Dienstag, 28. April 2020

In der Dusche mit Mitch McConnell, Rente kürzen für die Goten und mit der taz in Disneyland - Vermischtes 28.04.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Don’t Be Fooled by Autocrats!
But Hungary’s emergency is not like that of any other country in Europe – or for that matter any country anywhere.  Let us mention just a few of the powers that the government has already claimed.   No other country has put military commanders at the head of every hospital in the country.   Last week, on the orders of the Hungarian health minister, these commanders cleared 36,000 hospital beds across the country – mostly by ejecting terminally and chronically ill patients from these hospitals and sending them home.   Nurses were frantically explaining to family members how to change drips and bandages, how to administer shots, how to look for dangerous turns in these patients’ conditions.  And now, of course, tens of thousands of Hungarian families are isolated at home with sick and dying loved ones who should have had hospital care.   Two hospital directors were fired for resisting the government’s orders, which overrode doctors’ assessments of what was best for their patients’ health.   Never mind that the real need for beds is about a tenth of the government estimates. The government has also inserted the military into at least 150 “strategic” companies to ensure their continued operation through the pandemic.  Among the companies now under military direction are major players in the food business among many others.   In addition, military are now much more visible on the streets.  Of course, some countries, like the US, have deployed military units to help fight the pandemic.  But those units are building field hospitals to handle the crush of patients; they are not there for social control or economic guidance purposes, as they are in Hungary. Orbán has issued about 70 decrees so far with his newly found powers.  It is impossible to summarize them all. (Gabor Halmai, Verfassungsblog)
Jedes Mal wenn man denkt, man hat sich gerade daran gewöhnt, auf welchem Schritt Ungarn auf der Reise in die Diktatur gerade ist, entsetzt einen eine neue Nachricht. Das Militär übernimmt die zivile Regierung und wirft todkranke Leute aus dem Krankenhaus? Das sind Bilder, die hat man hier in Europa eigentlich seit dem Ende des Dritten Reichs nicht mehr gesehen (wobei ich ja befürchte, dass es genug Beispiele von östlich des Eisernen Vorhangs gibt...). Ungarn bleibt die schwärende Wunde in der EU. Wenn diese Föderation kaputt geht, dann glaube ich weniger wegen den italienischen Staatsfinanzen. Geld ist letztlich nur Geld. Dafür findet sich im Zweifel immer eine Lösung. Aber das gemeinsame Wertefundament muss bestehen bleiben, sonst ist die EU wertlos. Es ist daher auch bezeichnend, dass Friedrich Merz (oder Ministerpräsident Kretschmann oder oder oder) sich zwar gerne öffentlich despektierlich über Italien äußert, aber zu Ungarn nur dröhnendes Schweigen zu vernehmen ist. Selbst Phrasendreschmaschine Heiko Maas findet zwar gelegentlich weichgespülte Worte zu Saudi-Arabien (Zauberstab der Verhandlungen and all that), aber zu Ungarn bleibt da wenig hängen. Um das klarzustellen: Die EU wird aller Wahrscheinlichkeit nicht daran zerbrechen, dass Ungarn zur Diktatur degeneriert. Die Föderation hat keinerlei Instrumente, um etwas dagegen zu tun. Mitglieder können nicht ausgeschlossen werden, und Sanktionen sind unmöglich, solange Polen Orbans Regime stützt - und selbst wenn es das nicht würde, wie würden Sanktionen durchgesetzt werden? Ein Einmarsch der Bundeswehr in Budapest? Nein, die Bedrohung der EU durch Orban kommt von innen. Das ist es gerade, was sie so gefährlich macht.

2) The US Supreme Court’s Activism in the Wisconsin Election
In recent years, however, the Court has moved away from traditional restraints on Supreme Court activism in cases important to the Trump administration. It has created a shadow docket that often relieves the Trump administration of temporary legal restraints on its policy initiatives when they appear illegal to District Courts. [...] Republican National Committee extends this emerging practice of shadow docket activism on behalf of the President’s initiatives to those of the Republican Party as a whole and accordingly generated a 5-4 split along party lines. The Court resolves shadow docket cases without full briefing or oral argument, which may make partisan views more likely to influence cases. [...] The conservative majority invents fresh, unclear, and baseless technical requirements for District Court Judges, while not applying the usual technical restraints on itself. [...] The Wisconsin debacle and growing anxiety that Trump might use the coronavirus as an excuse to seek to postpone the presidential election has sparked a movement to make absentee ballots widely available in upcoming elections. An expansion of absentee balloting while making live voting compatible with social distancing, however, requires about $4 billion in funding from Congress. Trump has said that expanded absentee balloting would be a disaster for Republicans. But rejecting this demand might give the opposition even more energy. The Democrats elected one of their own to the Wisconsin Supreme Court on April 7, despite, or perhaps because of, the chaos that followed the US Supreme Court’s intervention. (David M. Dreisen, Verfassungsblog)
Für die Republicans sind die Gerichtshöfe ein Schlachtfeld. Diese Leute sind nicht dumm. Keine der Gewalten ist so inhärent konservativ wie die Judikative, und nirgendwo kann man langfristig Macht sichern, weil die Ernennungen in den USA in den entscheidenden Gerichtshöfen auf Lebenszeit sind und ihre Besetzung ohne jeden Kompromiss mit der Gegenpartei möglich ist. Besonders Mitch McConnell als teuflischer Machttaktiker weiß um ihre Bedeutung und hat von Anfang an sein Augenmerk darauf gelegt. In der Trump-Ära haben die Republicans bereits weit über 200 hochrangige Richterposten mit jungen, rechtsradikalen Fanatikern besetzt. Diese werden den USA für 40 Jahre oder mehr erhalten bleiben. Das ist eine Machtfülle, gegen die alles andere erblasst. Und da es sich im Fanatiker handelt, werden diese Leute auch immer politische Entscheidungen treffen. Man sieht das ja bereits gut am Supreme Court: Wie bereits im unheilvollen Präzedenzfall von Bush v Gore 2000 trifft der Supreme Court Entscheidungen im Sinne der GOP, die explizit den eigenen Prämissen nicht gehorchen und mit der rechtlichen Lage wenig zu tun haben, sondern durch Abstimmungsmehrheit gewonnen werden. Es geht nicht um Gesetze, sondern darum, wer die meisten Richter hat. Das ist effektiv die Fortschreibung der Regel Grover Norquists, der einmal gesagt hat, dass die einzige Anforderung für einen Präsidenten fünf funktionierende Finger seien, mit denen er seine Gesetzesvorlage unterschreibe, für die Judikative. Die einzige Qualifikation, die ein Richter für Mitch McConnell haben muss, ist, dass er immer für die Republicans abstimmt. Auf diese Art werden die Gerichtshöfe effektiv zerstört.

3) Which generation will bear the cost of the lockdown?
Like every other country in the world, the UK is currently racking up a large bill  — £300 billion to be precise according to the Centre For Policy Studies. Next year's tax receipts are expected to be skeletal after the Office for Budget Responsibility forecast a contraction of 35 per cent in output for the second quarter of this year. The awkward question everyone at the Treasury will now be mumbling is: who is going to pay for all this? In the US, a strange guilt-tripping consensus has emerged on the Republican right, whereby elderly Americans talk about sacrificing their own health to keep the economy open for the young. Perhaps it is no surprise that this shrill theatricality dominates in Trump's America. But buried beneath the hysterics, there was a genuine question being posed when, last month, the 69-year old lieutenant governor of Texas Dan Patrick exhorted Trump to put an end to lockdown on Fox News for the sake of millennials. Namely, how do governments balance a health crisis for the elderly with an economic crisis for the young? [...] "Lots of people in the baby boomer generation through luck and hard work did well for themselves, and they have their wealth concentrated in assets," says one senior Labour MP. "But there are also a lot of pensioners living in hardship and poverty. I think fundamentally we want to fight on the issue of fairness and there is a generational element to that." (George Gryllis, The New Statesman)
Die Fragestellung ist grundsätzlich eine richtige, aber die Lösung, die Gryllis hier vorschlägt, ist Quatsch. Das liegt daran, dass er nicht wirklich an mich denkt, auch wenn er behauptet, das zu tun. Die mit Krokodilstränen vorgetragene Sorge um die Generation X, Millenials und Generation Z, mit denen Einschnitte in die Rentensysteme begründet werden, war schon vor 30 Jahren als Argument en vogue. Sie hilft mir nur leider überhaupt nichts. Wenn die Rente jetzt mit dem Verweis darauf gesenkt wird, dass für mich die Rentenbeiträge nicht wachsen sollen, klingt das erstmal toll - aber das löst ja mein Rentenproblem nicht. Klar, ich zahle jetzt den aktuell ja bereits nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Rentenversicherung weiter, der sich dann vielleicht nicht nochmal um ein oder zwei Prozentpunkte erhöht. Das tut meinem Netto auf dem Gehaltszettel gut. Aber wenn ich dann mal in Rente gehe, fehlt mir die Kohle ja. Wo kommt das Geld für mich dann her? Das hat nichts mit irgendwelcher verantwortungsvoller Finanzierung zu tun, sondern ist im Endeffekt genauso ein Problem in die Zukunft verschieben wie wenn ich das jetzt mit mehr Schulden finanzieren würde (nur als Beispiel). In beiden Fällen zahlt mein Zukunfts-Ich, nur im einen Fall halt weil ich weniger Rente habe, und im anderen Fall weil Sozialausgaben durch Schulden bezahlen nicht so die pralle Idee ist. Ich habe letztlich keine andere Wahl, als das Rentenniveau auf einem dauerhaft ordentlichen Level zu halten. Entweder deckt die gesetzliche Rente das ab (und wird dann gegebenenfalls wegen der Demographie erstmal teurer) oder ich muss zusätzlich privat vorsorgen, aber für mein zur Verfügung stehendes Einkommen macht es recht wenig Unterschied. So oder so kostet mich die Altersvorsorge mehr. Ich will eigentlich lieber die nachkommenden Generationen auf den gleichen Deal verpflichtet wissen, an den ich mich gerade auch halte, selbst wenn es zu meinem Schaden ist. In solchen Vorschlägen erkenne ich für mich jedenfalls wenig Gewinnbringendes. So, jetzt dürft ihr meine Logik in den Kommentaren zerpflücken. :)

4) The dark logic of the GOP's latest coronavirus aid strategy
But some reporting also suggests a much darker motive than mere ideological blinkeredness and hypocrisy. It's abundantly clear that President Trump and many of his Republican allies are weary of the social shutdowns meant to contain the coronavirus, and want to open the economy back up for business before November — regardless of the ramifications for public health. Trump can't order an end to the stay-at-home orders himself: that's up to individual governors and mayors. But he can try to use the states' dire financial circumstances as leverage to force them to reopen. The Trump administration believes "if Congress keeps cutting checks for state and local governments, they will be disincentivized to open up their economies," Politico reported over the weekend. "The thinking among some Trump administration officials is that many states should be reopening their governments soon and that additional funding could deter them from doing so," Axios added. Basically, if Congress helps the states, that holds off the budgetary reckoning of the economic shutdown, allowing governors more leeway to continue the stay-at-home orders if they so choose. It's hardly a brilliant plan, and could very likely backfire either way: If governors follow public health guidance and continue lockdowns for weeks or months to come, Trump risks driving the recession deeper (by denying the states and localities aid), but if they give in (by reopening the economy sooner), it would invite a second round of coronavirus infections which would also hurt Trump's re-election chances and likely delay any economic recovery. But given the reporting, that seems to be where the GOP's thinking is heading, regardless of the White House's assurances that they’re happy to save state and local aid for later. (Jeff Spross)
Ich glaube, ich habe schon einmal über Mörder an den Regierungsschaltstellen geschrieben. Um noch einmal vier Jahre lang in der Lage zu sein, Richterposten zu besetzen und den Superreichen Steuergeschenke zu machen, sind diese Leute bereit, über zehntausende von Leichen zu gehen. Bereits jetzt hat die Corona-Epidemie in den USA mehr Opfer gekostet als der Vietnamkrieg. Würde man die Beschränkungen jetzt aufheben, damit Trump nachher eine halbwegs ordentliche Statistik hat, würde das sich noch als laues Lüftchen ausnehmen. Rechtspopulisten wählen ist lebensgefährlich. Man sieht das um die ganze Welt.

5) Die „Völker­wan­de­rung“ kennt keine Völker
Hier kris­tal­li­sieren sich Elemente eines simpli­fi­zie­renden Vorstel­lungs­kon­glo­me­rats aus, mit dem wir alle sozia­li­siert worden sind und das wir daher ganz unwill­kür­lich abrufen, sobald der Terminus ‚Völker­wan­de­rung‘ fällt. Damit schaffen wir unre­flek­tiert einen Verständ­nis­ho­ri­zont, wenn seit 2015 vermehrt von einer „neuen Völker­wan­de­rung“ gespro­chen wird – und wer sich im öffent­li­chen Diskurs entspre­chend äußert, evoziert nur selten unbe­dacht spezi­fi­sche Asso­zia­tionen: Massen­mi­gra­tion führt in Zerstö­rung und eine unge­wisse Zukunft, über deren Gestal­tung wir allmäh­lich die Hoheit verlieren. Der Althis­to­riker Alex­ander Demandt hat just mit diesem Nexus gespielt, als er im Januar 2016 in der FAZ einen viel­dis­ku­tierten Beitrag über Völker­wan­de­rung und das Ende Roms mit den Worten beschloss: „Über­schau­bare Zahlen von Zuwan­de­rern ließen sich inte­grieren. Sobald diese eine kriti­sche Menge über­schritten und als eigen­stän­dige hand­lungs­fä­hige Gruppen orga­ni­siert waren, verschob sich das Macht­ge­füge, die alte Ordnung löste sich auf“. Ist diese Analogie gerecht­fer­tigt? Vermut­lich nicht. [...] Doch auch die ‚Völker­wan­de­rung‘ selbst ist inzwi­schen weit­ge­hend dekon­stru­iert und in andere Sinn­zu­sam­men­hänge einge­bettet worden. Jene ‚Völker‘, die bis in jüngste Zeit als wandernde Einheiten beschrieben wurden, haben als solche nie exis­tiert. Die Vorstel­lung, homo­gene Enti­täten hätten sich um die Zeiten­wende in Skan­di­na­vien auf den Weg gemacht, um Jahr­hun­derte später als Vandalen, Goten, Burgunder oder Franken in die römi­sche Welt einzu­dringen, beruht auf einem roman­ti­schen Volks­be­griff des 19. und frühen 20. Jahr­hun­derts, der sich empi­risch (in den Geschichts- und Sozi­al­wis­sen­schaften sowie der Ethno­logie) und histo­risch (durch seine Wendung ins Rassis­ti­sche, gipfelnd in der Kata­strophe des Holo­caust und des 2. Welt­kriegs) als obsolet erwiesen hat. (Mischa Meier, Geschichte der Gegenwart)
Als kleine persönliche Note, bei Mischa Meier habe ich seinerzeit in Tübingen auch studiert. Leider nur ein Hauptseminar (über das Prinzipat), weil Professor Meier der mit Abstand beliebteste Dozent und seine Seminare stets deutlich überfüllt waren. Aber positive Erinnerungen nichtsdestotrotz. Zum Thema: Es gibt viele historische Konzepte, die in der breiten Öffentlichkeit von Klischees diktiert sind, die gut und gern ein Jahrhundert alt sind. Das betrifft vor allem solche Themen, die in selbiger breiten Öffentlichkeit schon lange nicht mehr diskutiert wurden und wo die wissenschaftlichen Fortschritte seither nicht breit rezipiert wurden. Das ist bei der Völkerwanderung sicherlich der Fall, wo die Konzepte noch aus dem 19. Jahrhundert stammen, gerne auch mit veralteten Rezeptionen der Nibelungensage vermischt. Das ist üblicherweise kein Problem; wenn es um obskure Themen wie den österreichischen Erbfolgekrieg geht, nutzt ja niemand diese als Metapher im politischen bzw. gesellschaftlichen Bereich. Aber gerade wenn Narrative durch einfache Metaphern wie "Völkerwanderung" gebildet werden, sollte wenigstens der gröbste Unsinn gefiltert werden.

6) Tweet
Und genau deswegen ist es wichtig, dass Leute auf ihre Sprache achten, und das gilt im verstärkten Maße für jene, die unter dem Schutz des Grundgesetzes meinungsbildend tätig sind. Diese Rechte sind für eine Demokratie unabdingbar, aber mit großer Macht kommt eben auch große Verantwortung. Und was hier betrieben wird, ist verantwortungslos und ein weiteres Beispiel für gefährliche Sprache.

7) Disney zahlt mehr als 100.000 Mitarbeitern kein Gehalt mehr
Der Disney-Konzern setzt ab dieser Woche die Gehaltszahlungen für mehr als 100.000 seiner Mitarbeiter aus, wie die „Financial Times“ berichtet. Das entspricht fast der Hälfte der gesamten Belegschaft. Betroffen sind sogenannte Besetzungsmitglieder in Themenparks und Hotels in Europa und den USA, die wegen der Coronavirus-Pandemie seit fast fünf Wochen geschlossen sind. Mit der Aussetzung der Gehaltszahlungen will der Unterhaltungskonzern bis zu 500 Millionen Dollar pro Monat einsparen. Durch die Entscheidung sind die Mitarbeiter von Disney auf staatliche Leistungen angewiesen – öffentliche Unterstützung, die sich in den kommenden Monaten auf Hunderte von Millionen Dollar belaufen könnte – während das Unternehmen Bonusprogramme für Führungskräfte und eine im Juli fällige Dividendenzahlung in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar nicht antasten will. (Handelsblatt)
Man muss bewundern, mit welcher Offenheit die Chefetagen großer Unternehmen dieser Tage in die eigene Tasche wirtschaften. Ohne jedes Verantwortungsgefühl werden zehntausende von Existenzen der eigenen Mitarbeiter zerstört, aber bei sich selbst auch nur einen Cent einzusparen ist völlig unvorstellbar. Herbert Diess, der Vorstandschef von VW, fordert zwar mit großer Verve Milliarden an Steuergeldern als Hilfe für sein Unternehmen, weiß aber, dass "Boni- und Dividendenkürzungen das letzte Mittel" seien, an das er denkt. Unternehmen sind, auch wenn Stefan Pietsch das in seiner moralisierenden Romantik anders sieht, keine freien Verbände von Leuten, dir zur Schaffung wirtschaftlicher Güter zusammenkommen. Sie haben ein Ziel, und das ist Profit. Oft deckt sich dieses Ziel mit unseren gesellschaftlichen Zielvorstellungen, weil im Spiel von Angebot und Nachfrage Güter effizient erstellt und effizient allokiert werden. Aber eben nicht immer. Und die Unternehmer und Vorstandschefs wissen sehr bereitwillig die Hand für Staatshilfen offen zu halten, wenn der Deal für sie nicht aufgeht, und stehlen sich immer aus der Verantwortung, wo es um ihren eigenen Gewinn geht. Das gehört zur Marktwirtschaft, aber das heißt ja nicht, dass man das perfide Spiel auch noch mitspielen muss.

8) There Is No China Crisis
A proper U.S. strategy toward authoritarian capitalism in general and the Middle Kingdom in particular needs to appreciate the strengths and the weaknesses of the China model. Cold War hawks exaggerated Soviet capabilities, and today's China hawks do the same with the regime in Beijing. Even if one accepts that China poses a significant threat to the American way of life, the optimal response is far removed from the actual response we are witnessing today. Indeed, it seems as though much of the policy response to China is predicated on a loss of self-confidence by the United States. Debates about China are stalking horses for debates about what is wrong with America. [...] What did policy makers get wrong? Back in the day, liberal internationalists made two arguments about why China's participation in the global economy was in America's national interest. First, if China traded more with the rest of the world, it would alter that country's domestic political character. Economic freedom within the People's Republic would increase, leading to more economic affluence. These factors would nudge China into the same political evolution that its Northeast Asian neighbors experienced: greater demands for the rule of law, followed by political liberalization. No policy maker believed this would happen overnight; the Clinton speech quoted above is chock-full of caveats. The overarching belief, however, was that over time China would start to resemble, say, South Korea. The second argument was not about changing the character of Chinese politics but about altering the existing regime's incentives to disrupt the liberal international order. This logic was simple: The more that China needed the rest of the global economy to fuel its economic growth, the less Beijing would act like a "revisionist" state and the more it would act like a status quo power. [...] As long as China's government acts in a repressive manner, there can and should be limits to the economic relationship. In winner-take-all sectors, prohibiting Chinese predatory practices makes sense. Yet the United States trades with allies that have similarly abysmal human rights records, from Honduras to Saudi Arabia. During the Cold War, we cooperated with the Soviet Union on arms control, space research, and other areas. (Daniel W. Dredzner, Reason.com)
Es ist absolut korrekt, dass die obigen Prognosen bislang nicht eingetroffen sind. Chinas Wirtschaft wächst zwar immer noch massiv und schließt mit rapider Geschwindigkeit die Lücke zur westlichen Welt, aber von größeren Freiheiten oder einer Liberalisierung des Landes ist bisher wenig zu sehen. Es scheint, als hätten die chinesischen Kommunisten den Schlüssel gefunden, eine autoritäre Diktatur aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Wirtschaftswachstum zu haben. Oder auch nicht. Denn den jetzigen Zustand fort zu schreiben ist gefährlich. Auch die Sowjetunion sah während der Stagflation der 1970er Jahre für viele Beobachter so aus, als würden für sie die üblichen Gesetze nicht gelten, als ob sie hohen Lebensstandard UND Sozialismus unter einen Hut bekommen würde. Zwei Dekaden später brach das bankrotte, marode System in sich zusammen. Seither "wissen" wir alle, dass es so kommen "musste". Wie immer macht die Rückschau alles klarer. Möglicherweise ist China der bislang erste Staat, der ohne Liberalisierung einen westlichen Lebensstandard schafft. Aber zwei andere Szenarien sind durchaus denkbar. Erstens könnte die Liberalisierung immer noch eintreten. Das wäre quasi das bestmögliche Szenario. Oder aber das chinesische Wirtschaftswunder ist, wie auch das sowjetische seinerzeit, eine Mirage. Wenn ein Staat so weit zurücklag wie China (oder eben damals die Sowjetunion) ist es nicht schwer, den Abstand zu verringern. Ihn aber nachhaltig aufzuschließen ist deutlich schwerer und bislang noch keinem Staat ohne Liberalisierung gelungen. Durchaus also möglich, dass in 10, 20 Jahren völlig "offensichtlich" ist, dass das chinesische Wachstum nicht nachhaltig sein konnte und wir die Prognosen der künftigen chinesischen Stärke mit dem gleichen Lächeln begutachten, wie wir heute die wirren Prognosen über die künftige japanische Dominanz aus den 1980er Jahren sehen. Prognosen bleiben schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

9) Mutiert die taz zum Regierungsblatt?
Die Beobachtung, das manche taz-Kommentare die Regierung loben, ist völlig richtig: Tatsächlich fand sich in der taz in letzter Zeit weniger Kritik an der Bundesregierung als zu anderen Zeiten. Und, bitte glauben Sie uns: Auch für einen taz-Redakteur, der es gewohnt ist, erst mal alles zu hinterfragen und vieles zu kritisieren, ist es ein seltsames Gefühl, ein Papier aus dem Innenministerium oder eine Ansprache der Kanzlerin einfach nur zu loben. Aber dass wir das tun, liegt nicht daran, dass wir das kritische Denken plötzlich eingestellt hätten. Im Gegenteil: Wir recherchieren mindestens so intensiv und hartnäckig wie sonst – kommen aber derzeit bei Abwägung aller bekannten Fakten zu der Einschätzung, dass das Vorgehen der Regierung im Großen und Ganzen richtig ist. Dafür, dass von dem neuen Coronavirus eine ernsthafte Gefahr ausgeht und die Gegenmaßnahmen erforderlich sind, gibt es – leider – gute Argumente, für das ­Gegenteil dagegen nicht. Wenn eine taz-Autorin oder ein taz-Autor Maßnahmen der Regierung gutheißt, tut sie oder er das, weil er sie nach einer kritischen Prüfung inhaltlich für richtig befindet, nicht um irgendwem zu gefallen. Als Angela Merkel im Jahr 2015 die Grenzen für Geflüchtete offen ließ, lobten taz-Kommentatoren die Kanzlerin auch – weil sie ihre humanitäre Haltung unterstützten. Als Merkel wenig später mit anderen EU-Staaten die Europäische Union abschottete und Asylrechtseinschränkungen beschloss, wurde sie von uns scharf kritisiert. Auch wenn die taz eine lange Geschichte als Teil der „Gegenöffentlichkeit“ hat: Etwas zu schreiben, was wir eindeutig für falsch halten, nur um uns vom sogenannten „Mainstream“ zu unterscheiden, kann und darf nicht der Anspruch einer intelligenten Zeitung sein. Kritik aus Prinzip ist nicht mehr als eine Pose. Gute Argumente eines Gegenübers zu ignorieren, weil er auf der vermeintlich falschen Seite steht, ist Ideologie. (Malte Kreuzfeld/Ulrich Schulte, taz)
Es ist spannend zu sehen, dass ich nicht der einzige bin, der plötzlich in der wirren Lage ist, eine CDU-Kanzlerin verteidigen zu müssen und dafür aus allen möglichen Richtungen hart angegangen wird. Die taz bringt es hier ziemlich auf den Punkt. Einerseits ist das Krisenmanagment der Bundesregierung im Großen und Ganzen ziemlich ordentlich. Und andererseits ist es intellektuell unredlich, einfach immer dagegen zu sein, nur um dagegen zu sein. Da könnte ich ja gleich für die NachDenkSeiten schreiben.

10) Warum wir gerade lieber Drosten als Sloterdijk hören
So stellte sich ein seltsamer Effekt ein: Durch die Corona-Pandemie befinden wir alle uns in einer völlig einmaligen Lage, das Virus ist neu, die Faktenlage unsicher, sichere Prognosen sind unmöglich. Aber die Begriffe, mit denen die großen Theoretiker daherkommen, sind ihre alten. Sie sagen einfach, was sie immer schon gesagt haben; nehmen ihre bekannten Erklärungsmuster, stülpen sie der gegenwärtigen Situation über – und nichts Neues geht daraus hervor. Auch deshalb verfolgt man die Aussagen etwa des Virologen Christian Drosten so gebannt, weil dieser seine Position wegen neu vorgelegter Studien und gerade gewonnener Ergebnisse von Folge zu Folge seines bekannten Podcasts bei NDR-Info immer wieder überdenkt, revidiert und die Bedingungen und Grenzen seiner Erkenntnis dabei reflektiert. Das ist nicht nur hochspannend, sondern auch deswegen faszinierend, weil er uns so am komplexen Prozess der Theoriebildung und neuen Erkenntnisgewinnung praktisch live teilhaben lässt. [...] Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl gehört zu denen, die, wie er das nennt, der „hektischen diskursiven Produktivität“, die man gerade beobachten könne, skeptisch gegenübersteht. „Jede so genannte Krise erzeugt Deutungsnötigung und Deutungsnot“, sagte er kürzlich in der Kunstzeitschrift „Monopol“: „Man kämpft um hermeneutische Vorsprünge, sieht seine lange Zeit ausgefeilten Positionen und Wahrheiten in der Katastrophe bestätigt. Alles wird von allen gesagt und dann noch einmal wiederholt, überboten und variiert.“ Allerdings glaube er nicht, und zwar ganz grundsätzlich, dass sich theoretische Diskurse jetzt weiter so fortsetzen ließen, als wäre nichts geschehen. „Es fehlt das Eingeständnis, dass sich die gegenwärtige Situation nicht auf eine Generalformel bringen lässt.“ [...] „Dann dürfte die Abwägung in den manifesten Konflikten zwischen Sterberaten und Schutzmaßnahmen, Partikularinteressen und Gemeinwohl, Liberalität und Regierungsmacht schnell unübersichtlich werden und in die quälende Prüfung von Einzeldramen hinüberführen.“ Und diese neue Unübersichtlichkeit, die man dann zu akzeptieren habe, lasse sich eben nicht durch die Berufung auf ein Prinzip auflösen. [...] Die Corona-Krise ist, so gesehen, eine „Krise der Intellektuellen“ nur da, wo es nicht zur Unterbrechung theoretischer Selbstgewissheit kommt. (Julia Encke, FAZ)
Viele Disziplinen haben gerade das Problem, dass einige ihrer Exponenten schon immer ziemliche Dampfplauderer waren, aber das angesichts der Corona-Krise besonders deutlich wird. Was etwa soll man von einem Theater-Intendanten halten, der es für den Höhepunkt demokratisch-bürgerschaftlichen Engagements hält, "sich von Merkel nicht sagen zu lassen mir die Hände zu waschen"? Wie kindisch geht es denn noch, bitte? Von Journalisten wie Augstein und Fleischhauer ganz zu schweigen. Sloterdijk ist sowieso unterirdisch, aber schon seit Jahren. Dagegen ist ein Drosten, der charismatisch und verständlich kommuniziert, natürlich deutlich attraktiver. Ich denke aber auch, dass Drostens offensiver Umgang mit den Grenzen des eigenen Wissens ein Kontrast ist, dessen Wert vielen Interessierten erst jetzt deutlich wird (und sind wir mal ehrlich, diese Diskurse sind Elitendiskurse). Ähnlich wie beim Wert von Entschuldigungen ist das eigentlich Faszinierende, dass die Leute so überrascht sind, dass jemand zugibt, nicht alles zu wissen und seine Einschätzung mit der sich ändernden Faktenlage anzupassen. So sollte es eigentlich sein. Leider fürchte ich, dass dies nicht zum Anlass genommen werden wird, einmal grundsätzlicher über die Mechanismen unserer Diskurse nachzudenken.

11) Why Mitch McConnell Wants States to Go Bankrupt
Bankruptcy, by contrast, is a legal process in which a judge decides which debts will be paid, in what order, and in what amount. Under the Constitution, bankruptcy is a power entirely reserved to the federal government. An American bankruptcy is overseen in federal court, by a federal judge, according to federal law. That’s why federal law can allow U.S. cities to go bankrupt, as many have done over the years. That’s why the financial restructuring of Puerto Rico can be overseen by a federal control board. Cities and territories are not sovereigns. Under the U.S. Constitution, U.S. states are. Understand that, and you begin to understand the appeal of state bankruptcy to Republican legislators in the post-2010 era. [...] A state bankruptcy process would thus enable a Republican Party based in the poorer states to use its federal ascendancy to impose its priorities upon the budgets of the richer states. [...] When Cuomo protested McConnell’s bankruptcy idea, the New York governor raised the risk of chaos in financial markets. But McConnell does not advocate state bankruptcy in order to subject state bondholders to hardship. Obviously not! When McConnell spoke to Hewitt about fiscally troubled states, he did not address their bond debt. He addressed their pension debt. State bankruptcy is a project to shift hardship onto pensioners while protecting bondholders—and, even more than bondholders, taxpayers. Republican plans for state bankruptcy sedulously protect state taxpayers. The Bush-Gingrich op-ed of 2011 was explicit on this point. A federal law of state bankruptcy “must explicitly forbid any federal judge from mandating a tax hike,” they wrote. You might wonder: Why? If a Republican Senate majority leader from Kentucky is willing to squeeze Illinois state pensioners, why would he care about shielding Illinois state taxpayers? [...] But McConnell seems to be following the rule “Never let a good crisis go to waste.” He’s realistic enough to recognize that the pandemic probably means the end not only of the Trump presidency, but of his own majority leadership. He’s got until January to refashion the federal government in ways that will constrain his successors. That’s what the state-bankruptcy plan is all about. McConnell gets it. Now you do, too. (David Frum, The Atlantic)
Und noch ein Beispiel für die abgrundtiefe Bosheit, mit der Mitch McConnell im Speziellen und die Republicans im Allgemeinen die Corona-Krise ausnutzen. Wie Rechtsextremisten überall, ob in Brasilien oder Ungarn oder in Washington, haben sie kein Problem damit, eine humanitäre Krise als Hebel zu nutzen um sich und ihren Verbündeten die Taschen zu füllen und ihre Ideologie durchzusetzen. Es ist so unglaublich widerwärtig, ich will mich immer duschen wenn ich von McConnell nur ein Foto sehe.

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