Freitag, 25. Februar 2022

Belgien und Dänemark testen den Leistungsbilanzüberschuss von AOCs Eltern mit Waffen im Lehrerzimmer - Vermischtes 25.02.2022

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Universalismus versus Identitätspolitik: Von einer falschen Gegenüberstellung

Eine wichtige Pointe der weit verbreiteten Ideologie vom Universalismus lautet, dass man selber universell handle während die andere Seite demokratiefeindlich, emotional motiviert und nicht gesprächsbereit sei. Sie funktioniert dann besonders gut, wenn ihre Träger*innen tatsächlich glauben, sie handelten im Geiste des Universalismus von Sozialdemokratie bis Aufklärung. Tatsächlich bin ich mir ziemlich sicher, dass Thierse und diejenigen, die ähnlich argumentieren, selber gar nicht bemerken, dass die Behauptung der eigenen Objektivität mit der rassismuskritischen Analyse einer gesellschaftlichen weißen Position korreliert. [...] Erinnern Sie sich auch noch an die Zeit, als die Gesellschaft noch gemeinsam und geschlossen an der Umsetzung der Aufklärung arbeitete? Natürlich erinnern Sie sich nicht, denn diese Zeit hat es nie gegeben! Und so findet sich viel Polemik gegen Diskurse und Praxen rund um das Thema (Anti-)Diskriminierung – aber erstaunlich wenig über diese vermeintliche goldene Vergangenheit. Fast scheint es, als schrieben die Kritiker*innen der linken Identitätspolitik für ein Publikum, welches sowieso schon überzeugt davon ist, dass die eigene Perspektive die objektiv richtige sei und die Gegenseite daher nicht zu beachten bräuchte. Ein Schelm, wer das Argument vom Anfang dieses Textes darin erkennt. Die historisch konkrete Praxis des Universalismus, von der Kritiker*innen der Identitätspolitik schreiben und sprechen, ist also unauffindbar. Was es stattdessen gab, war eine Rhetorik des Universalismus. Aber eine Rhetorik ist noch keine Realität, vielmehr kann sie den gegenteiligen Effekt haben, wenn nämlich ihre Vertreter*innen mit Verweis auf einen vermeintlichen Universalismus antisemitische, sexistische und sonstige diskriminierende Praxen nicht reflektieren. Und vielleicht auch gar nicht reflektieren können,weil man ja Universalist*in ist. (Max Czollek, Heinrich-Böll-Stiftung)

Das ist auch der für mich nervigste Teil an der Kritik geschlechtergerechter Sprache, Trigger-Warnings, CRT und so weiter und so fort. Es ist so unglaublich unaufrichtig, weil so getan wird, als gäbe es ein Goldenes Zeitalter der Gedankenfreiheit, in dem wesentlich freier als heute diskutiert wird. Das ist völliger Quatsch; die Tabus lagen nur auf völlig anderen Bereichen. Nur waren diese Bereiche eben deckungsgleich mit denen derjenigen, die sich heute echauffieren. Sie haben die früheren Tabus nicht bemerkt, weil sie ihren eigenen Präferenzen entsprachen, während sie die heutigen Tabus bemerken, weil diese nicht mehr ihren eigenen Präferenzen entsprechen. Da wir uns an einem Übergang befinden, an dem sie zwar politisch und wirtschaftlich noch die Eliten sind, diese Führerschaft aber im Bereich der Gesellschaft und Debatten verlieren, bekommen wir diesen merkwürdigen Zustand heute.

2) A Network of Fake Test Answer Sites Is Trying to Incriminate Students

In the patent, recently flagged, along with an Honorlock honeypot site, by student media at Arizona State University, the company explains that its sites can track visitor information like IP addresses as evidence that a student was looking up answers on a secondary device. When the pandemic led to shuttered schools, demand for services like Honorlock skyrocketed as educators worried about whether students would be able to easily find answers online using devices that instructors didn’t know about. In its online materials for its software, Honorlock says, “[S]tudents have access to more and more electronic devices and it’s becoming harder for instructors to preserve academic integrity.” But some experts in the ethics of education worry techniques like honeypot websites simply go too far. [...] Pedagogy ethicists like Parnther say this kind of software is backfiring by creating an environment where students are, by default, under suspicion. That mindset itself facilitates cheating, she says, by subtly suggesting to students that they might as well cheat because teachers expect them to anyway. “Students see that there’s an environment where it’s automatically assumed that they are not to be trusted,” Parnther said. Eaton proposes that educators should consider a more radical rethinking of testing, one that doesn’t rely on surveilling students. Punishing students for using their devices fundamentally goes against how learning works in the age of the internet, Eaton says, and the cat-and-mouse game of sussing out possible cheaters isn’t working. Moving to a better system might mean shifting to more oral or open-book exams, for example, which still demonstrate proficiency without the specter of simply Googling answers. There will always be some level of cheating on exams, Parnther argues, but the costs of cracking down on students is now coming at the expense of their education. (Colin Lecher, The Markup)

Einmal abgesehen davon, wie pervers es ist, Fallen für Student*innen zu stellen, das Problem hier ist nicht so sehr der Datenschutz oder ähnliche Bedenken, das Problem ist viel tiefgehender, und es ist etwas, das ich an pädagogischen Tagen und Gesamtlehrkräftekonferenzen auch permanent thematisiere: Wenn deine Klausur dadurch lösbar ist, dass ich kurz nebenher google, dann ist das Problem deine Klausur. Denn ein solcher Test ist für den Arsch. Er prüft keine Kompetenz, die in irgendeinem Maße nützlich wäre, weil ich OFFENSICHTLICH die nötigen Informationen mit einer einzigen Google-Suche zur Hand habe. Warum um Gottes Willen sollte ich den Mist also auswendig lernen? Ich stelle Klausuren, in denen alle Hilfsmittel erlaubt sind. Spickzettel, Bücher, alles steht zur Verfügung. Warum? Weil meine Klausuren eigenes Denken erfordern. Pädagog*innen, ob an Schule oder Uni, die solche technischen Hilfsmittel einsetzen, versagen in ihrem Job, genauso wie Führungskräfte, die ihre Untergebenen nur mit ständiger Kontrolle zur Arbeit anhalten zu können glauben. Es ist ein Versagen, dessen Schuld auf die Opfer abgewälzt wird.

3) Deutschland muss den hohen Leistungsbilanzüberschuss endlich abbauen

Außerhalb Deutschlands ist der hohe deutsche Überschuss eine Gefahr für die makroökonomische Stabilität. Denn dafür müssen andere Länder große Defizite machen, die über Auslandsverschuldung finanziert werden. Das erhöht deren Anfälligkeit für Finanzkrisen. Innerhalb Deutschlands verweisen hohe Leistungsbilanzüberschüsse auf ein ungleichgewichtiges Wachstumsmodell, von dem nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitiert. Der deutsche Überschuss stieg nach dem Euro-Beitritt vor allem wegen der zunehmenden Einkommensungleichheit, wie auch der IWF zeigt. Geringes Lohnwachstum und der Fokus auf die „schwarze Null“ in der Fiskalpolitik trugen in der jüngeren Vergangenheit maßgeblich zu einer schwachen Binnennachfrage und geringen Importen bei. Der Lösungsansatz: ein Mix aus stärkerem Lohnwachstum und einer Fiskalpolitik, die durch öffentliche Investitionen die Binnennachfrage anregt. Dies würde zu höheren Importe führen. Dadurch könnten wiederum die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sinken, ohne dass die Exporte reduziert werden müssen. Das würde jedoch erfordern, dass Deutschland anfängt, endlich vor der eigenen wirtschaftspolitischen Haustür zu kehren. Maßnahmen zur Reduktion der ökonomischen Ungleichheit würden das deutsche Wachstumsmodell nachhaltiger machen, großen Teilen der Bevölkerung helfen und den Beitrag Deutschlands zu internationalen Handelsungleichgewichten reduzieren. (Philipp Heimberger, Handelsblatt)

Ich bringe dieses Fundstück weniger, weil atemberaubend neue Sachen drinstehen - hier wird eine Dauerkritik am herrschenden Paradigma seitens linker Ökonom*innen formuliert - sondern weil ich den Widerstand dagegen immer mehr bröckeln sehe. Deutschland ist eine harte Nuss, was das angeht, weil hierzulande der Ordoliberalismus tief verankert ist, aber der Paradigmenwechsel kommt zumindest in anderen Teilen der Welt, vor allem den USA, und wird in abgeschwächter Form auch hier ankommen. Man sieht das denke ich an Lindners bisheriger Haltung: man stelle sich einen FDP-Finanzminister im Jahr 2009 vor, das ist überhaupt kein Vergleich. In der letzten Dekade ist bereits wahnsinnig viel passiert.

4) Belgium approves four-day week and gives employees the right to ignore their bosses after work

Workers in the gig economy will also receive stronger legal protections under the new rules, while full-time employees will be able to work flexible schedules on demand. [...] A significant portion of Belgium's new labour reforms impact the work-life balance of employees in both the public and private sectors. The draft reform package agreed by the country's federal government will grant employees the ability to request a four-day week. [...] Workers will also be able to request variable work schedules. The minimum notice period for shifts is also changing, with companies now required to provide schedules at least seven days in advance. [...] "The boundary between work and private life is becoming increasingly porous. These incessant demands can harm the physical and mental health of the worker," he said. [...] In Belgium, platform workers meeting three out of eight possible criteria - including those whose work performance is monitored, who are unable to refuse jobs, or whose pay is decided by the company - will now be considered employees with rights to sick leave and paid time off. (Tom Bateman, Euronews)

Diverse Leute haben diese Meldung falsch verstanden als eine Arbeitszeitverkürzung auf vier Tage (also eine 32-Stunden-Woche), was Belgien dezidiert NICHT macht. Die packen nur die übliche 40-Stunden-Woche auf vier Tage. Das ist je nachdem wer betroffen ist eine eher schlechte Nachricht (wenn mich mein Arbeitgeber zwingt, solche Stunden zu arbeiten, obwohl ich nicht will) oder eine gute Nachricht (wenn ich flexibler wählen kann, wie ich arbeite). So wie das klingt, scheint es eher Letzteres zu sein, aber ich bin gespannt ob Leute, die sich besser auskennen, da vielleicht Einblicke geben können.

5) Beschleunigung von Genehmigungsverfahren: Experten empfehlen weniger Bürgerbeteiligung

Die bisherige Verfahrenspraxis stufen die Juristen auch wegen knapper Ressourcen aufseiten der Genehmigungsbehörden und der Vorhabenträger als „besonders zeitintensiv“ ein. Dies betrifft unter anderem die Terminvorbereitung, die „regelmäßig viel Zeit“ in Anspruch nehme.  [...] Die Wirtschaft fordert seit Langem schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland. „Bei Genehmigungsverfahren für neue Wind- und Solaranlagen bewegen wir uns wie ein Koalabärchen beim Mittagsschlaf – gar nicht“, kritisierte zuletzt Christian Kullmann, Präsident des VCI sowie Vorstandsvorsitzender von Evonik. [...] Naturschützer und Anwohner sehen die Öffentlichkeitsbeteiligung als Möglichkeit, auf negative Konsequenzen für die Umwelt hinzuweisen, die mit einem Bauprojekt verbunden sein könnten. „Die Bürgerbeteiligung gehört im demokratischen Rechtsstaat zu Planungsverfahren unabdingbar dazu“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner, dem Handelsblatt. Um oftmals langwierige Verfahren zu beschleunigen, schlug er vor, Behörden besser personell und mit digitaler Technik auszustatten. Außerdem sollten bei Naturschutzfragen bundesweit einheitliche Regeln gelten. (Dietmar Neuerer, Handelsblatt)

Für mich einer der überraschenderen Trends der letzten Jahre ist die scharfe Kritik an Bürger*innenbeteiligung, die bisher immer als Panacea gegen Demokratieverdrossenheit hochgehoben wurde. Ich stimme da völlig zu; es ist ein völliger Irrweg zu glauben, durch die Beteiligung der Ortsansässigen, gut vernetzten Elite eine größere Pluralisierung erreichen zu wollen. Alles, was dadurch geschafft wurde, ist dem NIMBYismus eine institutionalisierte Machtbasis zu geben und zahlreiche Projekte endlos zu verzögern, verteuern oder zu verhindern. Das ist übrigens auch parteipolitisch blind. Ich kann diese Mechanismen als Grüner nutzen, um eine Atomendlagerstätte zu blockieren oder als Konservativer, um ein Windrad zu verhindern.

6) Bundesregierung will CO₂-Kosten per Stufenmodell gerechter aufteilen

Bei der geplanten Aufteilung der CO₂-Kosten fürs Heizen zwischen Mietern und Vermietern hat sich die Ampel-Regierung auf Eckpunkte geeinigt. Dies berichten mehrere Medien, darunter die Zeitungen der Funke Mediengruppe. Demnach ist ein Stufenmodell mit sieben Stufen geplant. Die Beteiligung der Mieterinnen und Mieter ist dabei abhängig vom energetischen Zustand des Gebäudes: Je weniger CO₂ es ausstößt, desto höher ist der Anteil der Mieter. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP wird der CO₂-Ausstoß in dem Stufenmodell mit Kilogramm pro Quadratmeter und Jahr angegeben. Beträgt dieser Ausstoß weniger als fünf Kilogramm, was die niedrigste Stufe darstellt, müssen die Mieterinnen und Mieter die gesamten CO₂-Kosten fürs Heizen übernehmen. Beträgt der Ausstoß mehr als 45 Kilogramm, etwa bei schlecht gedämmten und schlecht sanierten Gebäuden, müssen sie nur zehn Prozent der CO₂-Kosten tragen. (AFP, ZEIT)

Das klingt für mich als Laien grundsätzlich nach einem sehr sinnvollen Modell, aber ich bin auch hier gespannt, ob jemand mit mehr Sachkenntnis was dazu zu sagen hat. Der Charme für mich liegt darin, dass es über die Marktkräfte funktioniert und gleichzeitig sozial entlastend ist. Ich habe als Mieter*in weniger Kosten, weil entweder die Vermietenden die CO2-Kosten übernehmen müssen, oder aber wegen der energetischen Effizienz eh keine hohen Kosten anfallen. Gleichzeitig ist ein großer Anreiz für die Vermietenden da, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Klingt super!

7) Why Hollywood Can’t Quit Guns

But gunplay isn’t seen as an immediate threat; rather, it is viewed as a foundational part of entertainment. To interrogate the use of guns in productions is to interrogate entire genres—and perhaps to even interrogate the art of moviemaking. A scene of a cowboy pointing and firing a gun straight at the audience is part of what is widely regarded as the first narrative movie ever made, the 1903 Western The Great Train Robbery. “It seems really trite to say, but guns make for good movies. There is something aesthetically very charged about that,” Joyce told me, adding that the allure extends far beyond Westerns. For decades, Hollywood has understood the appeal of gun violence and glorified it further: Depictions of gunplay nearly tripled from 1985 to 2015 in PG-13 movies, and doubled in prime-time TV dramas from 2000 to 2018. The firearm brand Glock won a Brandcameo Lifetime Achievement Award for Product Placement after showing up in 22 box-office-topping films in 2010. The guns themselves may not attract audiences, Davis pointed out, but the gunplay—stars as killing machines, dodging streams of bullets flying across the screen—certainly “tantalizes” them. He pointed to John Wick, for example, as a franchise that has been successful partly because the gunfights are “very well choreographed.” (Shirley Li, The Atlantic)

Ich vermute, die Zunahme an Schusswaffengewalt in Filmen ist auch die Schuld irgendwelcher radikalen Feministinnen. Aber ernsthaft, auch diese Entwicklung in Hollywood ist bemerkenswert. Ich finde es auch relevant, wie stark gesäubert die Waffengewalt ist; sie ist von ihren realen, physischen Konsequenzen beinahe vollkommen entkleidet. Das ist auch deswegen spannend, weil wir in den 1980er und 1990er Jahren eine starke Zunahme graphischer Gewalt in Filmen bei (in Deutschland) gleichzeitig deutlicher Entspannung der Jugendschutzkriterien hatten (die sich mit etwa 15 Jahren Verspätung auch auf den Videospielmarkt durchschlug), dann aber in den 2000er Jahren zwar auf dem hohen Niveau der Gewaltanwendung blieb, aber in ihrer Form diese spielerische Komponente bekam, die sie bis heute hatte. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist immer "Robin Hood - König der Diebe", der teilweise echt üble Gewaltdarstellungen hat, aber FSK 12 bekam - 1991. Ich hab den übrigens für meine Serie zu Kevin-Costner-Filmen hier besprochen (Audio).

8) What AOC Learned From Trump

In broad strokes, much of what AOC believes is similar to what many centrist Democrats — people who she disdains and who in turn typically disdain her — also believe. [...] What divides AOC and her allies from others in the party is above all a theory of power: How to gain it, how to use it, how to keep it. It is a difference grounded in a cultural mindset about how politics should look, sound and feel. It is a difference grounded much less in ideology than meets the eye. [...] The lesson many Democrats have learned from watching two previous Republican presidents — Donald Trump and George W. Bush, both of whom took office under disputed circumstances with a minority of the popular vote — is that political realities can be shaped by self-confident proclamation. Power can be seized by equally self-confident assertion. They did it on behalf of what the left saw as a benighted agenda that favored racists and the wealthy. No reason progressives can’t do it on behalf of an enlightened agenda — and awaken a robust majority that would be there if only people were presented sharp choices rather than blurry ones. [...] The Bush-Trump model is based on mobilization of natural allies. The Clinton-Obama model is based on a forlorn effort at persuasion of a dwindling group of people attracted by cautious, middle-of-the-road politics. [...] The Democratic left has been fantasizing about a candidate who can smash conventional strategies and mobilize all the way to the presidency as far back as George McGovern and as recently as Bernie Sanders. Someone is going to try the old experiment for a new generation. (John F. Harris, Politico)

Ich halte die Theorie grundsätzlich für korrekt. Das Problem sind nicht die Policies der Democrats, das Problem ist die Vorstellung breiter Wählendenschichten, dass die Partei ihren Werten und ihrer Identität feindlich gegenüber steht. AOC ist ziemlich gut darin, eine Verbindung zu Wählendenschichten zu finden, die traditionell eher Republicans wählen würden, aber von den Policies her eigentlich den Democrats nahestehen könnten.

Ob dieses "experiment for a new generation" tatsächlich gelingen kann, steht auf einem anderen Blatt. Aber mein Gefühl ist, dass die vergangenen Wahlen seit 2016 zeigen, dass der aktuelle Ansatz ziemlich problematisch ist. Zwar gelingt es der Partei regelmäßig, die Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu bekommen, aber das amerikanische politische System übersetzt diese Mehrheiten nun einmal nicht in legislative Mehrheiten, sondern bevorzugt die Wählenden in den Flächenstaaten. Darüber kann man klagen, aber darumherumkommen wird man nicht.

9) Eltern am Limit: Wie Omikron nun auch den Widerstandsfähigsten zusetzt

Seit einigen Wochen wütet Covid in Form von Omikron regelrecht unter den Jüngsten. Für viele Mütter und Väter vergeht kaum ein Tag ohne neue Covid-Botschaften im näheren Umfeld. Unzählige Kinder müssen immer wieder in Quarantäne, mitunter ganze Kita-Gruppen oder Klassen. Von Normalität kann vielerorts nicht die Rede sein. Das zerrt bei vielen Eltern, wie auch bei Ludewig, an den Nerven und damit auch immer stärker an der Substanz. Dreimal in Folge mussten ihre Kinder zuletzt fünf Tage in Quarantäne. In den Weihnachtsferien schließlich habe sie die Erschöpfung eingeholt: „Da ging’s mir richtig schlecht.“ Die Kurzfristigkeit, in der Entscheidungen getroffen werden müssen, die immer aggressivere Stimmung in den Eltern-Whatsapp-Gruppen und der Interpretationsspielraum, den viele Quarantäneverordnungen zulassen, all das sei einfach zermürbend. [...] Nils Backhaus ist Psychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und Mitglied der Gruppe „Arbeitszeit und Organisation“ im Fachbereich „Arbeitswelt im Wandel“ . Auch er sieht in der Kurzfristigkeit, in der Eltern derzeit Entscheidungen treffen müssen, eine „enorme Belastung“, zumal im Umkehrschluss „eine langfristige Planung nicht mehr möglich ist“. Die Pandemie und die damit einhergehenden Unwägbarkeiten hingen permanent wie „ein Damoklesschwert“ über vielen Familien. Die Folge daraus? Dauerstress, verbunden mit permanenten Sorgen und einem Gefühl der Überforderung, das sich bei einem beträchtlichen Anteil der Väter und vor allem Mütter zunehmend auch physisch und psychisch zeige: nicht mehr abschalten können, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen. Kaum einer sei angesichts derartiger Rahmenbedingungen in der Lage, 100 Prozent Leistung bei der Arbeit zu bringen. Stoße man in einem derartigen Zustand noch auf ein wenig familienfreundliches Arbeitsklima, sprich, wenig orts- und zeitflexibles Arbeiten und Unverständnis der Arbeitgeber, „dann bleibt einem kaum noch etwas anderes, als sich krankzumelden“, mahnt Backhaus.(Carolin Burchardt, Deutsches Redaktionsnetzwerk)

Ich habe schon zigmal festgestellt, dass Eltern und Selbstständige die beiden größten Opfergruppen der Pandemie sind, und dieser Artikel ist nur ein weiteres Beispiel dafür. Burchardt spricht mir als Vater von zwei Grundschulkindern einerseits und Lehrkraft andererseits völlig aus dem Herzen. Ich fühle diesen Dauerstress, diese komplette emotionale und psychische Ermüdung, ebenfalls. Die Pandemie drückt uns seit zwei Jahren komplett nieder (was übrigens meinen Zorn auf jene, die glauben, sie seien wegen eines Böllverbots an Sylvester unterdrückt, nicht eben mindert) und noch immer wird nicht einmal anerkannt, dass ein Problem vorliegt, geschweige denn etwas daran verbessert. Und das wird sich auch nicht mehr ändern, so viel ist offensichtlich. Da will man der ganzen Politik parteiübergreifend nur noch den Mittelfinger entgegenstrecken.

10) Wie andere Länder die Arbeitszeit von Lehrkräften regeln

Unter allen Beteiligten besteht trotz zum Teil heftiger Kontroversen Konsens, die Arbeitszeit von Lehrerinnen mit allen wesentlichen Aufgaben transparent zu regeln. Dies gilt als wichtige Voraussetzung für eine verlässliche Kooperation unter den Lehrkräften mit einer möglichst hohen Arbeitszufriedenheit. Das zentrale Instrument dafür ist ein individueller Arbeitsplan, der auf Grundlage der jeweils geltenden Rahmenbedingungen im Mai/Juni jeweils für das neue Schuljahr zwischen jeder angestellten Lehrkraft und dem Schulleiter/der Schulleiterin unter Mitwirkung des Personalrats festgelegt wird. Alle Vereinbarungen zur Bezahlung und zur Arbeitszeit sind im Arbeitsplan nach einem bestimmten Muster aufgeführt. Zur Aufgabenübersicht gehören neben der Anzahl der Klassen, Fächer und Unterrichtsstunden alle weiteren Aufgaben wie Vorbereitungen, Konferenzen, Teamtreffen, Gespräche und Fortbildungen. Dort ebenfalls aufgeführte besondere Funktionen und Aufgaben an der Schule werden durch zusätzliche Bezahlung oder weniger Unterrichtszeit ausgeglichen. Die 2013 im Rahmen einer umstrittenen Schulreform von der dänischen Regierung durchgesetzte Regelung, dass alle Lehrkräfte von 8 bis 16 Uhr in der Schule präsent sein müssen, hat sich in der Praxis nicht bewährt. Auf diese Weise konnten abendliche Elternbesuche und weitere Aktivitäten außerhalb der Kernarbeitszeit nicht erfasst werden, oder sie fanden nicht statt. Auch die Qualität des Unterrichts hat sich dadurch offensichtlich nicht verbessert. [...] Stattdessen haben Schulen mittlerweile, abhängig von der jeweiligen Kommune, verschiedene Möglichkeiten, um die gemeinsame Arbeit flexibel zu strukturieren. Dazu werden im Arbeitsplan feste Präsenzzeiten für Konferenzen, Teambesprechungen, Kommunikation und Kooperation mit externen Partnern ebenso aufgeführt wie Stunden (zum Beispiel 200 Jahresstunden), die Lehrkräfte im Rahmen ihrer Arbeitszeit zur freien Verfügung haben. (Werner Klein, Deutsches Schulportal)

Allmählich werden die "das Gras ist in Dänemark grüner"-Geschichten echt ihr eigenes Genre. Ob Steuern, Sozialstaat, Pandemieregeln oder Schulsystem, ob Kitas, Einwanderungspolitik oder Eiscreme, irgendwie ist in Dänemark scheinbar alles besser. Color me sceptical, zumindest wo es nicht um Eiscreme geht. Nichts gegen dänisches Eis, das ist topp.

Aber zum Thema: Arbeitszeit von Lehrkräften ist und bleibt ein Dauerproblem, und dass das Deputatsmodell eher, sagen wir, mindergut ist, ist hinreichend bekannt. Was Dänemark macht, klingt für mich als Laien - ich kenne jetzt auch nur obige Beschreibung und nicht die Details, auf die es halt ankommt - erst einmal grundsätzlich sinnig. Das bedeutet für Deutschland allerdings ein massives Aufbrechen von Besitzständen und gegebenenfalls einen noch größeren Lehrkräftemangel, denn wenn man sich erst einmal klarmacht, was außerhalb des Unterrichts alles passiert, lässt sich das gegenwärtige Modell kaum aufrechterhalten.

Mich wundert übrigens keine Sekunde, dass das Präsenzmodell nicht funktioniert hat. Präsenzmodelle sind generell genauso wie die Deputatsberechnung ein Mittel aus dem letzten Jahrhundert, eine reine Krücke, ob an Schule oder in Betrieben. Sie sind Ausdruck eines Grundmisstrauens in die Beschäftigten. An Schulen kommt das zusätzliche Problem hinzu, dass die Infrastruktur gar nicht besteht. Ein Unternehmen, das Präsenzpflicht hat, hat im Allgemeinen einen Arbeitsplatz für seine Beschäftigten. Schulen haben das nicht. Schon allein daran muss das Ganze scheitern, noch bevor wir die Dezentralität der Arbeit (Elternabende, Elterngespräche, Korrekturen, etc.) mit einbeziehen.

Nachtrag

- Trevor Noah erklärt in zweieinhalb Minuten, wofür ich seinerzeit einen Riesenartikel gebraucht habe.

- Pasend zu meiner Kritik an pauschalem Lob oder Kritik über die "Jugend von heute" hat das Handelsblatt einen Artikel, in dem "die Jugend" pauschal als rationaler denn "die Alten" über den grünen Klee gelobt wird. Ist natürlich kompletter Unsinn.

- Als Nachtrag zu unserem Podcast zu Peak Prien: Nachdem Prien ihre alberne Twitter-Kündigung hingelegt hat, legt sie jetzt in der Welt (wo auch sonst) nach und erklärt, dass nur "Politiker*innen, Journalist*innen und Psychopathen" auf Twitter sind. Das wird's sein. Alles Psychopathen. Ich mag, wie sie darum bemüht ist, alle Seiten zusammenzubringen. Wie immer gilt das irgendwie nur, wenn es um rechten Protest geht. Sobald die Kritik von woanders kommt, ist es keinesfalls nötig, zuzuhören und wertzuschätzen.

- Die Welt hat etwas zur Frage der NATO-Osterweiterung: in einem britischen Archiv ist ein Schnippsel aufgetaucht, demzufolge die Diplomaten 1991 tatsächlich davon ausgingen, der UdSSR eine Ausweitung nicht über die Elbe hinaus versprochen zu haben. Wie viel da dran ist kann ich auf der Basis nicht beurteilen, aber meine grundsätzlichen Argumente bleiben eh bestehen (Sowjetunion =/ Russland, Russland hat Osterweiterung 1997 vertraglich zugestimmt).

- Ein Journalist vom Tagesspiegel hat eine Kritikwelle abbekommen, weil er Baerbock "diese junge Dame" genannt hat, und: völlig zu Recht. In ihrem merkwürdig rhapsodisch-assoziativen Artikel thematisiert Waltraud Schwab dies (unter vielen anderen Punkten) ebenfalls.

- Die Wahlanalyse aus Virginia zeigt, dass die Democrats kein Problem mit Wahlbeteiligung hatten; die Republicans hatten nur mehr. Im Endeffekt der gegenteilige Effekt der Präsidentschaftswahl 2020.

- Besonders für Thorsten Haupts hier ein Vortrag von Adam Tooze über "Ökonomie der Zerstörung" und unsere Diskussion über den wirtschaftlichen Entwicklungsstand von NS-Deutschland (die verlinkte Präsentation nebenher geöffnet haben, Video hat kein Bild!). Es ist eine ordentliche Zusammenfassung der wichtigsten Argumente mit Quellen, wen das interessiert.

- "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" ist und bleibt einfach eine unglaublich dumme Einstellung, Beispiel 23523547836

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