Montag, 2. November 2009

Buchbesprechung: Wolfram Knorr - Denn sie wissen, was sie tun

Wenn wieder einmal ein Jugendlicher mit allerlei Waffengerät seine alte Schule aufsucht und dort scheinbar wahllos mordet, ist der Schuldige in den aktuellen Diskussionen immer schnell gefunden: die bösen Computerspiele müssen es sein! Schießt man nicht in Counterstrike auf Omas und Mütter mit Kinderwagen, weil das Extrapunkte bringt? Stand zumindest so in der FAZ, nicht? Meistens ist diese Art der Verantwortungszuweisung auch mit dem Hinweis verbunden, dass es „so was“ früher nicht gegeben habe und dass der ganze Kram aus Amerika kommt, das ohnehin ein kultureller Sündenpfuhl ist.

Wolfram Knorr, seinerseits Filmkritiker und Jahrgang 1944, hat praktisch die gesamte Massenkulturgeschichte der BRD am eigenen Leib erlebt und reflektiert diese in seinem aktuellen Buch „Weil sie wissen, was sie tun – Über den Siegeszug der amerikanischen Unterhaltungsindustrie“. Er befasst sich dabei mit der Kulturkritik, wie sie zu allen Zeiten in Deutschland geübt wurde – und durchbricht damit geistige Konventionen, was einer wahren Revolution gleichkommt. Ich sage es gleich zu Anfag weg: dieses Buch ist eine Offenbarung und sollte Pflichtlektüre eines jeden Menschen sein, ob jung oder alt. Es lohnt sich.

Warum es sich lohnt, zeigt vielleicht am besten ein Zitat des bekannten Herrn Knigges vom Vorabend er französischen Revolution, das Wolfram Knorr mit geradezu diebischer Freude immer wieder aufblitzen lässt. In diesem Zitat wendet sich Knigge gegen die „Vielleserei“ der Jugend, die zu dieser Zeit wegen der rapiden Verbilligung des Buchdrucks mehr und mehr in Mode kommt. Die viele Leserei mache schwach, weich und lenke vom wahren Leben ab, das doch in Pflichtbewusstsein und Frömmigkeit bestehe – so oder ähnlich Knigge. Bereits dieses eine Zitat dekonstruiert sämtliche Kritik an den Computerspielen. Doch Knorr lässt es nicht dabei bestehen. Er zeigt die spätere Kritik an Kotzebue Anfang des 19. Jahrhunderts auf, der heute kaum mehr bekannt ist, dafür damals aber die Theater füllte – deutlich besser als der bereits zu jener Zeit subventionierte Goethe. Später erregte sich das öffentliche Gemüt am Roman, der die Jugend verkommen lasse, danach waren es die Wildwestgeschichten, bald folgten Comics, Rockmusik, der Film, Rollenspiele – heute sind es Computerspiele. Knorrs einzigartiger Verdienst liegt darin, dies in seinem Buch als empirisch zu belegen und in launiger Erzählweise in eine direkte Reihe zu stellen, so dass die ganze Ärmlichkeit dieser Kritik offenbar werden muss.

Und das ist wahrlich mehr als nötig, bedenkt man die blödsinnigen Diskussionen um das Verbot von „Killerspielen“ und Stoppschilder im Internet, die bevorzugt aus der bayrischen Provinz oder anderweitig deutlich staubenden CDU-Denkstuben herstammt. Knorr deklassiert alle diese Diskussionen mit seinem Buch so gründlich, wie das nur irgendmöglich ist – und bleibt dabei ungeheuer interessant und spannend. In spritziger Erzählweise berichtet er von den selbsternannten Sittenwächtern aller Zeiten, die sich gegen das jeweils Neue, das die Jugend gerade gut findet, wenden, da es angeblich die Sitten zerstöre. Besonders die Erzählungen aus seiner Kinheits- und Jugendzeit in den 1950er und 1960er Jahren wissen dabei zu überzeugen, aber auch seine späteren (bzw. früheren) Einlassungen müssen nicht zurückstecken.

Die engmaschige Definiton von „Kultur“ in Deutschland, die völlige Freudlosigkeit an derselben, ist etwas, das wohl eine Schülergeneration nach der anderen zurecht beklagt. Hauptsache, der Autor ist schon möglichst lange tot, sein Text möglichst bedeutungslos, dabei aber ungemein geschwurbelt und unverständlich, dann wird’s schon Literatur sein – so oder ähnlich scheint vieles sich zusammenfassen zu lassen.

Knorr räumt damit auf. Sein Alter macht ihn dabei der allzu großen Fraternisierung mit der Jugend unverdächtig, stattdessen hat er recherchiert und sich unvoreingenommen mit der Materie beschäftigt, was besonders im Kapitel über die Neuen Medien offensichtlich wird. Daumen hoch für dieses Buch und eine Kauf- und Leseempfehlung, wie sie deutlicher eigentlich nicht sein kann.

3 Kommentare:

  1. Danke für den Tip! Direkt bestellt.

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  2. Ebenfalls danke für den Hinweis. Nur habe ich mir nicht dieses Buch bestellt, sondern sein Vorgängersachbuch "Monster, Movies, Macht und Massen. Amerikanische Kultur: 200 Jahre Lust und Last" (2000) aus der Bibliothek besorgt. Bin nicht enttäuscht worden bisher und kann nur hoffen, im Alter noch genauso gelassen zu bleiben wie Knorr gegenüber Bedrohungen durch neue Medien.

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  3. Vielen Dank für den Buchtipp! Ich habe mir das Buch vor ein paar Tagen gekauft und bin schon bis Kapitel 3 gekommen. Vieles was mir schon in der Schule gestunken hat wird direkt von Herrn Knorr angesprochen. Die Textauswahl die sich nicht mit der Realität beschäftigt, die ständige Nabelschau. Damals war mir nicht bewusst, warum ich manche Sachen so ungern gelesen habe, bei diesem Rückblick wird mir vieles klarer. Gerade für mich als Bücherwurm sehr befreiend. Comics lese ich übrigens auch sehr gerne, die werden ja immer noch als anspruchslos niedergemacht :-)

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