Freitag, 11. Februar 2022

Scholz erklärt zölibatären Managern und Whoopi Goldberg vertrauensvoll in der Downing Street die MMT und duzt sie dabei - Vermischtes 11.02.2022

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Wie lang kann sich Scholz durch Krisen murmeln?

Der Bundeskanzler ist ein stilles, norddeutsches Gemüt, und als Schleswig-Holsteiner fühle ich das. Doch die ewige Fragerei nach seinem Aufenthalt und, vermutlich, die Androhung von Waffengewalt durch sein PR-Team, haben ihn dann doch noch vor eine Kamera gezerrt. Mit einem Gesicht wie ein Fünfjähriger vor einem dampfenden Teller voll Spinat murmelte sich Scholz durch die Kriegs- und Pandemiefragen des "Heute Journal". Dort beantwortete er auch die sich aufdrängende Frage, wer denn eigentlich grad Kanzler ist, er oder der überaus präsente Gerhard Schröder. Scholz antwortete zuversichtlich, "das bin ich". Er klang wie ein Chef-Beamter aus dem Kanzleramt, nicht wie ein Machtpolitiker mit Richtlinienkompetenz. Hat denn bei ihm wirklich noch niemand "Führung bestellt"? [...] Richtig ist: Wenn Scholz sämtliche taktischen Erwägungen im Umgang mit Russland auf den Tisch läge, wäre das so dumm wie eine verspiegelte Sonnenbrille im Poker-Spiel. Außerdem verlangt die Machtarchitektur der Ampel einen moderierenden Kanzler. Er wolle andere glänzen lassen, hatte Scholz versprochen. Das Drei-Parteien-Bündnis ist eine historische Premiere. Sie muss starke Fliehkräfte aushalten [...] Der Kontrast zu Angela Merkel fällt auf. Die frühere Kanzlerin als Rampensau zu bezeichnen, wäre sehr unhöflich und falsch: Die Politikerin duldete und nutzte Kameras, aber sie suchte sie nicht. Doch sie kommunizierte hochprofessionell. (Hendrik Wieduwillt, NTV)

Ich finde diese Kritik an der Sichtbarkeit Scholz' auf eine gewisse Art infantil. Der Punkt ist ja gerade, dass die diplomatische Strategie der Bundesregierung auf einer gewissen Arbeitsteilung beruht. Baerbock ist für die großen, klaren Ansagen zuständig (Stichwort wertebasierte Außenpolitik), während Scholz Hinterzimmerdiplomatie betreibt. Der wird nicht gerade durch große Gesten geholfen. Dieser Wunsch nach solchen Gesten ist da wenig zielführend.

Spannend ist übrigens auch, wie nach gerade drei Monaten bereits die Verklärung von Angela Merkel einsetzt. Nachdem 16 Jahre lang an ihrer Kommunikation herumgemäkelt wurde, wird sie jetzt als positive Kontrastfolie zu Scholz angebracht. Man kann vieles über Merkel sagen, aber eine große Kommunikatorin war sie sicherlich nicht. Das ist Scholz auch nicht, aber deswegen wurde er ja letztlich gewählt. Er trat als Merkel 2.0 an, dafür wurde er gewählt, und da kann man sich jetzt nicht überrascht zeigen, dass er auch so regiert. Für einen anderen Stil hätten Laschet oder Baerbock Kanzler*in werden müssen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das Gemecker da aber mindestens das Gleiche wäre.

2) Revealed: The 11 slides that finally convinced Boris Johnson about global warming

However, just a few years earlier, Johnson was publicly doubting established climate science. For example, in a Daily Telegraph column published in 2015 he claimed unusual winter heat had “nothing to do with global warming”. And, in 2013, he said he had an “open mind” to the idea that the Earth was heading for a mini ice-age. Last year, acknowledging his past climate scepticism, Johnson told journalists that he had now changed his mind, largely due to a scientific briefing he received shortly after becoming prime minister in 2019. Johnson admitted he had been on a “road to Damascus” when it comes to climate science: "I got them [government scientists] to run through it all and, if you look at the almost vertical kink upward in the temperature graph, the anthropogenic climate change, it’s very hard to dispute. That was a very important moment for me.” The Sunday Times later reported that this briefing had been given by Sir Patrick Vallance, the government’s chief scientific advisor, and, according to one of the prime minister’s close allies, it “had a huge impact”. Using a FOI request submitted to the UK’s Government Office for Science (“GO-Science”), Carbon Brief has now obtained the contents of this pivotal scientific briefing, which took place on 28 January 2020 inside 10 Downing Street. Below, Carbon Brief reveals the 11 slides that were used to “teach” Johnson about climate change, as well as the email correspondence exchanged between leading scientists and advisors as they prepared the prime minister’s briefing. (Carbon Brief)

Wenn man sich die Slides anschaut, die Boris Johnson von der Gefährlichkeit des Klimawandels überzeugt haben, kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Das sind Informationen, die lernen bei uns die Schüler*innen in Klasse 11 und 12. Das ist Basiswissen. Auf der anderen Seite ist es natürlich positiv zu werten, dass er, mit Informationen konfrontiert, wenigstens lernfähig ist; das kann man ja über Trump nicht eben sagen. Aber das Ausmaß des Unwissens für einen Staatenlenker, gerade einer so wichtigen Nation wie Großbritannien, ist absolut erschreckend. Die Unseriosität der ganzen Johnson-Regierung ist wirklich von einem beängstigenden Ausmaß.

3) Wie wichtig sind Manager für den Firmenerfolg?

Heute sehen wir, dass zahlreiche Führungskräfte zwar nicht gegenüber Göttern, aber gegenüber der Allgemeinheit und den Anspruchsgruppen ihres Unternehmens ein übersteigertes Selbstbewusstsein an den Tag legen. Sie zahlen überhöhte Preise für Akquisitionen, investieren zu viel in ihre Lieblingsobjekte und beziehen hohe Gehälter, die in keinem vernünftigen Verhältnis zu ihrer Leistung stehen. Immerhin liegt die Misserfolgsquote bei Firmenübernahmen laut empirischen Studien relativ stabil bei 50 Prozent. Selten wird jedoch infrage gestellt, ob Spitzenmanager den Erfolg oder auch den Misserfolg einer Firma wirklich wesentlich beeinflussen. Die wissenschaftliche Managementforschung hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt – mit dem Ergebnis, dass Topmanager den Firmenerfolg weit weniger beeinflussen als üblicherweise angenommen. [...] Jedoch schreiben sich Führungskräfte Erfolg gerne selber zu – unterstützt von den Medien. Für diese ist es besonders attraktiv, den «Manager des Jahres» oder die «beste Unternehmerin der Schweiz» herauszustellen, weil dies von hohem Unterhaltungswert für Leserinnen und Leser ist. [...] Am häufigsten unterläuft uns der sogenannte Attributionsfehler. [...] Verstärkend wirkt der sogenannte Matthäus-Effekt: Wer hat, dem wird gegeben. [...] Leider wendet sich der Zeitgeist gegenwärtig gegen solche sinnvollen Massnahmen, welche die Selbstherrlichkeit von Führungskräften einschränken. (Margit Osloh/Bruno S. Frey, NZZ)

Ich sage schon seit Langem, dass viele Führungskräfte sich in einer gewissen Hybris selbst überschätzen. Am krassesten ist das bei diesen Spitzengehältern von dreistelligen Millionen im Jahr; die Vorstellung, dass jemand so viel bessere Arbeit leistet als andere ist einfach völlig lächerlich und war schon immer eine der größten offenen Flanken des modernen Kapitalismus (modern hier im Sinne 1990er Jahre und folgende). Linke haben auch seit 20 Jahren den Finger in die Wunde gelegt und auf die schlechten incentives und vieles mehr hingewiesen. Besonders bei einer Klasse, die so gerne so pauschal über andere urteilt, ist diese Art der Kritik überfällig.

4) Auch Bischof Georg Bätzing für Abschaffung des Pflichtzölibats

Marx hatte am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung gesagt, "bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet". Er denke, es könne so nicht weitergehen. Er mache ein Fragezeichen, ob der Zölibat für jeden Priester Grundvoraussetzung sein solle. [...] Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, stellte sich hinter die Forderung von Marx. "Es gibt sicherlich weiter auch einen Wert eines zölibatären Lebens", sagte sie im Deutschlandfunk. "Das mit dem Amt zwingend zu verbinden, da gibt es doch bei vielen Zweifel." Stetter-Karp sagte, ihr sei sehr wohl bewusst, dass sowohl die Frage nach dem Zölibat als auch die Frage nach dem Priesteramt für Frauen "hohe Hürden" für die Weltkirche seien. [...] Stetter-Karp stellte sich auch hinter die Forderung von Bischof Bätzing an Papst Benedikt XVI., sich für seinen Umgang mit Missbrauchsfällen zu entschuldigen. Die Laienvertreterin sagte, "es wäre bitterschade, wenn er nicht zu seiner Verantwortung steht". Viele Gläubige würden sich nach der Falschaussage Benedikts für das Münchner Gutachten zum Missbrauch von der Kirche abwenden. (AFP/dpa, ZEIT)

Diese Verknüpfung des Zölibats mit den Missbrauchsskandalen ist ungemein problematisch. Sie unterstützt die Narrative toxischer Maskulinität, die die Idee vertreten, dass in jedem Mann eine Art Monster lebe, das nur auf die Gelegenheit warte, auszubrechen; dass Männer einen unstillbaren Sexualtrieb hätten, der einfach nach einem Ventil suche und der sich bei Frauen nicht finde; und was des Unsinns mehr ist. Es ist auch eine absurde Entwertung nicht nur von Männern, sondern auch Frauen. Die werden nämlich in dieser Sicht zu einem Garant für die Domestizierung des Mannes, quasi mit verantwortlich dafür, das Monster im Mann zu zähmen. Das ist eine Sicht, die sonst Incels vertreten, und deren Tendenzen kennen wir. Nein, die Verantwortung dürfen die betroffenen Männer schon gerne selbst übernehmen. Die Aufgabe von Frauen ist es nicht, Männer zu domestizieren, und die der Ehe schon gleich dreimal nicht. Das Zölibat gehört weg, aber nicht, damit weniger Priester sich an kleinen Kindern vergehen. Diese Argumentation nimmt die Täter nur aus der Verantwortung.

5) What’s driving the remarkable decline of urban sprawl in the US? // Tweet

Finally, they used a mathematical model to tease apart how three important drivers of land development – population growth, income, and commuting costs – contributed to these changing rates of land conversion. “We find that rising incomes and low gas prices helped spur the increasing development rates in the 1980s and 1990s, while rising gas prices were the largest factor that helped bring land development rates back down from 2000-2015,” Bigelow says. The findings have an intriguing implication for climate policy: “Our results highlight an important mechanism through which a tax on carbon would discourage new development, namely by reducing incentives for people to live relatively far from their place of work,” says study team member David Lewis, an economist at Oregon State University in Corvallis. “We estimate that a $0.03/gallon annual price increase lowers land development rates by about 2.84% per year.” (Sarah deWeerdt, Anthropocene Magazine)


Was man an beiden Quellen sehen kann, wenngleich aus sehr unterschiedlichen Perspektiven, ist, dass höhere Benzinpreise einen ziemlich direkten Einfluss auf die Lebensbedingungen der Menschen haben. Schon allein deswegen ist die Idee, die aktuell so stark gestiegenen Treibstoffpreise durch Senkung der entsprechenden Steuern oder gar gezielte Subventionen zu senken, völlig widersinnig. Wir WOLLEN doch, dass Benzin teurer wird. Wenn, dann muss das Geld an anderer Stelle umverteilt werden, etwa durch kostenlosen oder subventionierten öffentlichen Nahverkehr bzw. Ausbau desselben, Prämien für Fahrräder und Ausbau der Fahrradinfrastruktur, etc. Das ist ja auch meine Dauerkritik an der CO2-Steuer, dass genau solche Forderungen politisch erhoben und auch umgesetzt werden. Und das ist halt völlig kontraproduktiv. Wenn die Preise eine Steuerungsfunktion haben sollen, wie sich das in der Marktwirtschaft gehört, dann muss man sie auch steigen lassen, sonst hat das ja überhaupt keinen Sinn.

6) Die Sache mit Whoopi Goldberg

Nicht, dass die Mini-Debatte um Whoopi Goldberg sonderlich relevant wäre, aber sie zeigt schön auf, warum die Theorien von Intersektionalität und die Critical Race Theory so wertvoll sind: sie verhindern nämlich Irrtümer wie den Goldbergs, weil sie ein anderes Framework für die Beschäftigung mit Rassismus bieten und differenziertere Zugänge ermöglichen. Es wäre also durchaus im Interesse aller Beteiligten, das nicht als linkes Teufelszeug in die Ecke zu stellen, sondern sich damit zu beschäftigen.

Um noch einmal auf die Debatte selbst zurückzukommen: Whoopi Goldberg hat sich entschuldigt. Sofort und ohne große Umschweife. Von daher begrüße ich es, dass da nicht die Cancel-Culture-Debatte draus wurde. Genau so sollte es nämlich sein: man macht einen Fehler, gesteht den ein und lernt dann daraus. Da könnten sich diverse andere Leute eine Scheibe abschneiden, und so darf das in diesen Fällen gerne immer sein. Anstatt da dann immer gleich die Riesenkeulen rauszuholen.

7) War Hitler ein Linker? Stellen Sie die Frage nur, wenn Sie nicht an Ihrem Job hängen

Wie viel Sozialismus steckte im Nationalsozialismus? Keine ungefährliche Frage. [...] Das Ende des Dritten Reichs liegt 77 Jahre zurück, doch das Thema ist immer noch gut, einen Empörungssturm auszulösen. Da sich diese Kolumne der Bildung und Aufklärung verpflichtet fühlt, wollen wir ausnahmsweise einen Abstecher ins historische Fach unternehmen. [...] Man sieht, je genauer man sich mit dem braunen Erbe beschäftigt, umso schillernder wird es. Bis heute werden gewaltige Anstrengungen unternommen, um jede Verwandtschaft zwischen rechtem und linkem Kollektivgeist in Abrede zu stellen. Da nützt es auch nichts, dass es die inzwischen zur Spätheiligen verklärte Hannah Arendt war, auf die die Erkenntnis zurückgeht, dass alle totalitären Regime mehr miteinander zu tun haben, als den jeweiligen Adepten lieb sein kann. Diesen Teil ihres philosophischen Erbes lässt man gerne unter den Tisch fallen. Was lehrt uns das Ganze? Dass Vorsicht angebracht ist, wenn an so schwammige Begriffe wie gesellschaftlicher Zusammenhalt oder soziale Gleichheit appelliert wird. Manchmal ist es durchaus nützlich, sich daran zu erinnern, dass Deutschlands Unglück nicht der übertriebene Freiheitswille seiner Bürger und ein Übermaß an Individualismus und Eigensinn war. Wenn zu viele Leute plötzlich hurra schreien, sollte man skeptisch werden, und nicht umgekehrt, wenn die Hurrarufe zu schütter ausfallen, wie einem immer wieder nahegelegt wird. (Jan Fleischhauer, Focus)

Umgekehrt zu Goldberg in Fundstück 6 ist Jan Fleischhauer genauso wie Ulf Poschardt oder Harald Martenstein völlig unbelehrbar. Das nicht Belehrbare ist sogar das große Verkaufsargument. Dieser große Cancel-Culture-Gestus ist einfach nur noch unerträglich. Da wird eine schräge, blödsinnige und einfach nur auf Provokation gebürstete These rausgehauen, in der vollen Absicht, damit Widerspruch zu provozieren, genau damit man sich dann in die Rolle des Opfers begeben kann. Ulf Poschardt hat sogar extra einen Artikel darüber geschrieben, dass er das macht, und trotzdem fallen die Leute ständig drauf rein!

Das Thema ist auch langweilig. Es ist eine uralte Frage, zig mal gestellt, tausendmal beantwortet. Vor Jahren hat Erika Steinbach schon damit zu provozieren versucht, und es war schon da altbacken. Dass Fleischhauer das jetzt wieder gelangweilt rauszieht zeigt auch nur, dass dem die Ideen ausgehen. Der ganze Vorwurf ist eine reine politische Kampfvokabel, genauso wie wenn heute Linke der CDU vorwerfen, Nazi-Partei zu sein, weil Globke. Das ist genauso langweilig und ausgelutscht, nur gibt es keine hoch bezahlten linken Kolumnisten, die diesen Mist raushauen, das findet sich nur noch bei jungeWelt und Co.

Das Einzige, was diese Argumentationslinie zeigt, ist, dass die von Fleischhauer aufgelisteten Politiken eben nicht exklusiv links sind. Und das sollte niemand überraschen, der je über den Geschichtsstoff der 8. Klasse hinausgekommen ist. Es mag für Fleischhauer neu sein, aber der Sozialstaat, den er triumphierend als Beweis für Hitlers Links-Sein heranzieht wurde von Bismarck gegründet. Ist der jetzt neuerdings auch Sozialist? Letzthin waren seine Statuen noch Opfer der Cancel Culture, aber in diesem ideologischen Fiebersumpf verliert man so schnell den Überblick.

8) The Covid Policy That Really Mattered Wasn’t a Policy

You know what’s better than a vaccine mandate? A society that doesn’t need one. [...] The Global Health Security Index was measuring the wrong things. The researchers later noted that tucked inside the report was a finding about the United States that would prove more predictive of our response: “It had the lowest possible score on public confidence in the government.” [...] More unexpected was what the researchers found when they looked at the factors that predicted how many people got infected. Some of the obvious candidates — population density, G.D.P. per capita, and exposure to past coronaviruses — failed to predict much in the way of outcomes. But both trust in government and trust in fellow citizens proved potent. [...] The Japanese government, he said, understood that the virus was airborne, and they made sure their citizenry knew it. The message became that “People should avoid the three C’s, which are closed spaces, crowded places and close-contact settings. The Japanese government shared this advice with the public in early March, and it became omnipresent. The message to avoid the three C’s was on the news, variety shows, social media and posters. ‘Three C’s’ was even declared the buzzword of the year in Japan in 2020.” What struck me about this, when I first read it, was what it left unsaid. Japan was much quicker to understand airborne transmission than the United States, but we knew it soon enough. We certainly knew it by the time of the Delta surge, when Japan again performed far better than we did. We know it now, and Japan is still performing better than we are. It is what we do with what we know that matters. Trust is regularly polled in international surveys, and so the researchers had access to those numbers. (Ezra Klein, New York Times)

Diese Erkenntnis formuliere ich auch bereits seit einiger Zeit; ich habe das etwa in meinem Artikel "Wir erwarten zu wenig" ausdiskutiert. Tatsächlich ist der Vertrauensverlust ein Riesenproblem, und er betrifft die ganze westliche Welt. Historisch gesehen sehe ich ihn seit den 1960er Jahren schleichend und seit den frühen 2000er Jahren deutlich beschleunigt ablaufen; mich überzeugen deswegen nationalstaatliche Erklärungsversuche nicht - ob Kevin Drum mit seinem Steckenpferd vom Aufstieg von FOX News oder die Kritik von rechts an den Öffentlich-Rechtlichen hierzulande -, weil sie alle nicht erklären können, warum in anderen Ländern dasselbe passiert.

Aber: es passiert eben nicht überall. Die asiatischen Länder etwa fallen, wie Ezra Klein ausführt, aus dem Schema heraus, aber auch in Ländern wie Dänemark ist das Vertrauen wesentlich höher als hier. Woran das liegt? Keine Ahnung. Aber irgendwie muss dieses Vertrauen wieder aufgebaut werden, denn ich halte es für das größte Gift, das an unserer pluralen Demokratie nagt, noch vor Pluralisierung und Aufstieg von Extremisten wie der AfD. Irgendwelche Ideen?

9) Who’s Afraid of MMT?

As anyone who has ever been responsible for legislative oversight of central bankers knows, they do not like to have their authority challenged. Most of all, they will defend their mystique – that magical aura that hovers over their words, shrouding a slushy mix of banality and baloney in a mist of power and jargon. [...] In our day, the voices of Modern Monetary Theory perturb the sleep not only of present central bankers, but even of those retired from the role. They prowl the corridors like Lady Macbeth, shouting “Out damn spot!” [...] MMT shares Keynes’s view that a proper goal of economic policy in a sovereign and developed country is to achieve full employment, buttressed by a to all who may need them. This is a goal that I helped write into law in the US under the Humphrey-Hawkins Full Employment and Balanced Growth Act of 1978, along with balanced growth and reasonable price stability. With occasional successes in practice, this policy objective, known as the “dual mandate,” has been the law of the land in the US ever since.In short, as an example of good economics made popular, accessible, and democratic, MMT represents what central bankers have always feared – as well they might. (James K. Galbraith, Project Syndicate)

Ich finde Galbraiths These, warum die MMT die klassischen Zentralbanker*innen so triggert, völlig überzeugend. Das ist die Antithese zu deren ganzen Identität, Habitus, raison d`être. Ich kann immer noch nicht wirklich sagen, wie viel da wirtschaftswissenschaftlich gesehen dran ist, aber ich bleibe dabei, dass MMT für die Linke eine Chance ist, das Gegenstück zur Laffer-Kurve zu schaffen. Es wird eh kein Staat das jemals in Reinkultur machen, genauso wenig wie irgendein Staat je den Neoliberalismus à la Friedman in Reinkultur gemacht hat (nein, auch die USA unter Reagan und das UK unter Thatcher nicht).

10) The End of the Republicans’ Big Tent

Once upon a time, not so long ago, the Republican Party prided itself on being a big-tent party. This didn’t mean that anything went—generally, members were expected to adhere to a philosophy of free markets and small government—but the party tolerated the left-leaning Nelson Rockefeller as well as the rock-ribbed Barry Goldwater, the conservative Ronald Reagan and the moderate Arlen Specter. The GOP no longer has many coherent policy goals, mixing free traders and tariff fanatics, entitlement-cutters with populists. The single unifying requirement is paying fealty to Donald Trump. Pretty much anyone willing to do that is welcome. This resolution is a demonstration of that fealty. [...] Once you start looking for Trump service in today’s Republican Party, you can see it everywhere. The phenomenon of smart, ambitious politicians clumsily attempting to appeal to Trump and earn his endorsement, which I noted recently, is one example. Even politicians who are toying with challenging Trump for the 2024 GOP presidential nomination are engaged in Trump service. Former New Jersey Governor Chris Christie, who has been bolder than most, criticized Trump for refusing to acknowledge defeat in 2020 but hastened to add that he agrees with Trump on policy. [...] In 2016, Republican primary voters drove Trump’s success, even as party leaders were horrified by him. Six years later, the voters have cooled a bit on Trump, but the party apparatus has turned itself over to placate him. (David A. Graham, The Atlantic)

Ich finde diese These nicht sonderlich überzeugend. Über die letzten Jahre wurde sie von verschiedenen Autor*innen in verschiedenen Publikationen geäußert. Aber: Wenn das stimmt, warum gewinnen die Republicans dann? Klar, sie sind eine Minderheitenpartei, daran kann kein Zweifel bestehen, aber ihre Minderheit ist verdammt groß. Sie erreichen verlässlich 40%+. Das ist schon ein ziemlich großes Zelt, das kann man doch nicht einfach wegreden.

Klar, die Republicans sind nicht in dem Ausmaß Big Tent wie die Democrats - letztere gewinnen Wahlen nur dann, wenn sie ihr Zelt aufspannen, und wenn sie das nicht schaffen, was leider viel zu oft passiert, verlieren sie - aber wir reden hier nicht von Bundeswehrhütte vs. Partyzelt, sondern wir haben ein Partyzelt und ein bisschen größeres Partyzelt. Das scheint mir schon eher wishful thinking hier.

11) Duzen auf Twitter – über Normen im Netz

Duzen ist mir also als Element der Netzkultur wie auch im sozialen Umgang mit Mitmenschen sehr vertraut, ich habe mich daran gewöhnt. So stark, dass mir Siezen nicht mehr als eine Form von Respekt erscheint, sondern – wie im Wikipedia-Zitat erwähnt, als Zeichen einer »schroffen Distanzierung«. Auf Twitter treffe ich nun auf Profile, hinter denen möglicherweise Menschen stehen, die das anders wahrnehmen. Die mich siezen, es aber gar nicht als Distanzierung meinen – und von mir auch gesiezt werden möchten. Gleichzeitig gibt es auch Profile, die aushandeln wollen, welche Norm sich durchsetzt: Die von mir ein Zugeständnis möchten, dass siezen korrekt ist und ich sie auch dann siezen muss, wenn mir das weder angebracht noch sinnvoll erscheint. Sie setzen siezen passiv-aggressiv ein und nutzen die unterschiedlichen Normen, um auch auf einer Meta-Ebene eine konfrontative Diskussion führen zu können. Ich meine mein Duzen als freundliche Geste in der Netzkultur, als Bereitschaft, allen auf Augenhöhe zu begegnen. Das versuche ich durchzuziehen – aber es gelingt mir nicht immer. Erstaunlich ist das nicht: Netzkommunikation erschöpft sich oft darin, zwischen sich fremden Menschen Normen auszuhandeln. (Philippe Wampfler, Schule Social Media)

Ich bin völlig bei Wampfler. Im Netz wird geduzt. Meine Sicht ist gerade hier im Blog die: der Blog ist mein digitales Wohnzimmer. In meinem Wohnzimmer duze ich Leute. Wer also in mein Wohnzimmer kommt, der wird geduzt, und wem das nicht passt, der hat die Möglichkeit, jemanden anderen zu besuchen. Das Netz ist ja recht groß. Ich hab das jetzt noch nie so ausführlich durchdacht wie Wampfler, aber es hat sich immer richtig angefühlt. Ich empfinde es schon als passiv-aggressiv, wenn mich Leute auf meinem Blog siezen, weil es so was Distanziertes hat.

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