Freitag, 3. Juni 2022

Eine Einordnung des Ukrainekriegs – Vortrag von Prof. Klaus Gestwa (Teil 1: Vortrag)

 

Im Rahmen einer Fortbildung des Fachtags Geschichte-Gemeinschaftskunde, die am 02.06.2022 in Waiblingen stattfand, hielt der Tübinger Osteuropa-Zeithistoriker einen Vortrag zur Einordnung des Ukrainekrieges. Dieser sowie die folgenden Fragen sollen im Folgenden dokumentiert werden.

Einleitung

Professor Gestwa begann den Vortrag mit der Feststellung, dass der Ukrainekrieg als Zivilisationsbruch und Zäsur zu verstehen sei. Der Versuch der Errichtung eines friedlichen Systems in Europa müsse als gescheitert angesehen werden. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei kein solcher expliziter Vernichtungswille erkennbar gewesen; Russland mache mit der „Entukrainisierung“ des Ostteils des Landes offensichtlich ernst und auch keinen Hehl aus seinem Willen, die ukrainische Nation zu zerstören.

Der Westen und besonders Deutschland müssten sich fragen, ob man durch das Primat des „Wandel durch Handel“ nicht eine Mitschuld trage. Schließlich habe man hat sich von billigen russischen Energieträgern abhängig gemacht, was eine Reihe moralischer Probleme aufwerfe – was der ukrainische Präsident treffend als „Blutgeld“ an Putin bezeichnet hatte. Wir hätten uns Wohlstand durch wirtschaftliche Verflechtung versprochen und darauf gehofft, dass Profite und Moral sich in Einklang zu bringen ließen. Der Wandel sei dann zwar gekommen, aber anders als gedacht: es sei ein russischer, gewaltsamer Wandel. Das sei eigentlich seit 2014 sichtbar gewesen.

In diesem Zusammenhang übte Gestwa harsche Kritik an Prominenten wie Gabriele Krone-Schmalz, Matthais Platzeck, Sahra Wagenknecht und Co. Diese „Ostpolitik-Nostalgiker“ hätten nur Moskau im Blick, aber nicht Kiew. Trotz deutscher Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine gäbe es noch viele, die bereit seien, auf dem „Altar deutsch-russischer Beziehungen die Ukraine zu opfern“. Harsche Kritik übte Gestwa auch an Talkshows und ihrem Gästerepertoire, machte aber eine deutliche Verbesserung seit 2014 aus.

Den Wandel in der Haltung des Westens illustrierte er unter anderem an NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der erklärte, „Freiheit ist wichtiger als Freihandel“ und Abhängigkeiten von Russland und anderen autokratischen Regimen für sicherheitspolitische Probleme verantwortlich macht. Die politische Landschaft verändere sich deutlich, wie besonders an den Grünen ersichtlich sei. Als mögliche Folgen skizzierte Gestwa neue Blockbildung, sogar Deglobalisierung und eine Neuorganisation von Lieferketten.

Es lohne sich auch, über den Zusammenhang von Klimakrise und Krieg nachzudenken. In den letzten Jahren sei die Zahl von Kriegen wegen der Klimakrise massiv gestiegen. Diese Kriege lenkten von der Jahrhundertaufgabe der Lösung der Klimakrise ab. Im Ukrainekrieg werde das wegen der weltweiten Verflechtungen besonders deutlich, während die resultierende Angst von Putin ausgenutzt werde. Der Krieg treffe die schwächsten Menschen der Welt besonders, vor allem durch die Bedrohung ihrer Ernährungsgrundlage, was Putin in seiner Strategie aktiv ausnutze, etwa durch Zerstörung von Vorräten oder Blockade die Blockade der Lieferungen. Der Krieg in der Ukraine sei daher im doppelten Sinne eine „Feld-Schlacht“.

Russland führe den Krieg auch massiv an der Medienfront. Die russischen Medien verstünden sich als „Informationskrieger“, die mit „aktiven Maßnahmen“ die Öffentlichkeit und das Ausland massiv bearbeiteten. Besonders die Bundesrepublik habe die Narrative aus Russland bereitwillig aufgegriffen, etwa das Narrativ von „Nazis auf dem Maidan“ 2014. Diese Nebeldebatten überdeckten den eigentlichen Zivilisationsbruch durch Putin. Es sei die russische Führung, die die Eskalationsdominanz militärisch wie rhetorisch besitze, weswegen hier eine Täter-Opfer-Umkehr zu konstatieren sei, wie sie besonders an dem Offenen Brief von Alice Schwarzer et al sichtbar wurde.

Die Rolle der NATO-Osterweiterung

Als nächstes thematisierte Gestwa die NATO-Osterweiterungslegende, die ich ja hier ebenfalls bereits detailliert auseinandergenommen habe. Putin frame den Krieg als erzwungene Verteidigungsaktion gegen eine aggressive NATO. Wir kennten dieses Narrativ bereits aus der Krim-Annexion. Putin verweise gerne auf Äußerungen Genschers und Bakers im Rahmen der 2+4-Verträge. Diese seien aber natürlich im Kontext des Warschauer Pakts zu sehen, der damals noch existierte, und zudem hätten die Außenminister zweier Länder dieses Versprechen ohnehin gar nicht machen können, weswegen es im Vertrag dann ja auch nicht vorkam und sie für diese Aussagen sofort heftig kritisiert worden seien.

Russland habe ganz im Gegenteil seit 1991 in vielen völkerrechtlich bindenden Abkommen seinen Nachbarstaaten volle Souveränität und damit auch freie Bündniswahl zugesichert; der Ukraine wurde Unverletzlichkeit der Grenzen gar in insgesamt sechs Verträgen zugesichert, zwei davon waren explizit als „Freundschaftsverträge“ betitelt. Besonders bedeutend sei das Budapester Memorandum wegen der Verpflichtung Kiews, keine Nuklearwaffen zu bauen und die bisherigen abzugeben (zum Zeitpunkt war die Ukraine die drittgrößte Nuklearmacht der Welt. Sowohl Russland als auch die USA hätten sich in diesem Abkommen sich zur Anerkennung der Ukraine und ihrer Grenzen verpflichtet. Wenn also jemand betrogen worden sei, dann die Ukraine, deren Atomwaffenverzicht ihr nur eine neue militärische Verwundbarkeit einbrachte, aber keine Sicherheit.

Die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre indessen zeigten die Notwendigkeit eines starken Militärbündnisses deutlich, weil sowohl die neu geschaffene EU als auch OSZE versagten. Es sei die NATO gewesen, die Friedenssicherung auf dem Balkan betrieb – und die dafür auch ein UN-Mandat besaß, sieht man vom Kosovo-Krieg ab.

Gleichzeitig sei Russland politisch sehr fragil und war offen revanchistisch gewesen. 1993 gab es bereits eine politische Krise wegen dieser revanchistischen Bestrebungen. Spätestens mit dem Urbanozid von Grozny im Tschetschenienkrieg habe Putin sich dann zum ersten Mal als Kriegspräsident präsentiert und erste Erfahrungen mit dieser politischen Logik gemacht. Umgekehrt werde die NATO von den osteuropäischen Staaten als „Verteidigerin von Freiheit und Werten des Westens“ (Vaclav Havel) gesehen, wozu die Osteuropäer gehören wollten.

Das Narrativ der „Einkreisung“ und militärischen Bedrohung Russlands durch die NATO hält Gestwa aber aus weiteren Gründen für unzutreffend. Die NATO sagte Russland in der NATO-Russland-Akte 1997 zu, weder Atomwaffen noch substanzielle Kampftruppen in Osteuropa zu stationieren. Militärisch sei also der Sicherheitspuffer zwischen NATO und Russland bestehen geblieben; die Erweiterung war also eine rein politische, keine militärische Erweiterung. Der 2002 gegründete NATO-Russland-Rat habe seine erhoffte Funktion nicht erfüllt.

Hier sieht Gestwa eine starke Schuld der westlichen, vor allem amerikanischen Außenpolitik. Er hebt besonders den Streit um das Raketenabwehrsystem 2007 als großes Problem hervor. Obwohl es Russland nicht direkt bedroht habe, nutzte Putin es als Streitgrund aus. Extrem problematisch sei zudem die unbedachte Beitrittsoption Bushs für Georgien und Ukraine gewesen, die Georgien dann durch seine eigene sehr ungeschickte Politik noch verschärfte. Der Fünf-Tage-Krieg verschaffte Putin Höchstwerte in der Popularität, stürzte den NATO-Russland-Rat aber in eine tiefe Krise.

Zur tiefsten Krise sei es dann mit der Krim 2014 gekommen. Die NATO hätte zwar aus aus Solidarität nun 8000 statt 5000 Mann in den baltischen Staaten stationiert, aber am militärischen Bild hätte das nichts geändert. Russland sei weiterhin nicht bedroht gewesen, die entsprechenden Argumente lenkten nur vom russischen Angriffskrieg in der östlichen Ukraine ab. Eine tatsächliche Stärkung der Ostflanke der NATO sei erst durch den Krieg 2022 initiiert und durchgeführt worden. In dieser Hinsicht sei der Krieg ein schwerwiegendes Eigentor Putins.

Expansionistische Ideologie Russlands

Die russischen Eliten teilten in Gestwas Darstellung eine expansionistische Ideologie. Es war Medwedew, der ein „freies Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“ gefordert hatte und damit deutlich die Ambitionen Russlands aufgezeigt hätte. Der Beginn des Ukrainekriegs sei auch von den zwei „Verträgen“ gekennzeichnet gewesen, die eine Rückabwicklung der NATO auf den Stand von 1997 vorsahen, ohne irgendeine Gegenleistung Russlands. Die russische Zielvorstellung sei also eine Neuordnung erst Osteuropas, dann des ganzen eurasischen Kontinents. Die eurasische Ideologie gehe von einer „zivilisatorischen Einzigartigkeit“ Russlands aus, einer selbst zugeschriebenen Rolle als Gegenpol zur europäisch-atlantischen, liberalen Ordnung. Dem diene die Heraufbeschwörung eines künstlichen Wertekonflikts seit Putins erneuter Präsidentschaft 2012. Ein Kampf gegen LGTBQ+-Rechte, gegen Frauenrechte und generell der anti-wokeness sei dafür das Mittel der Wahl. Ein mächtiger Verbündeter in diesem Kampf sei der oberste Patriarch, der die orthodoxe Kirche unverhohlen in einen Kriegskontext stelle, indem er etwa Waffen segnet oder unverhohlen für Putin Kriegspropaganda betreibe.

Sein illiberales Gesellschaftsbild mache Putin für die Rechten Europas und Amerikas attraktiv, um deren Sympathie Putin auch offen werbe. Beispiele umfassen etwa die deutsche AfD, die amerikanischen Republicans, Orban oder Le Pen. Putin hafte seinen Gegnern gleichzeitig inflationär das Label des „Nazismus“ an, das seine historische Bedeutung in Russland vollständig verloren habe und nur generisch „böse“ bedeute. Das schaffe gleichzeitig einen Mythos von Russland als Befreiernation, die wie 1945 Europa vom Nationalsozialismus befreit.

Putin nutze außerdem aktiv den Begriff der „Geopolitik“ und stelle sich damit in die Tradition deutscher Theoretiker wie Oswald Spengler und Carl Schmitt, die abgeschlossene Einflusssphären und ein Interventionsrecht für „raumfremde Mächte“ propagierten. Der Staat erscheint in diesem Weltbild als Organismus, der sich im Rahmen seiner geografischen Möglichkeiten ausdehnen müsse. Russland existiert in dieser Ideologie also nur als Imperium mit eigenem Machtorbit oder gar nicht.

Deswegen fehle den russischen Eliten auch jedes Verständnis für die Souveränität oder Sicherheitsansprüche anderer Länder. Diese Ansprüche würden von Russland als „Verrat“ und „Intrige des Westens“ geframet. Die Ukraine werde folgerichtig als abtrünnige Provinz betrachtet, die zurückgebracht werden soll. Gestwa verwies hier auf Putins Essay zur „historischen Einheit von Russen und Ukrainern“, in dem der Autokrat die Behauptung der Einheit einer „großen russischen Nation, eines dreieinigen Volks“ aufstellte. In diesem Weltbild ist die russische Nation ohne die Ukraine unvollständig.

Die äußere Aggression Russlands gegen die Ukraine habe aber in dieser einen durch Meinungsumfragen deutlich belegten Nationsbildungsprozess bestärkt, der auch die russischsprachige Minderheit betreffe. Russland erscheine gegenüber dieser sich nach Westen orientierenden Ukraine als altmodisch; Putin könne nicht als Modernisierer auftreten und versuche sich deswegen als Feldherr zu inszenieren. Gestwa sieht Putin als klassischen „alten weißen Mann“, dem es an Verständnis, geistiger Flexibilität und Zeit mangle. Dieser biografische Faktor dürfe nicht außer Acht gelassen werden. Auch die Vergewaltigungsrhetorik, mit der Putin über die Ukraine spricht, müsse in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Kriegserfahrungen und Kriegsverbrechen

Am 9. Mai 2022 räumte Putin zum ersten Mal Kriegsverluste ein und verklärte die russischen Toten als „Tapfere“, die in „gerechtem Kampf“ starben. Der „höchste Sinn ihres Lebens war immer das Wohlergehen und die Sicherheit des Vaterlands“; er forderte von den Lebenden „Hingabe ans Vaterland“. Diese Sakralisierung der Armee, wie sie prototypisch an der „Kathedrale der Streitkräfte Russlands“ sichtbar ist, an der auch der Patriarch wieder maßgeblich beteiligt ist, rechtfertigt in Gestwas Sicht die Einschätzung Russlands als „militaristische Sekte, die einen längst vergangenen Sieg anbetet und sich so in den Siegeswahn imaginiert hat“, wie sie der Journalist Boris Simansky formuliert hat.

Selensky spricht demgegenüber von Russland als „Terrorstaat“ mit einer „offensichtlichen Politik des Völkermords“, was sich für Gestwa angesichts der Barbarei der Russen mit bewussten Kriegsverbrechen nicht verleugnen ließe. Dass es im Krieg immer zu Gewaltakten kommt, erkläre nicht die massenhaften Kriegsverbrechen der Russen, diese müssten stattdessen historisch und politisch begründet werden.

Die russische Armee kompensiere mangelhafte Professionalität mit Brutalität. Da die Truppen nicht richtig versorgt und bezahlt würden, würden sie zu „Beutegemeinschaften“. Die russischen Soldaten hätten bei ihrem „Blitzkrieg“ (russische Sprachregelung!), quasi als Opfer ihrer eigenen Propaganda, erwartet als Befreier begrüßt zu werden. Die ideologische Selbstüberhöhung gegenüber der Ukraine werde als Lizenz zur Gewalt verstanden; dieser toxische Maskulismus führe zu einem Überlegenheitsgefühl und entsprechenden Verbrechen, weil die Ukrainer „nicht in der Lage sind, ihre Familien zu schützen“; dies schaffe einen „furchtbaren Referenzrahmen“ für die russische Armee. Nicht zufällig nutze Putin ja auch die Vergewaltigungsrhetorik gegenüber der Ukraine.

Die innermilitärische Gewaltkultur, die bereits in den sowjetischen Streitkräften ausgebildet wurde, sei ein weiterer wichtiger Treiber. Entwürdigende Kameradenschinderei (dedvoscina, „Herrschaft der Großväter“), exzessiver Kasernenterror, der regelmäßig zu Todesfällen führt, Demütigungen, sexuelle Vergewaltigungen – sie alle seien seit Jahrzehnten in die sowjetische und dann russische Armee eingegraben. Gestwa illustrierte dies an dem krassen Beispiel, dass es in den 1980er Jahren mehr Tote in der Roten Armee durch die dedvoscina gab als durch Afghanistankrieg. Dies müsse zwingend zu einer stark sinkenden Gewaltschwelle führen. Zahlreiche Studien hätten diese Zusammenhänge für die Rote Armee belegt.

Nach 1991 wäre gegen diese überlieferte Verrohungskultur nicht vorgegangen worden; sie wäre in den Tschetschenienkriegen vielmehr aufgeblüht. Zahlreiche Journalist*innen dokumentierten die Gewaltverbrechen und seien deswegen von Putin ermordet worden. Die Täter wurden nicht bestraft, vielmehr habe die Armeeführung explizit dafür gesorgt, dass diese Gewalttaten in Syrien ihre Fortsetzung fanden. Dieser Krieg bot die „großartige Gelegenheit, neue Waffensysteme zu testen und Erfahrungen für zukünftige Kriege zu sammeln“, wie es russische Offizielle formulierten. Es seien oft dieselben Offiziere, die Aleppo und Mariupol in Schutt und Asche legten. Es ziehe sich also eine blutige Spur der Kriegsverbrechen von der Sowjetunion bis heute.

Fazit

Gestwa beendete den Vortrag mit vier Punkten, die ihm besonders wichtig waren.

Erstens. Es gebe zahlreiche Hinterlassenschaften aus der Sowjetzeit, die die russische Armee prägten. Innermilitärische Gewalt, fossile Wirtschaftsstrukturen und Kriegskult lebten in der Elite weiter. Daraus resultierten fortwirkende Großmachtansprüche und der Versuch, die hochkomplexe Welt des 21. Jahrhunderts in die Strukturen des 20. Jahrhunderts zu pressen. Putin bezeichnete er als „Obertherapeut imperialer Phantomschmerzen“; er konstatierte ein „permanentes Beleidigtsein durch die Unzeitgemäßheit der Situation“.

Zweitens: Putin wolle die „Endlösung“ des „Ukraine-Problems“ (erneut offizielle russische Sprachregelung!) und damit eine gewaltsame Verschiebung der Geometrie europäischer Sicherheitsstruktur. Er habe kein Interesse an einer friedlichen Lösung und wolle Entscheidung auf dem Schlachtfeld erzwingen. Es gebe daher keine Möglichkeit für eine Verhandlungslösung oder „Frieden schaffen ohne Waffen“, wie es gerade die deutsche Friedensbewegung fordert. Der Diskurs in Russland belege das deutlich und zeige, dass diese Ambitionen nicht in der Ukraine aufhörten (Stichwort eurasische Ideologie). Das mache Waffenlieferung in dem herrschenden Abnutzungskrieg nötig, in dem die Ukraine nicht nur ihr Land, sondern auch die Freiheit Europas verteidige. Es sei daher nur fair, wenn die Ukraine hierzu europäisches Material habe.

Drittens: Gestwa konstatierte eine „Super-Zeitenwende“ in der neuen, global verflochtenen Welt (Corona, Klima, Ukraine), die erzwinge, mit Unsicherheiten leben zu lernen und die eigene Resilienz zu stärken. Wir sähen gerade, wie sich Demokratien gegen Diktaturen behaupten. Der Widerstand gegen Russland und der Wiederaufbau der Ukraine erforderten eine große europäische Einheit, die leider nicht sichtbar sei. Putin setze auf die Spaltung des Westens und könnte immer noch Erfolg damit haben. Die „Super-Zeitenwende“ eröffne aber auch neue Handlungsoptionen, die es mit Weitsicht und Ambition zu nutzen gelte, was aber erfordere, alte historische Analogien aus dem 20. Jahrhundert abzuwerfen, die ein Ausdruck von Hilflosigkeit seien und keine Erklärungskraft besitzen (Kalter Krieg, Appeasement, etc.).

Viertens: Wir dürften das kritische, „andere Russland“ nicht vergessen. Viele Freigeister, die sich dem Meinungsdiktat des Kreml nicht fügen wollen, hätten ihre Heimat bereits verlassen (die Schätzungen schwanken stark, sind aber durch die Bank hoch). Viele hofften, dass ihre Rückkehr möglich sein wird. Viele andere sind im Land geblieben und versuchten, sich den Zugriffen des Staatsapparats und der öffentlichen Hysterie zu entziehen und hofften auf Änderung. Ein Beispiel für diesen Widerstand von innen sei der offene Brief russischer Wissenschaftler*innen vom 24.02.2022. Solange Putin im Kreml sitze, würde das aber vermutlich nicht gelingen.

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