Dienstag, 28. April 2020

Bücherliste April 2020, zweite Hälfte

Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Je nachdem wie sich das einpflegt werde auch auch auf andere Medien und Formate eingehen, die ich als relevant empfinde. Vorerst ist das Verfahren experimentell, bitte gebt mir daher entsprechend Feedback! Dieser Monat ließ sich so produktiv an, dass ich ihn in zwei Hälften spalte. Bisher gelesen: Wie man Diktator wird, warum das Römische Reich gar nicht so toll war, deutsche Gesellschaftsgeschichte, Alltag in Rom und Barcamps. Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Politische Bildung und Militär.

Frank Dikötter - How to be a dictator (Frank Dikötter - Populismus, Diktator werden und die Wege zur Macht)

Frank Dikötter hat Erfahrung mit Diktaturen; er schrieb einige grandiose Bücher über Maos Massenmorde. Eines davon - Maos großer Hunger - habe ich seinerzeit besprochen. In diesem Buch geht Dikötter einen anderen Weg und sieht sich insgesamt sieben Diktatoren an, beschreibt deren Weg zur Macht und wie sie sich darin gehalten haben (oder eben auch nicht). Der Untertitel der englischen Ausgabe über "the cult of personality" bezieht sich auf einen entsprechenden Grundlagentext der Totalitarismustheorie aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, in dem postuliert wurde, dass Diktatoren ihre eigene Person verherrlichen und überhöhen und über dieses Instrument herrschen. Dikötter überarbeitet diese These dahingehend, dass er eine Grundlinie der untersuchten Diktatoren ausmacht, in der politische Ideologie und theoretische Abfassungen keine große Rolle spielen. Unterschiede zwischen Hitler, Mao oder Papa Doc entstehen da dann mehr darüber, welche Mittel ihnen zur Verfügung stehen und welche Sozialisation sie haben, als ob sie links oder rechts sind. Das ist sicherlich ein richtiger Ansatz. Ob man von einem kommunistischen Diktator ermordet wird oder einem faschistischen ist recht egal, genauso wie irrelevant ist, ob eine Geheimpolizei Jubeln auf Massenveranstaltungen Stalins oder Mussolinis erzwingt. Der Ansatz führt aber zu einem interessanten ästhetischen Effekt. Die insgesamt sieben Kapitel sind ungemein repetitiv. Ob Stalin oder Hitler, Kim Il-Sung oder Ceauscau, jedes Mal sieht man denselben Prozess. Der Diktator wird von seinen Gegnern unterschätzt. Oftmals glauben sie, ihn kooptieren zu können. Er präsentiert sich als Diener einer Partei oder Bewegung. Dann eliminiert er seine Gegner, ignoriert Partei und Bewegung und installiert einen Personenkult. Das Interessante ist auch, dass der Personenkult selbst sich so unglaublich ähnelt. Alle Diktatoren präsentieren sich in ihrer Propaganda als detailverliebte Micromanager. Alle präsentieren sich als ernste und strenge Väter für ihr Volk; die meisten von ihnen ändern dieses Image dann zum liebend-nachsichtigen Landesvater, sobald sie die Macht haben (natürlich ohne die Massenmorde oder Polizeiwillkür einzuschränken). Diese Ähnlichkeiten sind alle sehr verblüffend. Der Leser wird durch die Struktur auch dazu angehalten, diese Schlussfolgerungen selbst zu ziehen, denn Dikötter gibt, abgesehen von einem kurzen Fazit, keine Analyse, sondern beschreibt nur. Normalerweise sehe ich so etwas als krasses Manko, aber die Analyse kommt in dem Fall wirklich durch die Repitition in der Struktur des Buches und zwingt die Aufmerksamkeit des Lesers geradezu auf die Gemeinsamkeiten. Ich könnte noch viel mehr über dieses Buch schreiben, aber stattdessen empfehle ich die Lektüre. Es lohnt sich.

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Walter Scheidel - Escape from Rome

Eine Frage, die Historiker nicht loslässt, seit es die Geschichtswissenschaft gibt, ist die: Warum schickte sich ausgerechnet Europa an, die Industrielle Revolution auszulösen und sich die Welt untertan zu machen? Von den kruden rassistischen Thesen der ersten Historiker im 19. Jahrhundert über nationalistischen Blödsinn zu marxistischen Theorien sind alle möglichen Erklärungen bedient worden. Vieles ist wesentlich zu deterministisch oder mit grobem Pinsel gezeichnet. Letzteres lässt sich bei dem Riesenthema nicht ganz vermeiden, aber Walter Scheidel gelingt es besser als vielen anderen, das Problem unter Kontrolle zu halten. Seine Theorie ist im Grundsatz ebenso simpel wie bestechend: Der große, alles entscheidende Faktor war das Römische Reich. Allerdings nicht seine Existenz oder sein Erbe. Sondern vielmehr sein ersatzloser Untergang. Für Scheidel liegt die zentrale notwendige (wenngleich nicht hinreichende!) Bedingung am Aufstieg Europas darin, dass der Kontinent seit dem Ende des weströmischen Reiches nicht mehr unter imperialer Herrschaft geeint war. Es steht Scheidel gut zu Gesicht, dass sein Buch einem ungeheuer stringenten und logischen Aufbau folgt. Wir erfahren zuerst, warum das Römische Reich überhaupt so erfolgreich war und entstehen konnte, wo vorher und danach zahlreiche andere Aspiranten scheiterten. Danach legt Scheidel seine Argumentation dar, weshalb es unterging, ehe er beginnt, mit präzise begrenzten kontrafaktischen Szenarien zu fragen, wer seinen Aufstieg hätte bremsen können oder wer es danach retten beziehungsweise hätte restaurieren können. Diese Fragestellungen legen die Grundlage des Werks, und die Antworten Scheidels sind bereits hier faszinierend. Nur in aller Knappheit grob zusammengefasst sieht er im Aufstieg Roms eine nie wieder erreichte Kombination innerer Faktoren (Organisation, Fiskalsystem, militärische Tiefe) und äußeren Faktoren (keine ebenbürtigen Konkurrenten), die zu einem potenten Gebräu vermischt werden. Weder kann Rom 200 Jahre vor oder nach seinen Erfolgen reüssieren, noch ist es möglich, seinen Erfolg zu wiederholen. Dies macht Scheidel anhand aller möglichen Aspiranten von den Arabern über die Karolinger zu Merowingern, Mongolen, Habsburgern, Osmanen, Spaniern und Franzosen deutlich. Mit diesen kontrafaktischen Szenarien aus dem Weg wendet sich Scheidel mehreren Faktoren wie etwa der Geographie, den Institutionen und der Kultur zu. Dabei arbeitet er eine spannende Argumentation heraus. Im Vergleich besonders mit China zeigt er auf, warum in Europa aus geographischen Gründen kein neues Imperium entstehen konnte. Gleichzeitig macht er aber - wie bei den anderen Faktoren auch - stets deutlich, was notwendige und was hinreichende Bedingungen sind. Letzteres entsteht eher durch das ganze Bündel. In die primitive Arena des geography is destiny bewegt sich Scheidel glücklicherweise nicht. Die Beweisführung hierfür erbringt er, indem er diverse kontrafaktische Szenarien durchspielt, etwa die Position Europas und Asiens vertauscht und so China die Möglichkeit gibt, Amerika zu entdecken. Dabei ist deutlich sichtbar, dass neben der Geographie andere Faktoren entscheidend sind. Unter diesen hebt Scheidel vor allem den kompetitiven Partikularismus Europas heraus, der unter anderem die Herausbildung eines Bankenwesens und damit die Versorgung mit Kapital ermöglichte. Auch der ständige (militärische!) Wettkampf unter den europäischen Staaten sorgte für großen Innovationsdruck, ohne die politischen Verhältnisse entscheidend zu verändern. Wenig Gewicht gibt Scheidel solchen Faktoren wie Verfassungstheorie oder Religion. Scheidel lässt keinen Zweifel daran, dass das Christentum in einem imperialen Einheitsstaat niemals das mächtige Gegengewicht zur monarchischen Autorität geworden wäre, das es im kompetitiven Partikularismus Europas war. Insgesamt ist Scheidels These, dass Imperien gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technologischen und politischen Fortschritt verhindern statt befördern und dass es gerade der Partikularismus Europas war, seine "Flucht von Rom", die seinen beispiellosen Fortschritt erst ermöglicht hat. Angesichts der verbreiteten Vorstellung Roms von der Spitze der europäischen Zivilisation bis mindestens 1750 ist das eine mehr als notwendige Revision. Seine Theorien sind insgesamt deutlich ausführlicher begründet, als dem meine winzige Zusammenfassung hier Gerechtigkeit widerfahren lassen kann. Die Beschäftigung mit dem Buch kann nur dringend empfohlen werden; sie ist gedanklich mehr als nur fruchtbar.

Robert Knapp - Römer im Schatten der Geschichte

Ich hab dieses Buch auf eine Empfehlung von unserem Kommentator cimourdain besorgt, weil ich im März kritisiert hatte, wie schlecht die "Alltagsgeschichte" der Great Courses ist. In diesem Buch unternimmt es der Autor Robert Knapp, anhand verschiedener Gesellschaftsschichten ein Bild des Alltags zu entwerfen. Seine explizite Ausklammerung aller Quellen, die sich mit dem Leben der Elite beschäftigen, allein ist schon ein Fortschritt gegenüber dem Machwerk der Great Courses; dass er auch alle Quellen ausschließt, die die Elite über das Leben der unteren Schichten geschrieben hat (eine bereits sehr dünne Auswahl!) und die sich mit dem Leben des Plebs in Rom selbst beschäftigen ist sicherlich folgerichtig, schafft aber auch das Problem, dass Knapp auf eine ungemein schmale Quellenbasis angewiesen ist. Das muss natürlich kein Ausschlusskriterium sein und ist es auch nicht. Knapp arbeitet sehr sauber und zeigt ausführlich auf, auf welcher Basis er zu seinen Urteilen kommt. Die extensiven Quellennachweise und langen Quellenauszüge tragen zu dieser Grundlage zwar bei, schränken aber in meinen Augen die Lesbarkeit deutlich ein. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau. Knapp entwirft ein zwar notwendig unvollständiges, aber selten gesehenes und spannendes Bild des römischen Alltagslebens. Dabei fallen einige Komponenten besonders auf. Das erste ist die sehr prekäre Situation vieler Römer; Unterbeschäftigung und Hunger sind ständige Begleiter von mindestens zwei Dritteln der römischen Bevölkerung. Die unteren 95% sind zudem von der Elite praktisch vollständig abgekapselt und haben keine Berührungspunkte; wo es diese gibt, sind sie immer zum Nachteil der unteren Schichten. Obwohl das Leben furchtbar hart und die ökonomische Ungleichheit gewaltig ist, wird das schicksalhaft hingenommen. Dasselbe gilt auch für die Rolle der Frauen. Knapp lässt keine Zweifel daran, dass in diesen ohnehin schon nicht beneidenswerten Lebensumständen die Frauen noch einmal deutlich schlechter dran waren, aber es für sie unvorstellbar war, gegen die Strukturen aufzubegehren und sich Freiräume zu erkämpfen. Diese Passivität aller unteren Schichten und benachteiligten Gruppen findet sich ja auch effektiv bis zur Entstehung der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, was für Knapp zwar kein Thema ist, sich mir als Erkenntnis aber durchaus aufdrängt. Auch die Rolle von Sklaven und Freigelassenen wird analysiert. Spannend hier ist, dass die Sklaven einerseits "nur" maximal 15% der Bevölkerung ausmachten, aber andererseits - weil Sklaverei bei den Römern nicht rassistisch geprägt war - nicht von Freien zu unterscheiden waren. Das Verhältnis der Römer zu Sklaven war daher auch ein ganz anderes als das der Südstaaten-Plantagen später in den USA. Ebenso spannend ist die Betrachtung des Lebens des einzelnen Soldaten. Ich will an dieser Stelle noch einmal Philip Matsyzaks "Karrieführer" in der römischen Armee empfehlen, den ich 2014/15 und 2015/17 besprochen habe und der ebenfalls grandios ist. Knaupp legt in seiner Betrachtung viel Gewicht auf die privilegierte Rolle der Soldaten und wie diese sie gegenüber der Bevölkerung ausnutzten. Einem Soldaten zu begegnen konnte durchaus lebensgefährlich sein; schädlich war es praktisch immer. Weitere Kapitel befassen sich mit Gladiatoren und Banditen. Während die Existenz ersterer erstaunlich wenig mit dem Klischee gemeinsam hat - die Überlebenschancen der Gladiatoren im Kampf waren deutlich besser als man denkt, wenngleich die durchschnittliche Lebenserwartung aus anderen Gründen schlecht war - ist es immer wieder erstaunlich, wie wenig eine Entität wie das römische Reich gegen die allgegenwärtige Wegelagerei unternahm. Wie viel schlimmer musste das erst unter Regimen sein, die nicht die interne Kohäsion des Imperium Romanum aufwiesen? Ein notwendiges Problem des gewählten Aufbaus ist, dass die Vergleichskategorien zu kurz kommen, weil jedes Kapitel eine abgeschlossene Gruppe betrachtet und so weniger ein Gesamtbild entworfen als ein Mosaik gelegt wird - ein Mosaik, das notwendigerweise unvollständig bleibt und mit vorhandenen Kenntnissen ergänzt werden muss. Das spricht nicht gegen das Werk, macht es aber für Anfänger nur bedingt geeignet.

Hans-Ulrich Wehler - Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band 5: 1949-1990

Hans-Ulrich Wehlers "Deutsche Gesellschaftsgeschichte" ist eines der großen Werke, die es nur selten gibt: Der Versuch eines renommierten Historikers, eine riesige Synthese des gesamten Forschungsbereichs zu leisten. In fünf Bänden - das hier ist der letzte - unternimmt es Wehler, die gesamte Gesellschaftsgeschichte abschließend zu beleuchten. Wer jetzt denkt, dass das eine ganz schöne Informationsdichte voraussetzt, liegt richtig. Leichte Kost ist das hier nicht. Besonders für den vorliegenden Zeitraum muss Wehler ja auch permanent die BRD und die DDR gegenüberstellen. Der Vergleich ist oft instruktiv, wenngleich er für die BRD wesentlich ausführlicher ausfällt als für ihren östlichen Nachbarstaat. Angesichts des Umfangs von Wehlers Projekt darf man erwarten, dass der Mann mit einem gewissen Selbstbewusstsein an die Sache herangeht. Nicht jeder würde sich diese Synthese schließlich zutrauen. An diesem Selbstbewusstsein fehlt es Wehler jedenfalls nicht. In Nebensätzen werden KollegInnen aller gesellschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen abqualifiziert, ganze Denkrichtungen für fehlgeleitet erklärt oder als die richtige Herangehensweise geadelt. Das Lesen macht dies besonders dann anstrengend, wenn man die Leute gar nicht kennt - Wehler setzt eine große Belesenheit seines (Fach-)Publikums in diesem Feld durchaus voraus; mir waren viele der Namen unbekannt. Die Tendenz zu großen Urteilen erstreckt sich auch auf den Fachgegenstand selbst. Wehler schreckt nicht davor zurück, abschließende Werturteile zu zahlreichen Themen zu treffen. Das ist vor allem deswegen erträglich, weil er einen sehr eigenen Standpunkt hat, bei dem sich wohl jedeR in der einen oder anderen Position wiederfindet und bei der einen oder anderen auf die Füße getreten fühlt. So macht Wehler aus seiner Abneigung gegen die 68er und alle Reformbestrebungen im Universitätssektor keinen Hehl ("Demokratisierung im Wissenschaftsbetrieb ist dysfunktional"), beklagt aber auf der anderen Seite wortreich die anhaltende Unterdrückung der Frau, nur um zwei Beispiele zu nennen. Schwer lesbar ist das Buch aber auch, weil Wehler der Überzeugung zu sein scheint, dass das Fremdwort gegenüber seinem deutschen Synonym grundsätzlich zu bevorzugen sei. Warum "hier und jetzt", wenn man "hic et nunc" schreiben kann? Warum "bedauerlich", wenn man mit "deplorabel" über eine nachschlagenswerte Alternative verfügt? Der schwere Jargon zieht sich durch das komplette Werk. Ich fühlte mich ins Studium zurückversetzt, und nicht auf eine gute Art. Meine eigene Schreibe hat immer noch bleibende Schäden von dem, was uns damals beigebracht wurde. Bei Wehler sehen wir quasi das fortgeschrittene Stadium. Aber es hat letztlich seinen Grund, warum Wehlers "Deutsche Gesellschaftsgeschichte" seinen Platz im Kanon der großen historischen Übersichten hat. Seine Sachkenntnis ist unbestritten, und er schafft es, jedes Thema auf nur wenige Seiten zusammenzudampfen. Es sind nur extrem viele Themen, die hier angesprochen werden. Eigentlich müsste man sich beim Lesen Notizen machen, und ich werde gar nicht den Versuch unternehmen, hier irgendeine Best-Of zu starten. Daher: Wer sich für die Thematik interessiert und die Einstiegshürde nicht scheut, dem sei auch heute noch Wehlers Werk anempfohlen. Gerade für zwar einschlägig Interessierte, aber nicht vom Fach kommende Leser dürfte aber schnell Frustration aufkommen. Übersichtsdarstellungen sind nicht zwingend für Einsteiger geeignet. Wehlers jedenfalls ist es sicherlich nicht.

Jöran Muuß-Merholz - Barcamp &Co - Peer-to-Peer-Methoden für Fortbildungen Ich bin in meiner schulischen Funktion gerade dabei, einen Pädagogischen Tag zum Thema Digitaler Unterricht zu planen, und da ich ihn gerne als ein Barcamp organisieren würde, kam mir dieses Buch von Jöran Muuß-Merholz sehr gelegen. In leicht lesbaren, großzügig gelayouteten Seiten erklärt der Autor die grundsätzlichen Überlegungen hinter Peer-to-Peer-Fortbildungen und wie sie sich von klassischen Fortbildungen unterscheiden, gibt eine Einführung in die Funktion von Barcamps, ein Praxisbeispiel und schließlich zahlreiche Hilfen für die Organisation, ehe der Band mit einer Sammlung weiterer Peer-to-Peer-Methoden außerhalb der Barcamp-Methode abgeschlossen wird. Für diejenigen, die es nicht kennen: Das Barcamp ist eine dezentrale Fortbildung, bei der die TeilnehmerInnen selbst so genannte Sessions anbieten, also kurze Einheiten, weswegen man auch von TeilgeberInnen spricht - jeder nimmt und gibt gleichzeitig Input. Dieses offene Konzept ist natürlich insofern gefährlich, als dass es für die Veranstaltenden schwer planbar ist, welche Themen genau zum Zug kommen werden (außer dem Oberthema natürlich), aber der gewaltige Vorteil liegt gerade in der offenen Struktur und den Möglichkeiten, Dinge zu diskutieren, die gerade nicht vorgeplant und durchgekaut sind. Das Buch liefert hierfür sehr nützliche Hinweise und Leitplanken. Für meinen spezifischen Kontext waren nicht alle Teile notwendig - so war Marketing, Einladung und Logistik der Anreise angesichts der verpflichtenden Natur der Veranstaltung als pädagogischer Tag für mich eher irrelevant - aber die konkreten Beispiele, die Stichpunktlisten von Dingen auf die man achten muss und die kurzen Erklärungen, was eigentlich die grundsätzliche Idee hinter dem Konzept ist, sind hervorragend gelungen. Wer sich mit dem Gedanken trägt, ein Barcamp durchzuführen oder auch nur an einem teilzunehmen, ob als Session-AnbieterIn oder nicht, kann mit dem Werk wenig falsch machen.

ZEITSCHRIFTEN:

Aus Politik und Zeitgeschichte - Politische Bildung

Politische Bildung ist, sagen wir es höflich, ein umstrittenes Feld, schon immer gewesen. Wer daran zweifelt, bekommt hier einen Überblick sowohl über die Geschichte der politischen Bildung als auch ihre Funktionsweise in der Weimarer Republik. Aber das ist gar nicht das zentrale Thema. Der Schatten, der offensichtlich über dem gesamten Thema hing - oder das Damokles-Schwert, je nachdem - war die AfD mit ihrem unverhohlenen Kampf gegen die politische Bildung und ihren Versuchen massiver Einschüchterung des Lehrapparats. In diesem Kontext ist das Heft sehr willkommen, dessen erste Beiträge sich alle ausführlich an der Frage arbarbeiten, wie neutral LehrerInnen wirklich sein müssen. Dürfen sie die AfD im Unterrichtsgeschehen kritisieren? Ist es ihnen erlaubt, politische Präferenzen zu haben und diese auch zu zeigen? Ist die AfD einfach ein undemokratischer Haufen, der sich an totalitärer Einschüchterung des Bildungssystems versucht? Die Antwort lautet in allen Fällen ja und wird sowohl juristisch als auch didaktisch sauber begründet. Neben diesen Themen enthält das Heft auch ein Essay über den Bildungsbegriff als solchen, das ich allerdings als wenig spannend empfand; ich bin solchen Meta-Debatten gegenüber aber zugegebenermaßen auch grundsätzlich nicht sonderlich aufgeschlossen. Dazu gibt es den Blick über den Tellerrand nach Frankreich mit seinem laizistischen citoyen-Konzept, das seine ganz eigenen Probleme in diesem Bereich hat, und nach Brasilien, wo - wenig überraschend - die politische Bildung gerade vom rechtsextremistischen Präsidenten Bolsonaro und seiner Partei auseinander genommen wird.

Aus Politik und Zeitgeschichte - Militär

Im aktuellen Heft geht, es wenig überraschend, um das Militär. Die ersten drei Beiträge befassen sich dabei grob mit gesellschaftlichen Rückkopplungseffekten. Erst geht es um die Frage, inwiefern sich der Blick auf die Militärgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert geändert hat. Es ist immer wieder faszinierend, dass dieser Bereich wahnsinnig öffentlichkeitswirksam von (überwiegend miesen) Amateuren bespielt wird, während seriöse Historiker sich kaum damit beschäftigen. Hier gab es erst jüngst eine Trendwende. Wenig spektakulär ist dagegen ein Essay über die gegenseitige Verflechtung von Sozial- und Militärpolitik, was vor allem am Ergebnis liegt. Dafür kann der Autor natürlich wenig, er arbeitet nur sauber. Letztlich ist die Erkenntnis, dass zwar rhetorisch gelegentlich Alphabetisierung mit der Notwendigkeitkeit gebildeterer Rekruten begründet wurde; nachweisen lässt sich aber jenseits vereinzelter Rhetoriken kein Wirkungszusammenhang. Zuletzt in diesem Feld findet sich eine Untersuchung zum Wandel des Soldatenbilds; auch hier ist wenig überraschen festzuhalten, dass der Beruf in Deutschland kein sonderlich hohes Ansehen genießt, aber auch nicht sonderlich verachtet ist. "Freundliches Desinteresse" ist die Formulierung, die wohl auf breite Bevölkerungsschichten zutreffen dürfte. Etwas dornenreicher ist die Thematik vom Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Warum es überhaupt diskussionswürdig ist, dass die Armee eine besondere Attraktivität auf Rechtsextremisten ausübt (wie auch die Polizei), erschließt sich mir nicht. In Journalismus und Bildungswesen finden sich bekanntlich auch besonders viele Progressive. Wenig überraschend, das alles. Technischer wird es mit einer Betrachtung de Fähigkeiten und des Ausrüstungsstands der Bundeswehr. Auch hier ist das Ergebnis eher zusammenfassender Natur; sonderliche Überraschungen sind nicht zu erwarten. Wesentlich spannender ist schon eine Untersuchung zu der Frage, wie Militärs auf der ganzen Welt in Regierungshandeln eingebunden sind. Die im 20. Jahrhundert noch so beliebte Regierungsform der Militärdiktatur ist fast ausgestorben; das Militär ist in vielen Ländern nicht mehr sonderlich in die Politik verwoben - dafür aber, und das ist ebenfalls ein Trend, häufig auch stark abgekapselt. Spannend. Abgeschlossen wird das Heft mit einer Untersuchung des "liberalen Militarismus", der mir aber etwas zu wolkig war. 

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