Mittwoch, 2. Januar 2019

Einiges Amerika auf Twitter, AfD im Fahrersitz und Ungleichheit auf der Schulbank - Vermischtes 02.01.2019

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Social Heisenberg – warum Twitter nicht für politische Diskussionen geeignet ist
Trotzdem sind beide Perspektiven berechtigt und nachvollziehbar, die hier als konservativ beschriebene ebenso wie die linke, grüne (außer die Faschismus-Beschimpfungen, die sind einfach aus jeder denkbaren Sicht bescheuert). Letztlich prallen aufeinander:
  • Die eher linke, grüne Überzeugung, dass jetzt alles – einschließlich symbolischer Handlungen und entsprechender Bekenntnis-Kommunikation durch politische Vorbilder – unternommen werden muss, um die Welt zu retten.
  • Und die eher konservative Überzeugung, die lieb gewonnenen Alltagsgewohnheiten nicht so einfach aufzugeben, nur weil ein paar Leute sich aufregen und mit Statistiken wedeln, weil die entscheidenden Schlachten ohnehin anderswo geschlagen werden.
Der Schlüssel zum Verständnis der Empörung und Gegenempörung aber liegt in einer sehr zentralen Eigenschaft der sozialen Medien, nämlich einer Entkontextualisierung, die man als Unschärferelation der Sozialen Medien bezeichnen kann, Social Heisenberg quasi. Das bedeutet: Jeder Tweet kann gleichzeitig als Teil einer Diskussion verstanden werden und als für sich allein stehend. Die absolute Eindeutigkeit in diesem Bereich ist weniger häufig als man von außen denkt, in den meisten Fällen hängt es sehr vom einzelnen Betrachter ab, wie stark man sich welchen Kontext dazu vorstellt oder nicht. Zumal Kontext auch keine An/Aus-Veranstaltung ist, sondern eher als Schieberegler verstanden werden sollte. Es gibt zweifellos gewiefte Strategen, die diese Entkontextualisierung in sozialen Medien politisch ausnutzen. Das halte ich hier aber nicht für wahrscheinlich, auch deshalb, weil die politische Kommunikation der großen demokratischen Parteien in Deutschland bisher mit Gewieftheit außerordentlich sparsam umgegangen ist. (Sascha Lobo)
Ich stimme Sascha Lobo grundsätzlich zu, was die These von der Entkontextualisierung angeht. Tatsächlich scheinen ja gerade Bots und Trolle, gerade die aktuelle Flut auf der Rechten was das angeht, diesen Mechanismus deutlich zu nutzen. Ich mag allerdings die These, dass Twitter für Diskussionen nicht geeignet sei, nicht übermäßig. Twitter ist tatsächlich schlecht darin, dass Leute, die sich nicht oder kaum kennen und nicht übereinstimmen, ihre Positionen kohärent formulieren können. Aber gerade unter miteinander bekannten Leuten, die hauptsächlich ihre Ideen austesten wollen, ist Twitter klasse. Mancher Blogpost nahm seinen Anfang in einem kurzen Wortwechsel auf Twitter. Man muss sich eben immer klar sein, was das jeweilige Medium kann.

2) Die irrationalen Wünsche der Wähler
Warum mich das begeistert? Weil spätestens seit dem Brexit-Chaos deutlich geworden ist, was unpräzises Wünschen anrichten kann. Wie konnte nur jemand auf die Idee kommen, die Optionen des Referendums derart unterbestimmt zu lassen. Den "Brexit" ohne weitere Eigenschaften als politisches Desiderat zu behaupten, war als "Wahl" irgendwo zwischen grotesk und gemein. Als ob es irrelevant wäre, welche Form der Ausstieg aus der EU annehmen würde. Als ob das Kind nur "Tier" auf den Wunschzettel geschrieben und damit alle Varianten von der Spinne bis zum Hängebauchschwein gleichermaßen beglückt entgegengenommen hätte. Am Ende dieses Jahres erscheint tatsächlich nichts dringlicher, als über das Rätsel des Wünschens in demokratischen Gesellschaften nachzudenken. Ich fürchte, dass wir kaum etwas weniger verstanden haben als die Art und Weise wie sich politische, soziale Sehnsüchte in der Gegenwart formulieren und wie sie sich deuten lassen. Inwiefern Wünsche ihre eigenen Motive und Absichten wirklich mit sich führen - das ist schmerzlich unklar. Nichts hat mich skeptischer gemacht als die interpretatorische Willkür, mit der ich Gruppen oder Bewegungen bestimmte Wünsche entweder eins zu eins abnehme oder sie infrage stelle und umdeute. (Carolin Emcke, SZ)
Carolin Emcke geht in ihrem Artikel hauptsächlich auf das berechtigte Gefühl ein, gehört werden zu wollen, egal wie kohärent die eigene Position ist. Aber damit tanzt sie um das Grundproblem herum, zugunsten der positiven Selbstdarstellung, etwas Konsenssoße über den Problemhaufen zu gießen. Klar kann ich sagen, dass eine Gruppe von Wutbürgern zwar unartikuliert und inkohärent ist, aber durchaus ein Bedürfnis hat, sich auszudrücken. Nur, das haben kleine Kinder, wenn sie einen Wutanfall haben, auch. Ein Dreijähriger, der auf dem Sofa einschläft und dann laut "Ich bin nicht müde!" brüllt, weil er zwar eigentlich schlafen will aber doch irgendwie noch beim großen Geschwisterkind aufbleiben und spielen artikuliert auch Wünsche und will gehört werden. Nur sind sie halt inkohärent und unartikuliert und nicht übermäßig rational. Ich meine ernsthaft, was ist die Konsequenz einer ganzen Gesellschaft, eines ganzen politischen Systems auf solche Zurschaustellungen? Ich bleibe dabei, dass erwachsene Menschen, die das Wahlrecht haben, eine Verpflichtung haben, sinnstiftend am politischen Prozess teilzunehmen und man mehr von ihnen erwarten kann, als nur ihre generelle Unzufriedenheit auszurülpsen. Es ist kein Zeichen besonderer Reife oder charakterlicher Stärke, herumzudeuten was die Leute meinen könnten. Ein zweiter Aspekt, der bei Emcke eigentlich nur den Artikeleinstieg bildet, den ich aber nicht zufällig zitiert habe, betrifft die Frage der Volksabstimmungen. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich Volksabstimmungen ein ziemlich doofes Politikinstrument finde. Der Brexit ist ein weiteres grandioses Beispiel dafür. Das Eindampfen hochkomplexer Politikprobleme auf zwei Hopp- oder Topp-Möglichkeiten alleine ist schon irrwitzig genug; was mich aber fast noch mehr stört, ist die organisierte Verantwortungslosigkeit. Ob Stuttgart21 oder Brexit, die Volksentscheide werden als Möglichkeit genutzt, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wer ist denn für das Brexit-Chaos verantwortlich? Jeder kann auf "den Wähler" verweisen, und "der Wähler" selbst darauf, dass die eigene präferierte Variante ja nie zur Wahl stand. Das ist nicht gut. Man kann über Merkels Flüchtlingspolitik sagen was man will, oder den Atomausstiegsausstiegausstieg, aber da gibt es wenigstens eine klare Verantwortliche...

3) The gap between wages and productivity
The decoupling of wages from productivity – a widespread phenomenon with wage growth having been lagging behind productivity in the last decades – has not only been a concern for trade unions, but increasingly also for policy makers. The relationship between productivity and wages is a central issue for fair distribution between labour and capital. Trade unions are keen to apply a wage setting mechanism that takes account of economic realities, creates inclusive growth and makes sure that labour it getting its fair share from the wealth created. For this, the guiding principle is that nominal wage increases should compensate for inflation and reflect real productivity increases. What we have witnessed in the last decades and particularly in the wake of the crisis was a decoupling of wage developments from productivity growth. In most industrialised economies, including the EU, wage growth has been lagging behind productivity growth. According to the OECD this appears in declines of both labour shares and of the ratio of median to average wages: the first reflecting an income redistribution from labour to capital, the second a growing inequality between wage earners. The ratio of median to average wages has declined in all but two of the OECD countries and reflects disproportionate wage growth at the very top of the wage distribution. Below I examine wage and productivity developments in the EU since 2000. (Bela Galgoczi, London School of Economics)
Ein in der ganzen Ungleichheitsdebatte von rechts immer wieder geleugneter Fakt ist die hier dokumentierte Entkoppelung von Produktivitätswachstum und Gehältern in den letzten 20, 30 Jahren. Die Gehälter sind seit Ewigkeiten nicht mehr genug gestiegen, und Spielraum wäre genug da. Es ist absolut faszinierend, dass gerade die Linke - ob die moderate Linke oder die populistische Linke - dieses Thema entweder nicht nutzen wollen oder können. Und das geht ja echt schon seit Jahrzehnten so mittlerweile, ohne das ersichtlich wäre, dass sich das mal wieder ändert. Eine ganze Generation bleibt unter ihren Möglichkeiten, während eine kleine Oberschicht superreich wird.

4) Tweet von Brahman // Grafik aus dem Economist
Ich finde es immer wieder faszinierend, dass die französische Wirtschaft als riesiges Problemkind dargestellt wird, aber für ihre Beschäftigten wesentlich bessere Ergebnisse bringt als gerade die amerikanische. Das ist ebenfalls so ein Ungleichheitsthema, das uns auch in Deutschland betrifft und das undiskutiert im Herzen der ja auch in Fundstück 2 von Frau Emcke festgestellten Unzufriedenheit liegt: Das Gefühl, dass es früher irgendwie besser war und dass man zu den Verlierern des Systems gehört. Und da muss man nicht mal Niedriglöhner dafür sein, dass ist es ja, was dieses Gefühl so toxisch macht. Das wirtschaftsliberale Gegenstück zu Merkels "wir schaffen das" in der Flüchtlingskrise ist und bleibt das generelle "Deutschland geht es gut", das ständige Verweisen auf die niedrige Arbeitslosenzahl, ohne je die Qualität der Arbeit zu hinterfragen: ihre Absicherung, ihre Zusatzleistungen, ihre Vergütung und die Menge der Arbeit. In den USA ist das ohnehin völlig absurd, wo die Leute nicht nur bescheuert viele Stunden arbeiten, sondern im Niedriglohnbereich auch noch mehrere Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Die Diskussion um Einkommen und Arbeit ist völlig kaputt und hat eine enorme Schieflage. Nur gibt es gerade auf der Rechten keinerlei Selbstkritik dazu. Zwar hat man kein Problem, Progressive für ihre Blase zu schelten, in der sie wegen ihrer Unterstützung der Homoehe leben, aber ein Professor mit zwanzig Nebenjobs, der Niedriglöhnern erzählt dass es ihnen viel zu gut geht und dass es weniger Rente und Absicherung für sie geben muss, das ist immer kein Problem.

5) Nichts gelernt aus dem Fall Anis Amri
Ist - bezogen auf Europa - der Umgang mit derart gefährlichen, islamistischen Männern in den letzten zwei Jahren umsichtiger, cleverer, besser geworden? Der islamistische Mordanschlag von Straßburg vor wenigen Tagen deutet nicht unbedingt darauf hin. Chérif Chekatt war als extrem gewalttätig bekannt, sagenhafte 27 Mal für haarsträubende 67 bewiesene Straftaten vorbestraft, in Frankreich, der Schweiz und Deutschland verurteilt, er wurde vom französischen Inlandsgeheimdienst überwacht, er stand auf der französischen Terrorwarnliste ("Fiche S"). Und dort war Chekatt nicht irgendjemand, er galt nach Aussagen der französischen Behörden als "einer der islamistischen Top-Gefährder", radikalisiert im Gefängnis. Die Behörden in Deutschland führten ihn aber nicht als Islamisten, sondern nur als gewöhnlichen Kriminellen. Bumm. Wie ist das möglich? Obwohl mindestens die Hälfte der islamistischen Mordattentäter der letzten Jahre grenzüberschreitende Aktivitäten betrieben, gibt es nicht einmal eine gemeinsame Definition von "islamistischen Gefährdern" innerhalb der EU. Schlimmer noch: Es gibt zwar seit 2001 eine EU-weite "Counter Terrorism Group", die in Den Haag eine Datenbank betreibt. Dort aber hatte Frankreich versäumt, Chekatt einzutragen, auch deshalb stand er im Schengen-Informationssystem nur als "Straftäter". Ja, es ist wirklich wahr: Man kann in Straßburg einer der schlimmsten islamistischen Gefährder von ganz Frankreich sein und in Deutschland - Luftline 250 Meter entfernt von Straßburg - ist man ein gewöhnlicher Einbrecher. Es scheint mir einfach nicht, als hätten die Behörden in Europa aus dem Fall Amri vor zwei Jahren allzuviel gelernt, und das macht mich sehr wütend. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)
Sascha Lobos Punkte und Zorn hier sind absolut richtig. Die Rechten betreiben lieber identity politics und reden ständig von Flüchtlingen und Abschiebungen, wo dann auch Ressourcenverschwendung in großem Stil betrieben wird (gerade in Österreich ist das ja frappant), aber gleichzeitig weiß man eigentlich schon wie eingeschränkt der Täterkreis ist. Dazu sind es Täter, die schon länger hier leben; besonders in Fankreich ist dieser Mechanismus ja gut sichtbar, da sind es sogar Staatsbürger, die zu Terroristen werden. Da bringt das ganze Gerede vom Abschieben nichts. Stattdessen hat man jetzt 15 Jahre lang Bürgerrechte eingeschränkt und einen teuren wie nutzlosen Überwachungsstaat errichtet, ohne dass man allzuviel dafür vorweisen könnte. Statt einfach mal die normalen Datenbanken abzugleichen, glaubt jeder Staat, seine eigene Terrordatenbank aufmachen zu müssen. Es ist irrsinnig.

6) Trump wants to end the filibuster. He's right.
Senator Orrin Hatch revealed perhaps more than he intended when he explained today why he wants to keep the filibuster. “I’ve long said that eliminating the legislative filibuster would be a mistake,” he declared, “It’s what’s prevented our country for decades from sliding toward liberalism. It’s inconvenient sometimes, but requiring compromise is in the interest of both parties in the long term.” Hatch’s last line is obviously at odds with recent history — the use of the filibuster has increased as bipartisan cooperation on every front has disappeared. But it’s Hatch’s second sentence that stands out: the filibuster has prevented the country from sliding toward liberalism. That argument actually has some truth to it. Liberals, after all, are far more apt than conservatives to propose new laws to keep up with changing times. Both parties have ideas for laws they’d like to pass, but in general, liberals have more of then, and a system that favors stasis will work to conservatives’ advantage. The particular construction of Senate rules highlights how slanted the system is. In 2010, Democrats assembled 60 votes to pass health care reform, a goal that had eluded them for decades. (Bill Clinton would probably have passed health care reform if not for the filibuster.) But in 2017, Republicans designed a bill to repeal that reform, which could pass through reconciliation. That bill failed the Senate, because it couldn’t gain 50 votes there. But the fact is that the existing rules of the game mean it takes 60 votes to pass health care reform and only 50 to repeal it. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Das amerikanische politische System hat zu viele Vetospieler. Dass die Republicans in ihrem Kreuzzug zur Zerschlagung politischer Normen nun den Filibuster beseitigen ist tatsächlich gut. Ich habe es kürzlich auch auf Twitter in anderem Zusammenhang gesagt: Auch die Idee eines mandate, also dass jemand zwar eine Mehrheit oder ein Amt hat, aber irgendwie nicht das Mandat, es voll zu nutzen, ist Quatsch. Wenn Trump und die Republicans die Mehrheit haben, können sie die nutzen. Da sollte dann auch kein Filibuster im Weg stehen. Wie in Fundstück 2 gesagt haben Wähler eine Verantwortung und Wahlen Konsequenzen. Da braucht man danach keine Glaskugel. Die Democrats konnten 2010 die Gesundheitsreform durchsetzen, weil sie die Stimmen hatten. Die GOP konnte ihre Steuerreform" durchsetzen, weil sie die Stimmen hatte. Fertig.
Dazu hat Chait natürlich Recht in seiner Analyse, dass die Abschaffung des Filibuster und von Vetopunkten generell der progressiven Agenda im Schnitt mehr hilft als der konservativen. Progressive haben es ohnehin schwerer, weil sie etwas verändern und neu schaffen wollen, was immer das Überwinden von mehr Widerständen bedeutet als etwas nur aufzuhalten oder zurückzufahren, wie es Konservative wollen. Das ist schon immer in diesen gegensätzlichen Richtungen angelegt gewesen, und das muss man sich nicht noch künstlich erschweren.

What we know is that Steve Bannon and Peter Schweizer weaponized that story by first getting the New York Times to publish an article about one of the claims Schweizer made in his book Clinton Cash. From there, the Berkman Klien Center at Harvard documented how the two ensured that the “corrupt Clinton” narrative took hold across major media platforms in an expose titled, “Dynamics of Network Propaganda: Clinton Foundation Case Study.” We also know that this was a coordinated effort among Trump’s team due to the recent release of emails between Jerome Corsi and Roger Stone. In other words, the fabricated scandal about the Clinton Foundation is exactly the kind of media narrative Taibbi was writing about. But even worse, it was a pre-mediated plot by Clinton’s opponents to plant a false story. And yet, when it came to that kind of thing happening to someone Taibbi didn’t support, he fed right in to the whispers, questions, and concerns. [...] I have no idea how Taibbi missed the fact that non-conservative outlets became consumed with the story he claims they were mostly silent about. But I would point him to major articles at the Washington Post and the Associated Press, along with all of the other documentation from the Berckman Klein Center. Just as he explained with the “whisper campaigns” about Warren, the “papers were all citing each other’s negative stories” that “raised questions” about the Clintons. While I have questioned some of Warren’s proposals, and will continue to do so as she runs for president, I agree with Taibbi that the media’s treatment of her lately has been very troubling as an early indication of what their coverage might look like. But unlike Taibbi, I see a direct parallel to how so many major publications did the exact same thing to Hillary Clinton in 2016. In order to confront this issue head-on, we need to see it in all of its manifestations. (Nany LeTourneau, Washington Monthly)
Es ist faszinierend zu sehen, dass für Warren die gleichen Mechanismen abzulaufen beginnen, die 2016 bei Clinton abgelaufen sind. Die Leitmedien haben echt überhaupt nichts aus diesem Debakel gelernt und sind weiter unwillig, Selbstreflexion auf diesem Gebiet zu betreiben. Es ist zum Haareraufen. Das ist kein Grund, Warren nicht als Kandidatin zu befürworten (wobei es dafür andere Gründe gibt, ic bin bisher nicht besonders überzeugt). Aber es ist definitiv etwas, worauf Progressive achten müssen. Sie sollten nicht noch einmal wie 2016 den Fehler machen und das Narrativbauen auf diese Art und Weise ihren Gegnern überlassen.

8) "Vielleicht bin ich Optimistin" (Interview mit Saraya Gomis)
Aber wie beweist man, dass die schlechte Note Diskriminierung ist?
Das ist ja gerade das Schwierige: Wie beweise ich das? Grundsätzlich gilt: Die Betroffenen müssen beweisen, dass sie diskriminiert worden sind. Und das ist nicht immer einfach. Manchmal steht Wort gegen Wort, oft gibt es keine Zeugen. Eine diskriminierende Notengebung zu beweisen ist besonders schwierig. Hinzu kommt, dass es eine Vorstellung vom perfekten Opfer gibt.
Was meinen Sie damit?
Es gab dieses Jahr eine Studie, bei der Lehramtsstudierende identische Aufsätze benoten sollten. Wenn „Max“ den Aufsatz geschrieben hatte, wurde eher besser benotet, als wenn „Murat“ drunter stand. Aber auch „Murat“, der vielleicht auch noch frech ist im Unterricht, hat ein Recht auf diskriminierungsfreie Bildung. [...]
Und das passiert alles nicht an der Uni?
Das ist unterschiedlich. Manche Unis machen Module über ein oder zwei Semester, andere mal ein Seminar, wo man etwas über interkulturelle Bildung lernt. Aber Diskriminierungskritik ist bislang keine durchgängige Professionalisierungsaufgabe in der Ausbildung und später während der Arbeit.
Eine selbstkritische Haltung im anstrengenden Alltag zu behalten ist aber nicht einfach.
Sie haben recht, das ist ein lebenslanges Lernen. Aber auch bei einem Chirurg möchte ich, dass er auf dem neuesten Stand ist, bevor er mich aufschnippelt. Und ich sehe täglich KollegInnen, die selbstreflexiv arbeiten. Aber dafür braucht es eine entsprechende Ausbildung und Fortbildungen. (taz)
Die obigen Informationen passen grundsätzlich ins Schema von der schädlichen Wirkung etablierter Stereotype. Ich bin jedoch etwas skeptisch, denn eine solche Studie war bereits früher medial viel rezipiert worden (dass Lehrer typische Unterschichtennamen wie Kevin, Mandy etc. schlechter bewerten würden) und hat sich als nicht haltbar herausgestellt. Ich bin von daher vorsichtig damit, dieser hier zu viel Gewicht zu geben. Aber: unzweifelhaft wahr sind die gewaltigen Hürden, denen sich Opfer von Diskriminierung ausgesetzt sehen würden, solche Diskriminierung im Zweifelsfalle tatsächlich zu beweisen und, fast noch wichtiger, sie überhaupt zur Anklage zu bringen. Die größte Diskriminierung passiert aber nicht in der Schule, sondern davor, bei den Zugängen. Es wird wesentlich zu wenig dafür getan, Kindern aus bildungsfernen Haushalten besseren und verlässlicheren Zugang zu Bildung zu ermöglichen, so früh wie möglich. Studie um Studie belegt, wie unglaublich wichtig die ersten, formativen Jahre sind. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die oben beschriebenen Diskriminierungen geschehen, ist es für Vieles ohnehin bereits zu spät. Das ist natürlich auch nicht Frau Gomis' Aufgabe, aber es ist wichtig im Auge zu behalten.

9) Autofahrer hatte "die klare Absicht, Ausländer zu töten"
Nach dem Anschlag in Bottrop gibt es Hinweise auf rassistische Motive des mutmaßlichen Täters. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte unter anderem laut einem WDR-Bericht, die Ermittlungen stünden noch ganz am Anfang. Fest stehe bislang, dass es die "klare Absicht des Mannes gab, Ausländer zu töten". Die Polizei habe nun die Aufgabe, den Fall sauber und restlos aufzuklären. Der Mann soll in der Silvesternacht in Bottrop im Ruhrgebiet mit Absicht in eine Gruppe feiernder Menschen gefahren sein. Mehrere Menschen wurden verletzt, teils schwer. "Die Ermittlungsbehörden gehen derzeit von einem gezielten Anschlag aus", teilten Staatsanwaltschaft und Polizei mit. Bereits bei seiner Festnahme habe sich der 50-jährige Mann rassistisch geäußert. Unter den Verletzten sind auch Syrer und Afghanen. Eine 46 Jahre alte Frau habe zeitweilig in Lebensgefahr geschwebt, sagte Reul. Auch ein Kind sei verletzt worden. Der mutmaßliche Täter wurde am Nachmittag vernommen. Nach SPIEGEL-Informationen hat der 50-jährige Deutsche bei der Polizei geäußert, die vielen Ausländer seien ein Problem für Deutschland, das er lösen wolle. Er ist den Angaben zufolge bisher weder der Polizei noch dem Verfassungsschutz als Extremist bekannt gewesen und war den Sicherheitsbehörden vor der Tat nicht aufgefallen. Der Mann führte ersten Erkenntnissen zufolge ein unbescholtenes Leben. Er lebte allein, war offenbar seit vielen Jahren arbeitslos und bezog Hartz-IV. In der Vernehmung habe er auf eine psychische Erkrankung hingewiesen. Deshalb habe er regelmäßig Medikamente einnehmen müssen. Bei der Erkrankung soll es sich um eine Persönlichkeitsstörung handeln. Den Ermittlern erschien der Mann während der Tat allerdings "gut orientiert". Bislang gibt es den Angaben zufolge keine Hinweise darauf, dass der 50-Jährige in ein größeres Netzwerk eingebunden gewesen sein könnte. Auch scheint seine Tat nicht von langer Hand vorbereitet zu sein. Die Beamten suchen unter anderem nach dem "Trigger", der die Tat ausgelöst haben könnte. (SpiegelOnline)
Mich stören an der Rezeption dieses Terroranschlags gleich drei Sachen. Erstens, dass es nicht als Terroranschlag wahrgenommen wird, sondern als "Verbrechen" oder irgendwie anders geartetes "schreckliches" oder "tragisches" Ereignis. Zweitens, dass ständig von "Ausländer-" oder "Fremdenfeindlichkeit" im Zusammenhang mit der Tat gesprochen wird. Der Täter fragte seine Opfer nicht nach dem Pass, er suchte sie nach der Hautfarbe aus. Dänen oder Franzosen waren vor ihm ebenso sicher wie Bulgaren, gefährdet dagegen Deutsche mit dunkler Hautfarbe. Es ist Rassismus, nicht Ausländerfeindlichkeit. Das kann doch nicht so schwer zu begreifen sein und ist ein entscheidender Unterschied. Und drittens unterscheidet siuch die Attacke praktisch nicht von der Attacke auf den Weihnachtsmarkt - außer in der Nationalität und Hautfarbe des Täters. Auch die islamischen Attentäter haben häufig psychische Störungen, ohne dass das jemanden abhalten würde, die Taten als terroristische Attacken und Gefahr durch Flüchtlinge/Einwanderer/Muslime zu greifen. Diese Tat wurde von einem weißen Mann mittleren Alters durchgeführt. Das ist eine sehr gewaltaffine Gruppe. Noch ein Detail am Rande: Der AfD-Politiker André Roggenburg hatte noch Stunden vor dem Anschlag "allen Mitbürgern unserer Volksgemeinschaft" ein "patriotisches" 2019 gewünscht. Die AfD ist eine rassistische, extremistische und undemokratische Partei, und warum Leute hier im Blog das ständig leugnen zu müssen glauben ist mir völlig unbegreiflich. Diese ständige Relativierung und Verharmlosung führt zu genau solchen Taten. Wir sollten von der AfD die Distanzierung von weißem Terror mit der gleichen Verve erwarten wie von Muslimen zu islamistischen Attentätern. Die AfD mordet mit.

10) Warum das Frauenproblem bei der Wikipedia so tief sitzt
Als Anfang Oktober bekannt wurde, dass Donna Strickland als dritte Frau überhaupt den Nobelpreis in Physik bekommt, besaß sie nicht einmal einen Eintrag bei der englischsprachigen Wikipedia-Seite - ein Moderator hatte einen Artikel im Mai abgelehnt, weil er diesen für zu unwichtig gehalten hatte. Schon länger steht die Online-Enzyklopädie in der Kritik, weil vor allem Männer die Artikel schreiben und Frauenbiografien unterrepräsentiert sind. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Wikipedia ein Problem mit bestimmten Stereotypen hat: Forscherinnen und Forscher des Leibniz Instituts, der ETH Zürich und der Universität Koblenz-Landau konnten zeigen, dass Wikipedia im Vergleich zu anderen Lexika Frauen zwar in der Auswahl der Artikel nicht benachteiligt, in ihren Artikeln aber öfter Wörter wie "Familie" und "Kinder" fallen und häufiger Verlinkungen zu Artikeln von Männern enthalten sind. Wie genau steht es in der deutschen Wikipedia um Frauen? Wir haben die Biographien aller in den vergangenen 100 Jahren geborenen Personen heruntergeladen: Welche Frauen schaffen es auf die deutsche Wikipedia-Seite? Wann und wo muss man geboren sein, und welchen Beruf wählen, um eine Seite zu erhalten? Allgemein: Von den mehr als 330.000 Artikeln über Personen der vergangenen 100 Geburtsjahre handeln nur 20,3 Prozent von Frauen. Man kann aus diesem geringen Anteil jedoch nicht ablesen, ob Wikipedia systematisch Frauen weniger Beachtung schenkt, oder ob die Enzyklopädie eine gesellschaftliche Realität abbildet, in der nur ein geringer Teil wichtiger Posten durch Frauen besetzt ist. (SpiegelOnline)
Was wir hier sehen ist eine selbst erfüllende Prophezeiung. Weil Männer der Überzeugung sind, dass es keine wichtigen Frauen gibt, erlauben sie keine Artikel über Frauen in der Wikipedia, und die Tatsache dass es keine Wikipedia-Artikel über Frauen gibt gilt dann als Beweisgrundlage dafür, dass es keine wichtigen Frauen gibt. Bedenkt man die zentrale Rolle, die Wikipedia in der Wissensvermittlung des 21. Jahrhunderts spielt, wird ihren internen Administrations- und Editierungsprozessen immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt. Die Riege der Wikipedia-Top-Moderatoren ist ein obskurer Körper ohne echte Rechenschaftspflichten, der als Gatekeeper von Informationen fungiert. Leider wird das auch in den Bildungseinrichtungen zu wenig thematisiert, wo man sich häufig auf die formalistische Feststellung verlässt, dass Wikipedia entweder nicht oder nicht nur als Quelle dienen kann, ohne groß zu thematisieren, warum. Ständig hört man dies liege daran, dass "jeder" die Wikipedia editieren könne, aber jeder, der einmal ernsthaft versucht hat dort einen Artikel zu editieren, dürfte wissen, dass dies wahrlich nicht so ist. Es kann eben nicht "jeder" die Wikipedia editieren, sondern nur diejenigen Leute, die an den Gatekeepern vorbeikommen. Der Mythos der Schwarmintelligenz war so erfolgreich, dass er mittlerweile zum Klischee geronnen ist und nichts mit der Realität gemein hat. Aber an diesem Paradox sind schon die Piraten gescheitert, und die damit einhergehende Stagnation gefährdet auch die Wikipedia.

11) Trump launches unprecedented reelection machine
It’s a stark expression of Trump’s stranglehold over the Republican Party: Traditionally, a presidential reelection committee has worked in tandem with the national party committee, not subsumed it. Under the plan, which has been in the works for several weeks, the Trump reelection campaign and the RNC will merge their field and fundraising programs into a joint outfit dubbed Trump Victory. The two teams will also share office space rather than operate out of separate buildings, as has been custom. The goal is to create a single, seamless organization that moves quickly, saves resources, and — perhaps most crucially — minimizes staff overlap and the kind of infighting that marked the 2016 relationship between the Trump campaign and the party. While a splintered field of Democrats fight for the nomination, Republicans expect to gain an organizational advantage. There is another benefit as well: With talk of a primary challenge to Trump simmering, the act of formally tying the president’s reelection campaign to the resource-rich national party will make it only harder for would-be Republican opponents to mount a bid. (Alex Isenstadt, Politico)
Die republikanische Partei ist die Partei Trumps. Seit Mitte 2016 hat er sich die Partei völlig unterworfen, und das Ausmaß, in dem die GOP sich einem Personenkult um Trump anheim geworfen hat, ist beeindruckend. Trump schafft es, selbst Spitzenpersonal der Partei nach Belieben herumzudirigieren - so hat er kürzlich verordnet, dass im Reden von seiner bescheuerten Grenzmauer der Artikel "the" nicht mehr zu verwenden sei, was diverse GOP-Spitzenpolitiker dazu verleitete, artig "We need wall" zu schreiben und sagen, als wären sie auf die Stufe von Kindergartenkindern zurückgesprungen. Trump ist nicht blöd, das sieht man an solchen Eskapaden deutlich. Wenn er sich auf etwas versteht, dann darauf, Dominanz auszuüben und andere Menschen mit Gewalt seinem Willen zu unterwerfen. Er ist ein Autoritärer und wäre gerne Diktator, aber noch sind die US-Institutionen zu stark dafür. Stattdessen unterwirft er sich die GOP, deren Abwehrkräfte deutlich schwächer sind - kein Wunder, ist sie doch schon seit Jahren keine demokratische Partei mehr. Entsprechend verformt ist sie jetzt ein reines Vehikel der Trump-Maschine. Die Partei muss vollständig zerstört werden, bevor aus ihrer Asche eine neue, demokratische, konservative Opposition zu den Democrats entstehen kann. In ihrer derzeitigen Form ist sie nichts als ein "Einiges Amerika", weniger gut organisiert als sein russisches Vorbild.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.