Mittwoch, 8. September 2021

Die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten - Teil 3: AfD und LINKE

 

Genauso wie die Parteien in drei Doppelkonstellationen eingeordnet werden können, was ihre Einstellung zur aktuellen Lage und ihre Vorstellungen für die Zukunft betrifft, so können wir ihre Wahlkämpfe ebenfalls in drei Doppelkonstellationen sehen - die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten. Den Teilnehmenden hat das politische Geschick eine Kartenhand zugeteilt, die gut (Grüne), akzeptabel (CDU, FDP, AfD, LINKE) und miserabel (SPD) war. Wie die Parteien diese Karten spielten sehen wir im ersten Teil einer Serie über die Wahlkämpfe der Parteien zur Bundestagswahl 2021 an. In Teil 1 befassen wir uns mit SPD und FDP, in Teil 2 mit Grünen und CDU und in diesem Teil mit LINKEn und AfD. 

Der Wahlkampf 2017 wurde völlig von der AfD dominiert. Ihre Themen waren permanent in den Nachrichten, das komplette TV-Duell war auf ihre Narrative hin ausgerichtet, und wenig überraschend fuhr sie ein starkes Ergebnis und ein zog und in den Bundestag ein. Die LINKE dagegen hat es bereits seit 2013 eher schwer. Die Einführung des Mindestlohns nahm ihr eines ihrer wichtigsten Themen, Hartz-IV wurde deutlich entschärft, und Afghanistan interessierte praktisch niemanden. Zwar konnte sie stets auf ihre Stammwählendenschaft bauen, die sie verlässlich um die 8%-Marke schweben ließ, aber jedes zweistellige Ergebnis stellte einen großen Sieg dar - und die Regierungsbeteiligung blieb der weiße Elefant, der nicht zu erreichen war. In diesem Wahlkampf kommen die Parteien des linken und rechten Rands praktisch nicht vor - stattdessen konzentriert sich alles auf die Mitte, in der sich zur allgemeinen Überraschung Olaf Scholz breitgemacht hat.

Absehbar war Scholz' Erfolg zwar nicht, wohl aber die relative Schwäche der beiden Randparteien. Sie brauchen eine weitgehende Unzufriedenheit mit dem Status Quo, leben davon, dass die vier etablierten Parteien als austauschbar wahrgenommen werden, brauchen eine Hervorhebung ihrer Themen. Die relativ gute wirtschaftliche Lage einerseits und die Beendigung des Flüchtlingsthemas andererseits aber sorgen dafür, dass diese Faktoren nicht gegeben sind, und die spannende Offenheit des Wahlkampfs macht die Idee, dass es irrelevant sei, ob man für SPD oder Grüne, CDU oder FDP stimmt zu einer Albernheit.

Für die LINKE kommt als Problem hinzu, dass sie, im Gegensatz zur AfD, an die Regierung will. Sie muss den Spagat bewerkstelligen, sowohl für eine rot-rot-grüne Koalition zu werben als auch ihre traditionelle Protest- und Oppositionsrolle wahrzunehmen. Dieser Spagat gelingt ist, das ist glaube ich fair zu sagen, eher nicht so gut. Der Wechsel an der Parteispitze von den nicht eben als Publikumsmagneten bekannten Katja Kipping und Bernd Riexinger zu den praktisch unbekannten Janine Wissler und Susanne Hennig-Welsoff tat wenig, um die Partei in die Öffentlichkeit zu bringen, was zumindest in Hennig-Welsoffs Fall wohl auch kein Nachteil ist.

Die Vorsitzenden repräsentieren einen tiefen Graben in der Partei, der sie in den letzten Jahren permanent in die Negativ-Schlagzeilen gebracht hat. Die LINKE verliert ihre Stammwählendenschaft, teils aus demographischen Gründen (zusammen mit der CDU hat sie die ältesten Wählenden), teils aus strukturellen Gründen, die sie mit allen anderen Parteien teilt. Wo der eine Flügel versucht, die LINKE zu modernisieren (Katja Kipping und nun Susanne Hennig-Welsoff), versucht der andere, weiterhin Protest- und Klientelpartei für Wendeverlier*innen zu sein und die reine Lehre zu verteten.

Als wäre das nicht genug, besitzt die LINKE noch ein drittes Machtzentrum, das gegen die eigene Parteiführung arbeitet und für eine kommunikative Kakophonie sorgt: Politrentner Oskar Lafontaine und Sara Wagenknecht. Mit der parteiinternen Abspaltungsbewegung "Aufstehen" scheiterten die beiden krachend, aber Wagenknecht ist eine begnadete Rednerin, Debattiererin und Autorin, und auch Lafontaine bleibt selbst auf dem politischen Abstellgleis eine Kraft. Mit ihrem aktuellen Buch "Die Selbstgerechten" hat es Wagenknecht nicht nur wieder in die Bestsellerlisten geschafft, sondern sich auch ein (mittlerweile eingestelltes) Parteiausschlussverfahren an den Hals geschrieben. In der SPD dürften diverse Leute ob der Ironie des Schicksals, dass Lafontaine nun auch die LINKE spaltet, dunkel auflachen.

Ohne einen aktuellen Anlass, der ihre Themen in die Öffentlichkeit bringt, tut sich die LINKE ohnehin schwer, kommunikativ durchzudringen. Doch die unterschiedlichen, gegeneinander arbeitenden Machtzentren neutralisieren sich praktisch gegenseitig. Dies führt so weit, dass diese Neutralisierung jede auch negative Berichterstattung in der Presse unterdrückt. Die LINKE würde aktuell ja davon profitieren, wenn sie wegen harscher Flügelkämpfe und dem Gespenst einer rot-rot-grünen Koalition im Gespräch wäre. Aber nicht einmal das gelingt ihr. Sie wird praktisch nicht wahrgenommen, und die generische Botschaft hilft da wenig.

Die LINKE konnte früher die SPD am Nasenring durch die Manege führen, weil sie wie im Rennen des Hasen und des Igels immer schon da war, sie war die Partei des "immer eines mehr als du", um eine Kinder-Debattierstrategie auf den Punkt zu bringen. Da eine Regierungsbeteiligung ohnehin ausgeschlossen war, konnte sie auf die Forderungen von SPD und Grünen einfach immer eines draufsetzen (weswegen ihr Programm in Analysen auch immer führt, ob es nun um Maßnahmen für den Klimaschutz, "Friedenspolitik" oder Sozialpolitik geht). Ein Echo davon haben wir 2021 auch, wenn etwa die Forderung nach 13 Euro Mindestlohn plakatiert wird. Warum 13 Euro? Weil die SPD 12 Euro fordert. Mehr steckt nicht dahinter.

Und diese Strategie funktioniert nicht mehr, seit Teile der LINKEn offensiv versuchen, um eine Regierungsbeteiligung unter Rot-Rot-Grün zu werben. Man kann nicht die unrealistischen, plakativen Forderungen einer Oppositionspartei vertreten, wenn man gleichzeitig die Aussicht haben will, in Koalitionsverhandlungen zu gehen, wo diese zwangsläufig auf ein realistisches Maß gestutzt werden würden. Aber es wollen eben nur Teile der Partei eine Regierungsbeteiligung. Daraus ergibt sich die angesprochene Kakophonie, die gegenseitige Neutralisierung, und auch die Gefahr für potenzielle Koalitionspartner - weswegen R2G ja auch eine mögliche, aber unwahrscheinliche Konstellation für die nächste Legislaturperiode ist.

Zumindest eines dieser Probleme teilt die AfD nicht: sie versucht nicht einmal, den Eindruck zu erwecken, sie wolle an die Regierung. Die AfD ist eine reine Protest- und Oppositionspartei; sie versucht die Stimmen all derer einzusammeln, die, um die Bullyparade zu zitieren, einfach mit der Gesamtsituation unzufrieden sind. Niemand ist programmatisch so weit voneinander entfernt wie LINKE und AfD, und doch streiten sie um ein vor allem im Osten großes Wählendenklientel, das groß genug für den Einzug in den Bundestag und ideologisch eher ungebunden ist. Janine Wisslers stramm linke Ausrichtung kann diese Leute kaum fangen, die wenig an Antifa und Friedensdemos interessiert sind; sie sind es, um die Lafontaine und Wagenknecht sich, Hufeisen schmiedend, bemühen. Aber die AfD ist in diesem Spiel besser als die LINKE.

Der Grund dafür liegt absurderweise in eben diesem "immer eines mehr als du", das so lange der Garant für den Erfolg der LINKEn gegenüber der SPD war. Seit die LINKE versucht, sich einigermaßen seriös zu geben, kann sie dieses Oppositionsspiel nicht mehr mitspielen. Es gibt keine Möglichkeit, auch für Lafontaine und Wagenknecht nicht, die AfD zu flankieren. Die AfD kann immer die schärfere, weitgehendere Forderung stellen. Doch um welche Wählendenschicht konkurriert die LINKE denn dann eigentlich? Diese Frage wird durch ihren Wahlkampf nicht beantwortet, und es überrascht nicht, dass die gefürchtete 5%-Hürde immer näher rückt. Dass eine Ablösung der Union im Kanzleramt durch einen SPD-Kanzler nun in greifbare Nähe gerückt scheint, schadet der LINKEn noch einmal weiter, weil es Proteststimmen abzieht, die eine Chance auf Wandel sehen.

Doch die AfD spielt auch defensiv. 2017 schwamm sie auf einer Welle des Rechtsrucks in den Bundestag. Die Medien (und ja, auch die öffentlich-rechtlichen) waren voll von Sendungen und Artikeln zur Flüchtlingskrise. Die Anti-Merkel-Stimmung erreichte einen fiebrigen Höhepunkt. Doch dieses Thema ist seither aus den Schlagzeilen verschwunden. Auch Europa macht keinen Ärger mehr. Die zentralen Themen der AfD spielen schlicht keine Rolle, und dementsprechend ist sie in den Umfragen abgesackt. Ihr geht es darum, möglichst viele der Protestwählenden von 2017 an sich zu binden und zu einer Stammwählendenschaft heranzuziehen; neue Wählende wird sie dieses Jahr kaum erreichen können.

Im Gegensatz zur LINKEn aber führt die AfD einen stabilen Wahlkampf. Diese Stabilität erwächst aus einer zwingenden Notwendigkeit. Die größte Schwäche der AfD ist der Ekel, den sie in potenziellen Wählenden aus dem bürgerlich-konservativen Lager hervorruft. Wenn ein Rechtsaußen wie Hans-Georg Maaßen sich mit Leichtigkeit von der AfD abgrenzen kann, dann hat die Partei ein Problem. Seit dem Tühringen-Debakel versucht sie daher vermehrt, Kreide zu fressen. In diesem Wahlkampf sieht man keine Plakate, die Abschiebungen fordern oder Ähnliches. Stattdessen präsentiert sich die AfD als normalitäre Partei.

Diese Strategie verläuft unter der Oberfläche und macht die Partei nicht sonderlich sichtbar, aber das ist im Interesse dieser eher defensiv angelegten Strategie. Anders als 2017 wird Björn Höcke nicht in Talkshows eingeladen, werden keine Deutschlandfahnen über Sessellehnen drapiert. Die Partei bekommt keine kostenlose Aufmerksamkeit und versucht das beste daraus zu machen, indem sie die Grundlage für die angestrebte Etablierung als potenzieller Koalitionspartner der CDU und FDP in den Ländern legt. Das Motto des Wahlkampfs, man muss es sagen, ist sehr geschickt gewählt: "Deutschland, aber normal." Es ist im Endeffekt das, was die CDU zu sagen versucht, aber in ihrem grausigen Wahlkampf nicht schafft.

Die AfD lässt keinen Zweifel daran, was sie unter "normal" versteht: männlich dominierter Ein-Ernährer-Haushalt, ein weißes Deutschland, paternalistische Strukturen, keine Diversität. Sie kennt ein klares Feindbild, die Grünen, konzentriert im Slogan "AfD. Alle anderen sind grün." Das ist, wenngleich nicht in dieser Strenge, in CDU und zumindest teilweise in der FDP problemlos mehrheitsfähig, in einem Spiegelbild dessen, wie die LINKE aufgestellt ist: im Prinzip ist die Schnittmenge zu den etablierten Verwandten groß, in der Praxis aber nicht. Diese Lücke versuchen beide Parteien zu füllen.

Allein, im Bund ist völlig klar, dass eine Koalitionsoption nicht besteht. Die CDU fährt genauso wie die FDP eine klare Abgrenzungsstrategie; über den Mangel einer solchen in den thüring'schen Landesverbänden stürzte zuletzt Annegret Krampp-Karrenbauer. In einem Wahljahr, in dem nicht die Fortsetzung des gewohnten - das Kabinett Merkel IV - auf der Agenda steht und es leicht macht, den Zorn der Unzufriedenen zu mobilisieren, sondern stattdessen der von Armin Laschet bemühte "Wind des Wandels" weht, kann die AfD als Partei von gestern allerdings kaum punkten. Ihr Wahlkampf ist deswegen irrelevant, weil die Partei in diesem Zyklus irrelevant ist. Auch wenn der Wahlkampf, anders als bei der LINKEn, halbwegs kompetent geführt wird.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die LINKE zwischen ihren verschiedenen Flügeln und Persönlichkeiten und die Gretchenfrage der Regierungsbeteiligung zerrissen wird, was sich direkt auf den inkohärenten und wenig proaktiven Wahlkampf niederschlägt, während die AfD einen defensiven, kompetent-unauffälligen Wahlkampf führt, um niemanden zu verschrecken und die eigene Stellung zu konsolidieren.

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