Montag, 7. Juli 2008

Wenn rechts von der Mitte die Mitte ist

Abgesehen von der LINKEn wollen alle Parteien die "Mitte" ansprechen, alternativ auch gerne die "Neue Mitte". Was das ist, darüber sind sich die Programmatoren dieser Parteien nicht ganz so einig. Arbeitslose, Rentner und Jugendliche gehören definitiv nicht dazu, Migranten auch nur Ausnahmefällen, in denen sie sich als erfolgreiche und produktive Mitglieder der Gesellschaft - vulgo: Steuerzahler - erwiesen haben. Was immer wieder bemerkt wurde, wird dieser Tage immer deutlicher: die Mitte ist rechts. Die SPD rutscht immer wieder an der CDU vorbei, die gleichzeitig mit ihren Roland Kochs und Günther Becksteins immer bizarrer werden muss, um auf ihrem Kernkompetenzfeld - der "Ordnung" - nicht von der SPD überholt zu werden. Die Grünen schweigen sich höflich aus, während von der FDP sich kritisch äußernde Soldaten in Disziplinarverfahren zur Räson gebracht werden.
Was geschieht hier? Telepolis beschreibt ein wunderbares Beispiel für den aktuellen Rechtsruck der Republik, der sich in den Parteien vollzieht - in wunderbarem Einklang mit der Mitte. Die Hauptfigur dieser Geschichte ist Heinz Buschkowsky, Oberbürgermeister von Berlin-Neukölln. Neukölln ist ein Viertel mit hohem Ausländeranteil, hoher Arbeitslosigkeit und hoher Kriminalitätsrate, ein Viertel, von dem es in Deutschland viele gibt. Multi-Kulti eben. Nun ist Buschkowsky nur nicht gerade ein Politiker, den man in einem solchen Viertel vermuten würde.
Buschkowsky verachtet nämlich Multi-Kulti. Schwarze dealen offen auf der Straße, meint er, die Migranten kriegen nur zu viele Kinder und schmarotzen vom Sozialstaat, beschwört die Volksgemeinschaft, gibt der Jungen Freiheit Interviews. Ach ja, der Mann ist nicht von der CSU, sondern von der SPD. Nun war Buschkowsky in Rotterdam, wo man mit solchen Ideen schon ein bisschen weiter ist und hat einige tolle Vorschläge mitgebracht. "Keine Prävention ohne Repression" war das Motto des von ihm besuchten Kongresses, und seine Ideen stellt Buschkowsky denn auch vor, bezeichnenderweise vor dem Abgeordnetenausschuss der FDP, wo immerhin keine anderen SPDler erschienen. Seine Vorschläge umfassen unter anderem:
- Deckelung der Sozialleistungen für kinderreiche Familien
- Zusammenarbeit der Polizei mit den Schulen
- "Repressionen" gegen Jugendliche, die nicht sofort einen Job annehmen
- Kontrollieren des "Sozialverhaltens" und der Wahrnehmung von Jobangeboten
- Kürzung von Sozialleistungen bei jedem Verstoß
Seine Schlagworte sind "Disziplinierung" und "aktives repressives Durchgreifen", denn in Neukölln "leide" die (deutsche) Mehrheit unter der (migrantisch geprägten) Minderheit. Noch einmal, der Mann ist in der SPD, nicht in der CDU.
Dieser Trend nach rechts kann seit mehreren Jahren beobachtet werden. Er geht einher mit einer "Null-Toleranz"-Politik und immer schärferen Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen. Zwar hat Roland Koch in Hessen bewiesen, dass man es damit auch übertreiben kann, aber insgesamt bleibt zu konstatieren, dass die "Mitte" diesem Trend folgt, ja, in teilweise auch bestimmt. Die etablierten Parteien sind hier sicherlich keine Avantgarde, bestenfalls schwimmen sie mit dem Strom, wahrscheinlich hecheln sie eher hinterher. Denn die Zustimmung zu solchen Maßnahmen ist stets groß. Immer, wenn neue Maßnahmen gegen die Arbeitslosen beschlossen werden sollen, wenn ein neues Programm zur "Disziplinierung" der Jugendlichen (und hier sind fast immer migrantische und/oder Unterschicht-Jugendliche gemeint) angekündigt wird, nickt die "Mitte" bekräftigend mit dem Kopf. Die gleiche Mitte, die so etwas vor zehn Jahren noch entsetzt von sich gewiesen hätte. Woran liegt das?
Es ist, meiner Meinung nach, die schlechte wirtschaftliche Lage auf der einen und die Frucht von jahrelanger Propaganda auf der anderen Seite. Nicht nur, dass die wirtschaftliche Lage wegen einer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik seit Jahren schlecht ist (was meist mit dem Schlagwort "Globalisierung" verbrämt wird, als handle es sich um eine von Menschenhand nicht zu beeinflussende Naturgewalt), die Politik, die Wirtschaft und die Medien schüren seit Jahren auch die Angst vor dem sozialen Abstieg - und schaffen mit Propaganda gegen die Verlierer der Gesellschaft Hass und Ressentiments. Denn die Verlierer seien selbst schuld, so heißt es, und sie hätten kein Anrecht auf Unterstützung von den Erfolgreichen. Solange man selbst erfolgreich ist, fallen solche Parolen dann in schlechten Zeiten gerne auf erfolgreichen Grund, denn angeblich ist ja der Grund für die schlechte wirtschaftliche Lage, dass die Erfolgreichen den Verlierern zu viel Sozialleistungen abstecken müssen. Ist aber erst einmal durchgesetzt, dass die Verlierer Druck und Kürzungen erhalten, wächst im Gegenzug die Furcht vor dem Abstieg - und Forderungen nach weiteren Repressionen und Kürzungen fallen auf fruchtbaren Boden: ein sich ständig selbst nährender Kreislauf, in dem die Politiker, die ihn angestoßen haben, irgendwann nur noch als Getriebene mitlaufen.
Wirtschaftlich schlechten Zeiten ist gemein, dass die Abgrenzungseffekte stärker werden. Denn sind es nicht "die", die "uns" die Jobs wegnehmen? Die sich in "unserem" Sozialstaat auf die faule Haut legen? Was sollen "wir" für "die" arbeiten? Und so schwelt ein unterschwelliger Rassismus, der in Äußerungen wie Buschkowskys oder Roland Kochs bisweilen seinen Ausbruch findet. Öffentlich sanktioniert wird er längst nicht mehr, häufig ist er nicht einmal mehr eine Meldung wert. Oft genug mischen die Medien, hier besonders die Springer-Presse, selbst tatkräftig mit.

Was aber kann man tun gegen diese Lage, die ja wohl kaum wünschenswert ist? Vermutlich würde sie durch einen wirtschaftlichen Aufschwung für alle Menschen wie von selbst verpuffen, aber der wird ja tatkräftig verhindert. "Lohnzurückhaltung", die EZB, Hartz-IV, Jobcenter, Bürgerarbeit - nehmt es als pars pro toto. Selbst wenn das Wirtschaftswachstum als solches wieder anzieht, wird das den Menschen keine Erleichterung bringen. Das verstärkt nur Abwehrgefühle, Politikverdrossenheit, Resignation. Und auf der anderen Seite wieder die Forderung nach Repression, um gegen die so geschaffene Resignation vorzugehen, die dadurch nur weiter gefördert wird.
Die entstehende Lage ist für ein demokratisches Gemeinwesen höchst gefährlich. Die Verachtung für die Eliten ist in einem Allzeithoch, die Menschen kapseln sich ab. Solidarität ist ein Fremdwort aus fernen Zeiten geworden. Es bedarf geeigneter politischer Maßnahmen, die breite Mehrheit der Menschen zu entlasten, nicht nur die schmale Elite (die gleichwohl natürlich relativ gesehen breiter wird). Es bedarf politischer Signale, die Menschen wieder in den Prozess einzugliedern und ihr Selbstbewusstsein zu steigern. Es braucht ein Umdenken bei den Medien, weg von der billigen Standardware ohne Anspruch, zurück zu Information und Aufklärung. Es braucht Engagement vieler Schichten, wieder etwas zu bewegen - der viel zitierte Ruck, der jedoch nicht im Einreißen bislang stabiler Strukturen enden darf, sondern, um im Bild zu bleiben, ein gemeinsames Stützen und Ausbauen dieser Strukturen ermöglicht. Nur dann werden freiheitliche Werte auf Dauer Bestand haben, werden Menschen sich damit identifizieren. So steuern die Demokratie und liberale Grundwerte geradewegs in den Abgrund.

3 Kommentare:

  1. Sehr schön das du das Thema aufgegriffen hast, ich konnte nur ansetzen dann wurde mir einfach zu übel. Heinz Buschkowsky ist genau die Art von SPD die schlimmer als die rechte CDU ist.

    Mehr sag ich lieber nicht, das Kerlchen mag nämlich auch keine Kritik. Aber er ist das wahre Bild von Wowereit, falls noch jemand auf den hofft.

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  2. Klasse Artikel! Denn das beste Fundament für Demokratie, Freiheit und Solidarität ist ein starkes Sozialwesen. Länder wie Dänemark machen es vor, dass eine hohe soziale Absicherung und wirksame, aktive Maßnahmen zum Erhalt bzw. zur Erlangung eines Jobs ein Erfolgsmodell sind. Die Menschen und die Behörden arbeiten zusammen, während in Deutschland die Angst vor dem sozialen Abstieg regiert, Behörden und Betroffene eher gegeneinander kämpfen anstatt am gleichen Strang zu ziehen. Aber das hören die Arbeitgeberverbände nicht so gerne, welche die veröffentlichte Meinung diktieren. Denn ein starkes Sozialwesen bedeutet eine starke Position der Arbeitnehmer und Null Chance auf Lohndumping und andere Ausbeutungsmodelle amerikanischer und deutscher Bauart, z.B. Workfare / Bürgerarbeit.

    Gruß

    Alex

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  3. Eine sehr gute Skizze des status quo. Und dann werden pseudosoziale Häppchen wie eine alberne "Rentenerhöhung" den Leuten noch als "Linksruck" verkauft. Während die "Mitte" volle Kanne rechts rum rast, wollen sie noch die dabei entstehende Fliehkraft verbieten.

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