Freitag, 12. März 2021

Das große volkswirtschaftliche Experiment - Keynes ist wieder da

 

Als Margret Thatcher in den 1990er Jahren gefragt wurde, was sie als ihren größten Erfolg betrachte, hat sie geantwortet: New Labour. Es verwundert nicht, wie sie zu dieser Aussage kam. Ob in den USA mit Bill Clinton, in Großbritannien mit Tony Blair oder in Deutschland mit Gerhard Schröder, in den großen Volkswirtschaften Westeuropas vollzogen die sozialdemokratischen Parteien den endgültigen Abschied von keynesianischen Ideen, von Nationalökonomie und Globalsteuerung, kurz: von der Wirtschaftspolitik, die die Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre dominiert hatte. Stattdessen übernahmen sie weitgehend den Kurs, den die konservativen Parteien derselben Nationen in den 1980er Jahren einschlugen und den wir hier vereinfachend mangels eines besseren Wortes "neoliberal" nennen wollen: niedrige Steuern, Deregulierung, Privatisierung.

Wie die Übernahme der keynesianischen Ideen durch die Konservativen in den 1950er Jahren den Triumph der Sozialdemokratie markierte, so bedeutete dieser Wandel den praktisch vollständigen Sieg der demokratischen Rechten: Für die nächsten 40 Jahre war ihre Politik, in den unsterblichen Worten (erneut) Margret Thatchers, alternativlos. Zwar litten die sozialdemokratischen Parteien seit den Nuller-Jahren zunehmend unter diesem Wandel, verloren Wähler*innenstimmen und beobachteten hilflos den Aufstieg linkspopulistischer Parteien. Aber selbst die Flirts mit Jeremy Corbyn und Bernie Sanders schienen keinen Ausweg zu bieten, keine Alternative darzustellen, und wo, wie in Portugal, Spanien oder Griechenland, linkspopulistische Parteien tatsächlich an die Regierung kamen, hegte das System sie schnell wieder ein. TINA regierte letztlich weltweit.

Dann kam Corona. Und plötzlich waren alte Gewissheiten passé. Millionen von Menschen wurden arbeitslos, die Wirtschaft wurde in eine künstliche Rezession gestoßen, gigantische Investitionen ins Gesundheitssystem waren vom einen auf den anderen Tag notwendig. Zahllose Instititutionen mussten auf Fern-Funktionieren umgestellt werden, ob Fernlernen in der Schule oder Home-Office am Arbeitsplatz. Von Beginn an bestand eine seltene Einhelligkeit: Es würde teuer werden, und der Staat musste die Kosten tragen - durch die Aufnahme neuer, gewaltiger Schulden. Dieses Phänomen fand sich in unterschiedlichem Ausmaß in der ganzen westlichen Welt; der deutsche Schuldenstand etwa stieg durch Corona von rund 60% auf rund 80% des BIP an. Doch insgesamt ist das nur eine natürliche Reaktion, wie sie auch in vorherigen Krisen - etwa 2009 - stattfand. Eine gänzlich andere Dimension hat die Corona-Politik der USA.

Unter Donald Trump verabschiedete der Kongress mit den Stimmen praktisch aller Abgeordneten ein fast 2 BILLIONEN US-Dollar umfassendes Hilfsprogramm. Es ist wichtig, die ungeheure Größe hier genauso zu betonen wie die Tatsache, dass die Republicans das Paket ohne größere Diskussion verabschiedet haben. Der Vergleich mit 2009 ist instruktiv. Bill Scher schreibt im Washington Monthly unter dem Tittel "When it Comes to the Stimulus, It’s Not 2009 Anymore" dazu:

This was 2009 when President Barack Obama began his presidency in the midst of an economic free fall and rushed to pass a stimulus bill. Limbaugh’s moniker was a rallying cry for Republicans trying to find their footing after Obama’s decisive election victory. Conservatives flooded the congressional switchboard, out-calling supporters of the stimulus 100-to-1. A young Politico headlined that Obama was “losing [the] stimulus message war.” The GOP largely fell in line, giving the Recovery Act no votes in the House and only three in the Senate. That was enough for the bill to pass Congress and be signed into law by February 17, but ideological battle lines had been drawn. Two days later, CNBC’s Rick Santelli would deliver his famous “Tea Party” rant, further fueling the right-wing backlash that would help Republicans take the House in 2010. Nothing, absolutely nothing, of the sort is happening today. [...] That’s not just because Limbaugh has been off the air battling lung cancer. More fundamentally, Republicans no longer even pose as the party of fiscal restraint.

Nun geschah das natürlich unter Präsident Trump. Wie ich in meinem Artikel zum Thema beschrieben habe, sollte dieses Programm alleine eigentlich seine Wiederwahl gesichert haben; es gab auf demokratischer Seite genug Verzweiflung daran, dass die staatstragende Zustimmung der Democrats zu diesem Rettungspaket eine Wahlkampfhilfe par excellence darstellte. Auffällig ist daher vor allem das Verhalten der Republicans zum zweiten Hilfspaket, das kürzlich vom Kongress ohne republikanische Stimmen verabschiedet wurde und weitere 1,9 Billionen an Hilfen enthielt. Die Republicans versagten ihm zwar die Unterstützung - als nicht-demokratische Partei und destruktive Kraft war das von ihnen auch zu erwarten gewesen - aber sie begründeten das nicht mit den Hilfen an sich.

Wo die Verabschiedung eines Pakets von kaum 10% der Größe von Bidens Paket in einer deutlich schwerwiegenderen Größe 2009 zum Aufstieg der Tea Party und der nachhaltigen Radikalisierung der GOP führte, eines Parteiflügels, der die Gesamtpartei fest im Griff hatte, war die Reaktion der Republicans dieses Mal verhalten und kam kaum mehr über die übliche Obstruktionspolitik hinaus. Zwischen den Versuchen Mitch McConnells, die Bestätigung Merrick Garlands als Justizminister zu verhindern, und denen, dieses Paket aufzuhalten, besteht kein qualitativer Unterschied. Es ist ein "going through the motions", Widerstand um des Widerstands willen, weil es der Partei unmöglich ist, ein konstruktives Votum abzugeben. Aber eine mobilisierende Wirkung hat dieser Widerstand nicht; man spürt geradezu eine heimliche Erleichterung, dass das Ding durch ist und man zu den üblichen Kulturkriegsthemen und Identitätspolitik zurückkehren kann. In seinem Artikel "The Forces That Stopped Obama’s Recovery Will Not Stop Biden’s" schreibt Jonathan Chait dies dem Bankrott der rechten Wirtschaftsideologie zu:

The Trump era produced the strongest evidence of all. In 2018 and 2019, unemployment dropped below what had been previously assumed to be “full employment.” And yet, contrary to theory, inflation did not rise. Indeed, unemployment just kept falling, until the pandemic artificially halted the recovery. Many economists on the right as well as the left are eager to resume the experiment and find out just how low unemployment can actually be brought. The fears of hyperinflation that circulated freely during Obama’s first term have been completely forgotten. It is ironic that Trump created the conditions to allow Biden to succeed. First by exposing his party as disingenuous, then by disproving its economic nostrums, he set the stage for his successor to implement a smarter and better version of his experiment in running the economy hot. 

Mit anderen Worten: Keynes ist zurück. Es ist, als ob bei diversen Beobachtenden Schuppen von den Augen gefallen sind. Schließlich haben die wirtschaftspolitischen Rezepte der Republicans wesentlich schlechtere Ergebnisse mit sich gebracht als die Democrats. Es ist und bleibt die größte politische Leistung (im Sinne von politics, nicht policy) der Konservativen in allen Ländern, sich selbst als die Partei des Wirtschaftsverstands darzustellen. Doch zumindest in den USA bröckelt das Bild, das nie mehr als brillante Eigenwerbung war, endlich. Auch eher mittige Medien wie die New York Times stellen mittlerweile die Frage: "Why Are Republican Presidents So Bad for the Economy?"

A president has only limited control over the economy. And yet there has been a stark pattern in the United States for nearly a century. The economy has grown significantly faster under Democratic presidents than Republican ones. It’s true about almost any major indicator: gross domestic product, employment, incomes, productivity, even stock prices. It’s true if you examine only the precise period when a president is in office, or instead assume that a president’s policies affect the economy only after a lag and don’t start his economic clock until months after he takes office. The gap “holds almost regardless of how you define success,” two economics professors at Princeton, Alan Blinder and Mark Watson, write. They describe it as “startlingly large.” [...] Since 1933, the economy has grown at an annual average rate of 4.6 percent under Democratic presidents and 2.4 percent under Republicans, according to a Times analysis. In more concrete terms: The average income of Americans would be more than double its current level if the economy had somehow grown at the Democratic rate for all of the past nine decades. If anything, that period (which is based on data availability) is too kind to Republicans, because it excludes the portion of the Great Depression that happened on Herbert Hoover’s watch.

Es gibt einige Gründe, die ausgeschlossen werden können. So spielt etwa, auch wenn es eine Lieblingsausrede der Democrats ist, die Kontrolle des Kongresses keine große Rolle. Welche Partei hier tonangebend war, spielte für die Performance insgesamt praktisch keine Rolle. Ich betone das deswegen, weil die Kontrolle über die Defizite - also die Höhe der Neuverschuldung - hier entschieden wird. Und eine Konstante, die die Forschenden herausgearbeitet haben, ist sicherlich für diejenigen, die die konservative Selbstdarstellung geglaubt haben, ebenfalls überraschend: unter republikanischen Präsidenten ist das Defizit im Schnitt deutlich größer als unter demokratischen, und das bezieht Präsidenten wie Obama, die ein völliges Desaster von ihren Amtsvorgängern geerbt haben, mit ein.

Was also ist es? Es hat tatsächlich mit der Wirtschaftspolitik selbst zu tun. Die Democrats sind wesentlich lernfähiger und experimentierfreudiger als ihre Gegner. Sie sind deutlich aggressiver bei der Forschungs- und Innovationsförderung, weswegen ihre Staatsausgaben zu mehr nachhaltigem Wachstum führen als die Republicans. Das führt zu einer großen Bandbreite demokratischer Wirtschaftspolitik, wo die Republicans seit vierzig Jahren genau ein Rezept kennen: Steuersenkungen. Die mögen am Anfang ihren Wert gehabt haben. Aber nach vier Dekaden haben sie ihren Grenznutzen längst erreicht. Das Steuergeschenk Trumps war diesbezüglich der Offenbarungseid. Doch am zentralsten ist die dahinterliegende Mentalität. In den Worten von Michael Strain, einem Hardcore-Konservativen vom American Enterprise Institute, einer der größten Lobbyorganisationen der Steuersenkungsfans: “It is certainly a defensible posture that in periods of economic distress Democrats are more concerned about jobs than Republicans.It certainly is, Mr. Strain, it certainly is. Kevin Drum verfolgt in seinem "An Old-School Debate: Why Are Democrats Better for the Economy Than Republicans?" einen ähnlichen Ansatz:

For what it's worth, my explanation has always been a bit different. Republicans spent years wedded to austerity economics while Democrats, largely thanks to broad support from unions, were explicitly dedicated to job growth for the middle class and high taxes on the rich. After 1980 Republicans finally gave up on austerity, but instead of focusing on the middle class they adopted policies aimed at making life easier for corporations and the wealthy. Democrats, by contrast, continued to focus on the poor and the working class even as their union support dwindled. Neither party was consistently successful in meeting its goals, but both were successful enough that over time their policies had a broad effect that was obvious in historical retrospect. This isn't because Democrats are especially more virtuous about "heeding economic and historical lessons," but simply because their goals were more genuinely aimed at building a strong economy, while Republican goals were aimed primarily at helping the rich.

Es ist ein Phänomen, das wir hier aus Deutschland ebenfalls kennen. Ungleich weniger zerstörerisch als die GOP hat Angela Merkels lange Kanzlerschaft eigentlich nur die Substanz der vorherigen Reformen aufgebraucht. Ihre 16 Jahre Stagnation haben Flurschäden hinterlassen, die wahrscheinlich erst in der kommenden Dekade voll sichtbar sein werden. Dasselbe gilt für die Regierungszeiten der Republicans in den USA.

Was hat das aber alles mit Keynes zu tun?

Auch wenn die eher konservativen und liberalen Kritikter*innen das gerne anders darstellen, so haben Progressive ja kein erotisches Verhältnis zu Schulden um der Schulden willen (tatsächlich bauen sie im Schnitt mehr Schulden ab und häufen weniger an als ihre konservativen Kolleg*innen). Genauso wenig wollen Progressive aus Prinzip staatliche Eingriffe ins Wirtschaftsleben. Stattdessen geht es um intelligente Eingriffe, Förderungen und Hilfen. Und hier haben die Progressiven den Konservativen mittlerweile einiges voraus, einfach deswegen, weil sie nicht die dominante wirtschaftspolitische Theorie der letzten 40 Jahre waren. Sie hatten etwas zu beweisen. Und nun versuchen sie genau das.

Ich möchte an der Stelle kurz innehalten und an den Anfang zurückkehren, zu Marget Thatchers selbstironischer Bemerkung über New Labour als ihren größten Erfolg. Denn man übersieht gerne im eigenen Erfolg, dass es überhaupt ein solcher ist. Man hat sich so daran gewöhnt. Das Ausmaß des Erfolgs der Konservativen seit den 1980er Jahren gerät darüber gerne aus dem Blickfeld. Sie haben die politische Auseinandersetzung in einer entscheidenden Art und Weise gewonnen, so durchschlagend, dass es über Jahrzehnte nicht möglich war, überhaupt an etwas anderes zu denken. In den Worten Gerhard Schröders gab es nicht mehr linke oder rechte, sondern nur noch richtige Wirtschaftspolitik. Auf progressiver Seite führte dieser durchschlagende Sieg zu Lähmung und rückwärtsgewandtem Denken, zu Selbstzweifeln und fruchtlosem, inneren Streit ohne erkennbares Ziel. Auf konservativer Seite führte er zu Selbstzufriedenheit - wie sie wohl durch nichts als die Ära Merkel personifiziert werden kann - und Radikalisierung, am deutlichsten sichtbar in den Republicans.

Diese Stagnation verstärkte sich wechselseitig. Diverse Teile der konservativen reinen Lehre der 1980er Jahre - Stichwort Laffer Curve oder Trickle-Down-Economics - haben sich als falsch herausgestellt. Aber die Ideenlosigkeit der Linken und die stagnierende Selbstzufriedenheit der Konservativen gaben diesen Ideen ein jahrzehntelanges, ungutes Nachleben. Sie wurden zu "Zombie Economics". Fairerweise muss angemerkt werden, dass sie mit den wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen häufig auch nur peripher zu tun hatten; die Politik ignorierte die Forderungen dieser Wissenschaften dieseits wie jenseits des Atlantiks ziemlich effektiv. Aber sieht man sich eine aktuelle Studie über die letzten 50 Jahre Makroökonomik an, die erbracht hat, dass trickle-down-Effekte de facto nicht existieren und die zugrundeliegende Politik effektiv wirkungslos ist - dann muss man sich schon fragen, wie das so lange Bestand haben konnte. Die bastardisierten, heruntergedummten Versionen der einst so frischen wirtschaftspolitischen Ideen beherrschten die Politik und galten sowohl als alternativlos als auch als Höhepunkt wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnis, eine Forderung von grenzenloser Hybris, die das Spiegelbild progressiver Lenkungsfantasien der 1960er Jahre war - als zwar Kritik an dieser Hybris weit verbreitet, aber wirkungslos war, weil es an glaubhaften Alternativen mangelte.

Genau das hat sich in den USA nun geändert. Ausgerechnet ein solcher Bannerträger der Moderaten in der demokratischen Partei wie Joe Biden steht nun für eine Radikalität in der Wirtschaftspolitik, die kurios unterbemerkt bleibt. Genauso wie die vorherige Dominanz der rechten Ideen einfach als gegeben angenommen wurde, herrscht gerade ein geradezu absurdes Desinteresse an dem tektonischen wirtschaftspolitischen Wandel, der sich gerade vor unseren Augen in den USA vollzieht. Die deutschen Medien waren sich für keine seitenlange Analyse des hinterletzten Trump-Tweets zu schade; dass Joe Biden in nur zwei Monaten das ambitionierteste Wirtschaftsprogramm der letzten 70 Jahre aufgelegt hat, wird überraschend wenig thematisiert. Dabei ist es von potenziell erschütternder Wirkung.

Ich sagte vorher, dass Progressive etwas zu beweisen haben. Aber gelingt ihnen das? Kevin Drum formuliert es in "We Are Conducting a Destruction Test of Keynesian Stimulus" folgendermaßen:

Our current recession is totally different. If Biden's plan passes, we will have approved more than $5 trillion in spending divvied up among consumers, businesses, schools, local governments, hospitals, and more. In other words, even though the 2009 recession was the worst in nearly a century, we're spending close to ten times more on today's recession than we did back then. This ought to be something of a destruction test of a perfect Keynesian stimulus.

Die gigantische Größe des Stimulus alleine - noch einmal, fast zehnmal so viel wie der nicht eben bereits kleine (wenngleich zu kleine) Stimulus unter Obama, der seinerseits bereits größer als alle zaghaften europäischen Programme war - sorgt dafür, dass die USA ein wirtschaftspolitisches Experiment unter Realbedingungen veranstalten, das unbedingt Aufmerksamkeit verdient. Denn wenn die US-Wirtschaft nach Corona nicht signifkant besser dasteht als die europäische, dürften ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit solcher Maßnahmen angebracht sein.

Was aber ist mit der Gefahr der Überhitzung der Wirtschaft, der Inflation? Kevin Drum hat sich auch mit dieser Frage beschäftigt und fordert: "We Should Let the Economy Loose For a While and See What Happens":

For years, many of us who lived through the '70s have been urging our boomer colleagues to stop being traumatized by the inflation of those years. The inflation of the '70s truly was damaging, but a big reason is that the financial system of the era was designed on the assumption of low inflation rates. When inflation rose, we had to apply all sorts of Rube Goldberg hacks to keep people from literally making negative returns on their money. But those days are long gone. Deregulation of the financial system produced inflation indexing almost everywhere, which means that even if inflation rises it doesn't produce the kind of trauma that it did 40 years ago. In the meantime, the aging of the US population, along with increasing globalization, puts steady downward pressure on inflation. The lesson here is simple: If inflation becomes unanchored for a significant period of time, then we should start pulling back. But there's no need to pull back every time expectations rise a few tenths of a point. Let's give the economy room to run and see what happens. The best outcome is that GDP booms, wages rise, and even the long-term unemployed start getting back into the workforce. And the worst case? Inflation starts to grow too fast and the Fed has to raise interest rates. That's not good, but it's hardly the worst thing in the world. It's not a fear that we should let rule our lives. (Kevin Drum, Jabberwocky)

Letztlich ist das, was jetzt in den USA passiert, nichts weniger als das: ein gewaltiges wirtschaftspolitisches Experiment. Es mag sein, dass die düsteren Prognosen, es werde zu Geldverschwendung und Inflation führen, sich als richtig erweisen werden. Es ist, gelinde gesagt, extrem unwahrscheinlich, dass alles ein Riesenerfolg wird und bald Milch und Honig fließen. Konservative tun aber gut daran nicht zu vergessen, dass viel progressive Kritik an ihrem eigenen Projekt sich, ungeachtet der Wirkung von Steuerkürzungen, Deregulierungen und Privatisierungen in den 1980er Jahren, durchaus bewahrheitet haben: steigende Ungleichheit, Verlagerung und Konzentration von Wohlstand, Machtakkumulation bei transnationalen Konzernen und internationalen Finanzmärkten. Die Frage ist weniger, ob sich manche Befürchtungen einstellen werden, als ob es den Preis wert ist. Ob es also quasi im Sinne Helmut Schmidts besser ist, 5% Inflation hinzunehmen als 5% Arbeitslosigkeit (nicht, dass diese Wahl anstünde; ich möchte mehr illustrieren, dass es positive wie negative Effekte geben wird, weil dies bei JEDER Wirtschaftspolitik der Fall ist).

Nicht nur Konservativen allerdings wird angesichts der gigantischen Summen, die der amerikanische Staat gerade herauspumpt, mulmig. Damon Linker fragt sich in The Week, ob  nicht irgendwelche Grenzen notwendig sind:

It was made possible by the worst pandemic in a century shutting down large swaths of the economy for a year. But there's also something else, and far more sweeping, going on behind the scenes, and that is a change in perceptions about fiscal constraints. Many Democrats have come to believe that the longstanding conventional wisdom about the limits of responsible deficit spending was wrong. That is having enormous — and unnerving — effects on how they think about policy.

Er argumentiert weiter:

Politics is about making choices, prioritizing among competing goods, weighing costs against benefits, making tradeoffs — all of it under conditions of constraint that provide elected officials with a multitude of fully justified, reasonable excuses for failing to eliminate every kind of hardship. But what if there are no constraints forcing us to choose, prioritize, think about costs and benefits, and make tradeoffs? Under those circumstances, politics could turn ugly fast, as expectations rocket into the stratosphere and every failure to alleviate suffering or rectify injustice begins to look like an act of malice or outright indifference.

Gute Punkte, sicherlich. Aber als Analysetool merkwürdig emotionsbeladen. Es fühlt sich so an, als ob es Grenzen geben müsse. Das macht auch intuitiv Sinn. Nicht einmal die überzeugtesten MMT-Fans argumentieren schließlich für unbegrenzte Staatsausgaben. Aber gleichzeitig ist auch auffällig, wie gefühlskonzentriert diese Kritik ist. Sie legt eine beunruhigende Tatsache offen: Wir haben keine Ahnung, wo die Grenzen liegen. Welche Auswirkungen diese Politik haben wird. Wir haben diese Ahnung nicht, weil einerseits Prognosen für die Zukunft per se mit Unsicherheiten beladen sind, natürlich. Aber wir haben sie andererseits auch nicht, weil so lange keine Alternativen gedacht und diskutiert wurden. Es gibt keine große Breite an alternativen Denker*innen, keine Jahrzehnte der breiten Auseinandersetzung, auf der wir aufbauen könnten. Der vorherige Konsens hat sich so lange totgelaufen, dass er eine riesige Leerstelle hinterlassen hat. Vielleicht stoßen einige Quacksalber hinein, wie der bereits erwähnte Larry Laffer es in den 1980er Jahren tun konnte. Ich habe bereits vor fast exakt zwei Jahren geschrieben, dass MMT das Potenzial hat, dieselbe Funktion für das progressive Lager zu übernehmen: ein intellektuelles Feigenblatt, mit der sich noch jede Ausgabe grundsätzlich rechtfertigen ließe, und sei sie auch noch so dumm.

Ich habe deswegen eine sehr ambivalente Haltung zu den Geschehnissen in den USA. Ich gehe einerseits davon aus, dass sie positiv sein werden, und hoffe, dass sie ihren Weg nach Europa finden. Aber ich fürchte auf der anderen Seite einen Ausschlag in eine ähnliche intellektuelle Einseitigkeit, in der es keine Alternative gibt, weil sich die andere Seite so totgesiegt hat, dass sie keine neuen Ideen hat und nun, da der Kaiser nackt und ohne Kleider dasteht, nichts anzubieten hat. So wie Progressive keine Antwort auf sie Stagflation hatten, haben die Konservativen nicht wirklich eine Antwort auf die Herausforderungen von heute.

Im Interesse einer möglichst guten Politik, einer Vorwarnung vor Fehlentwicklungen, einer möglichen Korrektur wäre es aber notwendig, dass sie selbst eigene Ideen entwickeln. Und meine Befürchtung ist, dass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen wird. Ich hätte gerne, dass wir einen Gleichgewichtszustand finden, in dem beide Seiten intellektuell herausfordernde und mögliche Lösungen präsentieren. Denn unverdiente, leichte Siege führen zu Selbstzufriedenheit und Stagnation. Wir haben das bereits zweimal beobachten können. Es braucht nicht dringend ein drittes Mal, egal wie notwendig der in den USA zaghaft beginnende Wechsel ist. Und notwendig ist er, daran habe ich keinen Zweifel.

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