Nichts ist derzeit so en vogue, wie sich öffentlich gegen das "Moralisieren" oder die "moralische Politik" zu mokieren. Ob es darum geht, verächtlich über diejenigen Trottel herzuziehen, die es falsch finden, aggressive Nachbarn einfach in andere Länder einfallen zu lassen, oder diejenigen, deren erster Impuls angesichts des massiven Elends syrischer Flüchtlinge war denen zu helfen die es nötig hatten, oder diejenigen als idealistische Idioten herabzuwürdigen, denen es nicht egal ist dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlage zerstört - überall begegnet man dem Typus des Moralkritikers, der sich selbst in die eisenharte Rüstung eines eingebildeten Pragmatismus kleidet und glaubt, ein schnoddriger Ton und eine Verachtung für all jene, die mehr erreichen wollen als man selbst wären ein Qualitätsmerkmal für sich. Das ist es nicht. Stattdessen versteckt sich hinter der ständigen Moralkritik vor allem eine gewaltige Verunsicherung über den eigenen Status, die eigenen Prämissen, das eigene Lebensumfeld.
Wir können dies exemplarisch an der Ehe für Alle sehen. Mein Kollege Stefan Pietsch mokierte sich jüngst darüber, dass ein "moralisierender Staat" hier quasi der Natur ins Handwerk gegriffen und aus falsch verstandener Sentimentalität die Moral der ständig viel zu aktiven Progressiven in Gesetzesform gegossen hat. Die Idee, die hinter den ständigen Attacken der Moralkritiker steckt - und sie sind beileibe kein deutsches Phänomen - ist die, dass es eine Art natürlichen, moralfreien Zustand gibt, in dem der Staat und die Gesellschaft sich befanden und der durch die Attacken der Progressiven (beliebtes Feindbild: die Grünen) ins Wanken gerät.
Der letzte Teil dieser Annahme ist richtig. Die Progressiven bringen den Status Quo ins Wanken, das macht sie ja erst progressiv. Würden sie das nicht tun, wären sie Konservative. Beide Richtungen haben ihre Berechtigung, beide können im demokratischen Meinungsstreit versuchen, ihre jeweilige Sicht auf die Dinge zu verteidigen. Dass dabei beide Seiten ihren jeweiligen Gegenpart verteufeln, ist Teil des politischen Spiels. Progressive werden Konservativen immer vorwerfen, dass sie eine ungerechte Ordnung erhalten oder gar ausbauen wollen, während Konservative Progressiven immer vorwerfen werden, eine Minderheitenposition mit den Machthebeln des Staates durchzusetzen. Das ist beides völlig in Ordnung; es ist in der DNA der jeweiligen Richtung enthalten.
Quatsch ist es aber so zu tun, als sei Konservatismus keine Festlegung auf ein Moralsystem, und das ist es, woran die Debatte krankt. Ob Veggie-Day oder Refugees Welcome, der Tenor ist stets der Gleiche: da kommen Leute und wollen was verändern und ich mag das nicht. Anstatt das aber zu sagen, erklärt man verächtlich, dass die anderen gut sein wollten. Der Konservative dagegen weiß, wie die Welt funktioniert, und weiß, dass Gutes ohnehin nicht funktioniert. Von seiner komfortablen Warte aus kann er sich dann über all diejenigen verächtlich machen, die tatsächlich etwas verbessern wollen. Und diese Einstellung ist zum Kotzen.
Denn diese Einstellung fördert vor allem eines: Zynismus. Und wenn die politische Debatte eines im Überfluss hat, dann ist das Zynismus. In letzter Zeit ist es sogar Mode geworden, noch eine Schippe Nihilismus draufzulegen. Zynismus und Nihilismus aber sind ein zersetzendes Gift. Sie kommen im Übrigen links wie rechts im Überfluss vor. Wo die einen von der Rückkehr in die 1950er Jahre träumen, wo reinblütige deutsche Männer nach getaner Arbeit zu einer ebenso reinblütigen deutschen Hausfrau zurückkehren, erhoffen die andere die große Revolution, die alles auf einen Schlag ins Utopia verwandelt. Für die politische Kärnerarbeit, für den Kompromiss, für die inkrementelle Verbesserung haben sie alle nur Verachtung übrig.
Und selbst diejenigen, die eigentlich an gerade diesen Prozessen ein Interesse haben müssten, weil sie Garanten für einen langsamen, rationalen und gut abgewogenen Wandel sind, die Konservativen, lassen sich mitreißen von den Zynikern und Nihilisten und wissen nichts Besseres, als die "Moralisten" zu verachten.
Die Einsicht aber, dass die Vorstellung, die Ehe sei ein Bund zwischen Mann und Frau, und Mann und Frau allein, auch eine Moral ist, und dass sie eine von mehreren Möglichkeiten ist, die man im politischen Diskurs mit vielerlei Argument verteidigen kann, die ist selten geworden. Stattdessen wird die Fiktion gepflegt, der eigene Standort stelle einen objektiven Wert dar, und jede Abweichung davon sei unnatürlich. Das ist unaufrichtig. Und es ist schädlich für die Gesellschaft als Ganzes, in der es dann wenig Unterschied macht, ob man seinem Protest mit der Wahl von Rassisten, Neo-Nazis und anderem reaktionärem Geschmeiß Ausdruck verleiht.
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