Donnerstag, 24. Oktober 2019

Trump verlegt Truppen für eine Modeschau zu den Uiguren nach Afrika - Vermischtes 24.10.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Wo Zara und H&M zu langsam sind
Doch warum sind die Ultrafast Fashion-Firmen so erfolgreich? "Weil sie den ständig wachsenden Hunger der jungen Generation nach Neuem befriedigen", sagt Juliane Laufer, Geschäftsführerin der Trendberatung Laufer Fashion Consulting. Dass besonders die Jungen sich nicht mehr mit einer Winter- und einer Sommerkollektion zufriedengeben, haben Fast-Fashion-Firmen wie Zara und H&M mit ihren Kollektionen im Zweiwochenrhythmus schon vor Jahrzehnten erreicht. Doch nun treibt die digitale Revolution diese Entwicklung noch deutlich weiter: "Früher dauerte es etwa eineinhalb Jahre, bis ein Trend vom Laufsteg auf dem Massenmarkt ankam. Heute wird er sofort am Laufsteg kopiert und in Echtzeit über Social Media verbreitet", sagt Laufer. Über Influencer und Nutzerfeedback kristallisieren sich außerdem ständig neue, wechselnde Sub-Trends heraus. "Insgesamt sind die Trends viel schneller geworden. Was die Kunden zeitnah wollen, weiß man - und muss es schnell produzieren. Was dagegen in fünf Monaten angesagt ist, kann man immer schwerer voraussagen", erklärt Laufer. [...] Für jene Teile, die ASOS und Co. doch noch aus Asien beziehen, setzen sie gerne auch mal das Flugzeug ein - auch wenn es nur um 40-Euro-Pullover-geht. [..] Und was macht das mit dem Konsum der Kunden? Der wächst noch schneller als vorher: Im Durchschnitt kauft eine Person heutzutage 60 Prozent mehr Kleidungsstücke als vor 15 Jahren, behält sie aber nur halb so lang wie früher, wie die Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie herausgefunden hat. Jede dritte junge Frau findet Kleidung alt, nachdem sie sie ein bis zwei Mal getragen hat. Und jede siebte hält es für einen Fashion-Faux-Pas, wenn sie zwei Mal im selben Outfit fotografiert wird. Zwar bieten auch die Ultrafast-Marken erste Teile aus Recyclingfasern und Biobaumwolle an und versprechen auf ihren Websites Nachhaltigkeit. Doch eins ist klar: Dieses Geschäftsmodell ist auf noch schnelleren Kleidungskonsum ausgerichtet. Das geht zu Lasten der Umwelt, denn: Je mehr Teile, desto höher der Verbrauch an knapper werdenden Ressourcen wie Wasser, Chemikalien, Energie. (Carolin Wahnbaeck)
Die Modeindustrie hat zugegebenermaßen schon immer nach ihren eigenen Regeln funktioniert, die für Außenstehende etwas wild sind. Ich will daher meinen Fokus weniger auf die Frage der Trendwechsel per se legen, die der Branche seit jeher inhärent sind und für ihren wirtschaftlichen Erfolg unabdingbar, sondern auf die gesellschaftliche Konstruktion der Mode. Es ist schon auffällig, dass das beschriebene Phänomen komplett gegendert ist: jungen Frauen wird eingeredet, ihr Wert bemesse sich direkt am Attraktivitätsgrad ihrer Kleidung. Ebenfalls interessant ist, dass diese Wertfestsetzung - anders als der Körperkult - praktisch ausschließlich von weiblicher Seite betrieben wird. Mir sind keine Männer bekannt, die sich sonderlich für die Kleidung von Frauen interessieren. Das ist eher ein geschlechtsinterner Wettbewerb. Das alles ist natürlich nicht neu, aber festzuhalten ist dennoch, dass es sich um eine ungeheuer erfolgreiche Setzung handelt, die über Jahrzehnte das Frauenbild (mit) definierte. Am Ende behauptet dann wieder irgendjemand, die weibliche Fixierung auf Mode sei "natürlich" und durch die Biologie in die Wiege gegeben... Die völlig perverse Umweltbelastung, die diese Trends mit sich bringen, lasse ich einfach mal unkommentiert stehen.

2) Afrikas Beste kommen
Fast drei Viertel (71 Prozent) der befragten Einwanderer kommen aus dem vergleichsweise wohlhabenden und friedlichen Westafrika, allen voran aus Nigeria und dem Senegal. Zudem sind die Einwanderer besser gebildet als der Bevölkerungsdurchschnitt in ihren Heimatländern: 58 Prozent gingen in ihrer Heimat einer regelmäßigen Arbeit nach oder waren in einer Schulausbildung, ehe sie aufbrachen. Und ihr Verdienst war höher als im Landesdurchschnitt [...] Aus all dem leiten die Forscher einen - auch an anderer Stelle gut dokumentierten - Schluss ab: Migration ist ein Schritt, der erst durch eine ökonomische oder gesellschaftliche Verbesserung möglich wird. Steigt der Wohlstand, kommen die Menschen erst auf die Idee und erhalten die Möglichkeit, sich auf die Reise zu machen. [...] Allerdings weisen die Forscher darauf hin, dass das fast nie der einzige Grund war. Fast alle nannten zwei oder mehr Gründe. Dabei ist die Reihenfolge interessant: Das am häufigsten genannte Argument - neben dem Geld - war für 26 Prozent die schlechte Regierungsführung und die Sicherheitslage in der Heimat. [...] Daran schließt die Frage an: Was hätte sie von der beschwerlichen, teuren und gefährlichen Reise abhalten können? Vor dem Hintergrund europäischer Kampagnen zur Abschreckung von Migranten bereits vor ihrer Abreise sind dabei vor allem zwei Antworten spannend: Weder mehr Informationen über das tatsächliche Leben in Europa, noch mehr Informationen über die Gefahren der Reise hätten die Migranten abgehalten, sich auf den Weg zu machen. Vielmehr lautete auf die Frage "Was hätte Sie abhalten können?", die Antwort in den meisten Fällen: "nichts". An zweiter Stelle nannten die Befragten: "eine bessere wirtschaftlichen Lage im Heimatland". (Christoph Titz, SpiegelOnline)
Es ist immer wieder erhellend zu beobachten, wenn lang gehegte Narrative auf die Realität treffen. Weder kommen nur die Ärmsten der Armen aus Afrika, wie allgemein gerne behauptet wird, noch helfen ein harscheres Grenzregime, verstärkte Abschiebungen, gekürzte Unterstützungsgelder, das Versenken von Flüchtlingsbooten, unterlassene Hilfeleistung oder sonst irgendetwas dabei, diese Leute fernzuhalten. Alles, was diese Maßnahmen schaffen, ist das Leid zu vergrößern, nicht aber, den Fluchtdruck zu mildern. So sehr es auch dem Wunsch breiter Schichten besonders im konservativen Spektrum entspricht, dieses Leid zu verursachen - zielführend ist es nicht. Spannend finde ich vor allem den Faktor, dass es gerade steigender wirtschaftlicher Wohlstand in den Fluchtländern ist, der dort zur Flucht anregt. Das ist wiederum ein Kritikpunkt, der richtigerweise gerade aus dem konservativen Spektrum oftmals vorgebracht wurde und der auf der Linken eher ungern diskutiert wird. Das heißt nicht, dass sich die komplexen Fluchtursachen ausschließlich auf das Schlagwort "Wirtschaftsflüchtlinge" zurückführen ließen; dafür ist die Lage in den Ursprungsländern, was Sicherheit und Wahrung der Menschenrechte angeht, dann doch zu schlecht. Aber komplett beiseite lassen kann man es auch nicht. Welche Schlüsse man daraus für die konkrete Politik ziehen soll, erschließt sich mir allerdings noch nicht. Die grundlegenden Dilemmas werden dadurch ja nicht aufgelöst, und gerade die im ersten Absatz diskutierten Erkenntnisse zeigen ja, dass die Erhöhung des Leidensdrucks keinen Effekt hat. Das mittlerweile zur Phrase geronnene "Fluchtursachen bekämpfen" klingt ja nett und ist nach den obigen Werten auch der relevante Part - steigt der Wohlstand im Fluchtland, so sinkt die Fluchtrate. Nur, was folgt daraus konkret? Die Entwicklungspolitik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ja nicht eben mit Ruhm bekleckert.

3) Tweet
Dass eine Bewegung, die sich einen solch stupiden, von rechten identity politics durchsetzten Namen wie "Fridays for Hubraum" gibt gewalttätig und radikal ist, ist glaube ich wenig überraschend. Für die Diskussion insgesamt relevant scheint mir eher der größere Punkt zu sein: Es handelt sich um eine isolierte Blase innerhalb der Sozialen Netzwerke, die sich mit großer Geschwindigkeit selbst radikalisiert. Das ist eher ein Phänomen solcher Subszenen als von Autoliebhabern. Und es scheint, ob Schwarzer Block oder Hubraumfans, jedes Mal zu einer solchen mit Gewaltphantasien durchsetzten Radikalisierung zu kommen.

4) A Million People Are Jailed at China's Gulags. I Managed to Escape. Here's What Really Goes on Inside
Twenty prisoners live in one small room. They are handcuffed, their heads shaved, every move is monitored by ceiling cameras. A bucket in the corner of the room is their toilet. The daily routine begins at 6 A.M. They are learning Chinese, memorizing propaganda songs and confessing to invented sins. They range in age from teenagers to elderly. Their meals are meager: cloudy soup and a slice of bread. Torture – metal nails, fingernails pulled out, electric shocks – takes place in the “black room.” Punishment is a constant. The prisoners are forced to take pills and get injections. It’s for disease prevention, the staff tell them, but in reality they are the human subjects of medical experiments. Many of the inmates suffer from cognitive decline. Some of the men become sterile. Women are routinely raped.Such is life in China’s reeducation camps, as reported in rare testimony provided by Sayragul Sauytbay (pronounced: Say-ra-gul Saut-bay, as in “bye”), a teacher who escaped from China and was granted asylum in Sweden. [...] The camp’s commanders set aside a room for torture, Sauytbay relates, which the inmates dubbed the “black room” because it was forbidden to talk about it explicitly. “There were all kinds of tortures there. Some prisoners were hung on the wall and beaten with electrified truncheons. There were prisoners who were made to sit on a chair of nails. I saw people return from that room covered in blood. Some came back without fingernails.” Why were people tortured? “They would punish inmates for everything. Anyone who didn’t follow the rules was punished. Those who didn’t learn Chinese properly or who didn’t sing the songs were also punished.” [...] Sauytbay says she witnessed medical procedures being carried out on inmates with no justification. She thinks it was done as part of human experiments that were carried out in the camp systematically. “The inmates would be given pills or injections. They were told it was to prevent diseases, but the nurses told me secretly that the pills were dangerous and that I should not take them.” [...] Tears stream down Sauytbay’s face when she tells the grimmest story from her time in the camp. “One day, the police told us they were going to check to see whether our reeducation was succeeding, whether we were developing properly. They took 200 inmates outside, men and women, and told one of the women to confess her sins. She stood before us and declared that she had been a bad person, but now that she had learned Chinese she had become a better person. When she was done speaking, the policemen ordered her to disrobe and simply raped her one after the other, in front of everyone. While they were raping her they checked to see how we were reacting. People who turned their head or closed their eyes, and those who looked angry or shocked, were taken away and we never saw them again. It was awful. I will never forget the feeling of helplessness, of not being able to help her. After that happened, it was hard for me to sleep at night.” (David Stavrou, Hareetz)
Die chinesische Unterdrückung der Uiguren gehört zu den größten Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit. Es ist nicht übertrieben, von ethnischen Säuberungen zu sprechen. Der relevante Vergleich aber ist ein anderer. Ich bin sehr vorsichtig mit Holocaust-Vergleichen, sehe ihn hier aber angebracht. Nicht, weil China Vernichtungslager einrichten würde. Die Uiguren werden ja nach allem was wir wissen auch nicht planmäßig ermordet. Was allerdings den Vergleich einlädt ist die Reaktion der Weltgemeinschaft und die Position Chinas. Was meine ich damit? Wir haben seit 1945 wahrhaftig genug Völkermorde erlebt. Üblicherweise finden diese in Ländern der Dritten Welt statt, oder in Ländern, die politische Rivalen sind. Während der Westen zwar nur in den wenigsten Fällen (wie etwa Serbien) aktiv gegen Völkermord vorging (und noch seltener mit dauerhaftem Erfolg), war zumindest die rhetorische Verurteilung, die Verhängung von Sanktionen und die Isolierung des betroffenen Staates trotz aller Ineffektivität dieser Maßnahmen immer dabei. China aber ist von seiner geopolitischen Lage her durchaus mit dem nationalsozialistischen Deutschland der 1930er Jahre vergleichbar. Eine aufstrebende Macht, die massiv aufrüstet und die Balance der ganzen Region außer Kontrolle bringt, für Konflikte sorgt und zwar keine Weltmacht ist und in Punkto Wirschaftsleistung und Wohlstand den führenden Weltmächten hinterherhängt, aber wesentlich zu stark ist, als dass jemand freiwillig den Konflikt sucht. So wie man NS-Deutschland in den 1930er Jahren keinesfalls provozieren wollte, schon gar nicht wegen einer kleinen religiösen Minderheit ohne große Lobby, so will niemand einen potenziell gefährlichen, mindestens aber wirtschaftlich sehr schädlichen Streit mit China provozieren, "nur" um die merkwürdige, unbekannte religiöse Minderheit der Uiguren zu schützen - was ohnehin nicht gegen den Willen Chinas möglich wäre, so man nicht im Land einmarschieren will. Die Quadratur dieses Kreises ist unmöglich und das Kerndilemma einer wertebasierten Außenpolitik.

5) Migrant children may be adopted after parents are deported
Holes in immigration laws are allowing state court judges to grant custody of migrant children to American families without notifying their deported parents, the Associated Press reported Tuesday. The AP scoured hundreds of court documents and immigration records to reveal several cases of children being permanently, legally taken from their families after initial separations. The report focuses on the case of Alexa Ramos, who was separated from her mother, Araceli, for 15 months, to explain issues of the legal standing for children placed under the Office of Refugee Resettlement. Araceli Ramos and her daughter fled from El Salvador to the U.S. to escape from the children's abusive father and were arrested upon crossing into the country by U.S. Customs and Border Protection. Normally, running from abuse mean that Ramos would be granted asylum, but she was denied because of criminal charges against her. After months of Ramos being in detention and Alexa being in foster care, the mother was deported after being unable to get a lawyer to defend her asylum request. She says she was forced by an agent to sign a waiver to leave her daughter behind. Legally, when a parent is deported without their child, that child is not supposed to be allowed to be permanently adopted. “And the reality is that for every parent who is not located, there will be a permanent orphaned child," U.S. District Judge Dana Sabraw said in August. However, the foster family that Alexa was placed into by Bethany Christian Services, allegedly ignored repeated requests from a variety of institutions, including from the Department of Homeland Security (DHS), to return her to Araceli. When officially ordered to return Alexa to her mother in December of 2016, the foster parents, Sherri and Kory Barr, sued claiming that she would be abused if returned home. A Michigan judge granted them guardianship. (Chris Mills Rodrigo, The Hill)
Die schiere Grausamkeit und Bösartigkeit der Republicans in den USA kennt einfach keine Grenzen. Mit völligen Nazimethoden - die waren auch gut darin, verachteten Minderheiten Kinder für die Arisierung zu stehlen - werden Kinder erst von ihren Eltern getrennt und dann vom Staat als vorbildlich eingestuften Familien als Mündel anvertraut. In der evangelikalen Parallelgesellschaft der USA ist die Idee, die niedrigen Geburtenraten des "real America" durch gezielte Adoption von als formbar betrachteten Immigrantenkindern aufzupeppen. In der Trump-Regierung wird, was vorher Fiebertraum von Rechtsextremisten war, plötzlich Regierungspolitik. Es ist einfach nur widerlich.

6) The neuroscientist shattering the myth of the gendered brain
The latest science, she says, shows that brains are ‘plastic’ and develop according to experiences. “If you have an expectation of somebody, what we now know is it will change how the person views themselves, it will change the experiences the world exposes them to, like giving boys and girls different toys to play with, and it will change the attitudes that people have of those individuals. “The type of games you play will change your brain. We know that from judo and juggling to violin and keyboard playing. By definition, moving the body differently according to the demands of the skill you are acquiring will change the brain. So not playing football will have a direct effect on the brain. But making sure we are doing the right things to stay part of our social group is also an important driver. “Our brains are gathering the rules of behaviour and if those rules are gendered, then our brains will make us gendered. “It becomes a self-fulfilling prophecy. Some research may find differences, but then you say, ‘have you looked at the education level of those participants, have they been at school for the same amount of time, have you looked at the sports they play or their occupation?’ To which the answer is always ‘no’. So how do you know what you are finding is a sex difference and not an excludence difference.” The idea of the gendered brain comes from the 19th century, says Prof Rippon, and it was used to prove the superiority of ‘white, upper class men’ and justify their actions. “It started what I call ‘the hunt the difference agenda’, where the emerging brain research said here we are with the cultural and social status quo – let’s explain it in terms of our emerging understanding of our brain. “So they spent a long time twisting themselves into contortions trying to prove the female brain was inferior to the male brain. This intersected with race science as well. So whatever metric they came up with had to determine that white, upper class-educated males were at the top.” Prof Rippon would like to see something called ‘gender irrelevance’. “People talk about rearing their children gender neutral,” she says. “But I think gender irrelevance is probably the way forward where, OK, biologically you are male or female, but it does not represent the whole story and what we might do in society.” (Alex Spencer, Cambridge Independent)
Ich lasse das vor allem mal als Hinweis für die "Gender Studies sind keine Wissenschaft"- und "alle Geschlechtsunterschiede sind natürlich"-Fans da. Unsere Identitäten sind kulturell geprägt. Und diese kulturelle Prägung lässt sich ändern.

7) Dieser Mann will Trudeau ablösen
Trotzdem macht die Klimapolitik des Regierungschefs ihn auch für Angriffe von links anfällig - und gefährdet seinen Rückhalt unter jungen Wählern. "Was ist mit der Pipeline?", riefen ihm Ende September junge Teilnehmer einer Klimademo zu, bei der Trudeau mitlief. Umfragen zufolge ist die Unterstützung, die der Premier unter jungen Wählern erfährt, im Vergleich zum Wahlkampf 2015 deutlich zurückgegangen. Manche unter ihnen könnten ihre Stimme einer der Parteien links von Trudeaus Liberal Party geben: etwa den Grünen oder der New Democratic Party (NDP) mit ihrem charismatischen Chef Jagmeet Singh. Andere junge Kanadier könnten der Wahl fernbleiben. "Wenn sie nicht aufkreuzen, könnte das die Lage sehr schnell verändern", warnte Anna Gainey in der "New York Times". Die frühere Parteichefin der Liberalen gilt als eine der Architektinnen hinter Trudeaus Aufstieg. Sie weist darauf hin, dass Menschen unter 35 inzwischen die größte Wählergruppe im Land ausmachen. Die Arbeitslosigkeit in Kanada ist niedrig; die Wirtschaft wächst, wenn auch moderat. Es ist ein Verdienst der Regierung Trudeau, dass auch die Trump-Präsidentschaft daran nichts geändert hat - trotz persönlicher Attacken gegen den Premier und eines protektionistischen Wirtschaftskurses des US-Präsidenten. Das zeigt nicht zuletzt das Nafta-Nachfolgeabkommen USMCA. Auch konnte Trudeau mit der Legalisierung von Marihuana und der Aufnahme von Flüchtlingen bei der linksliberalen Basis punkten. Sein Image als progressiver Musterknabe hat im Lauf seiner ersten Amtszeit dennoch beträchtlichen Schaden genommen. Das liegt nicht nur am Pipeline-Deal, sondern auch an zwei Skandalen:
  • Eine Ethikkommission des Parlaments in Ottawa kam im August zu dem Schluss, dass Trudeau im Bestechungsfall um die Firma SNC-Lavalin versucht habe, die Ermittlungen der damaligen Justizministerin, Jody Wilson-Raybould, auf unangemessene Weise zu beeinflussen. Wilson-Raybould war die erste indigene Frau auf dem Posten. Bessere Beziehungen zu den First Nations, den Ureinwohnern Kanadas, hatten 2015 ebenso wie ein betont feministisches Profil zu den Säulen der Kandidatur Trudeaus gezählt. 
  • Im September wurde dann ein Foto aus dem Jahr 2001 öffentlich, das Trudeau auf einem Kostümball mit Turban und dunkler Gesichtsbemalung zeigt.
(Alexander Sarovic, SpiegelOnline)
Trudeau hat die Wahl mittlerweile ja gewonnen (wenngleich mit Verlusten); ich will in diesem Fall auch auf etwas völlig anderes hinaus. Was wir hier sehen können ist die größte Schwäche aller linken und progressiven Bewegungen: die ständige Neigung dazu, die eigenen Leute wegen Verstößen gegen die reine Lehre zu geißeln und entweder frustriert nicht zur Wahl zu gehen oder radikalen Alternativen zuzuneigen. Es fehlt einfach ein Verständnis für das Mögliche. War Obama aus linker Sicht ein perfekt effizienter Präsident? Sicher nicht. War er unzweifelhaft die bessere Alternative als John McCain und Mitt Romney? Natürlich! Genauso ist Trudeau seinem konservativen Kollegen vorzuziehen, Olaf Scholz Wolfang Schäuble, und so weiter. Rechte und Konservative verstehen das instinktiv. Hat Trump die Mauer gebaut? Einen Scheiß hat er, aber seinen Anhängern ist das egal. Sie wissen, dass jede Alternative für sie schlechter wäre, egal wie viel Trump tatsächlich liefert. Und so weiter. Dieser Trend auf der Linken ist zum Haare raufen. Trudeau hat eine Pipeline gebaut. Okay. Glaubt jemand ernsthaft, ein anderer kanadischer PM hätte das nicht? Trudeau hat aber auf der (für Progressive) Haben-Seite massenhaft Leistungen erbracht, die man dagegen aufrechnen kann. Wo ein GOP-Anhänger die nicht gebaute Mauer locker gegen Richterernennungen und die ständigen identity politics aufrechnen kann, sieht ein Democrat immer nur das halb leere Glas. Nichts macht die Progressiven als Regierungsparteien ineffizienter als diese Neigung.

8) The lost art of exiting a war
Why develop a strategy at all? After all, circumstances will change before the strategy gets implemented and will thus require revisions. Strategy also serves as a mechanism through which we can reasonably judge the costs and benefits. Developing an exit strategy before the war begins allows us to make a more informed decision as to the value and worthiness of actually engaging in the war in the first place. It also allows us to reasonably assess if the war can achieve its aims at all. If you’re unable to develop an acceptable exit strategy before chaos, you will most likely not find an acceptable exit strategy during chaos, and chaos doesn’t often resolve itself. Critics of exit strategies often complain about the damage done by setting exit timelines, and other public facing declarations. Articulating a strategy for the public in order to sell the costs that are about to come is very different than civilian and military leaders engaging in the strategic process and “articulating” for themselves what the plan for a war will be. We should care much less about how leaders plan to sell a war than we do about what they’re doing to actually insure a war is fought justly and decisively with as minimal destruction of life as possible. Ultimately, exit strategies should be developed before a war begins. Critics of exit strategies argue that successful interventions are about planning for the initiation of the conflict and for the likely aftermath. A lack of any contemplation about how a war plausibly ends enables war planners’ misplaced confidence about what can reasonably be achieved within the costs they’re willing to bear. (Adam Wunische, War on the Rocks)
Nachdem der Artikel zu Exit-Strategien im letzten Vermischten für viel Widerspruch gesorgt hat war ich sehr froh zu sehen, dass das auf "War on the Rocks" nicht anders war und einen Gegenartikel von Adam Wunische provoziert hat. Ich muss sagen, dass ich in beiden Artikeln viel Zustimmenswertes finde. Intellektuell ist das auf der einen Seite sehr fruchtbar, weil beide gut argumentieren und Kopfnicken auslösen, aber auf der anderen Seite habe ich jetzt beide Artikel gelesen und stehe ohne eine klare Überzeugung da. Was das Thema Exit-Strategie angeht, sehe ich mich gerade formal als "unentschlossen". Ich finde die Argumente beider Seiten gleich überzeugend. Wie geht es euch da? Wie geht ihr mit so was um?

9) Trump is recreating America's Syria dilemma — in Saudi Arabia
The discrepancy between Trump's statements and his policies is conspicuous. While he regularly speaks of ending endless wars, the president so far has done little to meaningfully apply his critique to U.S. foreign policy. But that inconsistency isn't the only problem here: Sending these troops to Saudi Arabia also sets up a new version of the dilemma we just faced with the Kurds in Syria. In each case, deployment comes with a strong suggestion that we'd fight for the partner in question. Would we really fight for Saudi Arabia? [...] That's how this deployment repeats the mistake of overcommitting U.S. support for non-treaty partners that we've seen play out with disastrous results for the Kurds this month. And the same disappointment may well follow, as the Trump administration is setting up a perverse incentive for Saudi Arabia and Iran as well as a future predicament for the United States. [...] If mutual escalation continues, however, Washington eventually will have to choose: Do we follow through on the pledge to fight for Saudi Arabia, becoming embroiled in a major new conflict? Or do we disentangle from the region's squabbles, declining to wage war at Saudi behest after years of suggesting we would do exactly that? Neither option is good, but both can be avoided by changing course now. Saudi Arabia is unworthy of unconditional U.S. support. Like the Kurds, it is not a treaty ally of the United States — nor should it be, as its government is a brutal dictatorship well known to contribute to regional chaos, most visibly at present through its U.S.-enabled war in Yemen. Unlike the Kurds, it is a wealthy state perfectly capable of handling its own defense. Rather than deploying more American forces to protect an oppressive regime that has no obligation to do the same for us, Trump should finally make good on his many promises to bring U.S. soldiers home. (Bonnie Kristian, The Week)
Diese Entwicklung verkörpert die Grundtendenz von Trumps Außenpolitik: Grundsätzlich richtige Instinkte und null Kompetenz. Sollten die USA ihre Präsenz im Mittleren Osten reduzieren? Unbedingt. Aber im Resultat wird dann der wertvolle Verbündete der Kurden aufgegeben und stattdessen einem diktatorischen Menschenrechtsverbrecher wie dem Haus Saud ein Freifahrtschein gegeben. Genauso: Ist es sinnvoll, China mehr als Rivalen denn als Partner zu begreifen? Ziemlich sicher. Ist dafür die Brechstange des Trump'schen Handelskriegs das beste Mittel? Zweifelhaft. Und so weiter. Das bestmögliche Szenario ist vermutlich, dass die außenpolitischen Spielräume, die Trump mit seinem Elefant-im-Porzellanladen-artigen Abräumen bisheriger Tabus im sicherheitspolitischen Establishment der USA eröffnet hat, von einem zukünftigen Präsidenten auf professioneller Basis genutzt werden können. Das, was dieser Mann fabriziert, ist ein blankes Irrlichtern.

10) How one Alabama city could split in half along racial lines
The Davises bought the house for about $400,000 in 2006. She now fears it may take a $100,000 price cut to find a buyer. [...] Today Davis is open to a new, seemingly radical alternative: Splitting the City of Anniston in half and leaving its troubled school district and conflict-ridden government behind. The secession would largely track racial lines. [...] De-annexation, says Councilman David Reddick, is about the fears of some white residents that they may soon lose control. Reddick, who is mixed race, thinks blacks will win a city council majority or even the mayor’s office in the next election. [...] The schools are simply better in the next town over, says Davis. Few families would choose Anniston, she said. [...] Turner says separating about half of the roughly 22,000 population of Anniston and forming a new city, with better schools, would mean a jump in home values. “It seemed to me that all we had to do was just realign ourselves as far as political jurisdiction and that value would be back in the market,” he said. [...] Anniston is split roughly in half demographically, with a slightly higher black population, but its public schools are 95 percent black. [...] Proponents of Annexit say the areas proposed for de-annexation make up more than a third of the city’s property tax revenue base. The city did not immediately provide the corresponding data by district. But the prospect of bankruptcy resulting from lost tax revenue from the wealthier neighborhoods of Anniston doesn’t scare Ray. “Blacks been bankrupt for years. You ain’t never done anything for the black community, so how am I going to get hurt if the city goes bankrupt?” said Ray. (Sarah Whites-Kodischek, Alabama.com)
Dieser Artikel ist gleich aus zwei Gründen irre. Grund eins ist schlichtweg der Inhalt. Im amerikanischen Süden werden Gemeinden segregiert, als ob Plessy v Ferguson (seperate but equal, wir erinnern uns) immer noch gültig wäre. Der Subtext der ganzen Formulierungen ist so offensichtlich Code, dass er eigentlich schon Text ist. "Better schools" ist ein Synonym für "white schools". Die Sorge um die Grundstückswerte ist direkt an das Vorhandensein von Schwarzen gekoppelt. Und so weiter. Es ist krassester Rassismus als Regierungspolitik in genau den Staaten, in denen das schon immer ein massives Problem war. Im Jahr 2019. Irre ist aber auch, wie die Seite selbst die Geschichte framed (framet? framt?). Die Frage von Segregation vs. Integration wird in bester Tradition des Bothsiderismus als gleichwertige Debatte zweier völlig gleichberechtigter Positionen geführt. Wollen wir die Schwarzen abtrennen und in einem Ghetto versauern lassen? Manche sagen so, andere anders. Wer wöllte da ein Urteil fällen? Dieses Totalversagen der Medien bei solchen Themen steht zu großen Teilen hinter den Beharrungskräften für diesen Dreck.

11) Who is Pete Buttigieg running for?
Another cynical politician talking out of both sides of his mouth. To quote a certain upjumped municipal official, "this is why people here in the Midwest are so frustrated with Washington[.]" So what happened to the bright-eyed young mayor — a guy who seemed like the face of an upcoming generation of progressive leaders? I have a theory: Buttigieg started taking tons and tons of money from the ultra-rich. He's been doing mega-fundraisers with the top 1 percent, gladhanding billionaires from coast to coast — especially in Silicon Valley and from Big Medical. Indeed, his campaign recently shamefacedly announced that one Steve Patton was dropping out of co-hosting a big-dollar fundraiser on account of being the Chicago city attorney who helped then-Mayor Rahm Emanuel cover up the shooting of Laquan McDonald. Whoops. [...] It's not difficult to see why American plutocrats might find a young, ideologically malleable guy who evinces a great desire to become rich and powerful and keep that revolving door a'spinning to their taste. But it's hard to see why any Democratic voters would. (Ryan Cooper, The Week)
Der Kandidat Pete Buttigieg ist aus den oben genannten Gründen tatsächlich interessant. Er wird massiv von den Gruppen unterstützt, die Großspenden an Kandidaten der Democrats leisten. Das waren in den letzten Zyklen Clinton und Obama. Wir haben dieses Mal zum ersten Mal die Situation, dass diese Leute und Interessen mehr als je zuvor von den Prozessen ausgeschlossen werden. 2016 war es Sanders, der sich diesen Geldquellen verschloss; dieses Mal sind es Sanders und Warren, die zusammen je nach Umfragenlage 40-50% der Stimmen auf sich vereinen. Mein Eindruck ist, dass Buttigieg viel von diesem Geld auf sich ziehen wird, in der Hoffnung, im Zweifel Joe Biden zu beerben, aber dass die Kohle ultimativ in einer Art schwarzem Loch verschwinden wird. Buttigieg scheint mir mehr im Wahlkampf zu bleiben, um sich als Vizepräsident oder Minister zu empfehlen, weniger, um zu gewinnen (erneut, außer im Fall einer Implosion Bidens). Aber es ist ersichtlich, dass die Idee eines ideologisch unbestimmten und äußeren Einflüssen gegenüber völlig offenen Kandidaten der feuchte Traum dieser finanziellen Interessen ist. Wenig verwunderlich, dass diese immer mehr zur GOP abwandern.

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