Donnerstag, 31. Mai 2012

Eine Kommunikationsstrategie für die LINKE

Von Stefan Sasse

In den NachDenkSeiten schreibt Jens Berger unter der Überschrift "Zu neuen Ufern" über die Zukunftsaussichten der LINKEn. Nüchtern analysiert er dabei die aktuelle Situation und die Entwicklung seit dem Ende der Großen Koalition und kommt zum Ergebnis, dass die Partei derzeit schwach dasteht. Medial kaum wahrgenommen, ohne Sperrminorität im Bundesrat und in einen Führungsstreit um die Parteispitze verwickelt sind ihre Chancen aktuell nicht berauschend. Das unrühmliche, aber selbst verschuldete Ende Oskar Lafontaines hat sich da auch keinesfalls hilfreich ausgewirkt. Die Ursache erkennt Berger hauptsächlich in einer Art Medienblockade, einem Totschweigen inhaltlicher Positionen der LINKEn. Tatsächlich werden die Forderungen der Partei in den Medien kaum diskutiert, und Axel Troost und Michael Schlecht generieren in einer SpiegelOnline-Suche trotz allen Sachverstands kaum Treffer. Was Jens Berger hier allerdings meines Erachtens nach übersieht ist, dass die Medien generell nicht über Inhalte berichten. Wann gab es denn zuletzt eine Beschäftigung mit inhaltlichen Positionen von Hinterbänklern anderer Parteien? Karl Lauterbach zum Beispiel arbeitet seit mehreren Legislaturperioden an der Dauerbaustelle Gesundheitssystem, ohne dass man seine Thesen großartig diskutieren würde, und der Mann mit der beachtlichen Modetoleranz bei Halsschmuck ist mit einigen Talkshow-Auftritten sogar noch halbwegs prominent. Welche inhaltlichen Positionen von CDU- oder Grünen-Abgeordneten wurden denn ernsthaft diskutiert, wenn sie nicht irgendwie gleichzeitig skandalträchtig waren? 

Mittwoch, 30. Mai 2012

War das Ende der amerikanischen Ureinwohner Völkermord?

Von Stefan Sasse

Häuptling Spotted Elk tot am Wounded Knee, 1890
Als Kolumbus auf den mittelamerikanischen Inseln landete, die er selbst für Indien hielt und die sich später als Teil eines eigenen, den Europäern unbekannten Kontinents herausstellten, lebten mehrere Millionen Ureinwohner in Nordamerika. Benannt wurden sie, quasi um Kolumbus Irrtum bis in alle Ewigkeit zu zementieren, Indianer. Im Gegensatz zu den Spaniern, Portugiesen und Franzosen, die in den nächsten 300 Jahren alle versuchten, an den Reichtümern des neuen Kontinents teilzuhaben, gründeten die Briten Siedlerkolonien und schufen, nolens volens, einen neuen Staat: die USA. Dieser war von einem starken Sendungsbewusstsein durchdrungen und hatte es sich von Anfang an zum Ziel gemacht, seine Grenzen nach Westen zu erweitern. In diesem Gebiet der Prärien, schroffen Gebirgszüge und tiefer Wälder schien es keine Vorbesitzer zu geben, das Land gehörte also demjenigen, der es sich zu nehmen bereit war. Die Indianer, die zu dieser Zeit noch einige Millionen zählten, waren zu einem guten Teil Nomaden, insgesamt aber in den Augen der Weißen vor allem eines: rechtlos. Sie konnten keine Ansprüche auf das Land anmelden, die Amerikaner schon. Was folgte, ist aus Winnetou und Lucky Luke sattsam bekannt: gebrochene Verträge, Reservate, Vertreibungen, Aufstände, Tod. Am Ende des 19. Jahrhunderts, als die USA den Kontinent von West nach Ost komplett bedeckten und ihn halbwegs erschlossen hatten, lebte nur noch ein Bruchteil der einstigen Menge an Indianern und vegetierte in Reservaten vor sich hin. Noch heute sind die Indianer in den USA eine schlecht gestellte Minderheit und kämpfen um die Anerkennung der Verbrechen, die an ihnen begangen wurden. Die Frage, die sich hier stellt, ist aber, ob es sich dabei um Völkermord handelte, um einen Genozid der "Weißen" an den "Roten".

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Dienstag, 29. Mai 2012

Das Imperium schlägt zurück

Von Stefan Sasse

Der Ausbruch der Finanzkrise ist mittlerweile über fünf Jahre her. Der Zusammenbruch von Lehman Brothers, die Garantie für die Spareinlagen durch die Bundesregierung, die massiven Stützen für die Banken und die dadurch hervorgerufenen Explosionen der Staatsschulden sind bereits Geschichte. Stattdessen wird seit fast zwei Jahren eine neue Geschichte erzählt, von Gesellschaften, die über ihre Verhältnisse lebten, und wie notwendig, ja moralisch geboten es sei, dem Einhalt zu gebieten, indem man die Ausgaben der gefräßigen Staaten, die diese Gesellschaften hätten, stark beschneide. Niemand redet mehr von den gewaltigen Risiken, die die Finanzkonzerne in ihren Bilanzen verbuddelt haben, oder von der Kooperation, die sie mit den staatlichen Organen eingingen die sie eigentlich kontrollieren sollten. Das alles ist vorbei. Es ist, als ob es die Finanzkrise nie gegeben hätte. Bemerkenswert oft hört man noch die Version, sie sei eigentlich ohnehin Staatsverschulden, weil die Regulierung versagt habe. Stattdessen bläst man nun ins Horn der so genannten "Staatsschuldenkrise", ein Wort, das eine tödliche Waffe ist und von denen, die es erfunden haben, sicherlich auch in dieser Absicht gebraucht wird. Und dazu noch effizient, denn es verdrängt alle anderen Faktoren und reduziert ein ganzes Bündel allein auf die Frage der Staatsschulden. Effizient ist diese Legende vor allem, weil sie ein gutes Korn Wahrheit in sich trägt. 

Freitag, 25. Mai 2012

Chomskys "Propagandamodell" als Update zur These der "Meinungsmache" der NachDenkSeiten


Die NachDenkSeiten sind schon eine merkwürdige Institution: Angefangen beim abschreckenden Namen über das graue Layout ohne Bilder und schlecht lesbarer Schriftgröße bis zur fehlenden Kommentarfunktion: Eigentlich macht die politische Nachrichten- und Kommentarseite der Herausgeber Lieb, Berger und Müller alles falsch, was man im Internet des Jahres 2012 so falsch machen kann. Und doch sind die NachDenkSeiten für viele unverzichtbar, die sich in der nicht eben reichhaltigen deutschen politischen Bloggosphäre in Speziellen und in der öffentlichen Debatte insgesamt eine starke linke Stimme wünschen.

Eine Gegenstimme zu liefern zu einer Medienlandschaft, die sich in der Wahrnehmung der Autoren uniform und einseitig konservativ darstellte, war dann auch der Anlass zur Gründung der Seite. "NachDenkSeiten sollen", so ist in der Selbstdarstellung zu lesen, "eine gebündelte Informationsquelle für jene Bürgerinnen und Bürger werden, die am Mainstream der öffentlichen Meinungsmacher zweifeln und gegen die gängigen Parolen Einspruch anmelden." Eine konservative Hegemonie, deren Vertreter alle Machtpositionen dieser Gesellschaft kolonialisiert haben, gegen eine kleine Rebellion namens NDS: So lässt sich wohl die Weltsicht der Herausgeber - leicht zugespitzt - interpretieren.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Chomskys Propagandamodell

Von Stefan Sasse

Edit: Der ganze Artikel findet sich hier.

Heute habe ich definitiv keine Zeit zum Bloggen, daher ein Thesenpapier zu Chomskys Propagandamodell. Danke an @FalkJan!


Mittwoch, 23. Mai 2012

Der Fall eines Giganten

Von Stefan Sasse

Oskar Lafontaines politische Karriere ist vorbei. Mit seinem Rückzug von der Parteivorsitzkandidatur gestern dürfte die Aussicht auf eine Rückkehr in die Spitzenpolitik vorbei sein. Lafontaine war ein Gigant der deutschen Politik und hat sie seit den 1980er Jahren entscheidend mitgeprägt. Er war es, der im Saarland die absolute Mehrheit für die SPD errang, der der SPD-Linken als "Enkel Willy Brandts" einen entscheidenden Stempel aufdrückte, der mit seiner Bundeskanzlerkandidatur 1990 scheiterte. Es war ein erster Tiefpunkt seiner Karriere; geschwächt durch ein Attentat und mit der Hypothek eines offensichtlich schwachen Wahlkampfkonzepts. Lafontaine wies damals bereits darauf hin, dass der Umtauschkurs DM zu Ostmark im Verhältnis 1:1, wie ihn Kohl versprach, wirtschaftlicher Irrsinn war. Er war damals die Vernunft, der Pragmatismus, Kohl der Populist. Genutzt hat es ihm nichts. 1995 kehrte er wie Phönix aus der Asche zurück, stieß Rudolf Scharping aus dem SPD-Vorsitz und bereitete sich auf einen erneuten Kanzlerkandidatursanlauf für 1998 vor. Das Rennen verlor er gegen Gerhard Schröder, mit dem bekannten Ergebnis. Heute noch wirft man Lafontaine seinen damaligen Rückzug vom Amt des Finanzministers vor, und eine finale Entscheidung darüber fällt auch heute noch schwer. Vermutlich hätte Lafontaine aus der SPD heraus wirksamere Opposition gegen die Agenda2010 leisten können. Vermutlich hätte man ihm dann beständig vorgeworfen, der Partei zu schaden und sie zu sabotieren. Er fiel tief, und so war sein erneuter Aufstieg umso beeindruckender. Mit Beginn der breiteren Opposition gegen die Agenda2010 setzte er sich, anfänglich noch zögerlich, dann umso entschlossener, an die Spitze der WASG, betrieb deren Vereinigung mit der PDS und war so maßgeblicher Schöpfer des gesamtdeutschen Linken-Projekts, dem 2005 der triumphale Einzug in den Bundestag und nach vier Jahren erfolgreicher Opposition gegen die Große Koalition 2009 ein noch deutlicherer Wahlsieg in Bund und Saarland gelang.

Dienstag, 22. Mai 2012

Aus aktuellem Anlass

Von Stefan Sasse
Die Grundlinien des Reformplans der Reichsregierung sind ein vollkommen ausgeglichener Haushaltsplan für 1931, Selbstständig machen der Arbeitslosenversicherung, Sparsamkeit auf allen Gebieten, auch an Gehältern […], eine Steuerpolitik, die den Produktionsprozess nicht unnötig belastet, sondern vielmehr Kapitalbildung fördert […]. Die Gehalts- und Preispolitik der Reichsregierung verfolgt, was ich mit Nachdruck betonen möchte, in ihrem auf längere Sicht eingestellten Plan keine dauernde Senkung des Reallohns; sie will vielmehr das sachlich vielfach nicht gerechtfertigte und daher unhaltbare deutsche Preisgebäude unter allen Umständen ins Wanken bringen. Dieses Ziel ist nicht zu erreichen, ohne dass auch eine gewisse Beweglichkeit in die Löhne und Gehälter gebracht wird, die in Deutschland zu etwa 75%, sei es durch Gesetz, sei es durch Tarifverträge, gebunden sind. Die Aufgabe, die deutschen Preise der Weltpreislage anzugleichen, ist für unsere wirtschaftliche Gesundung so wichtig und dringend, dass sie selbst dann durchgeführt werden muss, wenn alle Schichten des deutschen Volkes unbequeme Opfer tragen müssen. […]
- Rede Reichskanzler Brünings von 16.10.1930

Montag, 21. Mai 2012

Die ermüdenden Rituale

Von Stefan Sasse

Als Erklärung für den Aufstieg der Piratenpartei wird gerne auch genannt, dass die Piraten so vollkommen anders reden würden als die normalen Politiker. Sie sind noch nicht in geschwurbelten Sätzen und nutzfreien Statements angelangt. Obwohl meine Prognose ist, dass eher die Piraten sich dem Kommunikationsverhalten der Etablierten anpassen werden als umgekehrt, aber ich drücke natürlich die Daumen dafür, dass eine gewisse neue Offenheit Einzug hält und, vor allem, von Öffentlichkeit und Medien auch gouttiert wird. Beispiele dafür, wie die eingefahrenen und ermüdenden Rituale politischer Kommunikation wirklich auf die Nerven gehen, haben wir gerade dieser Tage wieder erlebt. Da wäre zuerst der Röttgen-Rauswurf, auf den die SPD Neuwahlen forderte: "SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Neuwahlen als Konsequenz aus der Entlassung Röttgens. "Es wäre für Deutschland gut, wenn diese Selbstblockade der Bundesregierung endlich durch Neuwahlen beendet würde", sagte er der "Welt am Sonntag"." (Quelle) Was für ein vorhersehbares und völlig überflüssiges Statement! Weder wird irgendjemand gerade Neuwahlen durchführen wollen, auch nicht die SPD, die darauf gar nicht vorbereitet wäre, noch rechtfertigt der Anlass das irgendwie. Es ist das Schießen nach Spatzen mit Kanonen, einfach nur, um mit einem möglichst markigen Statement in jedem Artikel zum Thema erwähnt zu werden. Als Leser dieses Kommunikationsersatzes kann man nur den Kopf schütteln. 

Sonntag, 20. Mai 2012

In eigener Sache

Von Stefan Sasse

Ich habe bisher nie einer Partei angehört. Das hat sich jetzt geändert; seit kurzem bin ich Mitglied bei der Piratenpartei. Für das Blog selbst wird sich dadurch nichts ändern.

Mittwoch, 16. Mai 2012

Sprachlos über den Röttgen-Rauswurf

Von Stefan Sasse

Angela Merkel hat Norbert Röttgen entlassen. Das lässt mich zugegebenermaßen sprachlos zurück. Bevor der NRW-Wahlkampf begonnen hatte, war Röttgen "Muttis Klügster" gewesen, einer der profilierteren Unionsköpfe im Kabinett. Seine Person stand für die Offenheit der CDU gegenüber den Grünen. Obwohl ihm immer wieder vorgeworfen wurde, die Atomwende zu langsam zu vollziehen, kann ich mich an keine echten Patzer als Minister erinnern. Aber dann kam der NRW-Wahlkampf, Röttgens Versuch, sich nicht auf die Landespolitik festzulegen und die katastrophale Niederlage. Jetzt ist das Kapitel "Röttgen" in der CDU wohl endgültig geschlossen. Altmaier - der ihn als Umweltminister beerbt - wünschte ihm "für seine berufliche Zukunft alles Gute". Es scheint, als hätte Röttgen bereits einen neuen Job. Was hier geschehen hat, ist trotzdem mehr als merkwürdig, oder doch zumindest neuartig. Rekapitulieren wir noch einmal Stück für Stück, was ablief. 

Sonntag, 13. Mai 2012

Die NRW-Wahl - Eine Analyse

Von Stefan Sasse

Das Wahlergebnis in NRW ist in für viele wohl eine Überraschung geworden. Die CDU hat mit 26% eine historische Niederlage in der ehemaligen Herzkammer der Sozialdemokratie erlitten, die SPD mit über 38% ein so gutes Ergebnis wie lange nicht mehr, die FDP hat das Ergebnis von Schleswig-Holstein wiederholt und fast 8% gemacht, die Grünen bleiben knapp im zweistelligen Bereich, die Piraten sind mit rund 7% stabil drin und die LINKE ist mit 2,8% im Vergleich zu 2010 halbiert worden und klar aus dem Landtag geflogen. Keine Rolle spielen irgendwelche islamophoben Rechten wie ProNRW, was angesichts der Euro-Krise und der jüngsten Medienaufmerksamkeit um die Salafisten keine Selbstverständlichkeit ist. NRW, als bevölkerungsreichstes Bundesland, hat natürlich im Vergleich zu Schleswig-Holstein eine weit größere Signalwirkung für den Bund. Es ist jedoch auffällig, dass die Umfrageergebnisse bundesweiter Erhebungen immer noch drastisch von denen der einzelnen Landtagswahlen abweichen (so bleibt die FDP bundesweit stabil unter 5% und die LINKE drüber). Die Erklärung hierfür ist, abgesehen von den offensichtlichen Unterschieden zwischen den Bundesländern, auffallend simpel und wird in der öffentlichen Debatte kaum thematisiert: die Wahl ist eben doch eine andere Angelegenheit als die Umfrage. Den Umfragen wird schlicht zu viel Bedeutung beigemessen. Aber dazu werden wir gleich in der ausführlichen Analyse noch kommen. 

Vom Respekt für den Konsumenten

Von Christian Sickendiek

Frank Schirrmacher hat heute in der FAS einen weiteren Beitrag zur Urheberrechtsdebatte geleistet: Schluss mit dem Hass. (http://lallus.net/90b). Seit beinahe 20 Jahren bin ich nun schon online, das erste Jahrzehnt fast ausschließlich auf Foren, in denen es Bereiche gab, in denen man alles finden konnte, was das Herz begehrt: Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Musik,Videos und TV-Serien. Und natürlich habe ich das eine oder andere Angebot angenommen. Ich erinnere mich an das erste große heruntergeladene Programm: 200 Files mit einer Größe á 1,44 MB, damit es auf Diskette passte. Heute habe ich hier mehrere Versionen dieses Programms als Original im Regal stehen.

Ich habe Glück gehabt: Wenn auch F!XMBR mir bisher vier anwaltliche Streitigkeiten beschert hat, so bin ich in meiner Vergangenheit niemals wegen Filesharings abgemahnt worden. Ich könnte aber sofort mehrere Namen aufzählen, bei denen es passiert ist. Es gab Zeiten, da ging ich wöchentlich ins Kino, wenn ich meine DVD-Sammlung verkaufen würde, wären das wahrscheinlich drei, vier oder mehr Hamburger Monatsmieten. Ich bin wahrscheinlich das, was man einen guten Kunden nennt.

Mittwoch, 9. Mai 2012

Des Kaisers neue Kleider

Von Stefan Sasse

Im Märchen "Des Kaisers neue Kleider" verkauft ein findiger Geselle dem Kaiser die titelgebenden neuen Kleider, die in Wahrheit gar nicht existieren. Ab da läuft der Kaiser nackt herum. Da der Verkäufer erklärte, dass nur kluge Menschen die Kleider sehen könnten, tun natürlich alle so, als ob sie sie sehen könnten, bis ein Kind in seiner Unschuld alles aufdeckt. Wenn es für Angela Merkel schlecht und für Europa gut läuft, so könnten die Wahlen in Frankreich und Griechenland für ihre Austeritätspolitik genau diesen Effekt haben. Im Falle Frankreichs gibt es bereits erste Anzeichen dafür; sollte Griechenland sich dazugesellen, so dürfte ihr der Austeritätsladen um die Ohren fliegen. Das gesamte Paradigma der Austeritätspolitik, die Merkel Europa im Bündnis mit Sarkozy in den letzten drei Jahren aufzwang, beruht auf der Alternativlosigkeit dieser Politik. Sie ist unpopulär, tut weh und schadet der Wirtschaft. Einen solchen Kurs kann man nur fahren, wenn die Alternative hinreichend diskreditiert ist. Das gelang dank der Dominanz der entsprechenden Denkrichtung in der Ökonomie, in der Leitbilder wie die von Krugman so treffend verspottete "confidence fairy", also die Zuversichtlichkeits-Fee, die quasi auf magische Weise das Wachstum ankurbelt wenn "die Märkte" nur fest genug an die Inflationsbekämpfung der Zentralbank glauben, bislang relativ gut.

Dienstag, 8. Mai 2012

Zur Debatte um die Wiederauflage von "Mein Kampf"

Von Stefan Sasse

Dem Freistaat Bayern ist überraschend aufgefallen, dass das Urheberrecht auf Hitlers Nachlass - prominent darunter "Mein Kampf" - bald ausläuft (das Urheberrecht lag für 70 Jahre bei Bayern). Danach darf jeder, der will, das Buch drucken und verkaufen. Bislang hatte Bayern sich beharrlich geweigert, auch nur eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe zuzulassen - wer "Mein Kampf" lesen wollte, musste es sich in einem der 193 anderen Staaten dieser Welt besorgen. Die Debatte, die nun entsteht, ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Als Paradebeispiel dafür kann "Anne Will" von 2.5.2012 herhalten, wo Norbert Geis (CSU), Wibke Bruhns (Journalistin), Volker Beck (Grüne), Serdar Somuncu (Kabarettist), Gabriele Baring (Therapeuthin) und Wolfgang Herles (Journalist) redeten. Die Forderung des CSU-Politikers Geis, "Mein Kampf" im Geschichtsunterricht in der Schule zu besprechen, diente dabei als Aufhänger der Sendung. Die Journalistin Wibke Bruhns, deren Vater als "Mitwisser" vom 20. Juli im August 1944 hingerichtet wurde, widersprach Geis aufs Schärfste. Sie empfiehlt "den Jugendlichen", die "eh nicht mehr lesen, sondern nur noch in Ausschnitten googeln" (aha) stattdessen die "seriöse" Widerstandsliteratur. Und damit sind wir auch mittendrin in einer Gespensterdebatte alter Menschen. 

Donnerstag, 3. Mai 2012

Der Dauerirrtum - Die Funktionsweise der Medien

Von Stefan Sasse

Ich habe in den letzten Monaten immer wieder das Medienbild vieler Linker kritisiert, das immer wieder auf die Existenz einer größeren Absprache unter den Medienkonzernen hinausläuft, mit dem Ziel, Agenda-Setting zu betreiben. Ich halte das für falsch, konnte aber nie wirklich den Finger genau auf den Punkt legen, an dem ich es hätte kohärent erklären können. Drei voneinander unabhängige Meldungen aber konstitutieren einen so starken Zusammenhang für meine These, dass ich einen Erklärungsversuch unternehmen will. Erstens: Auf seinem Blog "Deadline" hat Constantin Seibt im Tagesanzeiger "15 Thesen zum Journalismus im 21. Jahrhundert" aufgestellt. Darin prognostiziert er den Untergang der klassischen Nachrichten und eine Hinwendung zum "Wecken von Begeisterung" beim Leser, der für Nachrichten kein Interesse mehr hat, seit sie stets aktuell im 24-Stunden-Takt hereinprasseln. Zweitens: Die Entwicklung der Kritik an der Ukraine und die Begeisterung für Julija Timoschenko folgen geradezu paradigmatisch einem Drehbuch. Ich habe darüber geschrieben. Drittens: Die Daily Show macht sich über die aktuelle Kritik der Republikaner und des ihnen verbundenen Senders Fox News an dem Versuch, Obama "Parteilichkeit" wegen seines Verweisens auf die erfolgreiche Tötung Osama bin Ladens zu unterstellen, lustig. Diese drei Elemente verweisen jedes für sich auf Teilaspekte des gesamten Medienkomplexes. Die Funktionsweise von Medien wird, glaube ich, teilweise einfach nicht verstanden. Das ist nachvollziehbar, denn sie ist nicht gerade schmeichelhaft für diejenigen, die für sie arbeiten. Aber der Reihe nach. 

Mittwoch, 2. Mai 2012

Das Parteiensystem der Weimarer Republik

Von Stefan Sasse

Das Kabinett der "Weimarer Koalition" 1919
Das Parteiensystem der Weimarer Republik besitzt sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten mit dem Parteiensystem der Bonner und Berliner Republik. Die Funktion der Parteien selbst, ihre Rolle für das Funktionieren und Scheitern der Republik sind sowohl unterschiedlich als auch für das Verständnis für die Geschichte Weimars und ihres Scheiterns essentiell. Es ist viel von den Geburtsfehlern Weimars gesprochen worden. Retrospektiv ist das Scheitern natürlich leicht festzustellen; dazu bedarf es nicht viel. Der langsame, siechende Tod der Republik in den frühen Dreißiger Jahren ist dafür viel zu offenkundig. Es ist jedoch die Rolle der Parteien und ihre Funktionsweise in Weimar, die wichtig für dieses Siechen ist, und hier kann es nicht nur um die Rolle der inhärent demokratiefeindlichen Parteien von rechts und links gehen, die ab 1930 eine demokratische Mehrheit unmöglich machten. Bereits in der Anlage der Parteien in Weimar finden sich Probleme, Probleme, die ihrerseits aus dem Kaiserreich mitgeschleppt wurden und die 1949 die Gründung der BRD entscheidend mitprägten.

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Dienstag, 1. Mai 2012

Demokratiemärchen in der Ukraine

Von Stefan Sasse

Bush und Timoschenko 2008 ((c) Eric Draper)
Das sich aktuell entfaltende Drama um die 2010 abgewählte ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko und ihre Rolle als Oppositionsfigur ist ein Demokratiemärchen vom Feinsten, ein Drama, dessen Aktstruktur und Verlauf klar vor uns ausgebreitet liegen und dessen Drehbuch einen Hit geradezu garantiert. Es ist ein Sommerblockbuster für die Nachrichtenmedien, und sie nutzen es weidlich aus. Selbstverständlich ist es grotesk. Die Ukraine ist nicht erst seit heute ein autoritärer, kaum demokratisch zu nennender Staat, sondern bereits seit vielen Jahren in einem Strudel aus politischer Korruption gefangen. Als Timoschenko 2011 wegen "Amtsmissbrauchs" zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde (angeblich hat sie mit Russland zu überhöhten Preisen Gaslieferungen beschlossen - generell aber wirkt die ganze Auseinandersetzung ohnehin mehr wie ein Verteilungskampf zweier Parteien, die den Staat als Privatbesitz betrachten) konnte man das kaum als ungewöhnlich ansehen. Bereits die Abwahl 2010, bei der Timoschenko dem Gegner Janukowitsch Wahlfälschung vorwarf, ohne sie je beweisen zu können, und danach den Stuhl nicht räumen wollte, zeigte deutliche Funktionsstörungen im demokratischen System. Jede Demokratie, in der der Wechsel zwischen Opposition und Regierung nicht reibungsfrei möglich ist, hat ein ernsthaftes Problem.