Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Was sich nicht wiederholen darf
Noch zwei Dinge, die sich nicht wiederholen dürfen: dass die ziemlich banale Tatsache, dass Deutschland nicht alle Menschen in Not aufnehmen kann – was logisch ist, aber nie zur Debatte stand –, als Argument verwendet wird, von vornherein die guten von den schlechten Migranten zu trennen. Und: dass »die deutsche Bürokratie« als Ausrede genommen wird, warum angeblich alles so kompliziert ist. Ja, die Regeln für die Ortskräfte waren in bürokratischer Hinsicht schlecht, aber Bürokratie ist auch immer nur Verwaltung einer bestimmten Ideologie und fällt nicht vom Himmel. Deutschland versucht oft genug, seinen Rassismus hinter selbst gemachter Bürokratie zu verstecken, aber das »wir wollen euch hier nicht« kommt trotzdem an. Was sich nicht wiederholen darf, ist, dass Politiker*innen flüchtende Menschen wie Atommüll behandeln, mit dem sie nicht wissen wohin. Es war schon länger klar, dass Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist. Nach dem Abzug deutscher Soldaten konnten zwar einige der Ortskräfte mit ihren Angehörigen nach Deutschland kommen, sehr viele aber nicht. [...] Man konnte damals nicht wissen, wie schnell die Lage eskalieren wird. Aber es ist bitter, wie schnell der Schock in die Abwehr möglicher Asylanträge übergeht. Die treffendste Beobachtung, die ich dazu gelesen habe, war ein Satz der Autorin Asal Dardan: »Schuldgefühle sind ein sehr starker Empathieblocker.« (Margarete Stokowski, SpiegelOnline)
Ich will hier vor allem den letzten Satz etwas näher beleuchten, denn er scheint mir auch abseits des Afghanistan-Debakels relevant zu sein. Wenn wir uns etwa die Reaktion vieler Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg anschauen, sehen wir dasselbe Muster. Die offene Feindseligkeit, mit der etwa die deutschen Flüchtlinge aus den verlorenen Ostgebieten behandelt wurden, als ob man völlig unbeteiligt an dem wäre, das deren Flucht erzwungen hat, ist eine Kategorie davon. Am auffälligsten finde ich es aber im Umgang mit Exilanten auf der einen Seite - man denke nur an Willy Brandt - und Widerstandsleistenden auf der anderen Seite. Gerade die Tatsache, dass es Menschen gab, die Widerstand leisteten, erforderte eine aggressive Abgrenzung, um vergessen zu machen, dass man selbst etwas hätte tun können, wenn man nur hätte wollen. Auch die Exilanten zeigten das ständig: sie hatten rechtzeitig erkannt, wohin die Reise ging, und die Schuld darüber, dass man selbst das nicht gesehen hatte, führte dazu, dass man sie als Verräter oder Ähnliches hinstellte, um die eigene Schuld zu übertünchen. Sehr menschlich, aber auch sehr ekelhaft und toxisch. Das erledigte sich letztlich nur durch den Generationenwechsel ab den 1960er Jahren. Und komplett erst mit dem Aussterben der Betroffenen ab den 1990er Jahren.
Sie sprechen den aktuell größten Einsatz der Bundeswehr an, mit bis zu 1100 Soldaten. Er ist Teil der Missionen von EU und Vereinten Nationen, die das Ziel haben, im westafrikanischen Mali islamistischen Terrorismus einzudämmen. Inwiefern rennen wir dort in das gleiche Problem wie in Afghanistan?
Wir lassen die Soldaten anderer beteiligter Länder kämpfen und die Drecksarbeit machen. Deutschland beteiligt sich nicht an der Taskforce Takouba, die in Mali gegen terroristische Gruppen vorgeht. Deutschland macht sozusagen nur den Staatsaufbau. Außerdem haben wir keine Ahnung, wie wir die Erfolge der Mission in Mali messen sollen, beim Staatsaufbau oder bei der Ausbildung von Soldaten. Die Frage ist jetzt: Bekommen wir ein realistisches Bild über das, was wir dort überhaupt leisten können oder nicht? Oder machen wir das Gleiche wie in Afghanistan: Dass wir uns selbst in die Tasche lügen und nur sagen, wie gut wir doch dabei sind, malische Spezialkräfte auszubilden?
Was müsste jetzt passieren, damit es in Mali besser ausgeht als in Afghanistan?
Wenn wir verhindern wollen, dass in Mali, wie jetzt in Afghanistan, Islamisten das Land überrollen, dann müssen wir diskutieren, ob die Bundeswehr aktiv an der Taskforce Takouba teilnimmt: also an den harten, dreckigen militärischen Sachen. Wir können uns da nicht raushalten und die Soldaten anderer Länder die Drecksarbeit machen lassen. Wenn die Bundeswehr in Mali an Takouba teilnimmt, dann heißt das eben auch, dass deutsche Soldaten Terroristen jagen und neutralisieren. Und darüber müssen wir in Deutschland ehrlich diskutieren.
Sie wünschen sich, dass wir offener über unsere Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren – unter anderem darüber, was deutsche Soldaten im Ausland tun sollen.
Ja. Es geht hier um die Männer und Frauen, die wir ins Ausland schicken. Ende Juni wurde auf Bundeswehrsoldaten in Mali ein Anschlag verübt. Danach hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sofort gesagt, wir müssen uns über die politischen Ziele in Mali unterhalten. Seitdem haben wir in Deutschland kein Wort mehr dazu gehört. Weil wir Wahlkampf haben, weil die meisten Politiker keinem die Wahrheit zumuten wollen. (Sebastian Heinrich, Watson.ch)
Ich glaube, das liegt auch daran, dass recht klar ist, welche Konsequenzen diese Wahrheit haben wird beziehungsweise welches Resultat die entsprechenden Debatten. Die deutsche Öffentlichkeit ist außenpolitisch leider praktisch nicht zurechnungsfähig. Das sind nicht einmal die meisten Parteien. Ich habe oft das Gefühl, dass wir überhaupt nur eine halbwegs funktionierende Außenpolitik betreiben können, weil niemand besonders genau hinschaut; die Fiktion der "splendid isolation" verhindert das.
3) Olaf Scholz, der Revolutionsgewinnler
Früher bewegten sich Sozis nach rechts, um „wählbar“ zu werden. Olaf Scholz dagegen musste sich markant nach links bewegen, um Spitzenkandidat seiner Partei zu werden und sich die Chance auf das Kanzleramt zu sichern. Aus dem knausrigen Schwarze-Null-Scholz wurde die Zentralfigur des Keynesianismus in Europa. Das allein zeigt, wie sehr sich der Zeitgeist in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verschoben hat. Ohne diesen Paradgimenwechsel hätte es Scholz niemals schaffen können, in kurzer Zeit vom geschlagenen Vorsitzaspiranten zum Kanzlerkandidaten zu werden. Denn nur dieser Paradigmenwechsel erlaubte es ihm, sich neu zu positionieren, ohne als Wendehals dazustehen: als Finanzminister, der eine profund sozialdemokratische Wirtschaftspolitik verkörpert. „Never waste a good Crisis“, Scholz hat sich entsprechend dieses alten Politiker-Postulats verhalten. Die SPD hat Scholz jetzt als ihren Kanzlerkandidaten nominiert, weil er diesen Wandel des Konsenses repräsentiert – und weil sie letztendlich keine realistische Alternative zu ihm hatte. Selten war der Ausgang derart offen: Scholz kann mit der SPD so ziemlich jedes Ergebnis zwischen 15 und 35 Prozent erreichen. Kein Mensch kann Genaueres prognostizieren. [...] Für Scholz spricht: Angesicht dramatischer Krisen wird bei den nächsten Wahlen das Sicherheitsbedürfnis der Menschen zentral für ihre Wahlentscheidung sein. Es gibt Phasen, in denen Experimente und mutige Modernisierung gewünscht sind. Und es gibt Phasen, in denen man instinktiv Stabilität und Erfahrung ersehnt. In so einer sind wir gerade. Scholz repräsentiert viel mehr Stabilität als Aufbruch und Change. Scholz ist diesmal Mitte-Links das, was Merkel bei den letzten Wahlen Mitte-Rechts war: Jemand, vor dem Andersdenkende wenigstens keine Angst haben. Scholz‘ Achillesferse: Noch selten in der Geschichte hat ein Sozialdemokrat Wahlen gewonnen, der nicht auch Aufbruch, Change und gesellschaftliche Modernisierung verkörpert hat. Die Mehrheit wählt dann progressiv, wenn Stabilitätsversprechen und ein bisschen Erneuerungsspirit zusammenwirken plus „a little help by the Zeitgeist“. (Roland Misik)
Diese bereits etwas ältere Analyse ist gerade deswegen interessant, weil sie nun schon etwas älter ist. Misik trifft den Nagel auf den Kopf. Dass Scholz Chancen auf das Kanzleramt hat, liegt zu einem Gutteil an Faktoren, die außerhalb seiner Macht liegen, das haben wir ja bereits ausreichend etabliert. Aber er wird zu dem großen Gewinner der Corona-Krise, was angesichts der Regierungsbeteiligung der SPD einerseits und der Kanzlerschaft der CDU andererseits ein wenig überraschend ist.
Es ist aber die Corona-Krise, die den Wandel ermöglicht hat, von dem Misik hier spricht. Sie verschob die ohnehin sanft ins Rutschen geratene Balance zwischen dem alten Konsens der "schwarzen Null" hin zu einer aktiveren Finanzpolitik, und sie brachte die MMT in einen Bereich, der sie denkbar macht, auch wenn das bisher nur an den Rändern geschieht. Aber solche Verschiebungen passieren auch nicht über Nacht, sondern brauchen ihre Zeit.
Ein letzter Punkt Misiks sei ebenfalls noch erwähnt: diese maßgeblich durch Corona ermöglichte Linksverschiebung, die Scholz vollzogen hat, ermöglichte erst seine Positionierung in der Mitte, die wiederum die Kanzlerschaft ermöglicht. Ihm gelang dadurch das Kunststück, das sich Schulz, Steinmeier und Steinbrück entzog: die Partei hinter sich zu vereinen UND für die Mitte Deutschlands wählbar zu sein. Laschet hat in der Zwischenzeit die genau gegenteilige Bewegung vollzogen. Dadurch erklärt sich viel von der aktuellen Dynamik.
4) Tweet
Genau diese Antwort #Röttgen #CDU #Maischberger zeigt, was in der Politik grundlegend falschläuft.
Ja, man hat aus Prinzip dagegen gestimmt, obwohl man dafür war und die Regierung auch hätte handeln müssen, was sie aber nicht tat.
Absurder gehts nicht.#ArschtrittStattRücktritt https://t.co/SxDrXU3PxR— Oliver Kalkofe (@twitkalk) August 19, 2021
Ich bleibe bei dem, was ich bereits in der ersten Ausgabe der Bohrleute zu dem Thema gesagt habe (ihr merkt, das Vermischte kam schon eine Weile nicht mehr raus...): so funktioniert das Parlament in Deutschland nun mal. Kalkofes Empörung legt vor allem sein Unverständnis darüber bloß, wie das politische System funktioniert, in dem er lebt. Das ist leider sehr weit verbreitet. Das Problem ist nicht, dass CDU und SPD aus Prinzip den Antrag der Opposition ablehnten, sondern dass sie danach nicht wortgleich einen eigenen einbrachten. Ihre Untätigkeit gegenüber den Ortskräften ist das Problem, nicht die parlamentarischen Spielchen.
5) Wir sind überhaupt nicht bereit
Es ist ungefähr so, als wolle man den Atlantik überfliegen, baute dafür ein Flugzeug mit zwei Triebwerken, das aber mathematisch eigentlich vier Triebwerke bräuchte, um sicher zu fliegen, ließe es von Laien warten, betankte es mit zu wenig Treibstoff und schickte es dann auf einer anderen als der kürzesten Route los, mit einem unerfahrenen Piloten am Steuer. Es ist in diesem Szenario nicht ausgeschlossen, dass die Passagiere lebend in New York landen – aber auch nicht allzu wahrscheinlich. Niemand würde in diese Maschine einsteigen. Wir alle sitzen in dieser Maschine. Es gibt Optimisten auch unter denen, die schon lange für mehr Klimaschutz kämpfen, die darauf setzen, dass alles am Ende viel schneller geht, wenn Systeme erst einmal umgestellt werden. Der Preis für erneuerbare Energien fällt zum Beispiel rasch. Auch der Ausstieg aus fossilen Energien kann irgendwann unaufhaltsam werden. Aber darauf, dass sich alles extrem beschleunigt, muss man wieder: hoffen. [...] Die Arglosigkeit, Unbedarftheit und fehlende Vorbereitung zeigt sich nicht nur in der Diskussion um Klimaschutzmaßnahmen, sondern auch in der Debatte über die Anpassung an den Klimawandel. [...] Massiver Klimaschutz und massive Anpassung setzen deshalb permanente Wachsamkeit voraus, permanente Bereitschaft, Politik zu ändern, weil eine Studie erscheint oder sich Mehrheiten ändern oder neue Folgen erkennbar werden. (Jonas Schaible, SpiegelOnline)
Jonas hat wieder einen sehr langen und lesenswerten Essay produziert, den ich in seiner Gänze empfehlen möchte. Ich habe hier nur den Teil herausgenommen, den ich besonders hervorheben will: der mangelnde Realismus sämtlicher Parteien bei der Bekämpfung der Klimakrise, den ich bereits hier kritisiert habe. Es ist weder vernünftig, noch pragmatisch, noch realistisch anzunehmen, dass irgendwelche Wunder passieren werden und dass das schon irgendwie gut geht. Vernünftig, pragmatisch und realistisch wäre, mit massiven Maßnahmen endlich aktiv zu werden. Kein einziges Wahlprogramm, auch das der Grünen nicht, würde ausreichen, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Jedes dieser Programme wird in Koalitionsverhandlungen verwässert werden. Wenn nicht einmal die Wunschvorstellungen (!) der Parteien ausreichend sind, wie zur Hölle soll das dann etwas werden?
7) Chartbook #34 How we paid for the War on Terror
If we want to criticize the War on Terror from a perspective that does not betray sensible macroeconomics, we should not rely on calculations of cost, or suggestions of crowding out to do the work for us. America could easily afford the War on Terror. It wasn’t pouring money into the sand. Most of the dollars flowed back to America. But that doesn’t make the wars a good idea. The problem is not that we could not afford the wars, or that we paid for them on credit card. The problem is that the powers available to a monetary sovereign were used to pursue such a misguided and destructive project. [...] All these are real problems. None of them involve you in the householder fallacy or talking about “crowding out”. But for good measure let us take one last look at the version of the “crowding out” argument that is hardest to resist. Given the sums involved - $5.484 trillion - how can we not criticize this spending? There are so many other things that “the money” could have been spent on. That is, of course, true in the sense that it would have been lovely to spend $5.484 trillion on social and racial justice, American families, or the energy transition. The fallacy lies in founding this argument on the idea of a discrete pot, “the” money that we foolishly allocated to futile wars, rather than sensible societal investment. There is no such pot. There is a productive apparatus and resources that feed it - what we are gesturing towards when we talk about “the economy”. They can be mobilized using flows of spending generated by public or private credit, to move in one direction or another. Those resources and that machinery can be stretched. Or not. For most of the last twenty years they have been chronically underutilized. (Adam Tooze, Chartbook)
Tooze weist hier auf eine spannende Rhetorik-Umkehr hin: Warum reden Linke plötzlich wie Rechte? Ein Paul Krugman, der sonst keine Gelegenheit auslässt, die Trommel für Ausgabenprogramme zu rühren, argumentiert plötzlich mit begrenzt zur Verfügung stehendem Geld. Das liegt natürlich daran, dass Linke das Geld dafür nicht ausgeben wollen und ist ein Spiegelbild dessen, dass für Rechte keinerlei Geld für irgendwelche Staatsausgaben da ist, außer beim Militär, wo man plötzlich zum glühenden MMT-Anhänger wird. Aber inkonsistent ist es in beiden Fällen. Toozes Hinweis ist daher sehr willkommen, um ein bisschen Ehrlichkeit in die Debatte zu bringen. Der War on Terror war bezahlbar, genauso wie die Beseitigung der Kindesarmut bezahlbar wäre.
Wo wir gerade bei der Ökonomie des War on Terror sind: Tooze hat auch einen ausführlichen Artikel zur ökonomischen Situation in Afghanistan, bei der mein Wissensstand bisher exakt null war. Es ist erschreckend zu sehen, wie völlig katastrophal diese ist; Afghanistan ist eine der unterentwickelsten Nationen dieser Erde, und nichts von dem, was dort gerade geschieht, ist angetan, das irgendwie zu ändern.
Angesichts miserabler Umfragewerte versucht die CDU, sekundiert von der CSU, mit dem Wahlkampfauftakt am Wochenende auf Attacke umzustellen. Plötzlich fühlt man sich zurückversetzt in Zeiten der Rote-Socken-Kampagne, die den Untergang Deutschlands für den Fall einer Regierung unter Beteiligung von Grünen, SPD und der Linkspartei vorhersagte. Das ist eine Verzweiflungstat. Abgesehen von der Frage, ob die Wähler sich nach zwölf Jahren des Regierens einer CDU-Kanzlerin mit der SPD, zahlreichen stabilen Landesregierungen mit Grünen-Beteiligung und einer siechen Linkspartei von einem solchen Szenario beeindrucken lassen, passt die Taktik weder zum Kanzlerkandidaten, noch passt sie inhaltlich. Laschet ist zum CDU-Vorsitzenden gewählt worden, weil er ein Integrator ist. Sosehr er schon Machtkämpfe gewonnen hat, zum scharfkantigen Polarisierer taugt der freundliche Rheinländer nicht. Die Fähigkeit seines Immer-noch-Rivalen Söder, die Grünen inhaltlich links zu überholen und gleichzeitig als linke Gefahr darzustellen, hat Laschet nun mal nicht. Zweitens kann es inhaltlich kaum aufgehen. Es gibt gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik Unterschiede zwischen der Union und den Parteien links der Mitte. Aber es sind nicht dieselben. Eine Ertüchtigung der Bundeswehr würde mit der Linkspartei unmöglich, mit der SPD schwer und mit den Grünen nicht leicht. Was immer man von der selbstgefälligen Bemerkung Baerbocks, sie komme eher vom Völkerrecht, halten mag: Ihre Haltung gegenüber Moskau ist strenger als die Laschets und gegenüber Peking kritischer als die der von China faszinierten Merkel. (Eckhardt Lose, FAZ)
Ich will hier vor allem auf den letzten Punkt stärker eingehen, den Rest habe ich ja im Artikel zum CDU-Wahlkampf ausführlich diskutiert. Beobachtende aus dem Ausland bemerken auch vermehrt, dass ausgerechnet die Grünen in Deutschland aktuell die gegenüber Russland und China am meisten "hawkish" sind. Angesichts des Ursprungs der Partei ist das ziemlich ironisch, und es zeigt, welchen Weg andere Parteien zurückgelegt haben. Gerade die CDU fällt hier auf. Sie war eigentlich immer der Kern des Transatlantizismus, aber dieser ist von der soliden Mitte und dem Konsens in der Partei zu einer reinen Strömung degradiert worden. Die entschlossensten Transatlantiker finden sich bei den Grünen.
Das ist für die deutsche Außenpolitik umso merkwürdiger, weil die Grünen alles andere als Fans des 2%-NATO-Ziels sind, das wiederum bei der CDU die conditia sine qua non darstellt. Die klassische Verpflichtung zur NATO, die die deutsche Außenpolitik bisher immer bestimmt hat, ist nun also auf zwei Parteien aufgeteilt, die nicht eben die natürlichsten Bündnispartner sind. Umgekehrt hat auch eine Allianz der Putin-Versteher, die gerade in allen Parteien außer den Grünen im Aufwind sind, nirgendwo eine Mehrheit, weil in jeder potenziellen Koalition die Grünen dabei sind. Das ist eine sehr merkwürdige Dynamik, die nichts Gutes für die deutsche Außenpolitik vermuten lässt.
9) Grundlegend reformieren - aber wie?
Ohne Zweifel sind Lehrpläne notwendig, denn sie geben landesweit die einheitlichen Ziele vor, die in den einzelnen Fächern im Laufe der Schuljahre erreicht werden sollen. Wer aber die Lehrpläne von früher mit denen von heute vergleicht, stellt fest, dass sie zu riesigen Ungetümen aufgeblasen wurden, die den Lehrkräften (und Schülern) zunehmend weniger Freiheiten lassen. Ich will dies am Gymnasiallehrplan für Geografie aufzeigen: 1958 umfasste die "Bekanntmachung über Stoffpläne für Erdkunde an den Höheren Schulen" (für Erdkunde) eindreiviertel Seiten im Format A 5. 1965 benötigte die "Bekanntmachung über die Lehrpläne für Gymnasien in Bayern" für die Inhaltsangaben in den Jahrgangsstufen 5 bis 11 zweieinhalb Druckseiten im Format A 5. 1990 wurden die zu unterrichtenden Inhalte im Amtsblatt des Kultusministeriums für jede Jahrgangsstufe auf einer ganzen Seite im Format A 4 aufgelistet. 2015 braucht der "Lehrplan Plus" allein für den "Vorspann" vor der Aufzählung der zu erreichenden Kompetenzen im Fach Geografie über sechs eng bedruckte A 4-Seiten! Lehrkräfte sind auf ihrem Gebiet Fachleute. Dafür studieren sie nach dem Abitur ihre Fächer und besuchen Didaktikseminare; dafür machen sie zwei "Gesellenjahre" als Referendare mit; dafür legen sie zwei Staatsexamina ab. Und dann muss ihnen der Staat den Inhalt nahezu jeder Unterrichtsstunde vorschreiben? Konsequenz, zumindest fürs Fach Geografie: Streicht Lehrpläne auf ein absolut notwendiges Minimum zusammen: "Lehrplan minus". Gebt den verantwortungsbewussten Lehrkräften und Schülern Freiheit. (Ambros Brucker, SZ)
Ich teile Bruckers Kritik völlig. Die Bildungspläne sind wesentlich zu kleinschrittig und viel zu voll, lassen den einzelnen Lehrkräften zu wenig Freiraum und konzentrieren den Unterricht fast automatisch zu sehr auf die Vermittlung von Stoff anstatt auf das Erlernen von Kompetenzen. Das hat dann auch direkte Auswirkungen auf die Prüfungen, die ebenfalls furchtbar verengt und nur auf die blödsinnigen Bildungspläne ausgerichtet sind, was zwar die Heilige Kuh der Vergleichbarkeit befriedigt, aber wenig zum Lerngewinn beiträgt.
10) Kevin McCarthy Threatens Revenge on Firms Cooperating With January 6 Probe
One of Donald Trump’s innovations as president was to attempt to personalize the relationship of the state to private firms. Executives who praised him would receive lavish displays of support and gain easy influence. On the other hand, he would openly sic the government on firms or owners who ran afoul of him — stripping a lucrative Pentagon contract from Amazon in retaliation for Jeff Bezos’s ownership of the Washington Post, or blocking a merger requested by CNN’s parent company to punish its coverage of the administration.That practice lives on past Trump. On Tuesday, House Minority Leader Kevin McCarthy threatened telecommunications firms not to cooperate with subpoenas from the House committee investigating the January 6 insurrection. McCarthy, perhaps fearing that records will reveal more coordination between Congress and the White House or pro-Trump groups in advance of or during the riot, warned firms that if they cooperate, “a Republican majority will not forget.” Marjorie Taylor Greene, appearing on Fox News, took McCarthy’s threat a step farther, proposing to shut down any firms that cooperate with the investigation. Tucker Carlson gave that idea his enthusiastic endorsement [...] One of the characteristics of Viktor Orbán’s Hungary, a nation many conservatives openly yearn to mimic, is the use of the state to bolster the ruling party. Companies know they will lose contracts or face sanctions if they take any action disfavored by Orbán. Trump was usually too inept to carry out his threats as effectively as his models like Orbán could. But as McCarthy shows, that aspect of Trump’s assault on liberal democracy will return the next time his party gains power. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ich glaube ich habe schon öfter erwähnt, dass die Republicans keine demokratische Partei sind. Während immer wieder hysterisch die Debatte über das "Canceln" von irgendetwas oder irgendjemand geführt wird, haben wir Rechtsradikale, die bald wieder die Regierung übernehmen könnten, die sich offen zu Orbans Ungarn als Vorbild bekennen und die keinerlei Probleme damit haben, die geballte Macht des Staates zur Durchsetzung ihrer eigenen Machtinteressen zu gebrauchen. Das ist die wahre Gefährung der Demokratie.
11) Sachsen erlässt Genderverbot an Schulen
Schulen im Freistaat Sachsen ist es künftig untersagt, bestimmte Formen der geschlechtergerechten Sprache in Korrespondenz mit Eltern oder Schüler*innen anzuwenden. Wie die "Dresdner Neuen Nachrichten" (Bezahlartikel) am Montag berichtete, gehe dieses Verbot aus einem Schreiben des Hauses von Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hervor.
Wörtlich heiße es demnach in einem von zwei Männern verfassten ministeriellen Rundschreiben: "Die Verwendung von Sonderzeichen, wie Gender-Stern, Gender-Doppelpunkt, Gender-Unterstrich oder Doppelpunkt im Wortinneren, erfüllt weder die Kriterien für eine gendergerechte Schreibung noch entspricht sie den aktuellen Festlegungen des Amtlichen Regelwerks, welches die Grundlage für die deutsche Rechtschreibung bildet und somit auch für die Schulen gilt." Daher seien Gendersternchen und Co. "im Bereich der Schule und in offiziellen Schreiben von Schulen nicht zu verwenden." (dk, queer.de)
Der Kulturkampf, den die CDU mit Biegen und Brechen um die geschlechtergerechte Sprache führt, ist bemerkenswert. Er ist auch argumentativ völlig inkonsistent, wie man etwa an Karin Prien sieht, die kein Problem hat, Freiheit für die Schulen zu fordern und harsche Vorgaben bei der Schreibweise. Generell ist auffällig, dass man zwar gerne von Freiheit spricht und sich mit viel Trara gegen Sprechverbote positioniert, aber kein Problem hat, wenn diese Sprechverbote den eigenen Vorstellungen entsprechen.
Ich sehe das aber halbwegs entspannt. Ich bin recht zuversichtlich, dass die Rechten diesen Kulturkampf verlieren werden. Es gibt wesentlich bedeutendere Themen als geschlechtergerechte Sprache, und in irgendeiner Form wird das "generische Maskulinum" abgelöst werden, so oder so. Ob das Stern, Unterstrich, neutrale Formen, Doppelpunkte oder irgendetwas anderes sein werden, who knows. Was auch immer sich durchsetzt. Aber der "Wind des Wandels" liegt in der Luft, und da kann sich die CDU noch sehr hinstellen und "Stopp" brüllen, es wird nichts nützen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.