Montag, 29. März 2021

Ulf Poschardt fährt mit Robert Habeck klimaneutral über die Autobahn und reden übers Impfen - Vermischtes 29.03.2021

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Ein feministischer Kanzler

Dabei wird nicht nur Baerbock, sondern auch Habeck mit Geschlechterstereotypen drangsaliert – anders als bei ihr wurde das jedoch kaum thematisiert. Das Gerede über ihre angeblich piepsende Stimme ist ähnlich deplatziert wie Bemerkungen zu seiner Frisur oder seinem Dreitagebart. Habeck dürfte in den Augen vieler einen ebenso irritierenden Angriff auf traditionelle Männlichkeitsvorstellungen darstellen wie der unverhohlene Griff Baerbocks nach der Macht. Er ist der beinahe einzige Spitzenpolitiker, der bewusst mit tradierten Rollenmustern bricht und seine Macht eben ganz selbstverständlich mit einer Frau teilt. Sollte Baerbock schließlich an ihm vorbeiziehen und kandidieren, bliebe Habeck auf seinem emanzipierten Männerbild sitzen wie auf einem Berg ranziger Butter. Nicht wenige Männer dürften sich über diese Niederlage freuen. [...] Nicht nur aus feministischer Sicht scheint es mir deshalb kein Widerspruch zu sein, für einen Kandidaten Robert Habeck zu votieren. Er würde das Amt sicherlich progressiver interpretieren als Markus Söder und mit Abstrichen Olaf Scholz. Man könnte sogar sagen: So wie einst Angela Merkel als Frau im Kanzleramt ein Novum für dieses Land gewesen ist, so wäre nun ein Kanzler und Feminist Robert Habeck ebenfalls ein Novum. In gewissem Sinne sogar eine recht zeitgemäße Fortsetzung von Merkel. Ich jedenfalls glaube, dass sich der Feminismus nicht auf den Ruf nach sichtbaren Frauen in Machtpositionen beschränken sollte. So wie es weiterhin wichtig bleibt, auf die massive strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hinzuweisen und sie zu bekämpfen, ebenso wichtig scheint es mir, die Allianz mit emanzipierten Männern zu suchen. Denn nur mit ihrer Hilfe lässt sich unser Land zu einem wirklich gleichberechtigten verändern. Und Robert Habeck scheint mir ein solch emanzipierter Mann zu sein. (Jana Hensel, ZEIT)

Ich kenne Habeck und Baerboch beide viel zu wenig, um das verifizieren oder falsifizieren zu können. Aber die Perspektive ist auf jeden Fall ganz spannend. Generell schaue ich auf die K-Frage recht entspannt. Egal, welcheR der Kandidat*innen am Ende das Rennen macht - Söder, Laschet, Scholz, Baerbock oder Habeck - die Republik geht davon nicht unter. Die Kehrseite, wie so oft in der deutschen Geschichte seit 2005, ist, dass von keiner dieser Personen in irgendeiner Weise große Verbesserungen zu erwarten sind. Ich wäre mit Scholz oder Baerbock oder Habeck natürlich glücklicher als mit den beiden Unions-Herren, und hielte sie für das Land auch für besser. Aber es ist, anders als etwa in den USA, keine Frage mit tief greifenden Konsequenzen.

2) Fehlermeldung // Tweet

Hinter diesen Zahlen versteckt sich nicht nur die Ablehnung einzelner Politiker und ihrer Entscheidungen, das gewöhnliche Auf und Ab der öffentlichen Meinung. Hier geht es um mehr. Weil die Pandemiebekämpfung eine staatliche Ganzkörperaufgabe ist, bei der Regierende von der kommunalen bis zur Bundesebene ebenso wie Verwaltungen, Behörden und nahezu alle anderen staatlichen Institutionen ihren Anteil an Erfolg und Misserfolg haben, trifft auch die Unzufriedenheit nun das Ganze. Nicht einzelne politische Wettbewerber verlieren aktuell die Stimmen potenzieller Wähler, sondern der Staat droht, das Vertrauen seiner Bürgerinnen und Bürger zu verspielen. Auch und ausgerechnet jener, die sonst mit pauschalem Politikbashing nichts anfangen können, die den Institutionen nicht nur theoretisch vertrauen, sondern sie oft praktisch verteidigen. Früher hätte man von der politischen Mitte gesprochen, heute könnte man diese Leute die staatstragende Schicht nennen. Wie sie mit dieser Erfahrung umgehen, wird entscheidend dafür sein, wie die Demokratie aus der Pandemie kommt. [...] Das ist fatal. Viele Deutsche sind vielleicht nicht stolz auf ihr Land, sie leiden eher unter den Eigenheiten ihrer Mitmenschen, als sich an ihnen zu freuen, aber dass die Dinge hierzulande einigermaßen funktionieren, das finden sie doch ganz schön. Die stille Gewissheit darüber kommt einem (nüchternen) Ersatz für echten Patriotismus noch am nächsten, sie ist prägend für das Selbstverständnis des Landes. Als Angela Merkel vor vielen Jahren gefragt wurde, welche Empfindungen Deutschland in ihr wecke, antwortete sie: "Ich denke an dichte Fenster!" Nun aber: überall Löcher, Unzulänglichkeiten, Verzögerungen. Die meisten werden deswegen nicht gleich zu wütenden Pauschalkritikern der Politik und ihrer Institutionen. Aber sie verteidigen sie womöglich weniger engagiert als sonst. Sie widersprechen vielleicht nicht mehr, wenn im Büro, in der Familie oder im Internet wieder mal wer auf "die da oben" schimpft. Aber ohne solchen Widerspruch, das ist die langfristige Gefahr, kann Politikverachtung hegemonial werden. (Lenz Jacobson, ZEIT)

Jacobsens Perspektive finde ich eine sehr wertvolle. Die Spinner von den Querdenker-Demos sind ohnehin nicht gerade das stabilste demokratische Element. Aber wenn die Mitte der Gesellschaft nur noch Verachtung für die Politik übrig hat, wenn die Aussage "ich weiß nicht wen ich im Herbst wählen soll, sind eh alle gleich" unisono aus allen Richtungen zu hören ist, dann haben wir ein ernstes Problem. Und das hat sich die Politik kollektiv selbst zuzuschreiben, von den Ministerpräsident*innen über die Minister*innenriege bis hinauf ins Kanzleramt.

3) Hier gibt's was umsonst!

Eines lässt sich heute schon sagen: Die nächste Bundesregierung wird ein Geldproblem haben. [...] Damit ist klar: Die anstehende ökologische Transformation lässt sich nicht aus der Portokasse finanzieren. Die nächste Regierung wird eine strategische Entscheidung treffen müssen, wie sie mit diesen Investitionsnotwendigkeiten umgeht, zumal es ja nicht so ist, dass ansonsten nichts los wäre. Die Alterung der Gesellschaft, der Ausbau der Gesundheitsvorsorge im Zuge der Krise – all das wird den Haushalt in den kommenden Jahren belasten. Und zwar nicht zu knapp. Was also tun? Es spricht viel dafür, die historische Dimension des Klimawandels auch finanzpolitisch abzubilden. Das bedeutet: Wenn es um die Rettung des Planeten geht, dann gelten die üblichen Haushaltsregeln nicht. Kein Geldbetrag ist zu groß, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Geld verliert als soziales Konstrukt schlicht seine Bedeutung, wenn es die Menschen nicht mehr gibt. Das wirft natürlich das Problem auf, dass die eine oder andere Regel für den Rest des Haushalts durchaus sinnvoll wäre. Es spricht viel dafür, öffentliche Investitionen durch Kredite zu finanzieren, weil Investitionen einen Ertrag abwerfen, der auch den künftigen Generationen zugutekommt. Die Abwendung der Klimaapokalypse wäre ein ziemlich stattlicher Ertrag, der jede Anstrengung rechtfertigt. Die Experten von McKinsey kommen interessanterweise sogar zu dem Ergebnis, dass sich die Klimaneutralität für ein Land wie Deutschland wirtschaftlich rechnen könnte: Unter dem Strich entstünden durch neue Technologien europaweit fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze (elf Millionen Stellen würden geschaffen, sechs Millionen fallen weg) und die zusätzlichen Ausgaben würden durch höhere Steuereinnahmen in der Zukunft wettgemacht, so die Prognose. Man könne "net-zero emissions" zu "net-zero costs" erreichen, heißt es in der Studie. Ein wenig simpler formuliert: Der Kampf gegen den Klimawandel kostet uns nichts, zumindest wenn man einen der Sache angemessenen Kostenbegriff unterstellt. (Mark Schieritz, ZEIT)

Ich vertraue McKinseys Zahlen ja ungefähr so sehr wie die meisten Impfgegner*innen Christian Drosten, aber vielleicht überzeugt das ja den oder die eine oder andereN überzeugteN WirtschaftsliberaleN. Grundsätzlich haben wir eine ähnliche Argumentation ja bereits bezüglich der Schuldenbremse und dem grünen Wahlprogramm im letzten Vermischten besprochen. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass diese Fragestellungen mehr und mehr auf die politische Agenda drängen werden, und ebenso zuversichtlich, dass sie über kurz oder lang den seit nunmehr fast 50 Jahren unangefochtetenen wirtschaftsliberalen Konsensus brechen werden, der einfach überholt und am Ende seiner Kraft ist. Die Frage ist eher, wie lange das dauert und ob es rechtzeitig geschehen wird.

4) Portugals Wunder - deutsches Versagen

Premierminister Costa entschuldigte sich - und er reagierte: Es gab einen Lockdown, der den Namen verdient: keine Schule, keine Kita, kein Restaurant - dazu eine SMS an jeden im Land: "Bleibt zu Hause!" Nur wer unbedingt musste, durfte zur Arbeit, das Reisen zwischen Kommunen war untersagt, die Landgrenzen nach Spanien wurden geschlossen, am Wochenende flogen Helikopter über die Strände und kontrollierten die Ausgangssperre. Doch was am wichtigsten war: Die Menschen waren ausreichend erschrocken über die schlimme Lage - sie hielten sich an alle Maßnahmen, übererfüllten sie sogar. Auch, weil die Regierung die Bürger als Partner sah und ihnen nicht drohte, sondern mit ihnen zusammen die Zahlen senken wollte. [...] Genau deshalb hängt Deutschland seit November in einem halben "Lockdownchen", müssen Gastronomen, Händler, Hoteliers, Künstler längst um ihre Existenz bangen - und ein Ende ist nicht in Sicht. Dass Mitte April alles wieder aufgemacht wird - wer glaubt noch daran? Es ist ein Lockdown ohne Ende - und die Zahlen werden weiter steigen, weil mehr getestet wird, aber auch, weil die Bürger so müde sind. Portugal aber macht die Dinge weiter richtig: Die Bürger haben geliefert, und nun werden die Einschränkungen zurückgenommen: Festgelegte Öffnungsschritte im Zweiwochenrhythmus, bis 3. Mai werden auch alle Restaurants und Kultureinrichtungen sogar wieder innen öffnen dürfen. So hat jeder Bürger und jeder Unternehmer eine Perspektive, kann sich orientieren und durchhalten. Während hier noch immer nicht klar ist, wann dieser Alptraum endet. Mit Verweis auf eine Mutante, die sich in den Griff kriegen lässt - das kleine Portugal hat es bewiesen. (Alexander Oetker, NTV)

Die Kritik ist völlig berechtigt. Ich kann die Lage in Portugal nicht beurteilen, vielleicht haben irgendwelche Lesenden da mehr Ahnung und möchten in den Kommentaren Bezug nehmen. Aber die Endlosigkeit der Maßnahmen in Deutschland ist das zentrale Problem. Von meiner Warte aus ist der größte Kritikpunkt, dass nicht einfach einmal ein vernünftiger Lockdown kam, sondern immer dieser Wischi-Waschi-Blödsinn dazwischen; ich weiß aber, dass das diverse Leute hier anders sehen. Das soll gar nicht mein Thema sein, denn andere Ansätze (wie sie, korrigiert mich wenn ich falsch liege, ja unter anderem Jens und R.A. vertreten haben) hätten ja mental ungeachtet ihrer Wirksamkeit den gleichen Effekt gemacht, wenn man sie denn nur stringent verfolgt und kommuniziert hätte. Hat man aber nicht, stattdessen hat man das Schlechteste aus beiden Welten gewählt. Und entsprechend Murks bekommen. Ich wollte aus Markus Feldenkirches Kommentar "Multiples Politikversagen" eigentlich ein eigenes Fundstück machen, aber ich wiederholte mich nur und lass es euch daher zum Lesen da.

5) Die reichsten Amerikaner verstecken ein Fünftel ihrer Einkünfte

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