Freitag, 6. Juli 2018

Das ganze Elend der Rechtspopulisten

Es ist zu diesem Zeitpunkt keine bahnbrechende Erkenntnis mehr, dass der Rechtspopulismus weltweit auf dem Vormarsch ist. Zur Wiederholung: Trump in den USA. Die Tories in Großbritannien. Le Pen in Frankreich. Wilders in den Niederlanden. Die AfD und CSU in Deutschland. Die Wahren Finnen in Finnland. Kaczinsky in Polen. Orban in Ungarn. Salvini in Italien. Kurz und Strache in Österreich. Was ich beeindruckend finde ist, wie dürftig ihr Resümee gerade in Europa ist. Der aktuelle Konflikt um die Asylpolitik der Bundesregierung auf der Ebene deutscher Innenpolitik und der parallelen Diskussionen um die Einrichtung von "Kontrollierten Zentren" (wer sich den Begriff ausgedacht hat ist entweder ein Troll oder völlig geschichtsblind), der Verteilung der Flüchtlinge und der Sicherung der Außengrenzen in der EU zeigt, wie unrealistisch die eigentlichen Lösungsvorschläge der Rechtspopulisten sind. Sie sind gut darin, die öffentliche Meinung aufzupeitschen und zu radikalisieren, aber ihre Ansätze sind disfunktional bis hin zur Untauglichkeit.


Der aktuelle "Asylkompromiss" ist dafür ein herausragendes Beispiel. Die CSU hatte im Bundestagswahlkampf 2017 mit dem rechten Rand geflirtet, in der Hoffnung, der AfD damit das Wasser abzugraben. Diese Hoffnung ist irrig. Eine demokratische Partei kann einer rechtsautoritären nicht das Wasser reichen, indem sie versucht ihre Positionen zu kooptieren. Den Wettlauf um die radikalste Forderung gewinnen immer die Populisten, denn sie müssen den Mist nachher nicht umsetzen. Alles, was der demokratischen Partei bleibt, ist danach ein Scherbenhaufen aus unrealistisch gesteigerten Positionen und Erwartungen, Erwartungen, die sich nicht einlösen lassen.

Genau das ist der CSU passiert. Anstatt aus ihren schweren Verlusten aus der Bundestagswahl zu lernen, bei denen sie mehr Stimmen verloren als es die CDU tat, entschlossen sich Seehofer und Söder, einfach eins draufzusetzen. Sie nutzten das typische Spielhandbuch der CSU und erschufen künstlich eine innenpolitische Krise im Konflikt mit der Kanzlerin. Das ist nichts, was die CSU nicht bereits früher getan hätte. Es diente der Partei stets zur Abgrenzung von der Schwesternpartei und der Profilierung als etwas Besonderes. Diese Sonderstellung im Bund ist Brot und Butter der CSU.

Nur konnte sie früher mit viel mehr Bewegungsspielraum am rechten Rand operieren. Strauß' berühmtes Diktum "rechts von uns ist nur die Wand" erlaubt für recht viel Luft zu dieser imaginierten Wand. Mit der AfD war rechts ein Igel, der immer vor dem CSU-Hasen im Ziel war. Die Strategie der CSU musste daher scheitern. Die aktuellen Meinungsumfragen für die kommende Bayern-Wahl jedenfalls stellen der Strategie Söders und Seehofers ein düsteres Zeugnis aus (und sind gleichzeitig eine Warnung an die SPD auf diejenigen zu hören die glauben, eine Wende zur Übernahme von Positionen der LINKEn wäre die Lösung).

In Deutschland selbst sorgte diese künstlich herbeigeführte Krise dafür, dass die Regierung für Wochen gelähmt war - entscheidende Wochen, in denen eigentlich eine einige Reaktion auf Krisenentwicklungen im Ausland, allen voran dem drohenden Auseinanderdriften der EU unter dem Druck der Fliehkräfte (Physiker, ich höre euch stöhnen) der bereits oben gelisteten Rechtspopulisten im Konzert mit Druck von der Peripherie in Form von Trump und Putin. Dass es kurz so aussah, als könne Merkel über diesen Unfug stürzen - es ist erschreckend.v Der Kompromiss, der dabei entstanden ist - die Einrichtung so genannter "Transitzentren" - ist dagegen ein Beispiel für die Resultate der politischen Spielchen, an denen die CSU sich die Finger verbrannt hat. Am eigentlichen Problem ändern sie erst einmal nichts. Die Flüchtlinge befinden sich immer noch in Deutschland. Doch anstatt sie in Erstaufnahmeeinrichtungen zu bringen und von dort so schnell wie möglich in ordentliche Unterkünfte zu bringen und in Eingliederungsmaßnahmen wie Sprachkurse und dann Arbeit zu integrieren, werden sie in Lager gesperrt, deren Bedingungen bewusst schlecht gehalten werden, in der irrigen Hoffnung, sie so zur Abreise zu bewegen. Eine ähnliche Logik liegt den entsetzlichen Bedingungen in amerikanischen Gefängnissen zugrunde, die auch nicht bei der Verbrechensprävention helfen. Vielmehr haben die USA die höchste Verbrechensrate, weil die Insassen zwar lange und unter furchtbaren Bedingungen einsitzen, aber danach nicht in die Gesellschaft integriert werden können. Das Ganze ist Ausdruck der Sehnsucht nach Brutalität und Grausamkeit, die die Wähler und Unterstützer dieser Bewegung so auszeichnet.

Und genau das wird auch das Resultat der "Transitzentren" sein. Sie werden das eigentliche Problem nicht lösen, aber viele neue schaffen. Sie können das Problem auch nicht lösen, weil es eine Einbildung des rechten Fiebersumpfs ist. Die Flüchtlingszahlen sind seit 2015 ständig rückläufig. Die angebliche Krise, die die Rechtspopulisten seit Monaten herbeibeschwören, ist eine Chimäre. Und die CSU ist nun der Zauberlehrling, der die gerufenen Geister nicht mehr los wird. Stattdessen werden die Flüchtlinge, die noch nicht in den regulären Asyl- und Flüchtlingsvorgang gelaufen sind, nun in rechtsfreie Räume versperrt.

Nichts anderes verbirgt sich unter der Idee der "Fiktion der Nicht-Einreise". Menschen die in Deutschland sind werden für nicht in Deutschland befindlich erklärt, bis man entweder nachweisen kann, dass sie in einem anderen EU-Land zuerst ankamen und unter den Dublin-Regeln dort Asylantrag stellen müssten und dann den Abschiebeprozess starten kann, oder - und das wird explizit ausgesprochen - bevor sie sich entscheiden, freiwillig wieder in ihre Ursprungsländer zurückzukehren. Und wenn letzteres das explizite Ziel der Lager ist, werden Anreize für diejenigen geschaffen, die diese Lager führen, die zwingend zu Willkür, schlechten Lebensbedingungen und zufälliger Grausamkeit führen. Die Tatsache, dass diese Leute offiziell nicht in Deutschland sind, kann das nur befeuern. Man kann die Amerikaner fragen, wenn man wissen will was mit solchen im legalen Graubereich liegenden Lagern passiert. Da braucht es nicht einmal explizit böse Absicht. Allein wie diese Lager konstruiert sind schafft Dynamiken, die zwangsläufig zu Rechtsverletzungen und Grausamkeit führen werden. Und das ist seitens der CSU nicht nur eingepreist, sondern intendiert. It's a feature, not a bug.

Natürlich ist das nur wieder mein Hypermoralismus, der da spricht und Menschen nicht unter solchen Bedingungen zusammengepfercht sehen will. Bevor das jemand in die Kommentare schreibt: geschenkt. Die Lager sind auch, wenn man diesen Annahmen nicht zustimmt, eine in ihren eigenen Prämissen scheiternde policy-Idee. Denn die Leute werden ja alle unterschiedlos in diese Lager gepackt. Das bedeutet, dass auch Menschen dabei sein können, dabei sein müssen, die später tatsächlich erfolgreich nach Deutschland einreisen können, ob als Asylantragssteller oder anerkannte Flüchtlinge oder was auch immer. Carolin Wiedemann hat in der FAZ beschrieben, wie solche Lager, die in Griechenland bereits Realität sind, aussehen:
Nach links geht es auf einen Betonpfad, der an Containern vorbeiführt, die übereinandergestapelt sind. Wie bei den Hühnern. Nach rechts auf den Kieselpfad, direkt vor ein ungefähr dreißig Quadratmeter großes graues Zelt, dessen Eingang offen steht: Innen sind Schnüre, Plastikplanen und Decken zu Kabinen gebunden, Sichtschutz für die Familien, die hier jeweils auf fünf Quadratmetern untergebracht sind. Babys brüllen, die Temperatur hat 40 Grad überschritten. Drei Kleinkinder haben irgendwo eine schmale rostige Eisenstange gefunden und nutzen sie auf der kurzen Steigung vor dem Zelt als Rutsche. Es funktioniert nicht. Die Hose des Vierjährigen reißt auf. Das T-Shirt ist schon zerrissen, und seine Knie sind es auch. Dreimal am Tag gibt es Essen, eine Pampe, für die sie ewig anstehen müssen. Anstehen müssen sie auch für die Duschen und die Toiletten, und die stinken, und der Müll stinkt, der sich überall stapelt. Und am Abend ist das Wasser alle, sagt Amir. [...] Die Psychotherapeutin Monika Gattinger-Holböck von Ärzte ohne Grenzen, die Mumini die Diagnose gestellt hat, sagte am Weltflüchtlingstag, dass sie noch nie so großes psychisches Elend gesehen hat wie in Moria. Und sie hat schon bei Kriseneinsätzen in Pakistan, im Libanon und im Nordirak gearbeitet. Für Mumini hat sie aufgeschrieben, dass er keinesfalls mehr in einem Container wohnen darf, dass er umgehend psychologische Betreuung benötigt. Und dass sein Knie operiert werden muss, steht auch in den Papieren der Ärzte. Doch wem soll er das Papier zeigen? Die Psychotherapeutin kann er nicht mehr fragen, die ist wieder weg, übrig sind nur zwei Lager-Ärzte – für 7500 Menschen. Und keinerlei psychologische Betreuung. [...] Währenddessen greifen irgendwo auf diesem Kontinent täglich Nazis Menschen an, angestachelt von den Reden der Parteien, die es längst in die Parlamente geschafft haben. Die Regierungen befeuern den Trend und planen die weitere Aushöhlung des Rechts auf Asyl. Orte wie Moria sollen jetzt rund um die EU entstehen. Sie sollen „Kontrollierte Zentren“ heißen. Man möchte sich ein Kürzel für diesen Namen lieber nicht vorstellen.
Wie geht es Menschen, die nach Wochen oder Monaten in solchen Bedingungen dann doch in das jeweilige Land einreisen können? Die psychologische Schäden haben, verstärkte oder neu geschaffene Traumata? Das ist eine reale Konsequenz solcher Bedingungen. Die Politik der Rechtspopulisten sorgt daher dafür, dass Menschen, die der Staat dann später integrieren soll, mit maximalen Vorbelastungen kommen. Das ist rein auf Basis der Ergebnisse der Politik eine solche Eselei, dass jede Steuerverschwendung vor Neid erblassend in der Versenkung verschwindet. Es ist kontraproduktiv, und das verdient Wiederholung, unter den eigenen Prämissen. Denn die Rechten behaupten, dass das Ziel ja nicht ist, alle Menschen unterschiedlos zusammenzupferchen und mies zu behandeln bis sie freiwillig gehen oder, abgeschreckt, gar nicht erst kommen. So etwas behaupten nur widerliche, links-grün versiffte Gutmenschen. Stattdessen schafft man sich eine gewaltige Latte von Langzeitproblemen, um bei der eigenen Basis Punkte zu machen. Bravo!

Aber der Irrsinn geht ja noch weiter. Denn wie es das Schicksal so will, ist der wahre Treppenwitz der, dass die Rechtspopulisten sich in genau den Ländern durchgesetzt haben, die von der Krise am meisten betroffen sind (minus Griechenland): Deutschland, Italien, Österreich und Ungarn. Sämtliche große Flüchtlingsrouten führen durch diese Länder. Und in allen regieren gerade Rechtspopulisten oder sind an der Regierung beteiligt. Das Ergebnis ist so absurd, dass die entsprechende Meldung im Wortlaut zitiert sein will:
Der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ hat Deutschland kurz vor dem Besuch von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Österreich vor der Zurückweisung von Flüchtlingen in sein Land gewarnt. „Wir werden ganz sicher keine Lösung akzeptieren, die zulasten Österreichs geht“, bekräftigte Strache in der „Bild“-Zeitung vom Donnerstag. Ähnlich hatte sich in den vergangenen Tagen bereits der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geäußert. „Es kann ja nicht sein, dass wir jetzt in Österreich plötzlich für die Fehler der deutschen Politik bestraft werden sollen“, sagte Strache der „Bild“. Zugleich lobte er die CSU. Auf die Frage, ob die CSU in Deutschland Positionen der FPÖ vertrete, sagte er: „Kopiert oder nicht – es ist jedenfalls schön, dass die eigene freiheitliche Position sich auf Dauer auch in anderen europäischen Ländern und auch in der BRD durchsetzt, nach jahrelangen Anfeindungen.“
Strache findet also die Idee total gut, dass Deutschland die Flüchtlinge nicht aufnimmt, sondern dahin zurückschickt, wo sie herkommen. Dann fällt ihm auf, dass das dummerweise Österreich wäre (nicht auszumalen was passiert wenn Orban und Salvini merken, dass Österreich die zu ihnen weiterschieben würde). Also sagt er, dass Deutschland diese Politik, die er so toll findet und unbedingt seinem eigenen Land auch empfiehlt, doch bitte nicht umgesetzt werde. Das ist da was passiert, wenn rechtspopulistischer Unsinn auf die Realität trifft. Die CSU hatte 2013 das Glück, dass ihre große Forderung nur die Autobahnmaut war, da konnte man sie sich austoben lassen, bis der Tobsuchtanfall vorüber war. Jetzt haben sie, alles riskierend, etwas durchgesetzt, das wenig überraschend so nicht durchsetzbar ist, weil ihre eigenen Gesinnungsgenossen in Europa natürlich nicht mitmachen. Es ist die völlige Bankrotterklärung der Rechtspopulisten.

Denn natürlich fordert jeder von denen, die Flüchtlinge einfach nur an den jeweiligen Herkunftsort zurückzuschicken. Die CSU will sie nach Österreich zurückpacken. Österreich nach Italien. Italien nach Tunesien und Algerien. Aber, und da kommt diese nervige Realität schon wieder um die Ecke, die wollen sie ja auch nicht haben. Zum Glück für die europäischen Rechtspopulisten müssen sich die nordafrikanischen Staaten nicht mit so nervigen (hypermoralisierenden) Konzepten wie Menschenrechten herumschlagen; die packen die Leute einfach und setzen sie ohne Wasser in der Sahara aus. Und da es in diesen Ländern auch keine freie Presse gibt und sich ohnehin niemand für Tote in Afrika interessiert, löst sich das Problem quasi so. Praktisch umsetzbar ist das natürlich nicht, zumindest nicht, solange noch einige Fetzen Rechtsstaat bestehen bleiben, und das ist selbst in Ungarn, Italien und Österreich der Fall (in Deutschland sowieso).

Und das ist das ganze Elend der Rechtspopulisten. Ihre Forderungen und Lösungsansätze sind nicht realitätstauglich. Man kann über Merkels EU-Kompromisse wettern wie man will, ihre Zauderhaftigkeit beklagen, die kleinen Schritte verächtlich machen, die sie geht. Aber ihre Maßnahmen erreichen tatsächlich handfeste Ergebnisse und lösen reale Probleme. Das kann man von den Rechtspopulisten nicht behaupten.

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