehmen zwar eine gute Figur - unter Kontrolle ist das Problem in Deutschland deshalb noch lange nicht. Denn Korruption fängt schon im Kleinen an.
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Gottes Kaderschmiede
SZ - Idyllisch gelegen in der saftigen Hügellandschaft Virginias, knapp 40 Meilen außerhalb von Washington, bietet das presbyterianische Patrick Henry College (PHC) ein idealtypisches Erscheinungsbild: wohltemperierter architektonischer Klassizismus, makelloser Rasen in grünstem Grün und hochtalentierter Nachwuchs mit einem rigiden "dress code" und zutiefst religiöser Überzeugung. Hanna Rosin, Schriftstellerin und Journalistin des New Yorker und der Washington Post, hat der Kaderschmiede der konservativen amerikanischen Rechten kürzlich ein in den USA vieldiskutiertes Buch mit dem Titel "God's Harvard" gewidmet.
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Der Omnipräsident
SpOn - Was im Wahlkampf noch befreiend wirkte, wird nun beklemmend, denn der Präsident räumt nicht nur mit den schlechten, sondern auch mit den besten Traditionen Frankreichs auf. Immer unter Berufung auf höchste Güter, schönste Ideale, beste Motive doktert Sarkozy am alten Leib der französischen Demokratie herum - und setzt seine Schnitte mittlerweile gefährlich nah an ihren lebenswichtigen Organen. Es geht im heutigen Frankreich tatsächlich wieder um solch grundlegende historische Errungenschaften wie die Gewaltenteilung, wie die Pressefreiheit, wie den Schutz von Minderheiten. Infrage steht das altmodische Konzept von der Tugend, die der Franzose Montesquieu vor bald 250 Jahren zur Basis jeder Republik erklärte, und ohne die, schreibt Montesquieu, der Staat zum "Beutestück" der Macht verkomme.
Anmerkung: Man glaubt es kaum, ein kritischer Artikel im Spiegel.
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Kassandrarufe

Michael Schöfer - Wir leben in spannenden Zeiten: Vor zwanzig Jahren brach der Kommunismus zusammen, jetzt ist der Kapitalismus in einer ernsten Krise. Für Schreiberlinge gibt es also gegenwärtig jede Menge Anlässe, bissige Kommentare zu verfassen und ins Internet zu stellen. Gleichwohl registriere ich bei mir eine regelrechte Abneigung, darüber zu schreiben. Und zwar deshalb, weil die heute zutage tretenden Probleme im Grunde schon vor vielen Jahren vorhergesagt wurden. Im Westen nichts Neues, möchte man ausrufen, alles längst bekannt. Beispiele gefällig?
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Von der Finanzkrise in die 20:80-Gesellschaft

TP - Als die Digitale Revolution und die Globalisierung in den 1990er Jahren ihren Siegeszug antraten, sagten Zukunftsforscher den Weg in eine 20:80 Gesellschaft voraus. Nur 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung würden im 21. Jahrhundert ausreichen, um die Weltwirtschaft in Schwung zu halten. 80 Prozent der Bevölkerung wären demnach arbeitslos und müssten mit „Tittytainment“ bei Laune gehalten werden. Da die Ursachen für diese Entwicklung weniger im globalen Handel, als vielmehr im technischen Fortschritt liegen, wird die kommende Weltwirtschaftskrise ein Beschleuniger für diese Entwicklung sein. Konzepte, wie unsere Gesellschaft mit der kommenden Massenarbeitslosigkeit umgehen soll, gibt es allerdings wenige und weder Politik noch Wirtschaft scheinen ein Interesse daran zu haben, sich den Fragen der Zukunft bereits jetzt zu stellen.
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Verwerfungen in Oligarchia

Feynsinn - Es ist aberwitzig, wie die öffentliche Meinung inzwischen bestellt wird. Nachdem in allen Massenmedien völlig unkritisch das Gerücht verbreitet wurde, die Landtagsfraktion der Hessen-SPD habe unter Beweiszwang gestanden hinsichtlich ihrer Loyalität bei der Wahl von Ypsilanti, wird jetzt von Seiten der Medien zurückgerudert. Die illegitim herrschende Landesregierung und die ihr anhängenden Parteien nutzen den Pseudo-Skandal weidlich aus, um Böller in den Ruinen der SPD zu zünden, deren Echo wiederum massenmedial zu Bombendröhnen verstärkt wird. Der angebliche Druck, per Handyfoto das Wahlverhalten zu dokumentieren, wird von den Abweichlern, deren Verhalten damit in den vergangenen Tagen erklärt werden sollte, schlicht geleugnet. Das ist ihnen immerhin zugute zu halten.
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Entschleunigung jetzt!

taz - Zeichnet sich mit Barack Obama eine Renaissance des Keynesianismus ab? Der Wirtschaftshistoriker und Keynes-Biograf Reinhard Blomert über die Deregulierung in den 80ern und wie ein grüner "New Deal" aus der Misere helfen könnte.
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Serientäter Deutschland

FR - Wie wäre es mit der Interpretation, dass das Treffen Ausdruck schierer Verzweiflung ist? Keiner der drei, weder der französische Präsident Nicolas Sarkozy noch der britische Premier Gordon Brown und erst recht nicht Barroso weiß, wie es weitergehen soll. Weil sich die Deutschen weigern, die richtigen Konsequenzen aus dem brutalen Wirtschaftsabschwung zu ziehen. Weil sie zögern, weil sie ihre Führungsrolle sträflich vernachlässigen, weil sie von Konjunkturprogrammen nichts halten und der dringend notwendigen Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa feindlich gegenüberstehen. Deshalb müssen die Deutschen isoliert werden. Es muss ein Plan her, Deutschland auf den rechten Pfad zu führen. Denn die makroökonomische Inkompetenz dieses Landes ist brandgefährlich. Die jüngere Wirtschaftsgeschichte ist reich an Beispielen, in denen Deutschland immer im entscheidenden Moment versagt und die Krise verschlimmert hat.
Anmerkung: Eine unglaubliche Bilanz des Versagens. Lesebefehl!
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Hausfrau und Sparbrötchen

FR - Irgendwie wird Merkel dem pfälzischen Pensionär Helmut Kohl immer ähnlicher. Die Aussitz-Attitude ihres Vorvorgängers und Ziehvaters beherrscht sie, wie der Umgang mit den aktuellen Problemen zeigt, mittlerweile perfekt. Und auch von Hans Eichel hat sie sich eine Scheibe abgeschnitten. Ihre schwäbische Hausfrau gleicht dem nordhessischen Hausvater, der partout nicht mehr Geld ausgibt, als er einnimmt, und vom ehemaligen Finanzminister zum politischen Leitbild und damit zum Unstern einer ganzen Volkswirtschaft erhoben wurde. Wie es aussieht, beginnt die Kanzlerin, über ihre Verhältnisse zu regieren. Durch ihre Weigerung, der rasanten Talfahrt der Konjunktur rasch und energisch entgegenzuwirken, droht sie samt dem Rest ihres Kabinetts, selbst zum Teil der Krise zu werden.
Anmerkung: Man kann das dumme Geschwätz der herrschenden Eliten gar nicht oft genug auseinander nehmen. Bravo, Mario Müller!
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Gefahr der Klientelpolitik

taz - Den Ärger der Weltgemeinschaft könnte Kanzlerin Merkel vielleicht noch ignorieren, denn stoisch ist sie ja. Doch den Abschwung wird sie nicht übersehen können, der demnächst mit voller Wucht einsetzt, weil die deutschen Exportmärkte weltweit wegbrechen. Und sobald die Arbeitslosenzahlen steigen, wird die Kanzlerin ein gigantisches Konjunkturpaket präsentieren, das sie dann zur staatsfraulichen Pflicht erklärt. Schließlich will sie im September eine Bundestagswahl gewinnen. Es wird also Regierungsmilliarden regnen. Auf diesen Verteilungskampf gilt es sich vorzubereiten. Denn die Gefahr ist übergroß, dass wieder nur Klientelpolitik betrieben wird. Man sieht sie schon kommen, die Steuergeschenke für den Mittelstand. Dabei wäre diese langfristige Angebotspolitik das glatte Gegenteil von einem kurzfristigen Konjunkturprogramm, das die Nachfrage stimulieren soll.
Wie ein sinnvolles Konjunkturprogramm für Deutschland aussehen könnte, hat der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz längst beschrieben: Der Staat muss in die Infrastruktur investieren und den Konsum der untersten Schichten fördern. Aber wahrscheinlich glaubt Finanzminister Peer Steinbrück erneut, es besser zu wissen.
Anmerkung: Auch die taz sieht klar.
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Schul- und Bildungspolitik der CDU in Hessen

NDS - Deregulierung, Privatisierung und Entprofessionalisierung einhergehend mit einem sozialen Kahlschlag sind die Kennzeichen der Regierung Koch in Hessen: Abkassieren bei den sozial Benachteiligten, bei Studierenden und bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Dem Gehaltsabbau und der Arbeitszeitverlängerung für die Landesbediensteten folgten der Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Zunahme deregulierter Beschäftigungsverhältnisse gepaart mit dem Abbau professioneller Standards und staatlicher Verantwortung bei öffentlichen Dienstleistungen. Entstaatlichung ging Hand in Hand mit größer werdender sozialer Ungleichheit und Selektion vor allem im Bildungswesen.
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Unglaublicher Vorfall

Zeitgeist -
Was sich dieser Tage wieder in Deutschland ereignet, ist schlichtweg unglaublich. Zwei Polizisten in Dessau wurden vor Gericht freigesprochen, obwohl sie der Mitschuld an der Verbrennung (!) eines Asylbewerbers beschuldigt wurden. Vor vier Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh gefesselt (!!) in einer Gefängniszelle in Dessau qualvoll.
Anmerkung: Achtet bitte besonders auf die Diskussion in den Kommentaren.
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Was ist die Partei, ich bin Wolfgang Clement!

SZ - Da wird sich die derzeitige Führung der SPD aber gefreut haben. Im Fernsehen sprach mal wieder Wolfgang Clement, der verlorene Sohn der Sozialdemokratie, und erklärte, wie es jetzt zu laufen habe. Die Grundmelodie ging in etwa so: Früher galt, die Partei hat immer recht. Heute gilt, Wolfgang Clement hat immer recht.
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"Die Studien sind absurdes Theater"

SZ - Pisa, Iglu, TIMSS - Deutschland nimmt an jeder Bildungsstudie teil. Das ist teuer - und bringt wenig, sagt der Bildungsforscher Hans Brügelmann.
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"Dann wäre keiner mehr da"

SZ - Andrea Ypsilanti war Spitzenkandidatin der Hessen-SPD. Sie musste ihre Ambitionen aufgeben, weil sie nach der Hessen-Wahl ihr Wort brach. Das tun die meisten Politiker, meint ihr Nachfolger Schäfer-Gümbel.
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