Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Die Irrlehre von der teuren Ökowende
Ich habe diese Argumentation schon in meinem Artikel zum Pragmatismus in der Klimakrise vertreten. Nicht massive Investitionen in den Klimaschutz (und ja: auch gerne CO2-Besteuerung nach FDP-Wünschen) sind die unrealistische, teure und unbezahlbare Option, sondern das Weitermachen wie bisher. Schon allein, weil die Entwicklung von Zukunftstechnologien an uns vorbeizugehen droht, wenn wir nicht die entsprechenden Anreize setzen und etwa in Grundlagenforschung investieren.
Gleichzeitig ist das Problem mit den Kosten der Klimakrisenschäden, das Götze hier beschreibt, sehr real. Wenn die Versicherungskosten entweder massiv steigen oder die Risiken einfach unversicherbar werden, haben wir ein Problem. Ebenso haben wir eines, wenn die Katastrophen die Kalkulationen der Versicherer übersteigen und diese einfach bankrott gehen (in einer Art Klimaversion des Zusammenbruchs der Rückversicherer in der Finanzkrise). Im aktuellen finanzpolitischen Modus Vivendi ist es jedenfalls ausgeschlossen, dass in kurzen Intervallen solche Wiederaufbauhilfe geleistet werden kann.
2) „Wir sind ein Land mit Migrationshintergrund“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Familien türkischer Einwanderer als wichtigen Teil Deutschlands gewürdigt. Ein Deutschland ohne die sogenannten Gastarbeiter, ihre Kinder, Enkel und Großenkel sei heute „schlicht nicht mehr vorstellbar“, sagte Steinmeier am Freitag bei einer Veranstaltung zum 60. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens in Berlin. Sie und Einwanderer aus anderen Ländern hätten viel dazu beigetragen, dass Deutschland heute gesellschaftlich offener und vielfältiger, wirtschaftlich stärker und wohlhabender sei. Er sei fest davon überzeugt, dass es Heimat im Plural gebe, erklärte Steinmeier laut vorab veröffentlichtem Redemanuskript: „Deutsch zu sein, das kann heute genauso bedeuten, dass die Großeltern aus Köln oder Königsberg stammen wie aus Istanbul oder Diyarbakir.“ An die Adresse von Eingewanderten sagte er bei der Gesprächsveranstaltung in Schloss Bellevue: „Sie sind nicht ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ – wir sind ein Land mit Migrationshintergrund!“ [...] Gläubige Muslime gehörten zum deutschen Gemeinwesen genauso wie säkulare Zuwanderinnen und Zuwanderer, betonte der Bundespräsident. „Wenn wir sagen, ‚ihr seid hier zu Hause‘, dann muss auch ihr Glaube in all seiner Vielfältigkeit hier eine Heimat haben.“ Dazu gehörten zum Beispiel die Ausbildung von Imamen oder der islamische Religionsunterricht an den Schulen. (epd, Welt)
Ich bin Steinmeier sehr dankbar dafür, dass er dieses Thema wieder aufgreift - ein Jahrzehnt, nachdem Christian Wulff den einzigen, aber höchst relevanten Marker seiner Präsidentschaft gesetzt hat. Es ist höchste Zeit, dass diese Nation sich endlich zur religiösen Vielfalt bekennt. Integration ist keine Einbahnstraße. Es ist an der deutschen Mehrheitsgesellschaft, den Islam als Bestandteil der deutschen Gesellschaft zu akzeptieren. Umgekehrt ist es am Islam (im Sinne einer religiösen Institution), eine klare, bejahende Haltung zur liberalen Moderne der Bundesrepublik zu finden. Es ist nicht genug, neben Demokratie, Pluralismus und Emanzipation herzuleben. Diese Werte müssen genauso mit der Religion verbunden werden, wie das auch die christlichen Amtskirchen hinbekommen haben.
This hate is anything but casual—Guru Gossipers aren’t just observers, they’re investigators. They’ve poured over public business filings and government documents, searching far and wide for anything that feeds the conspiracy: Mimi and her husband are scam artists projecting a false image online to siphon money from anyone stupid enough to buy into their shtick. The tagline of Guru Gossip is “Discussions on YouTube Beauty Gurus, Influencers, Vloggers and Personalities.” The direction of these discussions is self-evident: a dedicated section for “RAVE ABOUT A GURU” has generated 10,799 posts, while “TRASH A GURU” has generated 1,006,706. Mimi Ikonn is just one of hundreds of influencers generating conversation on Guru Gossip each day. While her detractors are dedicated, they’re a much smaller group than those that gather to discuss influencers closer to household names. But if you read through Guru Gossip, sifting through the hundreds of thousands of posts on various influencers, you’ll see that though the details are different, the conspiratorial thinking surrounding each creator is the same: they’re a fake, they’re a fraud, they’re a phony. Accusations of fraud are not reserved for influencers’ financial ventures, but extend into deeply personal claims of duplicity. Yes, their lifestyle businesses are secretly hemorrhaging money; their success is a front. But their relationships are also fake; the romantic affection is only for the ‘gram. Their looks are a deception and their workouts are for show; the only “work” is that of a plastic surgeon. Their charity contributions are insincere; a ploy to appear unselfish, which is, of course, the most selfish thing of all. (Fadeke Adegbuyi, Cybernaut)
In dem Artikel hier wird das "Anti-Fan"-Phänomen an Influencern festgemacht, ein Bereich, auf dem ich mich überhaupt nicht auskenne. Aber das Phänomen an sich ist leider keinesfalls auf die Welt von YouTube- und Instagram-Sternchen beschränkt. Das "Hate-Watching" von Serien etwa ist ebenso weit verbreitet. Woche für Woche sitzen diese Leute vor dem Bildschirm, schauen die neueste Folge einer Serie und führen dann online erbarmungslos Krieg gegen alle, die Spaß an ihr haben. Diese Aktivist*innen sind durch ihr großes commitment an Zeit oftmals in der jeweiligen Blase dominant, obwohl sie nur eine zahlenmäßige Minderheit darstellen, und ruinieren es mit ihrem asozialen, toxischen Verhalten für alle anderen. Wer eine Parallele zur heutigen Politik findet, darf sie behalten.
Jedenfalls meldete sich der Delegierte Norbert Kleinwächter, rief aufgeregt «Seid ihr denn des Wahnsinns?» ins Mikrofon – und bezog sich damit auf einen Antrag, dass man Meuthen für seinen Beitrag disziplinieren solle. Was Kleinwächter meinte, war: Man solle lieber über Konzepte sprechen als über den Parteichef. That’s it. In manchen Artikeln aber wurde das Zitat als Überschrift verwendet und machte den Eindruck, als hätte Meuthen diese Worte gesprochen, als sei das jetzt die ganz grosse Wende. [...] Aber ob mit oder ohne Perlenketten, ob in gebügelten Jeanshosen oder mit Deutschlandhütchen: Zur Währung der AfD gehören Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus, völkisch begründete Überlegenheit. Hasszerfressen sind sie zudem. Nie geht es darum, den Faschismus in der nationalsozialistischen Ausprägung und Tradition infrage zu stellen, sondern immer nur um Geschmacks- und Stilfragen. Um diese oder jene rhetorische Ummantelung. Ich kann keinen Niedergang und Absturz erkennen, keine tiefe Zerrissenheit, die den Zusammenhalt innerhalb der Partei tatsächlich gefährden würde. Ich sehe Macht- und Flügelkämpfe, aber ist das was Ungewöhnliches? Was mich beunruhigt, ist eine verdächtig schnelle Annäherung der Ost-CDU an die AfD, und es ist eine Frage der Zeit, wann da Koalitionen eingegangen werden. Ich spreche hier nicht über eine Zukunft in Jahrzehnten, sondern eher von Monaten, Minuten, Sekunden. Das sehe ich. «Seid ihr denn des Wahnsinns?», dachte ich jedenfalls, als ich die Texte mancher Kolleginnen las, deren Wunschdenken und Projektion über das nahende Ende der AfD grösser sind als die eigene politische Urteilskraft. Sie haben immer die Hoffnung, die AfD werde sich mässigen oder regulieren oder die Realpolitik werde aus der Faschistenpartei lauter mustergültige Demokraten hervorbringen. Das wird nicht geschehen, schönen Gruss an Ungarn, Polen, die halbe Welt. (Mely Kiyak, Republic.ch)
Kiyak weist auf einen wichtigen Punkt hin: die völlige Überbewertung von Machtkämpfen innerhalb von Parteien. Das bezieht sich nicht nur auf die AfD; hier führt diese Überbewertung nur dazu, dass man sich den Laden schönredet. Aber dass Parteien verschiedene Gruppierungen haben, die abgestuft unterschiedliche Herangehensweisen an die Politik haben und versuchen, ihre Ansicht innerparteilich durchzusetzen, sollte nun wenig überraschend sein.
Aber anders als beim Konflikt um Posten zwischen Seeheimern und Netzwerkern in der SPD ist es in der AfD so, dass gewisse Beobachtende krampfhaft versuchen, einen moderaten Flügel auszumachen, mit dem man zusammenarbeiten kann und der quasi die Rettung der Partei darstellt. Aber die AfD ist wesentlich geschlossener und schlagkräftiger, als manche sich das eingestehen wollen. Die gehen nicht weg.
5) MLK syndrome
Following the social and political liberalisations of the last century, modern Western societies have provided little opportunity to take sides in genuinely momentous moral contests. We are no longer in conflict over whether different races deserve equal rights or women can vote or - a more recent achievement - gay people can marry. Public attitudes have consistently become more liberal. For all the fuss about populism, most of us agree on the fundamentals of liberal democracy; we’re just arguing over how to optimise it. That means the stakes are lower than they were. The closest many of us get to a test of political integrity is whether we’re willing to spend more on eco-friendly washing up liquid. It’s all unsatisfyingly undramatic. It means there are fewer opportunities for moral differentiation - fewer ways to mark yourself out as a visionary on the right side of history. Consequently, some are tempted to inflate the real and serious injustices of modern democracies into the direct equivalent of those suffered by African-Americans in the mid-twentieth century, or by Jews and other minorities in Europe earlier on. They are plainly not on the same scale. But by pretending they are, we can promote ourselves to a starring role in history’s drama, rather than accepting that we have bit parts, here to deliver some essential but eminently forgettable dialogue. That’s why law-abiding barristers indulge in speculation about going to jail for their beliefs. Elsewhere, it’s why the use of incorrect terminology gets quickly condemned as “violence”. It’s why people are always “speaking truth to power”; speaking it so often that you wonder whether power is still listening. It’s why every hashtag campaign gets talked about as if it’s a march to Montgomery. And of course, for us to be the Good, they must be the Bad. (Iain Leslie, The Ruffian)
Das ist auch so was, das mich wahnsinnig aufregt. Ich glaube, ich bin da deswegen ein bisschen abgeschirmter dagegen weil ich Historiker bin, da kriegt man eine gewisse berufliche Vorsicht gegenüber historischen Vergleichen. Ich kann weder das ständige "Faschismus!"- oder "Imperialismus!"-Krakele auf der Linken leiden noch die Sozialismus-Beschwörungen, die auf der Rechten dauerhaft in sind (aktuell sind Tempolimit und Mindestlohn glaube ich der Schritt vor dem Mauerbau, man verliert so leicht den Überblick). Von den völlig geschmacksverwirrten "Ich bin Sophie Scholl"-Anwandlungen bei den Querdenkern gar nicht erst zu reden.
Ich weiß nicht, ob das wirklich an den gesunkenen Einsätzen liegt. Dieser Gedanke ist aber generell ein wertvoller: Unsere heutigen Kulturkämpfe sind viel niedrigschwelliger und ziviler als frühere. Auch wenn hyperventilierend die Cancel-Culture beschworen oder eine Sprachdiktatur an die Wand gemalt wird, letztlich sind das alles kleine Fische. Eigentlich ist das eine gute Nachricht.
6) Chartbook #36 After Afghanistan: No Post-American world
The Pentagon and the US military-industrial complex are a giant moloch, driven by many interests that do not map in any simple way onto the visions of military planners. But, nevertheless, in the spending patterns we can see a shift towards the priority of high-tech, great power confrontation with China. The momentum is not with the army but the air force, the new Space Force and the navy. R&D spending is gigantic. [...] The scale of this proposed spending is huge. The heavy focus on attack submarines signals aggressive maritime intent. [...] As the CBO notes: “Although the plan calls for building a significant number of unmanned systems, they represent a small fraction of the overall costs of the plan—an average of about $1.2 billion per year, or 4 percent of all shipbuilding costs.” For sake of comparison a single Ford-class aircraft carrier costs $ 12 billion. So, if an Orca, priced at a few tens of million dollars, can sink an aircraft carrier costing billions […] This distinction between development, capital procurement, operational costs and personnel makes it imperative to break down any spending figures into their different components. As calculations like Posen’s suggest, the US could easily downsize its ground forces and tactical air component, saving tens of billions, whilst substantially increasing its throw weight, its global reach and its high-tech advantage. With this in mind, what is perhaps most dramatic about America’s giant defense budgets is their R&D component. Right now it runs to over $100 billion and makes up 14.6% of overall spending. [...] In global competition, the scale of America’s military R&D puts it in a league of its own. (Adam Tooze, Chartbook)
Faszinierend, wie der Fokus der US-Militärausgaben sich dreht. Ich habe dazu zwei Gedanken.
Nummer eins: Die EU hat erst Recht keine Chance, da mitzuhalten, wenn man sich anschaut, wie hierzulande Militärpolitik betrieben wird. Ich bin ziemlich zuversichtlich dass wir zurückfallen werden, auch wenn wir näher an das 2%-Ziel herankommen, weil dieser R&D-Fokus der USA weitgehend fehlt und die uns ihre Technologie nicht oder nur unvollständig geben werden.
Nummer zwei: Es ist jetzt fast 80 Jahre her, dass industrialisierte Staaten in einem direkten Krieg miteinander standen. Die Situation ist damit noch unklarer als sie das 1914 war, als es fast 45 Jahre her war (1871, deutsch-französischer Krieg). Wenn man bedenkt, wie geschockt alle Kriegsteilnehmer 1914 von den technologischen Veränderungen waren und wie hinfällig alle Pläne, wie muss das erst bei einem hypothetischen heißen Krieg zwischen USA und China heute sein! Niemand hat auch nur die geringste Ahnung, wie so ein Krieg auch nur aussehen wird, geschweige denn, wer ihn für sich entscheiden könnte. Solche Unsicherheit ist nicht eben stabilitätsfördernd.
7) Chartbook on Shutdown: Keynes and why we can afford anything we can do.
At the heart of the essay, is the double-edged lesson that 2020 taught us about our capacities for collective action: We have huge capacities for crisis-fighting. We spent trillions on giant fiscal programs to put our economies on life support. We backed them up with huge central bank activism. Financial markets were stabilized. Crash programs of vaccine development produced a suite of vaccines that as of this week have allowed 5.29 billion doses to be distributed worldwide, providing 39 percent of the world’s population with at least one dose. Vaccines that many considered to be impossible as recently as the spring of 2020. We can, as one of my favorite quotes from Keynes says, pay for ‘this and much more. Anything we can actually do we can afford.” But the question is in the doing. Think of everything we have not done. The opportunities gone begging. The discovery of our financial freedom robs us of excuses. This is the hard political edge of the related schools of post-Keynesianism, functional finance and modern monetary theory. If we fail to do something, we should not blame lack of money. [...] The fascination in the quote lies in the tense balance between the liberality of “assuredly we can afford this … we can afford anything” …. and the weighty counterbalance implied by “anything, we can actually do”. Once you have cleared away the obfuscation of budgetary arithmetic, it is the doing that is the problem. 2020 has delivered a grim lesson on that score. (Adam Tooze, Chartbook)
Dieses Keynes-Zitat, mit dem Tooze gerade überall hausieren geht, stellt eine absolut faszinierende Ausgangsproblematik dar. Wenn man tatsächlich von der Realwirtschaft als relevantester Größe ausgeht und damit die künstlichen, selbst auferlegten regulatorischen Fesseln der Ordoliberalen abwirft, dann ändert sich der komplette Referenzrahmen. Sollte sich diese Art der Sicht auf die Wirtschaft durchsetzen, der aktuell noch sein Dasein am linken Rand fristet, wird ein Paradigmenwechsel von der Größe der keynesianischen Revolution in den 1930er/1940er Jahren oder der neoliberalen Revolution der 1970er/1980er Jahre auf uns zukommen. Ich hoffe, dass das passieren wird. Es ist überfällig.
8) The Counterterror War That America Is Winning
Large-scale operations take more time, planning, and funds. Al-Qaeda spent close to half a million dollars in the years prior to the 9/11 attacks, much of which went to American bank accounts to purchase flight training and supplies. Yet not a single transfer was flagged as suspicious. [...] The initial effort began only days after 9/11. Combatting terrorist financing was declared a top priority, as important as the fight against al-Qaeda itself. The PATRIOT Act forced through new banking laws, laying out a host of financial-transparency requirements: U.S. financial institutions now had to know whom they were doing business with, and screen those clients for potential risks. Banks had become tools of national security. Treasury officials knew, however, that this approach had an underlying problem. Despite its outsize influence, the U.S. alone couldn’t keep questionable money out of finance. Global banking is like a network of underground tunnels: Plugging one passage only diverts traffic to other routes. The Bush administration, fond of going it alone in other respects, took to multilateralism to address the issue. In a span of weeks, the U.S. added new names to a United Nations sanctions list targeting al-Qaeda and pushed through an expansive Security Council resolution that required all countries to criminalize the financing of terrorism. In a separate international forum called the Financial Action Task Force (FATF), Washington rushed the adoption of special recommendations detailing precisely how countries should stop terrorist financing. (Julian C. Morse)
Viele Kritiker*innen des "War on Terror" machen es sich in der Tat zu einfach, wenn sie das gesamte Programm als in Bausch und Bogen gescheitert darstellen. Tatsächlich gab es Erfolge; fraglich sind einerseits ihr Preis und die Langzeitfolgen und andererseits das Verhältnis der Kosten-Nutzen-Relation. Natürlich sind viele Maßnahmen an den Flughäfen reine Sicherheits-Show - etwa das Ausziehen von Schuhen oder das Verbot von Flüssigkeiten - aber insgesamt hat die Sicherheit tatsächlich zugenommen. Die meisten Anschläge sind schließlich verhindert worden. Man kann stets die Debatte aufmachen, ob die dem gegenüberstehenden Einschränkungen zu weit gingen oder ob es das wert ist, aber zu behaupten, es sei komplett nutzlos ist falsch.
9) Democrats' abortion rights opportunity
Republican leaders are for once staying quiet about a hot political issue. The Texas GOP's de facto ban on abortion and the right-wing Supreme Court majority's rubber stamp of the law has not been mentioned by Senate Minority Leader Mitch McConnell, or former President Donald Trump, or House Minority Leader Kevin McCarthy. Fox News has largely kept mum on the subject. That uneasiness reflects the fact that the obvious Republican preference on abortion — to ban it under all circumstances without exception — is hideously unpopular. But like any culture war battle, Democrats will have to actually fight to win it. [...] Now, it's easy to see why Democrats are reluctant to come out with full-fledged defenses of abortion — a big chunk of the population thinks there should be at least some limits on its use. Traditional Democratic timidity means party leaders are reluctant to risk a backlash by boldly defending abortion rights. (In a recent tweet President Biden did not even mention the word at all.) But there is a way to thread this rhetorical needle. First, attack Republicans on their most sensitive points: pregnancies resulting from rape or incest, or those that threaten the mother's health, or ones very early in the term. The Texas bill does not have any exceptions for rape or incest, and the provision for the health of the mother is very narrow — covering only an imminent risk of death or "substantial and irreversible impairment of a major bodily function[.]" (Ryan Cooper, The Week)
Die Democrats stehen hier vor einem in der Politik durchaus häufigen Problem: Zwar halten ihre Gegner eine sehr unpopuläre Minderheitenposition, die eigentlich eine Attacke leicht machen sollte. Aber die radikalen Abtreibungsgegner*innen sind zwar eine Minderheit, aber eine wohl organisierte und hoch motivierte, während die "schweigende Mehrheit" zwar überwältigend für liberale Abtreibungsregeln ist, aber das nicht zum bestimmenden Thema ihres politischen Handelns gemacht hat.
Zudem ist die Mehrheit zwar für liberale Abtreibungsrechte, aber damit Wahlkampf zu betreiben ist noch einmal eine ganz eigene Kategorie. Es ist etwas anderes, sich in einer Rede unter "ferner liefen" zum "right to choose" zu bekennen als tatsächlich aktiv Wahlkampf mit dem Recht auf Abtreibung zu betreiben. Dementsprechend hat die Minderheit hier einen starken Hebel in der Hand.
10) All of Those ‘Hysterical’ Women Were Right
Kavanaugh was then confirmed, tipping the Supreme Court toward an anti-abortion majority. [...] Senator Lisa Murkowski of Alaska, a supposed pro-abortion-rights moderate Republican in the same vein as Collins, told reporters that she did not believe Barrett would ever overturn Roe. She voted to confirm Barrett in the middle of Trump’s reelection campaign. And then Trump himself—despite having promised in 2016 to nominate only anti-abortion judges—flatly denied in a debate with then-candidate Joe Biden that Roe was on the ballot. “You don’t know what’s on the ballot. Why is it on the ballot?” Trump asked Biden in an exchange about Roe. “It’s on the ballot in the Court,” Biden said, to which Trump replied, “You don’t know [Barrett’s] view on Roe v. Wade.” [...] Of course, now that Chief Justice John Roberts has sided with the liberal justices on the Texas case, it’s clear that Kavanaugh and Barrett were the votes that effectively ended abortion rights for women in Texas. That was always the plan. It was exactly why they were chosen. Women weren’t being “hysterical” about the threat to Roe—Republicans were simply lying about it. And now they hope we won’t notice. (Laura Bassett, The Atlantic)
Ich kann mich auch noch an die Debatten zu Gorsuch und Kavanaugh hier im Blog erinnern, in denen völlig empört meine Einschätzung eines Rechtsrucks im Supreme Court zurückgewiesen und auf meine politische Disposition geschoben wurde. Nun ist eingetreten, was gerade von linker Seite prophezeit worden war - und offensichtlich für alle, die sich mit der Materie auskannten. Das Recht auf Abtreibung, wie es 1972 mit dem "Roe v. Wade"-Urteil etabliert wurde, ist jetzt praktisch tot. Erst gestern hat der Supreme Court eine offene Anfechtung des Urteils durch Mississippi angenommen, etwas das die Verteidiger*innen Gorsuchs und Kavanaughs immer für praktisch ausgeschlossen erklärt hatten. Es war aber völlig absehbar.
11)
Diese Macht- und Einflusslosigkeit der Grünen hat aber nicht nur realpolitische Gründe, sondern auch institutionelle bzw. rechtliche. Sie ist das Ergebnis des faktischen Verfassungsumbaus, der in der Ära Kurz in Österreich stattgefunden hat. [...] Mit der Koalitionsregierung zwischen der türkisen ÖVP und FPÖ (12/2017 bis 5/2019) und dann mit der ÖVP-Grünen Koalitionsregierung ab 2019 geht eine grundlegende Neuordnung der Organisation der Geschäfte der Regierung ebenso wie eine Bündelung der Ministeriumskompetenzen einher. Dies ist Teil des „Projekts“ von Sebastian Kurz. Die Tendenz geht in Richtung Richtlinienkompetenz für den Bundeskanzler, jedoch ohne dafür die verfassungsrechtliche Grundlage herzustellen. Die Stärkung der Stellung des Bundeskanzlers basiert auf zwei Aspekten: erstens der Anhäufung von Agenden im Bundeskanzleramt in einem nie da gewesenen Ausmaß, und zweitens auf dem Ausbau der zentralisierten Informationsaufgaben. Dies erfolgte auf einer einfachgesetzlichen Grundlage, dem Bundesministeriumsgesetz, das die organisatorische Einteilung und die materielle Aufgabenverteilung in der Regierung regelt. [...] Politik wird innerhalb der Koalitionsregierung nicht in verhandlungsdemokratischer Willensbildung und Akkordierung in grundlegenden Angelegenheiten zwischen den beiden Parteien gestaltet. Nach außen gilt die Abarbeitung der Agenden des Regierungsprogrammes – also der bereits außer Diskussion gestellten Gesetze (z.B. Zentralisierung der Asylbetreuung in einem Bundesbetreuungsgesetz; Einrichtung einer Dokumentationsstelle für politischen Islam ebenso wie ein Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahre). Nach innen gilt das Prinzip der gegenseitigen Nicht-Einmischung. Ein Prinzip, das der ÖVP, die alle migrationsrelevanten Ministerien leitet, ermöglicht, alleine die Linie vorzugeben. [...] Die ÖVP hat sich das Recht gesichert, im Falle akuten Handlungsbedarfes sich für gesetzliche Maßnahmen andere parlamentarische Mehrheiten, d.h. konkret eine Mehrheit mit der FPÖ, zu suchen. (Sieglinde Rosenberger, Verfassungsblog)
Ich finde solchen Verfassungswandel immer extrem faszinierend. Ich kenne mich zu wenig mit Österreich aus, um viel Belastbares dazu sagen zu können, aber mir scheint, dass der Kardinalfehler der österreichischen Grünen war, von einem Regierungssystem auszugehen, das in der Praxis nicht existiert, sondern nur auf dem (Verfassungs-)Papier. In eine ähnliche Falle tappten die damaligen Koalitionspartner der CDU 1949 auch, als sie die Position des Kanzlers, die Adenauer bekleidete, für vergleichsweise schwach hielten und allesamt innerhalb kürzester Zeit untergebuttert und assimiliert wurden.
Dazu kommt, dass die österreichischen Grünen offensichtlich gewogen und für zu leicht befunden wurden. Die ÖVP spielt sie auf eine Art und Weise an die Wand, gegen die Merkels Ausmanövrieren der FDP 2009-2013 als reiner Kuschelkurs erscheinen muss. Wie Rosenberger im Artikel auch klar sagt, ist österreich zu verschieden von Deutschland, als dass ein Vergleich allzu instruktiv auf eine kommende Regierungsbeteiligung der Grünen wirken könnte, weswegen die Betrachtung unter verfassungsrechtlichen Aspekten interessanter ist.
Verfassungen sind grundsätzlich lebende Dokumente, die ständigen Veränderungen und Neuinterpretationen unterworfen sind. Sie in ihrem gegenwärtigen Zustand zu belassen und für unveränderlich zu erklären ist ein häufiges politisches Manöver, das immer von derjenigen Partei unternommen wird, die von diesem Status Quo gerade profitiert.
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