Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.
Fundstücke
1) Zuckerberg’s empire collapses
Despite this, Zuckerberg is betting his house on the metaverse: Meta employees tell me he has all but clocked out of running the embattled Facebook, Instagram and WhatsApp. Why worry about fixing their issues if the end goal is to make them obsolete? Facebook may have been passé for a decade or more now, but until recently it maintained an impressive revenue stream thanks to a somewhat dubious bit of activity tracking across mobile phones: if you had the Facebook app, it could see elements of what you did outside that app. This provided useful information for advert targeting, on Facebook and elsewhere, keeping profits high for years. Then Apple introduced the option to ‘ask app not to track’. More than 97 per cent of users opted out of ad tracking – and Facebook’s revenue took a huge hit. Sometimes such companies appear too big to fail, but in the tech world, empires can crumble as quickly as they are built. Ask Rupert Murdoch: in 2005 he forked out $580 million for MySpace when it looked like the world’s hottest internet firm. Two years later, it had 300 million registered users and was valued at $12 billion. Yet it was overtaken by Facebook (launched a year after MySpace) and later offloaded to an online ad company for around $35 million. When users decide to ditch one platform in favour of another, change can be brutal. [...] Despite his unpopularity among tech figures, Zuckerberg looks set to leave all of this behind in his move to the metaverse. The big question is whether he can build something responsibly. What’s to say that the metaverse doesn’t become a way to be abused and sexually harassed in virtual reality? The Wall Street Journal recently reported that when one of their female reporters visited one of Horizon’s most popular virtual worlds, the Soapstone Comedy Club, she was asked by a user in the virtual room to expose herself. With a user ratio currently of one woman to every two men on Horizon Worlds, this sort of behaviour is likely to be quite prevalent. (James Ball, The Spectator)
Ich finde es auffällig, wie an solchen Stellen die Nachteile der Unverantwortlichkeit von Firmenbesitzenden deutlich werden. Es gibt ja keine Instanz, die tatsächlich in der Lage wäre, jemanden wie Zuckerberg zu kontrollieren. Solange die großartige Entscheidungen treffen, ist das super, aber sie können den ganzen Laden halt auch an die Wand fahren. Aber im Kontext von Facebook wird die ganze Geschichte noch einmal problemtischer, denn diese Unverantwortlichkeit Zuckerbergs erstreckt sich auch auf andere Bereiche. Die genannte Belästigung von Frauen im Internet ist ja ein bekannt endemisches Problem, aber man denke mal an den Terror in Myanmar oder Sri Lanka, wo Facebook entscheidend dafür ist, ethnische Säuberungen stattfinden - und der Konzern viel zu wenig dagegen tut. Diese Unverantwortlichkeit Zuckerbergs zieht sich überall durch.
2) Zu radikal, zu woke, zu humorlos
Was ist diesmal der Vorwurf? Kurz gefasst und sinngemäß: Weil sich die jungen, identitätspolitischen Verfechter:innen dem engstirnigen, politischen Aktionismus verschrieben haben – und die Kritik an rassistischen Begriffen ernster nehmen als die Wertschätzung für die drei notorischen Schenkelklopfer, die ich deutschen Humor nennen möchte – würden sie die freiheitliche Debattenkultur bedrohen. Bei seinem Abgesang auf die Leichtigkeit geht es Jessen also eigentlich um etwas Größeres. Und zwar um die Verteidigung der Freiheit. Verzicht, Verantwortung, Selbstregulation, Anpassung, so charakterisiere die im Magazin stern erschienene Rheingold-Studie die Jugend der Gegenwart – "man könnte auch sagen Resignation und eine Empfindung von Unfreiheit", kommentiert Jessen. Dieses gesteigerte Verantwortungsbewusstsein äußere sich in der Empfindlichkeit gegenüber Rassismus oder Sexismus: "Allerdings zeugt dieser Protest ebenso wenig von jugendlichem Übermut und Freiheitsgenuss, sondern von gesteigertem Ernst, gesteigertem Verantwortungsbewusstsein. Die Jugend will nicht ihre Freiheit erweitern, sondern die unanständigen Freiheiten der Mehrheitsgesellschaft einschränken." [...] Und das bedeutet wiederum noch lange nicht, dass es da draußen eine Armee an jungen Wokies in ständiger Einsatzbereitschaft gäbe. Selbst wenn Aktivist:innen liberaler Identitätspolitik unter den Jugendlichen in der Mehrzahl wären, stünden sie der Mehrheitsgesellschaft nicht gegensätzlich oder gar feindlich gegenüber, wie es Jens Jessen beschreibt. Ganz im Gegenteil. Sie handeln im Geiste der Vorstellung, dass die Welt gerettet ist, sobald sich alle Einzelpersonen moralisch einwandfrei verhalten. Diese Idee entspringt einer individualistischen, spätkapitalistischen Mehrheitskultur und einer Ökonomie der Vereinzelung. Und diese Ordnung verteidigt das bürgerliche Feuilleton unter dem Stichwort der Freiheit mit am lautesten. (Seyda Kurt, ZEIT)
Es ist gut, dass Seyda Kurt im Artikel die Annahme in Zweifel zieht, dass die junge Generation eine "Armee junger Wokies" sei. Gleichzeitig macht sie aber den Fehler, eine pauschalisierende Annahme in die andere Richtung vorzunehmen. Ich habe eine Grundregel: jede Aussage, die sinngemäß mit "die Jugend von heute" beginnt, ist falsch. Sie war es schon immer, in jeder Generation, und sie ist es auch in diesem Fall. Wir reden von Millionen Menschen. Und die allermeisten interessieren sich für das, für das sich Jugendliche schon immer interessiert haben. Und das ist nicht das, worüber sich Kolumnist*innen aller politischen Schattierungen streiten.
3) The return of TINA & the impasse of 2022 inflation politics.
Instead, what has taken center stage is a feverish debate about the cost of living, price controls, the risk of Gilets Jaunes style protests. This is not by itself surprising. For far too many people, the cost of living crisis is acutely real. What is striking however is how seemingly disparate or even opposed strands of politics and policy debate have converged around what amounts to an anti-inflation consensus. If you frame inflation as a problem of the cost of living, it seems, there really is no alternative but to end inflation by all means necessary. Even Jacobin magazine - the flagship journal of the American new new left - whose beautiful new issue I had the pleasure of helping to launch a few weeks ago, chimes in with this chorus, denouncing inflation and unconventional monetary policy as an attack on the American working-class. [...] All of that is code for a world in which organized labour is stronger and in which workers receive not gratuitous handouts from socially minded employers to help with the grocery bills, but proper cost of living adjustments. [...] In Europe, wages even for highly organized German industrial workers continue to lag behind inflation. [...] So, no wage-prices spiral. Less fear of inflation? Less need to stamp on the monetary break? That is what would follow from the “classic” experience of the 1970s. That has been the orthodoxy for half a century. But that is not our world in 2022. Au contraire. What the IMF foregrounds is the real wage shock. If there is no wage price spiral, if expectations are backward-looking then as prices spike, real wages will fall. To prevent that, what policy should we adopt, in the interests both of working people and aggregate economic growth? The IMF’s conclusion seems clear: A severe does of anti-inflationary medicine, administered as soon as possible! (Adam Tooze, Chartbook)
Tooze beschreibt hier einen Zusammenhang, der mir deutlich unterdiskutiert scheint. Mir fehlt schlicht die Sachkenntnis, um die ganze Inflationsdebatte vernünftig nachvollziehen und kommentieren zu können, aber die schliche Tatsache, dass die Frage von Löhnen und Kaufkraft kaum diskutiert wird, ist nicht zu ignorieren. Die Diskussion um Maßnahmen der Zentralbank wird im blutleeren Ökonomensprech geführt; so spricht etwa das Institut Richard Bernstein Advisors davon, dass der "enge" Arbeitsmarkt nicht erlaube, "Auftriebsdruck" auf Löhne zu erzeugen, und dass es eine "Abnahme der Nachfrage nach Arbeit" brauche. Oder Clemens Fuest, der von "Nachfragedämpfung" spricht und eine "Erwartungsstabilisierung" erzeugen will. Was diese Leute sagen ist: wir brauchen eine Rezession und höhere Arbeitslosigkeit, damit die Leute die Klappe halten und mit dem zufrieden sind, was sie haben. Das mag oder mag nicht die Inflation beseitigen, und es mag für alle im Schnitt das beste sein. Erneut, mir fehlt die Fähigkeit, das zu beurteilen. Aber diese sich hinter Ökonomie-Sprech versteckende Debatte finde ich feige.
4) Gratulation zum Wahlsieg, Frau Postfaschistin!
In den vielen freundlichen Wünschen fand sich häufig die lobende Formulierung der »first female « im Amt. Vielleicht dachten sie ähnlich wie der Dalai Lama, dass eine Frau qua Geschlecht bessere, inklusivere Politik machen würde - oder zumindest die sichtbare Behauptung einer solchen darstellen könnte. (Welch ein Quatsch das ist, haben wir ja bei Le Pen gesehen.) [...] Leider sind öffentliche Gratulationen an eine Nationalistin aber leider genau Teil dieses Vergessens. Es gibt keine politische oder diplomatische Notwendigkeit, eine Frau wie Meloni auf Twitter zu ihrem Amtsantritt zu beglückwünschen. Selbst wenn man das Protokoll wahren möchte, reicht eine Mitteilung von einem Haus zum anderen - aber sich auf Social Media mit »looking forward working with you«-Beteuerungen anwanzen und so zur Normalisierung des Faschistischen beizutragen, ist so alarmierend wie geschichtsvergessen. Es gibt nichts zu zelebrieren, nichts freundlich wegzulächeln, nichts feierlich wegzutwittern, wenn der Rechtsnationalismus in Europa erstarkt. Das einzige was ich gelten lassen würde: Herzlichen Glückwunsch zum Wahlsieg, Frau Postfaschistin! (Samira El Ouassil, SpiegelOnline)
Dieselbe Verwirrung, die El Ouassil hier ausdrückt, ist in milderer Form auf der Linken bezüglich des Amtsantritts von Rishi Sunak entstanden. Ist der schlecht, weil er ein superreicher Goldman-Sachs-Banker ist, oder gut, weil ein indischstämmiger Mensch zum ersten Mal Prime Minister ist? Gleiches gilt für Le Pen oder eben Meloni: muss man als progressiver Mensch feiern, dass Frauen an der Spitze sind, oder ist das ausgeschlossen, weil man die dahinterstehende Politik ablehnt?
Ich sehe das folgendermaßen: die Diversität ist grundsätzlich eine gute Nachricht. Faschisten sind schlecht, klar, aber wenn die Faschisten soweit sind, dass sie eine Frau akzeptieren können, ist das besser als wenn die Faschisten weiterhin die Republic of Gilead gründen wollen. Ich hätte auch lieber Arbeiterklasse statt Kapitalistenklasse an der Macht und lieber eine sozialdemokratische als eine "neoliberale" (for lack of a better word) Politik, aber es ist trotzdem gut, dass die Tories mittlerweile problemlos Menschen mit Migrationshintergrund akzeptieren (sogar problemloser als Labour, nebenbei bemerkt).
Und was das Gratulieren angeht: wir werden mit Meloni zusammenarbeiten müssen, und anders als bei Orban und Konsorten gibt es bei ihr sogar Potenziale für eine solche Zusammenarbeit. Weil sie konstruktiv mit der EU zusammenarbeiten will und muss, haben wir auch grundsätzlich etwas Einfluss darauf, was in Italien passiert. Und ich hielte es für fahrlässig, das wegzuwerfen. Daher teile ich diese Kritik nicht so unbedingt. Aber vielleicht seht ihr das anders...?
5) Beyond Catastrophe A New Climate Reality Is Coming Into View
For decades, visions of possible climate futures have been anchored by, on the one hand, Pollyanna-like faith that normality would endure, and on the other, millenarian intuitions of an ecological end of days, during which perhaps billions of lives would be devastated or destroyed. More recently, these two stories have been mapped onto climate modeling: Conventional wisdom has dictated that meeting the most ambitious goals of the Paris agreement by limiting warming to 1.5 degrees could allow for some continuing normal, but failing to take rapid action on emissions, and allowing warming above three or even four degrees, spelled doom. Neither of those futures looks all that likely now, with the most terrifying predictions made improbable by decarbonization and the most hopeful ones practically foreclosed by tragic delay. The window of possible climate futures is narrowing, and as a result, we are getting a clearer sense of what’s to come: a new world, full of disruption but also billions of people, well past climate normal and yet mercifully short of true climate apocalypse. (David Wallace-Wells, New York Times)
Ich habe das auch auf Twitter kommentiert, will hier aber etwas ausführlicher darauf eingehen. Für Axel Bojanowski und Frank Lübberding war das der Beleg dafür, dass die Klimaaktivist*innen und die Wissenschaft grotesk übertreiben, aber für mich machen sie hier denselben Fehler wie all jene, die gerne triumphierend darauf hinweisen, dass die Horrorszenarien des "Club of Rome" mit seinem Bericht zu den "Grenzen des Wachstums" nicht eingetroffen sind. Sie ignorieren entweder oder verstehen schlicht nicht, was "Szenarien" sind.
Denn genauso wie der Club of Rome seinerzeit haben auch die Klimaforschenden stets verschiedene Szenarien gehandhabt. Das schlimmste war dabei immer das "wir machen exakt so weiter wie bisher", also eine lineare Fortschreibung des Status Quo. Das sorgt natürlich für aufregend-katastrophale Szenarien, die dann auch viel rezipiert werden, aber sowohl der Club of Rome als auch die Klimaforschenden haben das ja nie für das wahrscheinlichste Szenario gehalten.
Stattdessen ist das wahrscheinlichste eines der mittleren Szenarien. Und sieht man sich diese an, waren die Vorhersagen des Club of Rome beeindruckend genau und sind es auch weiterhin. Gleiches gilt für die Klimaforschenden. Dass wir nämlich die 1,5-Grad nicht werden halten können, ist mittlerweile ja schlicht einfach akzeptiert - und genau das wurde auch vorhergesagt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: gerade die Warnungen der Aktivist*innen haben Handlungsdruck erzeugt, dessen Resultate das Horrorszenario abgewendet haben - was nun ausgerechnet die Gegner*innen als Beleg für die Überflüssigkeit dieses Handlungsdrucks hernehmen. There's no glory in prevention.
6) Welcome to the world of the polycrisis
Former European Commission president Jean-Claude Juncker, to whom we owe the currency of the term polycrisis, borrowed it in 2016 from the French theorist of complexity Edgar Morin, who first used it in the 1990s. As Morin himself insisted, it was with the ecological alert of the early 1970s that a new sense of overarching global risk entered public consciousness. So have we been living in a polycrisis all along? We should beware complacency. In the 1970s, whether you were a Eurocommunist, an ecologist or an angst-ridden conservative, you could still attribute your worries to a single cause — late capitalism, too much or too little economic growth, or an excess of entitlement. A single cause also meant that one could imagine a sweeping solution, be it social revolution or neoliberalism. What makes the crises of the past 15 years so disorientating is that it no longer seems plausible to point to a single cause and, by implication, a single fix. Whereas in the 1980s you might still have believed that “the market” would efficiently steer the economy, deliver growth, defuse contentious political issues and win the cold war, who would make the same claim today? It turns out that democracy is fragile. Sustainable development will require contentious industrial policy. And the new cold war between Beijing and Washington is only just getting going. Meanwhile, the diversity of problems is compounded by the growing anxiety that economic and social development are hurtling us towards catastrophic ecological tipping points. (Adam Tooze, Financial Times)
Ich fürchte, dass Tooze hier zumindest ein wenig den Fehler vieler Menschen begeht, wenn sie zurück in die Geschichte blicken, und die Rückschau nutzen, um festzustellen, dass damals alles einfacher war, während es heute viel, viel komplizierter ist. Ich halte den Begriff der Polikrise für absolut korrekt und geeignet, um den aktuellen Status zu beschreiben, aber die Menschen in den 1970er Jahren haben mit Sicherheit nicht das Gefühl gehabt, die Krise sei auf einen einzigen, leicht zu behebenden Faktor zurückzuführen. Von der Ölkrise zur Stagflation, dem Wertewandel, dem Terrorismus, dem Aufstand von Teilen der Jugend gegen das Establishment und vielem mehr waren die 1970er eine Phase starken Umbruchs, die es in meinen Augen locker mit der heutigen Zeit aufnehmen kann. Aber so formuliert ergibt das natürlich eine wesentlich knackigere These für eine Kolumne.
7) By Buying Twitter, Elon Musk Has Created His Own Hilarious Nightmare
It’s true that Musk has said, “I don’t care about the economics at all.” But even as the richest man on earth, he has to care about them. He has a current estimated net worth of $220 billion, but that’s not $220 billion in cash sitting in a bank vault — it’s mostly tied up in his stakes in Tesla and SpaceX. Thus to cover big Twitter losses, he would have to sell off more of his stock every year. This would be painful in monetary terms but more so in terms of power: Eventually he would get into a situation in which he could lose control of the companies, Tesla in particular. Moreover, Tesla is publicly traded, and while it’s fallen 45 percent since its high a year ago, it remains way overvalued by normal metrics. Right now its price-earnings ratio is 70. The historical average for the S&P 500 is about 15. The price-earnings ratio for both Ford and GM right now is 6. This is why Musk hit the ground running with a groveling attempt to propitiate advertisers. He absolutely must keep them happy. And that’s where the hilarity begins. Musk has engaged in endless paeans to the glory of free speech and the need to end Twitter’s invidious censorship. This clearly isn’t a subject he’s thought deeply about, since he said back in May that Twitter should delete “tweets that are wrong and bad.” Still, his vague pronouncements have given him a legion of right-wing acolytes who feel they’ve been ill-treated by Twitter. But they are not Musk’s constituency now. Advertisers are. Even if Musk had some genuine commitment to free speech (which he absolutely does not), it would be essentially impossible for him not to continue significant content moderation. As he put it, “Twitter aspires to be the most respected advertising platform in the world that strengthens your brand and grows your enterprise.” That’s why, after a brief nod to his wish for Twitter to be a place “where a wide range of beliefs can be debated in a healthy manner,” he quickly pivoted to telling advertisers that “Twitter obviously cannot be a free-for-all hellscape, where anything can be said with no consequences! In addition to adhering to the laws of the land, our platform must be warm and welcoming to all.” This could have been the mission statement of pre-Musk Twitter. But now there’s one big difference: When the content moderation of Twitter remains largely the same, the sense of betrayal among Musk’s super-fans will explode with the force of a supernova. And they will scream at Musk about it nonstop — on Twitter. (Jon Schwartz, The Intercept)
Das Genre der "Masters of Capitalism get bitten in the ass by capitalism" wird nie aufhören, mich zu amüsieren. Ich halte die Voraussage für weitgehend korrekt, wenngleich sich die User-Experience auf Twitter ziemlich sicher unter Musk verschlechtern wird (und nein, es wird keine große Migration zu Mastodon geben). Besonders eklig wird es, wenn Leute wie Trump zurückkommen, aber vor allem deswegen, weil die Mainstream-Medien wieder anfangen werden, über deren Tweets zu berichten. Denn das ist das schmutzige Geheimnis hinter der ganzen Chose: Twitter hat trotz allem nur 300 Millionen Nutzer*innen. Was ein Trump da schreibt, wäre egal, wenn die New York Times nicht über jeden Tweet berichten würde. Und diese Berichte sind unglaublich billig geschrieben, das kann der Praktikant im Hinterzimmer erledigen, generieren aber Klicks.
8) Braucht auch Deutschland die Bombe?
Die typisch deutsche Idee, sich finanziell am französischen Nuklearwaffenprogramm zu beteiligen, um so irgendwie teilzuhaben, brauchte man ihr nicht mehr zu unterbreiten – über die haben die Franzosen schon gelacht. Als ob die stolze Nuklearmacht Frankreich sich davon abhängig machen würde, dass der Deutsche Bundestag, der Paris schon manches Rüstungsgeschäft verdorben hat, der Anschaffung von Bomben und Raketen zustimmen würde! Ils sont fous ces Allemands! Für völlig verrückt kann man allerdings auch diesseits der Maginot-Linie erklärt werden: Wenn man vorschlägt, dass Deutschland sich wie sein Nachbar einen eigenen Atomschirm anschaffen solle. Die deutsche Bombe würde, weil man nicht mehr auf die Opferbereitschaft befreundeter Nuklearmächte angewiesen wäre, das Glaubwürdigkeitsproblem der erweiterten Abschreckung beseitigen. Doch noch bei der Wiedervereinigung waren auch Verbündete froh, dass Deutschland den Verzicht auf eine Atomrüstung, den es schon durch den Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag erklärt hatte, im Zwei-plus-vier-Vertrag bekräftigte. Dieses Abkommen hat anders als der Nichtverbreitungsvertrag keine Rücktrittsklausel. Die braucht er allerdings auch nicht, da es keine politische Kraft in Deutschland gibt, die auf diese Weise Selbstmord begehen möchte. Der Verzicht auf eigene Atomwaffen, der bis in die Siebzigerjahre hinein in Deutschland umstritten war, wird ein paar Generationen nach Franz Josef Strauß als von der deutschen Vergangenheit und der politischen Vernunft erzwungene Ewigkeitsentscheidung betrachtet. Wie wollte man auch weiter gegen die – gefährliche – Ausbreitung der Atomwaffen in der Welt sein, wenn man sie sich selbst zulegte? (Berthold Kohler, FAZ)
So sehr ich Kohler darin zustimme, dass Deutschland naiv ist, sich einfach auf den Atomschutzschirm der USA (oder gar Frankreichs oder Großbritanniens, deren Schirme sehr viel nationaler konstruiert sind) zu verlassen, umso absurder ist seine Vorstellung einer deutschen Atombombe. Ausgerechnet der Herausgeber der FAZ, die wie kaum ein anderes Blatt in der ganzen Euro-Krise im Speziellen und bei Staatsschulden allgemein ständig mit dem Argument der Einhaltung von Verträgen trommelt, schlägt hier mal en passant vor, dass Deutschland sämtliche Verträge bricht, auf denen die Einordnung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft seit 70 Jahren beruht. Selbst wenn wir den Nichtverbreitungsvertrag, zu dessen Erstunterzeichnenden wir gehören, einfach mal kurz nur Papier sein lassen, so basieren auch die 2+4-Verträge zur deutschen Einheit darauf, dass Deutschland keine Atomwaffen entwickelt. Diese ganze Idee ist so ein Non-Starter, das ist geradezu absurd.
9) A Political Party Unhinged From Truth
After his arrest, while languishing in a federal jail cell, Haven learned that the Democratic representative was a father and grandfather, just like he was. When he shared this revelation with the judge during his sentencing, he marveled, “There’s so much more to know about people than we hear about in the news.” [...] But as my reporting proceeded through the tumultuous end of Trump’s presidency and beyond the madness of January 6, 2021, I frequently encountered Republicans who, like Haven, could not conceive of Trump’s adversaries possessing human attributes. Instead, they viewed Democrats, government bureaucrats, and members of the media like me as any combination of Communists, traitors, swamp creatures, and human scum. [...] To be clear: I am not referring to the sort of spinning, caricaturing, or routine dissembling one comes to expect from political campaigns of both parties. Rather, it is the wholesaling and mass consumption of dangerous, dehumanizing lies that concerns me. And in this regard, there is simply no question as to which party is guiltiest. [...] I heard Republicans express these sentiments about their political adversaries intermittently before the 2020 presidential election, but with vehement near universality after Trump lost. [...] It took months of reporting before I fully appreciated the pervasiveness of the Big Lie. As I came to learn, the hallucinatory claim that a grand if largely unnamed conspiracy managed to snatch victory away from Trump and hand it to Joe Biden is not a trivial, stand-alone falsehood. Instead, it has become as central to the MAGA belief system as the crucifixion of Jesus is to Christianity. It affirms the martyrdom of their revered leader as well as the incorrigibility of his persecutors. Furthermore, it encourages the belief that the former president’s imagined adversaries across the globe have colluded with domestic malefactors to undermine all manner of American liberties. (Robert Draper, The Atlantic)
Was in den USA gerade passiert ist die rapide Entwicklung einer vormals demokratischen Partei zu einer protofaschistischen. Das bezieht sich nicht nur auf die immer offener antidemokratischen politischen Einstellungen wie die Bereitschaft, Wahlergebnisse zu fälschen oder Menschen das Wahlrecht zu entziehen, die auf der anderen Seite stehen. Es wird auch im Verhältnis zu Gewalt immer deutlicher. Die republikanische Partei ist nicht mehr weit davon entfernt, Gewalt als legitimes Mittel im politischen Streit anzuerkennen. Allein der MAGA-Terrorismus seit Januar 2021 spricht Bände.
Das ist allerdings in der amerikanischen Geschichte nicht neu. Gewalt gehörte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zum Standardrepertoire. Am krassesten trieben das die damaligen Democrats im Süden der USA, die aktive Putsche durchführten (am offensichtlichsten in Wilmington 1898) und zahlreiche Terrororganisationen, am promintesten den Ku-Klux-Klan, unterstützten, die offen Politiker ermordeten, die die geltende Rechtslage umzusetzen versuchten. Noch in den 1930er Jahren wehrten sich die südlichen Democrats offen dagegen, dass Gesetze gegen die weit verbreitete Praxis des Lynchens eingeführt würden, und in den 1950er Jahren musste Präsident Eisenhower Soldaten abstellen, um zu verhindern, dass Mobs Afroamerikaner*innen ermordeten, die ihre Bürgerrechte ausüben wollten.
Diese Strömungen haben mittlerweile ihre Heimat in der republikanischen Partei gefunden, nachdem sie einige Jahrzehnte dank des langfristigen Realignments beider Parteien heimatlos gewesen waren. Diese Entwicklung ist ungemein gefährlich. Der jüngste Terroranschlag auf Nancy Pelosi etwa zeigt die Bereitschaft der MAGA-Aktivist*innen zu tödlicher Gewalt einerseits, aber auch die Akzeptanz dieser Gewalt durch die republikanische Partei andererseits. Man muss sich nur einmal ansehen, wie offen sich viele Kandidat*innen der GOP in Wahlwerbung mit Schusswaffengewalt inszenieren. Das sind zahlreiche Pulverfässer, um die herum jeweils hunderte Leute mit Streichhölzern spielen. Das muss zu Explosionen führen.
10) Was 100.000 Tote zusätzlich mit dem Klimawandel zu tun haben
Die Daten deuten daher stark darauf hin, dass der vergangene Hitzesommer in Europa rund 100.000 Menschenleben gekostet hat. Es ist kaum begreiflich, dass dies den meisten Medien kaum eine Fußnote wert ist. Die meisten Opfer gab es in der Altersgruppe ab 65 Jahren. Gerade für Senioren erweist sich die fortschreitende Erderwärmung damit als echter Killer. Dass extreme Hitzewellen bereits um ein Vielfaches häufiger geworden sind aufgrund der durch fossile Brennstoffnutzung verursachten Überhitzung unseres Planeten, ist wissenschaftlich belegt . Ebenso die Tatsache, dass gerade Europa ein Hotspot zunehmender Hitzewellen ist . Wir sollten daher – wie Frankreich nach der Katastrophe 2003 – unbedingt bessere Vorsorge für künftige, noch schlimmere Hitzewellen treffen. [...] In diesem Frühjahr gab es bereits in Indien und Pakistan eine wochenlang anhaltende Hitzewelle mit verbreitet Temperaturen weit über 40 Grad Celsius, bis zu 49,5 Grad Celsius in der Stadt Nawabshah; die Wahrscheinlichkeit dieser Hitze hat sich durch die Erderwärmung verdreißigfacht . Im Golfstaat Katar dürfen bereits seit Mai 2021 Arbeiter im Sommer zwischen 10 und 15.30 Uhr nicht mehr im Freien arbeiten. Und die Überhitzung unseres Planeten wird mit jedem Jahr des politischen Zauderns und Vertagens nur schlimmer. Wir können die Erderwärmung später nicht zurückdrehen, wenn es uns endgültig zu heiß geworden ist, denn der von uns einmal verursachte CO₂-Anstieg in der Atmosphäre wird viele Jahrtausende Bestand haben. Wir können ihn nur in letzter Minute stoppen, indem wir die Emissionen so schnell wie möglich auf null bringen. Die Rezepte dafür hat der Weltklimarat IPCC in seinem aktuellen Bericht ausführlich dargelegt. (Stefan Rahmstorf, SpiegelOnline)
Die Frage, warum über diese Themen nicht berichtet wird, lässt sich recht einfach beantworten. Die Problematik liegt in der Dynamik der Situation, oder besser gesagt, ihrem Fehlen. Es ist einfach irrsinnig schwer, Schlagzeilen aus diesem Thema zu machen. Alles geschieht an disparaten Orten, zu verschiedenen Zeiten, und nicht eindeutig belegbar. Die Corona-Pandemie war in den Schlagzeilen, als Kinderspielplätze geschlossen wurden und in Italien und Spanien Massengräber ausgehoben werden mussten, nicht, als still und leise ein kleiner Selbstständiger nach dem anderen Konkurs anmelden musste oder täglich leise, für sich, hundert Menschen in Deutschland an Covid starben. Der Klimawandel wird in die Schlagzeilen kommen, wenn wieder wie im Ahrtal plötzlich Tausende betroffen sind, wenn in Indien und Pakistan riesige Flüchtlingsbewegungen beginnen, um der tödlichen Hitze zu entkommen, und die Region destabilisieren.
Und das führt zu meinem zweiten Punkt. In Deutschland sind die Folgen der Klimakrise vergleichsweise überschaubar. Aber die Naivität, die viele Menschen an den Tag legen, zu glauben, dass wir deshalb halbwegs geschützt wären, ist für mich unbegreiflich. Wenn, wie die Prognosen nahelegen, weite Teile der Welt unbewohnbar werden, in den aktuell hunderte Millionen Menschen leben - wie um Gottes Willen sollen wir da weitermachen? Wir sind nicht von der Hitze selbst direkt bedroht - obgleich die schon echt unangenehm werden wird - sondern von den Kaskadeneffekten weltweit. Diese Ignoranz wird uns teuer zu stehen kommen.
Resterampe
a) Einer der beiden Autoren der Liz-Truss-Biografie hat amüsant den Arbeitsprozess und seine Haltung zur Mememifizierung seines Buches beschrieben.
b) Als Ergänzung zu meinem Midterms-Artikel interessieren sich vielleicht einige für diesen Expert*innen-Roundtable.
c) Climate change is here to stay. Sehe ich genauso.
d) Mal wieder zur Eigenleistung der Milliardäre.
e) Zu Fundstück 9 ganz passend.
f) Zu Fundstück 8: überrascht jemand, dass Elon Musk Verschwörungstheorien über den Anschlag auf die Pelosis verbreitet?
g) CNN hat eine gute Übersicht zu den Gründen, warum Soldaten zu kämpfen aufhören.
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