Freitag, 10. Juni 2022

Olaf Scholz diskutiert Star Wars mit Mitch McConnell, Dirk Moses, Barack Obama und Gerhard Baum - Vermischtes 10.06.2022

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) In Osteuropa ist das Bild des hässlichen Deutschen zurück – schuld daran ist Olaf Scholz

Die Bundesregierung weiss nicht, wie sie den Konflikt für die eigenen politischen Interessen nutzen soll. Daher wird Deutschland gegenüber Ländern verlieren, die eine Strategie besitzen. [...] Emmanuel Macron weiss wenigstens, was er nicht will. Er möchte in alter französischer Tradition den Charakter der EU als einer im wesentlichen westeuropäischen Union bewahren, um die französische Vormachtstellung in Europa zu zementieren. [...] Was aber will Deutschland? Olaf Scholz verzettelt sich in Kleinigkeiten, in einer Fehde mit dem ukrainischen Botschafter in Berlin etwa oder in einer Debatte, woher die Munition für den als Rüstungshilfe an Kiew vorgesehenen Gepard-Panzer kommen soll. [...] Ein bisschen Gratis-Pazifismus geht immer, solange die USA und die Nato die Sicherheit garantieren. Mit dieser Haltung setzten Politiker aller Parteien den Wunsch der Volksmehrheit um. Viele Menschen in Deutschland – und auch in der Schweiz – haben vor ihre Türe ein Schild mit der Aufschrift «Bitte nicht stören» gehängt. Sie wollen in Ruhe gelassen werden von den Zumutungen der Weltpolitik. Putin, der Störenfried, erinnert daran, dass dies eine Illusion war. [...] In der Euro-Krise gab Berlin noch die Richtung vor und entschied schliesslich über das Schicksal Griechenlands. Jetzt kann die Bundesrepublik dank ihrer Grösse und Wirtschaftskraft die Entwicklungen in der EU bremsen, aber sie gestaltet nicht. [...] Für Berlin hingegen hat sich der Einsatz im Osten gegenüber den neunziger Jahren noch einmal erhöht. Die deutsche Industrie hat Polen, Tschechien, die Slowakei zu ihrer verlängerten Werkbank erkoren. Je länger der Krieg dauert, je erbitterter gekämpft wird, umso mehr steigt das Risiko, dass die östlichen Mitglieder der EU destabilisiert werden. Es läge daher im deutschen Interesse, die eigenen Investitionen im Osten zu schützen. Dafür braucht man allerdings eine Strategie. (Eric Gujer, NZZ)

Gujers Beitrag ist schon insofern relevant, als dass er Frankreichs Deutschland durchaus entgegengesetzte Interessen thematisiert. Ja, Macron spricht viel über Europa, aber er sieht in der Union - wie Deutschland im Übrigen auch - vor allem ein Instrument zur Durchsetzung französischer Präferenzen. Das ist nicht grundlegend falsch; kein Land ist aus reiner Menschenfreundlichkeit Mitglied in der Union. Aber man muss es eben im Kopf behalten.

Ebenfalls relevant ist die Identifikation der deutschen Interessen als zu einem guten Teil mit denen Polen überlappend, zumindest was die Sicherung Osteuropas angeht. Die Chancen auf eine Art innereuropäisches "realignment", das auch die Achse Warschau-Budapest aufbrechen würde, wurden in den vergangenen drei Monaten immer wieder skizziert. Es ist eine merkwürdige Situation, aber ich sehe da wenig Potenzial. Deutschland und Polen mögen hier einige Interessen teilen, aber sie sind auf vielen anderen Feldern einander diametral gegenübergestellt. Eine wertegeleitete Außenpolitik macht es praktisch unmöglich, da einfach drüber wegzusehen. Und die ist nun mal auch im deutschen Interesse.

2) Den Kolonialismus erklären und die lähmende Opfermentalität in den Geschichtsbüchern Afrikas und des Nahen Ostens überwinden

1975, an der Universität Zürich, konnte der Historiker Rudolf von Albertini, noch ohne von uns Studenten ausgebuht zu werden, fragen: «Wie würden Südamerika, Nordamerika, Afrika, Indien, China heute aussehen, wären die Europäer zu Hause geblieben, hätte es also keinen Kolonialismus gegeben?» [...] Mit Engländern, Franzosen und Niederländern folgten die Dampfmaschine, der Explosionsmotor, die Elektrizität, das Flugzeug, der Transistor. Kolonialismus brachte beiden Amerika, Schwarzafrika und der Südsee die Schrift (so wie das römische Kolonialreich uns das Alphabet gebracht hatte) und den meisten Kolonien viel moderne Infrastruktur, zuerst in den Städten, später fast überall. Der Preis für diesen Transfer technischer Innovationen über 500 Jahre war hoch, besonders für die Sklaven. Weshalb trotzdem über entwicklungsfördernde Seiten des Kolonialismus sprechen? Nicht aus Stolz – sondern weil sich Europa gegenüber seinen Statuen-Stürmern und gegenüber Autokraten in Entwicklungsländern schwächt, wenn die Kolonialzeit nur diabolisiert wird. (Toni Stadler, NZZ)

Dieses Argument ist "Aber die Autobahnen!" für den Kolonialismus. Der Kolonialismus hat nichts entwickelt, er hat ausgebeutet. Allen kolonisierten Landstrichen ginge es heute besser, wären sie nie kolonisiert worden. Was die Europäer an Infrastruktur zurückließen, die nachher brauchbar war, ist zufälliges Nebenprodukt brutaler Ausbeutungsregime und wenig nutzbar. Und selbst wenn einige Eisenbahnlinien dabei herausgesprungen sind, so stehen sie in etwa im gleichen Missverhältnis wie der Yangtse-Staudamm und die Opfer des Großen Sprungs nach vorne, die Toni Stadler sicher auch nicht aufrechnen wollen würde. Es ist erschreckend, dass es immer noch Leute gibt, die diese These vertreten. Das dann auch noch als "Opfermentalität" zu bezeichnen ist schon ein starkes Stück.

3) What the President secretly did at Sandy Hook Elementary School

I went downstairs to greet President Obama when he arrived, and I provided an overview of the situation. “Two families per classroom . . . The first is . . . and their child was . . . The second is . . . and their child was . . . We’ll tell you the rest as you go.” The president took a deep breath and steeled himself, and went into the first classroom. And what happened next I’ll never forget. Person after person received an engulfing hug from our commander in chief. He’d say, “Tell me about your son. . . . Tell me about your daughter,” and then hold pictures of the lost beloved as their parents described favorite foods, television shows, and the sound of their laughter. For the younger siblings of those who had passed away—many of them two, three, or four years old, too young to understand it all—the president would grab them and toss them, laughing, up into the air, and then hand them a box of White House M&M’s, which were always kept close at hand. In each room, I saw his eyes water, but he did not break. And then the entire scene would repeat—for hours. Over and over and over again, through well over a hundred relatives of the fallen, each one equally broken, wrecked by the loss. After each classroom, we would go back into those fluorescent hallways and walk through the names of the coming families, and then the president would dive back in, like a soldier returning to a tour of duty in a worthy but wearing war. We spent what felt like a lifetime in those classrooms, and every single person received the same tender treatment. The same hugs. The same looks, directly in their eyes. The same sincere offer of support and prayer. (Joshua Dubois, Vox Populi)

Was auch immer man über seine Politik sagen will, es kann keinerlei Zweifel geben, dass Barack Obama der integerste Mensch seit vielen Jahrzehnten war, der im Weißen Haus saß. Auch das ist etwas wert. Wenn die Trump-Jahre eines gezeigt haben, dann, dass der Charakter des Präsidenten auf seine Untergebenen, auf die Institutionen und nicht zuletzt die Wählenden ausstrahlt. Er befriedet auch die eigene Seite. Ich glaube, das ist auch eine der unterschätzten Qualitäten Merkels. Die war auch, was auch immer man von ihrer Politik halten mag, die wohl integerste Person, die je das Kanzleramt innehatte, und es hat die Republik geprägt.

4) Shadows of the First World War loom over Germany’s ambiguous response to Russia

Odd though it seems, his Kaiser Wilhelm comment sheds some light on this. It is clear that parts of the German elite see not the Second but the First World War as the more relevant parallel to the present moment. To grasp the three main lessons they draw from the 1914-1918 conflict is to better understand the country’s actions – and inaction. [...] Why is it that these historical lessons seem to eclipse those of the 1930s for so many influential Germans? One explanation is the federal republic’s postwar tradition of treating Nazi crimes as an incomparable evil untethered from the “ordinary” flow of history. The Second World War is also complicated by a sense among some Germans of Russia as both victim and liberator in that conflict (a perspective that overlooks Ukraine’s horrific oppression at the hands of both Hitler and Stalin). The First World War by contrast plays a less complex role in the country’s remembrance culture, so is more easily appropriated for debates today. The collapse of the seemingly peaceful global order in 1914 feels resonant in a Germany that has thrived in the second, post-1989 era of globalisation which now seems to be buckling. Such factors are not only influential on the old-school pacifist left, but also among the corporatist bastions of Germany’s export industries and their political allies, and among older Germans who grew up in the shadow of Nazism’s evils. But these arguments have much less sway among younger Germans, centrist Atlanticists,- and many Greens shaped by their party’s transformative battles over the country’s intervention against ethnic cleansing in Kosovo in 1999. (Jeremy Cliffe, The New Statesman)

Die Frage, warum für uns in der deutschen Debatte die Appeasement-Analogie nicht relevant ist, halte ich für nicht sonderlich schwierig zu beantworten. Einerseits führte der von Cliffe angeführte Gedankengang dazu, dass wir sagen würden: "Ihr hättet uns früher angreifen sollen", was einerseits eine sehr merkwürdige Haltung ist (merkwürdig im Sinne der kognitiven Dissonanz für die Deutschen), andererseits aber auch uns aus der Verantwortung nähme und quasi den Alliierten über Bande die Schuld am Zweiten Weltkrieg geben, weil sie nicht früher Deutschland angegriffen haben. Das ist zurecht keine, die wir vertreten.

Die nicht unbedingt clevereren Parallelen zum Ersten Weltkrieg, die gerade in Mode sind und die offensichtlich Olaf Scholz' Denken ebenfalls prägen, hat Christopher Clarke ja selbst erledigt, indem er darauf hinwies, dass eine "Schlafwandler"-Situation offensichtlich nicht vorliegt, weil Putin bewusst einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat. Ein Schlafwandeln in den Konflikt à la 1914 ist da kaum mehr möglich. Als Seitenbemerkung: Clarke scheint mittlerweile resigniert zu haben und den Schlafwandler-Begriff für sich zu übernehmen; er wollte sein Buch ja gar nicht so nennen, das war der Verlag. Spannend, wie Begriffe manchmal ein Eigenleben entwickeln können.

5) Wumms

Das eigentliche Problem ist, dass Olaf Scholz das nicht zu vermitteln vermag. Das wiederum hat mit seinem vulkanischen Kommunikationsverhalten zu tun, das ihn zur ständigen Selbstkorrektur zwingt. Denn Scholz hat in seiner Selbstwahrnehmung immer für alles einen Plan. Das wird zum Problem, wenn sich die Lage ständig ändert und die Pläne angepasst werden müssen. In der Praxis führt es nämlich dazu, dass Begründungen für Verhaltensweisen aufgestellt und wieder einkassiert werden. [...] Wenn er dann alle überrascht hat, freut sich Scholz diebisch, dass ihn einmal wieder alle falsch eingeschätzt haben und die Kommentare in den Zeitungen alt aussehen. Aber Genugtuung ist keine Kategorie der politischen Kommunikation. Die Öffentlichkeit ist in einer Demokratie kein Gegner. Sie spendet Legitimation. Durch seine Unfähigkeit – beziehungsweise seinen Unwillen – Politik als Prozess zu verstehen, macht sich Scholz das Leben jedenfalls unnötig schwer. Und weil er Bundeskanzler ist, geht das alle etwas an. (Mark Schieritz, ZEIT)

Ich habe ja schon einen Artikel zum Thema geschrieben: die SPD und Olaf Scholz sind effektiv rotes Teflon, da perlt gerade alle diese Kritik ab. Ich halte das für ein Symptom, dass diese Kritik an seinem Kommunikationsverhalten (im Übrigen genauso wie die an Merkels zuvor) ebenso wenig die Realität der meisten Leute berührt wie das überschwengliche Lob für Habecks. Wie viele Leute schließlich schauen sich schon die Kommunikation von Politiker*innen im Original an? Dass das Journalist*innen ziemlich ankäst, glaube ich sofort, aber ich sehe nicht, dass es für Scholz oder die SPD deswegen schlechte Politik wäre. Ein bisschen Antagonismus zur Presse hat noch niemandem geschadet, bedenkt man wie niedrig sie im Ansehensranking der Bevölkerung steht. Das ist ein ganz eigenes Problem, aber sicher keines, das Scholz' Strategie für ihn falsch machen würde.

6) Anatomy of a fake

Thus the piece has failed the most basic journalistic standard: it has not provided evidence either for the sensationalistic headline or its core claims.  [...] What is the LGIS News Service you ask? The answer reveals much more about our media environment, and is even more disturbing than the botched story suggests. Local Government Information Services is the publisher of lots of local news media in Illinois, with titles like “Southern Illinois News” and “SW Illinois news.” LGIS is part much larger network of local news in multiple states. As local news media has disappeared “pink slime” outlets like LGIS have taken their place, relying on low-cost or automated content repeated across sites, and eschewing basic journalistic practices. Just how big and how connected these local news outlets is difficult to discern. In 2020, the New York Times counted about 1,200 connected local news outlets that had arisen in just 10 years. Behind this empire of pink slime is Brian Timpone, a conservative businessman and former journalist with a record of plagiarism and fabrication. It is not just that his media has an ideological outlook, or that it frequently uses deceptive practices such as the story detailed here. They are also directly funded by conservative advocates, a fact that is rarely disclosed to readers. [...] So why should intelligent people share a sensationalistic headline story from an unfamiliar source, with some pretty large gaps if they cared to look closely at the details. Blame it on motivated reasoning, a form of confirmation bias that makes us more critical of information that runs contrary to our ideological beliefs, but more credulous of information that aligns with those beliefs. In my own research I’ve pointed to the ways that motivated reasoning causes policymakers both to make decision-making errors and then double down when challenged. (Don Moynihan, Can we still govern?)

Grundsätzluch: motivated reasoning passiert allen Menschen, denn es ist einfach eine menschliche Grundeigenschaft. Wir müssen ständig aktiv dagegen arbeiten und kognitive Ressourcen aufwenden, um dem Effekt zu entgehen, und das kann einfach niemand 24/7 leisten. Deswegen ist es ja auch so wichtig, sich gegenüber Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu öffnen und der Kritik zu stellen. Nur, das kostet ebenfalls kognitive Ressourcen, die die meisten Menschen gar nicht und niemand 24/7 aufbringen kann und will, weswegen auch das kein Panacea sein kann.

Richtig eklig wird diese Angelegenheit aber wegen der Menge des involvierten Geldes. Hier nutzen reiche Interessen offensichtlich diese psychologischen Mechanismen, um die Welt aktiv schlechter zu machen. Und das nicht, weil sie konservative Ideen und Interessen vertreten (obwohl, das natürlich auch), sondern weil sie aktiv den Diskurs schlechter machen, Blasen schaffen und Menschen in zerstörerische Verhaltensmuster ziehen. Das ist falsch, egal für welche Seite es passiert, und ist nur möglich, weil diese Leute zu viel Geld haben, das sie in solche politische Beeinflussung und breitflächige Veränderung der Gesellschaft investieren können - was auch nur einmal mehr die demokratiezerstörende Wirkung großer Vermögen zeigt.

7) The Star Wars fandom's racism problem

Ingram plays the main villain in the new Star Wars show Obi-Wan Kenobi, a Jedi hunter named Reva. After the series' debut, the actress, who is Black, revealed on Instagram she's been bombarded with "hundreds" of racist and threatening messages, with one telling her "you're [sic] days are numbered" and another using the N-word. [...] Ingram's performance has drawn largely positive reviews, though some viewers have voiced criticism of her character. But even before the series came out, certain fans were already targeting Ingram online. One YouTube video released prior to the series premiere claimed Lucasfilm was "hiding behind diversity," using a racist slur in the thumbnail. Lucasfilm evidently saw the backlash coming, as Ingram told The Independent the studio warned her to prepare for racist abuse. [...] This sort of abuse has plagued the Star Wars community for years. But it has especially ramped up since 2015 as Lucasfilm strived to add greater diversity to the franchise with more women and people of color in lead roles. [...] This toxicity has grown more prevalent with the rise of social media, but even before Twitter, some actors in the Star Wars prequel trilogy had a similar experience. Ahmed Best, who played Jar Jar Binks, has said the backlash he faced was so intense, he considered suicide, and series stars Jake Lloyd, Hayden Christensen, and Daisy Ridley were also met with fan blowback. [...] Toxicity surrounding diverse casting has been particularly prevalent in the Star Wars community, but it's far bigger than one franchise. Some past examples include backlash to the casting of a Black actress to play Rue in The Hunger Games and a Black actress to play Hermione in the stage show Harry Potter and the Cursed Child. (Brendan Morrow, The Week)

Obi-Wan hat diverse Probleme, aber sicher nicht, dass Reva schwarz ist. Ich würde da eher auf die bestenfalls durchschnittlichen Drehbücher verweisen, die Ingram wahrlich keinen Gefallen tun. Aber das ist letztlich nicht der Kern dieser Debatte, denn den Hassenden geht es ja weder um ihren Charakter, noch das Drehbuch, noch ihre schauspielerischen Fähigkeiten. Ihnen geht es darum, dass die Welt von Star Wars (Star Wars!!!) keinen Platz für Schwarze und Frauen haben soll.

Diese Leute sind eine schmale Minderheit, aber sie sind sehr laut. Disney hat sehr lange gebraucht, um das zu erkennen, und wie der Artikel ausführt war die Reaktion des Konzerns auf solche Vorfälle in der Vergangenheit ziemlich schlecht. Das scheint sich wenigstens langsam zu bessern. Die Toxizität von Teilen des Nerd-Fandoms mag überraschen, aber dieselben Leute waren auch von Gamergate überrascht. Das ist die gleiche trübe Ursuppe, aus der diese Leute kommen, und ihre Stimme wird dadurch potenziert, dass ein gewisses Unbehagen über Diversität und Wandel vergleichsweise weit verbreitet ist.

8) No, Post-Nazi Germany Isn’t a Model of Atoning for the Past

Italians like the idea of the “uniqueness” of the Nazi crimes: this means that fascism was not so bad, and Italy clearly prefers to commemorate the victims of the Holocaust than those of its own genocide in Ethiopia. For the Ukrainians and the Tutsis, comparing the Holodomor to Auschwitz and speaking of a “tropical Nazism” does not mean diminishing the Holocaust, but giving recognition to their own victims. Those exhuming the corpses of the Spanish Republicans today speak of a Francoite Holocaust, whereas neoconservatives and “revisionist” scholars prefer to depict the Republic as a “Trojan horse” of Bolshevism and Franco as a patriot who, while despising democracy, ultimately saved Spain from totalitarianism. [...] Very often, comparison reveals historical entanglements. This is valid for synchronic events: Stalin’s crimes do not justify or trivialize Hitler’s crimes, and vice versa, but undoubtedly Stalinism and Nazism deeply interacted and influenced each other, by creating a spiral of radicalization that resulted in the apocalyptic clash of World War II. A similar entanglement — even if not synchronic — binds Nazi violence with the history of European and German colonialism. Holocaust studies usually ignored this genealogical link [...] (Enzo Traverso, Jacobin)

Das ist ein sehr langer Artikel, der die Katechismus-Debatte aufnimmt und einerseits gut zusammenfasst (inklusive Historikerstreit der 1980er Jahre und einem Gesamtüberblick über die jüngere deutsche Holocaust-Historiografie), andererseits aber auch wertvolle Punkte für den Vergleich mit dem Kolonialismus und vor allem dem Holocaustgedenken anderer Länder macht. Es ist tatsächlich auffällig, wie zentral das Holocaust-Gedenken für die ganze EU in den letzten 20 Jahren geworden ist, und Traverso hat sicher Recht damit wenn er feststellt, dass dies in vielen Ländern gerne genutzt wird, um von eigenen historischen Diskursen abzulenken.

So sehr ich grundsätzlich mit der Kritik an der deutschen Holocaustbewältigung auf dem Feld des Kolonialismus und des Vergleichs übereinstimme und so sehr ich in den letzten ein, zwei Jahren begonnen habe, von der Singularitätsthese abzurücken, so wenig kann ich Traversos in der Überschrift anklingende These unterschreiben, dass die deutsche Vergangenheitsbewältigung so schlecht wäre. Ja, es gibt viel zu kritisieren; der Kolonialismus ist eine mehr als peinliche Leerstelle und der Katechismus ist ein gewisses Problem. Aber: Deutschland geht mit den dunklen Seiten seiner Vergangenheit trotz aller Schwächen besser um als jedes andere Land. Wenn man sich im Vergleich Italien oder Japan (als Achsenmächte) ansieht, die USA und Großbritannien (mit Sklaverei und Empire) oder Frankreich und Belgien (mit ihren eigenen Kolonialverbrechen), dann sehen wir da echt nicht schlecht aus.

9) How Mitch McConnell Made the Senate Even Worse

The striking element of the tax cuts and the attempted repeal of the health law was the degree to which McConnell threw out the “regular order” to accomplish his ends. Instead of having the bills go through the Senate committees, with hearings, markups, and amendments, he convened a rump group of Republican senators behind closed doors to write the bills, leaving out key members of his own party in addition to shutting out Democrats. But despite sidelining most of them, McConnell did not lose any of his own on the tax cuts, although he did lose the key vote of John McCain on the repeal of Obamacare. [...] And it is clear that the Senate was pivotal—using and misusing the rules to stymie Obama, including his nominees for executive positions and especially judges; filibustering every initiative big and small; and then protecting and coddling Trump and his corrupt nominees from any significant consequence. [...] McConnell’s Senate was not just a body of “Hear no evil, see no evil, speak no evil” when it came to Trump; it was also a body where truth no longer meant anything and hypocrisy was the norm. [...] We are just beginning to see the dire consequences of this in radical Supreme Court decisions disrupting the fabric of American life. [...] Trump showed no appreciation for the reality that his presidency, with all its outrages, scandals, traitorous behavior, and widespread corruption, had been saved over and over by McConnell. Of course, larger trends in society and the political system are largely responsible for the current cancer in the American polity, a cancer that has metastasized from Washington to the states to the public as a whole. The Republican Party was on its way to becoming a radical cult before Donald Trump came along, and before Mitch McConnell became his party’s Senate leader. But individuals can matter in shaping the environment and determining the course of events. And McConnell has mattered—in a way that ensures he will be in the top list of villains when the history of this sorry period is written. (Norman Ornstein, Washington Monthly)

Ich lasse diese Rezension hauptsächlich hier um noch einmal darauf hinzuweisen, was für eine destruktive Kraft Mitch McConnell ist. Wenn es irgendwelche Leute in der Politik gibt, auf die das Label "böse" passt, dann ist er es. Der Mann hat ein Schreckensregime im Republican Caucus des Senats aufgebaut, hat so viel wie keine andere Person zur Polarisierung beigetragen, hat so viele Normen zerstört wie nie jemand zuvor und ist die größte Bedrohung für die US-Demokratie, die irgendeine einzelne Person haben kann. Dass er so harmlos scheint und aus dem Hintergrund wirkt, ist Teil seines Erfolgsrezepts. Man sollte diesen Mann keinesfalls unterschätzen.

10) FDP-Urgestein wirft eigener Partei Corona-Populismus vor

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) übt scharfe Kritik an der Corona-Politik seiner Partei und sieht darin einen Grund für das schlechte Abschneiden bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.  [...] Der Streit der FDP mit SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe viele Wähler verschreckt: "Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass alle anderen demokratischen Parteien, alle Bundesländer und die Wissenschaft auf dem Holzwege waren." Die FDP sollte "sich endlich selbstkritisch darüber klarwerden, dass ihre Verweigerung, dem Staat diese Schutzaufgaben zuzuweisen, zur Wahlniederlage, insbesondere bei älteren Wählern, wesentlich beigetragen hat", sagte Baum weiter. Besondere Verantwortung sieht Baum beim stellvertretenden FDP-Vorsitzenden und Bundestagsvizepräsidenten: "Wolfgang Kubicki, der diesen Kurs medienwirksam in vorderster Linie vertreten hat, gehört zu den Wahlverlierern in seinem Heimatland Schleswig-Holstein." Baum fügte hinzu: "Seine jüngsten Äußerungen lassen befürchten, dass er und ein Teil der FDP diese Politik im Herbst fortsetzen." Die Politik der FDP-Spitze sei "zeitweise ein Stück Populismus, dem die Wähler nicht gefolgt sind". (afp, T-Online)

So sehr ich Baums Kritik inhaltlich teile, so wenig halte ich von seinen Schlussfolgerungen. Ich habe absolut keine Geduld mehr für dieses Genre des "Weil die Partei nicht macht, was ich sage, verliert sie in den Wahlen". Es ist einfach nutzlos und reiner Krach, der die Debatte keinen Millimeter voranbringt und nur das in andere Worte verpackt, was man eh schon immer geglaubt hat. Ich finde die Haltung der FDP in der Corona-Debatte auch falsch, aber ich glaube keine Sekunde, dass sie deswegen in den Umfragen verlieren. Das ist genauso wie dieses "die SPD hat keine 40% mehr weil [hier Lieblingspolitik einsetzen]", das uns fast 15 Jahre lang begleitet hat.

Resterampe

a) Bei solchen Sachen ist man dann wieder froh über Gesundheitsminister Lauterbach.

b) Es ist zwar nur folgerichtig, auch Linksextremist*innen Platz in den Debattenspalten zu geben, aber es bleibt eine dumme Idee.

c) Das Ausmaß an Korruption in der Tory-Regierung ist echt krass.

d) Zur Abwechslung stimme ich Luisa Neubauer mal voll zu, ich fand Scholz' Reaktion auf den Katholikentagen auch unterirdisch.

e) Wer sich für die 100-Milliarden-Einkaufsliste der Bundeswehr interessiert, findet bei Augen geradeaus eine gute Aufstellung.

f) Ebenfalls für einschlägig Interessierte eine detaillierte Analyse der russischen Performance in der Ukraine.

g) Kreativer Umgang mit Statistiken und Zeiträumen, CSU-Edition. Man muss allerdings die Cojones loben.

h) Ich fand den Skandal um die SZ-Karikatur von Selensky ja übertrieben, aber wer sich für eine detaillierte Kritik mit historischer Unterfütterung interessiert, findet die hier.

i) Die GOP bereitet sich darauf vor, die Biden-Regierung nach der Wahl mit einer Serie von erfundenen Untersuchungen lahmzulegen. Benghazi auf Drogen, quasi. Die New York Times wird sicher ausführlich und neutral über jede davon berichten; das ist absehbar ein Riesenerfolg.

j) Radikale Republicans fangen an, Unternehmen zu canceln, die sich für Klimaschutz engagieren. Die GOP ist ein Todeskult.

k) Alternative Prüfungsformate und der Numerus Clausus, interessante Diskussion.

l) Absolut grandioser Überblick zur Historigraphie des D-Day und der Relevanz der Diskussion für die Gegenwart.

m) Guter Thread zu Timothy Snyders methodischen Problemen.

n) Spannende Studie aus Zürich zu der Arbeitszeitverteilung zwischen Männern und Frauen.

o) Entweder habe ich Stefan und seine Argumente zum Tankrabatt missverstanden oder er hat sich getäuscht.

p) Alan Posener fordert in der ZEIT die Einführung eines Unterrichtsfachs "Wehrkunde" und ich frage mich, was der Mann raucht.

q) Mal wieder zum Thema Autokultur und dass die Polizei da auf der falschen Seite steht.

r) Als Nachtrag zum Artikel über den Supreme Court hier Ohio, wo die Republicans ein Gesetz verabschiedet haben, dass es jeder (!) Person jederzeit (!!) erlaubt, das biologische Geschlecht von Kindern überprüfen zu lassen. Gar nicht radikal, nein.

s) Gleiches Thema hier noch ein Artikel über die historischen Schwächen von Alitos Argumentation. Die schlechtesten Historiker*innen der Welt, ich sag's ja.

t) Spannender Artikel über die Unterschiede im Konzept "gerechte Bezahlung" zwischen China und den USA.

u) Studie um Studie belegt, dass der Mindestlohn kaum negative, aber sehr viele positive Effekte hatte.

v) Täusch ich mich oder ist die Steuersenkung in beiden Fällen ein super ineffizientes Instrument und wären direkte Finanzhilfen WESENTLICH effizienter?

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