Sonntag, 19. April 2020

Mörder an Regierungsschaltstellen

In der gesamten westlichen Welt findet durch die Corona-Krise gerade ein großer Lackmustest der Regierungen statt. Welche meistern die größte Krise in Jahrzehnten ordentlich und welche nicht? Wo sitzen inkompetente StümperInnen und wo kompetente KrisenmanagerInnen? Doch ein Land nimmt im Westen eine Ausnahmestellung ein: die USA. Zwar gibt es auch hier Gouverneure, die sich kompetenter anstellen als andere, doch stellt sich eine ganz andere Frage: Haben wir es mit Mördern in Regierungsschaltstellen und ihren willfährigen Helfern zu tun? Dass diese Frage überhaupt ausformuliert werden muss, für die älteste Demokratie der Welt und Bollwerk der westlichen Welt, ist bereits alarmierend genug. Die Antwort aber ist noch viel erschreckender.

Es ist ja hinreichend dokumentiert und mittlerweile Gegenstand zahlreicher Wahlwerbespots, wie Trump die Corona-Krise zu Beginn verharmlost hat. Weit in den März hinein verkündete er, es gäbe kein Problem, die USA wären von Corona nicht betroffen, weitergehen, es gibt nichts zu sehen. Nun haben auch die anderen westlichen Regierungen Ende Februar, Anfang März nicht eben die große Corona-Trommel gerührt. Gleichwohl haben sie mindestens seit Januar erste Vorbereitungen getroffen (was ja der Grund dafür ist, dass Deutschland im März so viel mehr getestet hat als der ganze Rest der Welt - wir hatten seit zwei Monaten Testmaterial eingekauft).

Vor allem aber haben die anderen westlichen Regierungen recht schnell umgeschlagen. Ob Boris Johnson oder Matteo Renzi, am Ende standen sie alle mit ernsten Gesichtern vor der Kamera, verkündeten soziale Distanzierungsvorgaben und ergriffen die notwendigen Maßnahmen. Nicht so Trump und die Republicans. Sie machten sich stattdessen an die planmäßige Sabotage der Maßnahmen - und versuchen, gezielt Schaden bei ihren politischen Gegnern anzurichten.

Ein geteiltes Land

Dabei kam ihnen entgegen, dass die Krankheit in den USA ihr Epizentrum in "blauen" Staaten hatte, vor allem New York und Kalifornien. Beide sind absolute Hassobjekte Trumps, gegen die er permanent twittert und politische Vergeltungsaktionen startet. Alleine die würden ein sofortiges Amtsenthebungsverfahren erlauben, wenn Trump etwa einseitig gegen ihn nicht wählende Staaten gerichtete Wirtschaftssanktionen über den Hebel der Außenpolitik durchführt. Doch in der Corona-Krise nehmen diese Versuche eine ganz neue Dimension an.

So weigerte sich die Bundesregierung etwa genüsslich, den Hilferufen sowohl des Bürgermeisters von New York City, Bill deBlasio, als auch des Gouverneurs des Staates New York, Andrew Cuomo, zu entsprechen. Bewusst blockierte das Weiße Haus Hilfsgelder, versuchte Mittel wie Atemmasken oder Beatmungsgeräte umzuleiten und weigerte sich, Isolierungsmaßnahmen gesetzlich zu unterfüttern. Einzig die vergleichsweise große Machtfülle der Einzelstaaten im US-System und die Tatsache, dass mit New York und Kalifornien wirtschaftlich starke Staaten getroffen wurden, erlaubten es den Gouverneuren, eigene Maßnahmen zu treffen, auch wenn diese ohne flankierende Bundesmaßnahmen unzureichend bleiben mussten.

Das Perverse an dieser Situation ist, dass selbst in diesen Staaten ja ein Drittel bis zwei Fünftel der Einwohner Republicans wählen. Das gnadenlose System des Mehrheitswahlrechts, in dem ein Staat immer komplett an den eineN oder andereN möglicheN KandidatIn gehen muss, sorgt dafür, dass diese Menschen einfach als Kollateralschäden in einem skrupellosen Verständnis von Politik abgeschrieben werden. Man vergleiche das mit dem permanenten aufreibenden Bemühen der Obama-Regierung, auf Kosten der blauen Staaten solch tiefroten Staaten wie Arkansas oder Louisiana eine allgemeine Gesundheitsvorsorge zu geben. Würden die Democrats handeln wie die Republicans, hätten sie einfach eine luxuriöse Gesundheitsvorsorge nur für willige Staaten verabschiedet und die US-Version des Länderfinanzausgleichs aufgekündigt.

Man sollte allerdings nicht annehmen, dass dieser zielgerichtete Versuch, diesen Staaten zu schaden, bedeuten würde, dass rote Staaten Hilfe bekommen. Aber dann hätte man die Mentalität sowohl Trumps als auch der GOP falsch verstanden. Für Trump geht es einzig und allein um den PR-Effekt. Für ihn ist Corona ohnehin nicht real, in dem Sinne, als dass er sich gegenüber den Auswirkungen als immun betrachten dürfte. Ob er davon überzeugt ist, wie er er immer wieder insinuierte, dass es sich um einen Hoax handelt, ist schwer zu sagen. Es ist aber auch irrelevant.

Nur so ist jedenfalls zu erklären, dass er, während die Stadt New York Massengräber in ihren Parks auszuheben begann, "vollgepackte Kirchen" zu Ostern forderte, mit der Begründung, dass das so schön aussehe. Man darf sich recht sicher sein, dass Menschen, die in einer Pandemie zu Ostern in "vollgepackte Kirchen" gehen, ihr Kreuz nicht bei Joe Biden machen werden.

Im Falle Trumps ist es schwierig herauszuarbeiten, welches Ziel er eigentlich hat. Zu sehr scheint er von Bauchgefühlen und niederen Instinkten getrieben. Er will die Bewunderung und Loyalitätsbekundung der Massen. Bei seiner Partei dagegen ist das Ziel wesentlich eindeutiger. Es geht schlicht um den Machterhalt. Die Republicans können keine Wahlen gewinnen, bei denen alle Menschen gleichen Zugang zur Wahl haben. Sie versuchen deswegen mit aller Macht, dafür zu sorgen, dass dieser Zugang für ihre Gegner weit möglich eingeschränkt wird.

Leben gegen Posten

Unter dem Stichwort voter suppression sind diese Maßnahmen schon seit Längerem diskutiert; das Abhalten unerwünschter Wählergruppen vom Wahlakt ist in die DNA der USA quasi eingebacken und gehört seit Gründung des Landes zu den systemischen Problemen, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt überzeugend angegangen wurden - Fortschritte, die seither von rechtsradikalen Richtern und Politikern im Tandem wieder rückgängig gemacht wurden. Man denke nur an Georgia 2018 oder Florida 2000, um die Auswirkungen deutlich zu sehen. Aber in Zeiten von Corona erhält diese übliche republikanische Strategie eine mörderische Komponente.

Seit Beginn der Krise arbeiten republikanische Abgeordnete und Stabsmitarbeiter frenetisch daran, jegliche Schritte hin zu einer Briefwahl im November zu blockieren. Kombiniert damit, dass zahlreiche Wahlstellen in progressiven Wahlkreisen geschlossen werden (schamloserweise gerne mit Verweis auf die Pandemie) zeigt sich, dass die republikanische Strategie für die zweite Amtszeit Trump darin besteht, massiv die Wahl zu behindern und so viele Gegner wie möglich an der Abstimmung zu hindern:
“There is only one major political party in America that wants to create a scenario where there are limited, safe opportunities for people to cast their ballot,” Padilla added. “Trump himself has said it. They are not even hiding it anymore. They are talking about it openly and publicly.” (Quelle)  
Die Rechnung ist, dass republikanische Wähler eher bereit sind, die gebotenen Schutzmaßnahmen zur sozialen Distanzierung zu missachten und in einer stark polarisierten und parteiisch aufgeheizten Atmosphäre zur Wahl zu gehen als die progressiven Wähler - eine Annahme, die sicherlich richtig ist.

Einen Vorgeschmack darauf bot die Wahl eines Richterpostens zum Supreme  Court in Wisconsin. Der Staat war einer der drei Staaten, in denen Trump 2016 insgesamt 77.000 Stimmen mehr als Clinton bekam - und so knapp ins Weiße Haus schrammen konnte. Das macht die Bedeutung klar. Der oberste Gerichtshof des Staates besteht aus sechs RichterInnen, die 4:2 zugunsten der Republicans aufgestellt waren. Angesichts der Pandemie forderten die Democrats eine Verschiebung des Wahltags, so dass alle Wähler die Möglichkeit zur Briefwahl nutzen konnten (die Frist, absichtlich möglichst knapp gesetzt, war bereits verstrichen).

Der demokratische Gouverneur des Staates, Tony Evers, ordnete dies an, aber das von den Republicans kontrollierte Staatenhaus blockierte die Maßnahme - weswegen sie beim Supreme Court landete, der wenig überraschend in seinem eigenen Sinne entschied. Falls sich jemand fragt, warum die Richter das Risiko einer Infektion selbst eingingen, keine Bange: Alle vier republikanischen Richter, die in Wisconsin das Wählen per Briefwahl für ihren eigenen Posten für unzuverlässig erklärten, hatten zuvor selbst per Briefwahl abgestimmt. Im Falle Wisconsins ging das Kalkül glücklicherweise nicht auf. Die Republicans scheinen stattdessen die demokratischen Wähler so verärgert zu haben, dass diese in Rekordzahlen zur Wahl gingen; der demokratische Bewerber gewann. Die offene Gefährdung zehntausender Menschen, um einen Richterposten zu behalten, spricht allerdings Bände über die Bereitschaft der Republicans, für kleine politische Gewinne buchstäblich über Leichen zu gehen und Maßnahmen aktiv zu sabotieren.

Man sollte übrigens nicht annehmen, dass die Richter in Wisconsin die einzigen Republicans wären, die öffentlich Covid-19 verharmlosen und gleichzeitig für ihr eigenes Wohl sorgen:
A great many Republican elected officials think nothing of using their position to turn a quick profit during a crisis. Take Sen. Richard Burr (R-N.C.), who was recently caught by ProPublica selling between $628,000 and $1.72 million in stocks in mid-February, immediately after receiving several classified briefings about the dangers of coronavirus on the Senate Intelligence Committee, which he chairs. A week before Burr co-wrote a Fox News op-ed assuring the public that "the United States today is better prepared than ever before to face emerging public health threats, like the coronavirus," but on Feb. 27 he warned a small private club of wealthy constituents that "There's one thing that I can tell you about this: It is much more aggressive in its transmission than anything that we have seen in recent history … It is probably more akin to the 1918 pandemic." (Quelle)
Das ist alles so ungeheuer verkommen, dass einem die Worte wegbleiben.

Der Superlativ

Ihre höchste Steigerung aber findet die Bereitschaft, Tod und Verderben über die eigene Bevölkerung zu bringen, in der Person Trumps und seiner Helfershelfer bei FOX News. Nicht nur verkündete er, wie bereits beschrieben, seine Forderung nach vollgepackten Kirchen an Ostern. Seit seine Position, dass Covid-19 keine Bedrohung sei, unhaltbar geworden war, vollzog er eine seiner vielen 180°-Wendungen und verkündet nun, dass er es schon immer wusste und dass alle anderen Schuld am Ausbruch der Krankheit seien.

Besonders in seinem Fokus ist dabei China, gegen das er rassistische Hasstiraden ablässt, die mittlerweile zu mehreren Fällen von Gewalt gegen asiatisch aussehende Menschen geführt haben. Aber auch sonst rast seine inkohärente Botschaft von einem Virus, das nicht existiert, dessen fundamentale Bedrohung nur er erkannt hat, das harmlos ist und gleichzeitig die Schließung des Kongresses durch seine Person notwendig macht, durch alle Kanäle. Das Resultat ist, wie immer, ein aufgeheizter Mob, der bereit ist, seine Aggressivität zu entladen - irgendwohin, was auch immer Trump als nächstes Ziel vorgibt. Und Ziele vorgeben, das kann er. Das war erste in einer Reihe von Tweets, in denen Trump aufforderte, Staaten mit demokratischen Gouverneuren zu "befreien", die ihn kritisiert hatten. Wenig überraschend sehen Extremisten das als präsidentielle Aufforderung zur Gewalt. Trumps inhaltloses Abspulen der üblichen Trigger für die rechtsextremistischen Mobs ist so vorhersehbar wie dumpf. Die Erwähnung des 2nd Amendment (dem Recht, Waffen zu tragen) ist mittlerweile so zum Ritual erstarrt, dass es nur noch als Code lesbar ist. Mit Corona hat es nicht das Geringste zu tun, aber wann immer die amerikanischen Rechten das 2nd Amendment beschwören kann man sicher sein, dass bis an die Zähne bewaffnete Demonstranten auftauchen werden, wo auch immer sie hingeleitet werden. Inmitten einer Pandemie dirigiert Trump bewaffnete Lynchmobs durch die Gegend.

Die Folgen sehen wir ziemlich schnell. So blockieren Demonstranten den Eingang eines Krankenhauses in Michigan. Dieser Protest gegen Soziale Distanzierung ist kein Einzelfall. Unter der stets verlässlichen Hilfe von FOX News, die praktische Karten aller dieser Proteste mit Aufrufen zur Teilnahme verbreiten, finden sich solche Aufläufe überall in den USA: Republikanische Politiker (ja, alles Männer) wie Ted Cruz indessen gießen Öl auf die Flammen, indem sie die Proteste verteidigen und Fake News verbreiten, so etwa (in Cruz' Fall), dass Michigans Gouverneur Mitch Whitmer die sozialen Distanzierungsmaßnahmen selbst nicht einhalte und den Verkauf amerikanischer Flaggen untersagt habe (!). Der Wirtschaftsberater Trumps, Stephen Moore, vergleicht die Kriminellen gar mit Rosa Parks: Warum sollte man auch in einer solchen Situation nicht auch noch eine Schippe drauflegen und noch ein bisschen beiläufigen Rassismus dazulegen? Wenn man schon dabei ist, quasi.

Mörder?

Sicher, juristisch gesehen ist das kein Mord. Es ist eine Zuspitzung meinerseits, eher rechtsgerichtete Personen würden es vielleicht gar als diffamierende Hetze gegen die Republicans und Trump sehen. Aber ich finde es gerechtfertigt. Wenn Regierungen bewusst das Leben ihrer Bevölkerung in Gefahr bringen, wenn Regierungen bewusst versuchen, das Leben derjenigen Teile ihrer Bevölkerung zu gefährden, die ihnen politisch entgegengestellt sind, dann fehlt uns dafür im demokratischen Diskurs schlicht das passende Wort. So etwas kommt in westlichen Demokratie nicht vor. Es ist etwas, das wir mit einem Autokraten wie Jair Bolsonaro verbinden. Es würde mich nicht wundern, solche Vorwürfe über Nordkorea zu lesen. Aber über die Vereinigten Staaten von Amerika?

Das Ausmaß der Verrohung auf Seiten der Republicans, einer völlig einseitigen Verrohung, die auf der anderen Seite des politischen Spektrums keine Entsprechung kennt, ist erschreckend. Ihr offen gezeigter Wille, jegliche demokratischen Regeln und Normen zu zerschlagen, wo es ihrem Machterhalt dient, ist furchterregend. Das Ausmaß, in dem diese Verschiebungen normalisiert wurden, ist betäubend.

In der Spanne weniger Tage hat der amerikanische Präsident dazu aufgerufen, bewaffnete Rebellionen in Bundesstaaten zu starten, die Gouverneure der Oppositionspartei haben.

In der Spanne weniger Tage hat der amerikanische Präsident dazu aufgerufen, mitten in einer Pandemie Massenkundgebungen abzuhalten, um den Glauben an seine Führung zu bekunden.

In der Spanne weniger Tage hat der amerikanische Präsident erklärt, er habe die "totale Autorität", sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die er für richtig hält.

In der Spanne weniger Tage hat der amerikanische Präsident erklärt, er denke darüber nach, den Kongress zu schließen, um alleine regieren zu können.

Diese Ereignisse fanden, noch einmal, innerhalb weniger Tage statt. Sie sind in der Trump-Präsidentschaft zu Hintergrundrauschen geworden. Vor dem Januar 2017 wäre jede einzelne dieser Äußerungen ein die Präsidentschaft definierender Skandal gewesen. Inzwischen ist es einfach nur ein anderer Tag im Büro. Diese atemberaubende Verschiebung von Maßstäben macht es praktisch unmöglich, in etwas anderem als Superlativen über diese Administration zu reden, aber das Ausmaß an Inkompetenz und menschlicher Niedrigkeit, sie sie gleichzeitig zur Schau stellt, lässt es als geradezu albern erscheinen. Der Beobachter kann nur hilflos den Kopf schütteln und sich fragen, ob er den Verstand verloren hat oder diese Leute.

Und das ist genau der Effekt, den diese skrupellosen Extremisten erreichen wollen. Denn im Zentrum dieses Mahlstroms aus Bosheit und Niedertracht sitzt nicht Trump. Wenn eine Person im Zentrum dieses Mahlstroms sitzt, dann ist es Mitch McConnell, der kalt lächelnd und zynisch das Chaos nutzt, um seine eigene Agenda durchzuziehen. Er und seine Partei sind es, die den Wahnsinn aus dem Weißen Haus möglich machen - und Mörder an Regierungsschaltstellen bringen.

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