1) Winning is not enough
Republicans are attempting to maintain their long-term power by subverting democracy. The corollary is that Democrats can win long-term power by strengthening it. When it comes to elections, the modern GOP generally tries to make it harder to vote, because obstacles to voting tend to hit key Democratic constituencies—young people, low-income people, minorities—the hardest. The first big idea that Democrats should pursue once they control Congress, therefore, is to champion an electoral reform agenda centered around increasing the number of citizens who cast ballots. They should conduct wide-ranging hearings on every aspect of the electoral system, including its vulnerability to hacking. They should then seek out the best ways to make the system more secure and voter friendly and incorporate those solutions into a major piece of proposed legislation, a New Voting Rights Act. [...] There is another, even bolder action they can take in the service of expanding democracy: spend the next two years preparing the ground to add two new states to the union, Washington, D.C., and Puerto Rico, in 2021. [...] All it takes is a majority vote in Congress and a presidential signature to add a state, and the country has done so thirty-seven times since its founding. The danger for Democrats if they grant statehood to D.C. and Puerto Rico in 2021 is a backlash in red states that could cost some Democratic lawmakers their seats in 2022. The upside is four additional Senate seats and six additional House seats that would almost certainly be added to the Democratic column in 2022 and for many years to come, plus seven additional Electoral College votes. (Washington Monthly)Es ist ein sehr langer Artikel, den ich hier nur in einem winzigen Ausschnitt zitiert habe und den zu lesen sich lohnt. Ich sehe ihn etwas als positiven Gegenpunkt zu den eher düsteren Aussichten bezüglich der Zukunft der Democrats, über die ich hier geschrieben habe. Das Verabschieden besserer Wählerregistrierungs- und Wahlrechtsgesetze wäre für die Demokratie in den USA insgesamt schlicht ein Plus. Ja, nach dem aktuellen Stand würde es den Democrats helfen, aber das ist etwas, das sich sehr, sehr schnell drehen lässt. Die SPD dachte seinerzeit auch, das Wahlrecht für Frauen wäre ein Riesenvorteil für die Partei (Frauen wählten tatsächlich bis in die 1960er Jahre mehrheitlich konservativ). Etwas schwerwiegender wäre der Eingriff bezüglich der Zulassung neuer Staaten. Glücklicherweise ist hier, anders als etwa bei den Plänen Kalifornien in sechs unterschiedliche Staaten aufzusplitten, das Missbrauchspotenzial geringer. Abgesehen von Washington D.C. und Puerto Rico gibt es (meines Wissens nach) keine Territorien mit genügend US-Bürgern, um die Bedingungen für die Staatswerdung zu erfüllen (die Marianen und Guam haben nicht genug Einwohner). Diese beiden neuen Staaten würden zwar aktuell mehrheitlich demokratisch sein, aber auch das kann sich durchaus ändern, vor allem wenn die Republicans endlich das Post-Mortem von 2012 ernst nehmen und den Latinos ein politisches Angebot machen. Grundsätzlich sind diese beiden Optionen daher solche, die ich für verfolgenswert halte (im Gegensatz zur Aufspaltung bestehender Staaten, court packing und ähnlichen Normenbrüchen), einfach auch weil sie bestehende Ungerechtigkeiten beseitigen. Ich weiß dass das Wahlrecht in den USA eher als Privileg denn Naturrecht gesehen wird, aber es gibt keinen Grund, das nicht zu ändern, und dass die Einwohner Washingtons und Puerto Ricos zwar Amerikaner sind, aber kein Wahlrecht haben, ist eine jahrzehnte- und jahrhundertelange Ungerechtigkeit, die ohnehin schon lange beseitigt gehört.
2) Berichterstattung und Haltung kann man nicht trennen
Die Schlagzeile "Trump erklärt und korrigiert sich" ist ein unabsichtliches, journalistisches Geschenk für Trump, geboren aus dem Wunsch, die gewohnten redaktionellen Regeln zu beachten. Seine "korrigierende" Behauptung nach 24 Stunden, er habe aus Versehen "would" statt "wouldn't" gesagt - ist noch nicht einmal eine schlechte Lüge und schon gar keine Erklärung oder Korrektur. Sie ist schierer Bullshit. Aber jede dieser Schlagzeilen normalisiert Trumps Weltgroteske als irgendwie akzeptables, politisches Handeln, weitgehend unabhängig von der näheren Erläuterung im Text. Diese Überschriften gaukeln vor, dass hier Politik im normal-demokratischen Rahmen geschieht. Tatsächlich aber wird absurdes Theater gespielt. Jede dieser Schlagzeilen könnte völlig austauschbar auch für irgendeine Tarifverhandlung verwendet werden, wo die Arbeitgeber-Seite einen etwas zu nassforschen Vorschlag der Nettoerhöhung um nur 0,4 Prozent für das Tarifgebiet Südwest unterbreitet hat und deshalb durch schlechte Presse unter Druck gerät. Natürlich gibt es - zum Glück - in den meisten Medien zusätzlich einordnende Kommentare, aber das ist nicht die prägende Berichterstattung. Um im obigen Bild zu bleiben: Man kann über Kotze nicht berichten wie über ein misslungenes Tellergericht. Man muss sagen, dass es Kotze ist. Auch außerhalb von Kolumnen und Glossen. Trump hackt die Nachrichten, und die Nachrichten lassen sich hacken. Noch immer. Von der mäßigenden Sprache bürgerlicher Medien bis zur hyperritualisierten Form der Meinungspräsentation - alles in klassischen Nachrichten, vor allem im bildgewaltigen Fernsehen, schreit: "Es folgt eine legitime, normale, politische Äußerung". Auch, wenn genau das nicht der Fall ist. Eine ähnliche Wirkung haben nicht angemessen eingeordnete Zitate in schriftlichen Medien. Die Trump-Botschaft wird immer mitpräsentiert, und die entfaltet ihre Wirkung unabhängig von den klassischen, redaktionellen Turnübungen drum herum - erst recht bei denen, die ohnehin medienskeptisch sind. (Spiegel Online)Was Sascha Lobo hier anspricht ist eine generelle Lebenslüge aller Medien in allen Ländern: die Illusion der Objektivität. Ganz massiv kam das letzthin raus, als die Redaktion von "Hart aber Fair" allen Ernstes verkündete, dass sie komplett objektiv seien und so etwas wie "framing" für sie nicht existiere. Das ist natürlich völliger Quatsch. Jede Berichterstattung ist per se eine Haltung, gerade in dem von Lobo angesprochenen Gebiet, dass eine Normalisierung durch scheinbare Objektivität erreicht wird. Man kann das mit der Idee der Neutralität im Krieg vergleichen. Neutralität ist nicht wirklich eine; sie hilft im Normalfall immer einer der beiden Seiten mehr als der anderen. Auch das Heraushalten ist eine bewusste Entscheidung. Schweden etwa war im Zweiten Weltkrieg neutral, aber das half Deutschland, denn es kaufte dort sein Eisenerz ein, das es für den Krieg zwingend brauchte. Spanien war auch neutral, aber das half den Alliierten, denn Hitler hätte es natürlich wesentlich lieber gesehen, hätte sein ihm (aus seiner Perspektive) zu Dank verpflichteter Diktator-Kollege geholfen und die alliierte Südflanke bedroht. Und so weiter. Deswegen können sich auch Journalisten nicht damit herausreden, "nur" zu berichten. Auch Neutralität ist eine bewusste Haltung. Wir hätten kein Problem einen Journalisten, der sich während eines laufenden Völkermords "neutral" verhält und über "beide Seiten" gleich berichtet, nur den Kopf zu schütteln. In kleinerem Maßstab setzt sich dieses Problem aber auch in anderen Bereichen fort. Journalisten haben immer eine Meinung, jeder Mensch hat eine. Und wer glaubt, das verleugnen zu müssen, um objektiv zu erscheinen, belügt sich selbst und stiehlt sich aus der Verantwortung. Das ist im Übrigen kein Aufruf zu hemmungsloser Parteilichkeit in der Berichterstattung. Man kann Nachricht und Meinung durchaus trennen, aber man kann eine Haltung haben und diese deutlich machen (implizit ist sie eh dabei). Das ist einerseits transparent und andererseits ehrlich. Und in Zeiten wie diesen auch dringend geboten.
3) Trump's tax cuts haven't done anything for American workers
Huge, immediate gains for wealthy shareholders combined with tepid increases in business investment and decreases in real wages don’t paint a flattering picture of the tax cut’s impact so far. There is, however, a possibility that the tax cut has acted as a Keynesian fiscal stimulus, helping to push down unemployment. But that’s not exactly the long-term structural improvement that the bill’s supporters advertised. And as a recent research note from the Federal Reserve Bank of San Francisco points out, fiscal stimulus in good economic times is less effective than in recessions. And growth hasn’t really sped up either — real per capita gross domestic product growth was only 1.34 percent in the first quarter, below 2017’s pace, and considerably less than in 2014 and 2015. [...] This tepid rate of growth means that the tax cut is unlikely to pay for itself. By this point, almost all economists recognize that income tax cuts no longer stimulate the economy enough to reduce deficits, as supply-siders thought they would back in the 1980s. But economists still held out some hope that lowering the corporate tax, which is believed to be more harmful than the personal income tax, would have a more salutary effect on the budget. Unfortunately, that hope appears to be fading, as fiscal deficits increase rapidly. There’s still the possibility that Trump’s tax reform will bear fruit in the long term. But early results are pointing to another possibility — that tax cuts have run their course as an economic policy. (Bloomberg)Wer von diesem Ergebnis überrascht ist hebe bitte die Hand. Wie die Bush-Steuergeschenke von 2001 spülen die von Trump nur Geld in die Taschen der Unternehmen und Superreichen, die praktisch nichts davon weitergeben (von einigen Einmalgeschenken zu PR-Zwecken und Wahlwerbung abgesehen). Das Ergebnis ist umso kläglicher, als dass die scheinbaren positiven Effekte in kaum einem halben Jahr völlig verpufften. Das US-Defizit ist auf Kurs, eine Trillion Dollar zu erreichen - verursacht von genau denen, die immer über Defizite jammern, wenn Progressive an der Macht sind - und hat nichts, das es im Gegenzug vorzeigen kann, sieht man einmal von unterfinanzierter Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen ab. Ich möchte auch auf den letzten Satz des obigen Ausschnitts verweisen. Es mag sein, dass Steuerkürzungen früher Effekte gebracht haben (um das sicher bestätigen oder verwerfen zu können kenne ich mich nicht genug aus), aber inzwischen scheinen sie denselben Stand zu haben wie in den späten 1970er Jahren vulgärkeynesianische Nachfrageprograme: Ein Rezept aus einer anderen Zeit, das nicht mehr funktioniert, aber wie ein Zombie weiterlebt. Nur dass die keynesianische Nachfragepolitik kaum ein Jahrzehnt nach ihrem Zenit ziemlich tot war (mehr dazu auch in Teil 4 der Serie zur Sozialdemokratie!), während die Steuergeschenke als Allheilmittel auch 30 Jahre später noch fröhliche Urständ' feiern.
4) How Trump turned the right's biggest Russia hawk into a dove
Not long ago, it was harder to find a more devoted Russia hawk than Wall Street Journal columnist Holman W. Jenkins. The overriding theme of Jenkins’s prodigious commentary on the subject was that Vladimir Putin posed a dire threat that Western leaders were fecklessly ignoring. According to Jenkins, Putin’s “Western enablers” were “conspir[ing] in his rehabilitation” and the government that he runs “bears passing resemblance to the petro-regime of Saddam Hussein.” In addition to Saddam, Putin also reminded Jenkins of another mustachioed dictator (he “clearly seems to be lifting strategies from the Hitler playbook”). Like those dictators, Jenkins argued, Putin was so aggressive and unstable he could not be contained at all. The Russian dictator’s aggressive strategy left “no prospect of happy retirement.” Incremental steps to oppose him were doomed, because “piecemeal actions just play into Mr. Putin’s hands, giving him a cost-free Great Satan to justify his deepening dictatorship.” Sadly, “pro-appeasement German business leaders” and other weaklings failed to grasp that “Putin’s reckless cynicism should not be underestimated, and that “a Putin regime crisis would be welcome.” And then Donald Trump came along. [...] When Jenkins writes that “the hell of our situation is that 2016 created a big incentive for Democrats and others to adopt anti-Russia hysteria,” he is unintentionally revealing his personal torment. The election aligned Jenkins’s position against the Republican Party, forcing him to choose between his partisan loyalties and his own principles. (New York Magazine)
Die 180-Grad-Wenden von Parteigängern sind ein hoch interessantes psychologisches Phänomen und wahrlich nicht auf die Rechte beschränkt. In dem gleichen Maß, in dem bisherige Russland-Falken plötzlich bei den Republicans zu Tauben wurden haben ja viele Democrats ihren inneren Neocon und 'Murica-Patrioten ausgegraben. Ich habe darüber über die letzten ein, zwei Jahre immer mal wieder am Rande geschrieben: Die jeweiligen Parteiführungen haben einen wesentlich größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung, als man gemeinhin annimmt (und sind wesentlich empfänglicher für Änderungen derselben, nebenbei bemerkt, und ja, das sind gegenläufige Trends).
Das bedeutet eben auch, dass eine Partei in einem gewissen Rahmen in der Lage ist, gegen eine bisherige Mehrheitsmeinung anzuschwimmen und sie entsprechend zu drehen. Das setzt meines Erachtens nach zwei Bedingungen voraus. Zum einen muss die Partei eine gewisse Grundkohäsion aufweisen, also Schwenks ihrer Führung entsprechend nachvollziehen können (Extrembeispiele dafür sind die KPs der 1920er und 1930er Jahre) und zum anderen sollte das Thema, wo die Meinung geändert wird, nicht zu salient sein, also im Bewusstsein der Wähler besonders hervorstechend.
Ein Beispiel: Das Thema Rente ist sehr salient; es wird permanent diskutiert, betrifft jeden und ihr Vorhandensein ist Leuten wichtig. Sie abzuschaffen ist keine Position, mit der eine Parteiführung ihre Mitglieder einfach mitnehmen kann. Die Homo-Ehe dagegen ist den meisten Menschen nicht sonderlich salient; sie mögen zwar eine instinktive Grundmeinung haben, aber wenn ihre jeweilige Gruppe kommuniziert, dass es jetzt "dazu gehört" für die Homo-Ehe zu sein, werden sie mitgehen. Die Haltung zu Russland ist ein nicht sonderlich salientes Thema, weil die wenigsten Leute sich auf regelmäßiger Basis ernsthaft damit beschäftigen und ohnehin dazu neigen, in außenpolitischen Themen ihrer jeweiligen Führung zu folgen.
Donald Trump leistet sich seit Jahr und Tag Skandal um Skandal, ohne dass es ihm in der Gunst seiner Anhänger nennenswert schadet und ohne dass sich die Republikaner gegen ihn wenden. In Europa treiben Österreichs und Italiens extrem rechte Regierungsparteien die Agenda voran. Im Bemühen, AfD-Wähler zu gewinnen, setzte die CSU zuletzt auf Eskalation. Wie in den USA: lange weitgehend unwidersprochen. Man ließ sich von ganz weit rechts die Agenda aufdrängen. Und man grenzte sich nicht entschlossen ab. Doch das ändert sich gerade. In den konservativen Parteien werden Absetzungsbewegungen sichtbar. Erste Anzeichen eines Aufstands der Gemäßigten werden erkennbar. Auch in diesem Fall war zu sehen: Erst als sich Widerspruch regte, als einige einflussreiche Politiker aus der CSU genug hatten, erzwangen sie eine Kurskorrektur – die bei Söder genauso abrupt wirkte wie bei Trump. [...] Wenn die Bürgerlichen und Konservativen eine Grenze ziehen, wenn sie Neokonservative, Rechtspopulisten und neurechte Rechtsautoritäre nicht machen lassen, können sie sich Gestaltungsmacht zurückholen. Der Erfolg der neuen Rechten ist nicht alternativlos. (T-Online)Wie im letzten Vermischten mit dem Thema Friedrich Merz sei es hier noch einmal wiederholt: Der entscheidendste Faktor beim Zurückdrängen des neuen Rechtsextremismus ist das Verhalten der Konservativen. Grenzen sie sich entschlossen ab, wie es hierzulande dankenswerterweise die CDU tut (im Gegensatz zur CSU) oder in Frankreich die Républicains unter Fillon, so kann im Allgemeinen eine Eingrenzung Erfolg haben. Tun sie das nicht, wie die Republicans, die Tories oder die CSU, stärken sie den rechten Rand, legitimieren ihn und verlieren an Boden. All das gilt natürlich unter dem Vorbehalt, dass die Positionen der extremen Rechten nicht mehrheitsfähig sind; wo sie das sind hilft diese Strategie natürlich wenig. Aber die Hoffnung wäre ja schon, dass vieles von dem, was die AfD fordert, eben nicht mehrheitsfähig ist...
6) Ohne Rücksicht auf Verluste: Das Endspiel der CSU
Das Ziel der CSU – durch Imitation der AfD diese zu zerstören – ist bereits jetzt kläglich gescheitert. Man kann nur hoffen, dass die CSU nun, da die gesamte Union nur um Haaresbreite an einer Spaltung vorbeigeschrammt ist, zur Besinnung kommt. Allerdings spricht nicht allzu viel dafür. Was von CDU und CSU bis auf Weiteres bleibt, ist eine reine Not- und Zweckgemeinschaft, um den größten Schaden, nämlich den eigenen Niedergang doch noch abzuwenden. [...] Welche Halbwertszeit diese Koalition noch hat, ist somit völlig offen. Alle anderen Kräfte müssen sich daher bereits jetzt darauf vorbereiten, dass sie sehr bald am Ende sein könnte. Umso wichtiger ist die Lage der Linken im Lande. Doch der Zustand von SPD und Linkspartei ist anhaltend desaströs, weil auch durch diese beiden Parteien der Riss zwischen Einwanderungsbefürwortern und -gegnern verläuft. Angesichts dieser Spaltung, miserabler Umfragewerte und einem völlig unaufgearbeiteten historischen Scheitern im Wahljahr 2017 wirkt die SPD wie gelähmt – aus Angst vor Neuwahlen und davor, am Ende doch noch den Schwarzen Peter in der Flüchtlingsdebatte zugeschoben zu bekommen. [...] Trotzdem bleibt die Lage der SPD verheerend. Ohne strategisches Zentrum und einen echten Kanzlerkandidaten käme eine Bundestagswahl für sie absolut zur Unzeit. Gleiches gilt für die Linkspartei. Heillos zerstritten zwischen dem Wagenknecht- und Kipping-Lager, kann von einer geeinten Partei derzeit keine Rede seine. Anstatt die Realität zur Kenntnis zu nehmen, kämpfen beide Seiten mit harten Bandagen um die innerparteiliche Macht. Wenn etwa Sahra Wagenknecht „Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz“ als bloße „Wohlfühl-Label“ bezeichnet, „um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten“, dann ist das alles andere als die von ihr propagierte Offenheit einer Sammlungsbewegung. Liberale Linke werden auf diese Weise zu Wasserträgern des Neoliberalismus erklärt. (Blätter)Ich will gar nicht weiter auf der CSU herumhacken (ok, ich will schon, werde es hier aber nicht machen) sondern stattdessen auf das Dilemma der SPD und LINKEn eingehen. Beide Parteien sind nicht gerade die natürlichen Gewinner aus der Radikalisierung nach rechts, das sind die Grünen, weil die das klarste Gegenprofil zu der Flüchtlingskrise haben (das sieht man ja auch an den aktuellen Umfragen etwa für Bayern). Die SPD ist in einer echt düsteren Position. Sie hat immer noch kein Profil, weiß nicht wofür sie eigentlich steht und ist in einem halb symbiotischen, halb parasitären Verhältnis an die CDU gebunden. Dazu macht sich langsam bemerkbar, dass Ergebnisse um 20% herum den Finanrahmen der einstigen Volkspartei einengen. Die SPD kann sich keine weitere öffentliche Auseinandersetzung leisten, weswegen sie sich ja auch in den CDU-CSU-Streit nicht einmischen. Die Frage ist, ob das in ein oder zwei Jahren anders aussieht. Ich denke nämlich eher nicht. Bei der LINKEn sieht es ähnlich aus. Die Partei hat einen heftigen Flügelstreit, der öffentlich nur deswegen wenig Aufmerksamkeit erfährt, weil der von CDU und CSU wesentlich spannender ist. Das Dauerproblem der Partei - die Frage nach Regierungsfähigkeit und Willen dazu - wird durch den Streit nicht eben kleiner. Dazu stärkt Lafoknecht auch die Narrative der AfD. Die Hoffnung scheint zu sein, einen universelleren Linkspopulismus als Alternative zum Rechtspopulismus der AfD aufzubauen, aber ich sehe nicht wirklich, wie das klappen soll.
7) Trump's ties
In 2012, negative racial views weren’t particularly salient to voters’ choices; by 2016, they were highly salient. Indeed, some white Obama voters had defected from the Democratic Party before Trump entered the scene in 2015. That time-horizon suggests backlash against an increasingly visible immigrant rights movement—which eventually pushed then–President Obama to give legal protections to young undocumented immigrants—as well as to Black Lives Matter, the protest movement against police brutality. [...] These voters appear to have forged a personal connection with Trump, who drew them in with an unambiguous pitch to white racism. They might want the promised benefits and economic programs, but they may stick with Trump regardless of whether he delivers. For them, the symbolic politics of white identity—as well as the concrete actions against Muslims and Hispanic immigrants—may hold more weight than immediate material gain. In practical terms, Democrats don’t need to win back every one of these voters who were lost to Trump in the 2016 presidential election. They just need to win a few, in the right places. And while that appears to be happening so far, with Democrats gaining ground in Trump territory, there are still opportunities for Democrats to claw back more of these voters. (Slate)Wieder einmal ein sehr langer Artikel, den es jenseits meines Ausschnitts zu Lesen lohnt. Für mich am spannendsten ist aber der zitierte Punkt. Dass es Wähler gibt, die zweimal Obama und dann Trump gewählt haben, ist eine totberichterstattedsten Fakten aus der Wahl 2016. Auch wenn ihre Zahl gerne überzeichnet wurde, so reichten sie doch locker aus, Trump den Sieg zu bringen. Jede Seite in dem Konflikt - Unterstützer von Bernie Sanders wie Hillary Clinton - hatte natürlich jeweils ihre eigene Erklärung, warum diese Leute wechselten. Dieser Konflikt ist der Grabenkampf, der aktuell innerhalb der Linken ausgetragen wird: Ist es hauptsächlich der Mangel an einem populistischen Narrativ über die wirtschaftliche Ungleichheit, also klassischer linker Umverteilungsforderungen (bitte alle Worte in diesem Satz wertneutral lesen) oder ist es der unüberwundene Rassismus und Sexismus, der verantwortlich zu machen ist? Tatsächlich ist die "Spaltung der Linken" auf der inhaltlichen Ebene weitgehend eine Illusion. Es ist ein bisschen Judäische Volksfront gegen Volksfront von Judäa. Die Argumentation vom Rassismus wird durch die neuen Zahlen weitgehend unterstützt, aber spannend ist, dass Trump selbst herzlich wenig damit zu tun hat. Und auf der anderen Seite ist auch die Sanders-Erzählung von der Notwendigkeit, weitreichendere und eingängigere Forderungen in der Wirtschaftspolitik zu erheben, absolut richtig. Der Streit innerhalb der Linken ist eigentlich hauptsächlich eine Gewichtungsfrage, denn dass Clinton nicht eben ein großartiges Narrativ um ihre policy-Forderungen gesponnen hat ist glaube ich unumstritten. Aber die Vorgänge 2014-2015, auf die Jamelle Bouie in dem Artikel oben eingeht, sind von höchster Relevanz und passen zu Fundstück 4: Obama konnte in beiden Wahlkämpfen, 2008 wie 2012, dank seiner enormen Disziplin und einer großen Fähigkeit zur Selbstverleugnung im Interesse des Großen Ganzen, das Thema "Rasse" aus dem Wahlkampf heraushalten. Es gibt zahllose Analysen dazu, dass der entscheidende Punkt für seinen Wahlsieg war, dass er das nicht thematisierte (Ta-Nehisi Coates etwa hat ihm das nie verziehen). Als dann mit dem Mord an Treyvon Martin, Ferguson und Black Lives Matter das Thema plötzlich salient wurde und er sich positionieren musste (wir haben in Fundstück 2 gelernt dass auch sich Heraushalten und nicht Positionieren eine bewusste Haltungsentscheidung ist), wandten sich diese Leute von ihm ab. Sie hätten ihn auch 2016 nicht wieder gewählt, wenn er auf dem Wahlzettel gestanden hätte. Die Crux für die Democrats ist, wie sie die Wähler aus der Arbeiterklasse wiedergewinnen können, für die der Rassismus eben nicht das saliente Thema ist, denn die anderen sind für sie verloren, egal wie oft sie die allgemeine Krankenversicherung fordern, solange die Partei auf einer multi-ethnischen Koalition aufbaut - und das tut sie, ob unter Clinton oder Sanders.
8) So wird der Rechtsstaat ausgehöhlt
Wie im letzten Vermischten bereits angesprochen ist es zum Haare raufen, wie viele Menschen in höchsten Positionen in Deutschland nicht zu verstehen scheinen, was der Rechtsstaat eigentlich ist. Der Rechtsstaat gilt auch für Arschlöcher, gilt auch für Verbrecher, gilt immer und universell. Es ist ein Ausweis für uns, dass wir jedem gleiche Rechte und Behandlung zusichern, kein Zeichen von Schwäche. Dass so viele Leute das offensichtlich nicht verstehen und sich jedes einzelne Mal der Versuchung von "Law and Order"-Härte hingeben, ist absolut erschreckend und zeigt, wie dünn der Firnis der Zivilisation eigentlich ist. Und auch das ist kein Phänomen, das auf die Rechte beschränkt wäre, das sei beiläufig bemerkt.Man mag ja denken: Es trifft hier keinen Falschen. Aber ist dann alles erlaubt? Wer einen Gerichtsentscheid für falsch hält, der muss in die nächste Instanz gehen, so wie die Behörden das jetzt tun. Doch ist das vielleicht nur ein Einzelfall im Verhältnis zwischen Behörden und Gerichten? Leider nein, wie ein Blick auf die vergangenen Monate zeigt. Da setzt die Stadt Wetzlar eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zur Vergabe einer Stadthalle nicht um. "Der Problembär sitzt in Karlsruhe", war von einem Landrat dazu auf Facebook zu lesen. Auch der Begriff der "Anti-Abschiebeindustrie" von Alexander Dobrindt hat das Potenzial, Rechtsschutz zu verhöhnen. Nicht zuletzt lässt einen der Umgang mit dem Thema "Fahrverbote" nach Gerichtsentscheidungen teilweise ratlos zurück. Erst die Drohung mit Zwangsmitteln durch die Gerichte hat hier zu Bewegung geführt. "Der Rechtsstaat muss sich zu Recht fragen lassen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat", hat der CDU-Abgeordnete Nikolas Löbel zum Fall Sami A. gesagt. Solche Aussagen machen Gerichte verächtlich. Das Problem dabei ist: Wenn aus einzelnen Tropfen wie den genannten Beispielen ein steter Tropfen wird, dann steigt die Gefahr, dass der starke Felsen Rechtsstaat ausgehöhlt wird. Und damit das Fundament unseres Gemeinwesens. Das kann mittelfristig fatale Folgen haben. Wie wollen Politiker von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen, dass diese sich an Gerichtsurteile halten, wenn sie selbst die Autorität der Gerichte anzweifeln? (Tagesschau)
9) Der Westen - Ein frommer Wunsch
Man sieht das beschriebene Phänomen gerade schön an Özil, ganz unabhängig davon wie man im Streit dazu steht: Rechte und Anerkennung stehen stets unter Vorbehalt, wenn es um Einwanderer geht, egal in welcher Generation sie sein mögen. Deswegen sind rechtsstaatliche Performanzen wie in Fundstück 8 ja auch so ungeheur relevant, denn aus ihnen kann, wenn die jeweiligen Eliten sie nicht verantwortungslos denunzieren, tatsächlich ein Lerneffekt ausgehen, wie Patrick Bahners schön beschreibt. Man muss an dieser Stelle auch dem Einwand Bahners' genügend Raum geben: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die aktuell erreichten und kodifizierten Menschen- und Bürgerrechte nicht wieder abgeschafft oder zurückgefahren werden. Deswegen ist auch den Anfängen zu wehren.Zur Integration der Migranten heißt es, ihre Grundlage müsse das Grundgesetz, „die deutsche Ausprägung der politischen Kultur des Westens“, sein. „Zu ihr gehören an oberster Stelle die unveräußerlichen Menschenrechte, unter ihnen die Religions- und Meinungsfreiheit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese Rechte müssen eingeübt und verinnerlicht werden, und das von früher Kindheit an: eine immense Aufgabe, der sich die deutsche Bildungspolitik nun verstärkt widmen muss.“ Hier dienen die Menschenrechte als Knüppel, der Einwanderer davon abhalten soll, sich vorlaut auf sie zu berufen. Die Vorstellung, dass Rechte eingeübt werden können, befremdet; sie können nur ausgeübt werden, und dabei mögen sich Lerneffekte ergeben. Überall im Westen wurden früher die Rechte von Arbeitern oder Schwarzen unter den Vorbehalt des wohlerzogenen Benehmens gestellt. Wo bleibt die „korrigierende Kraft“ von Winklers „normativem Projekt“, wenn sein Konzept zur Abwägung zwischen dem Recht der Flüchtlinge gegen die Staaten und den Rechten der Staatsbürger nichts beizutragen hat? Winkler hält der Kanzlerin mit Bismarck vor, dass die Tatsachen dem guten Willen Grenzen ziehen. Soll dieser in allen Klugheitslehren nichtwestlicher Kulturen anzutreffende Topos Trumpf sein? Winkler möchte glauben, dass die künftige Geschichte des Westens von der „ständigen Ausweitung der Bürgerrechte“ gekennzeichnet sein wird. Hier sitzt er der sozialdemokratischen Illusion des permanenten Wachstums auf. Er verkennt, dass auch Ideen an Grenzen stoßen. (FAZ)
10) Trial runs for fascism are in full flow
Die "Lust an der Grausamkeit", die ich im letzten Vermischten angesprochen habe, wird von Finnan O'Toole in diesem Artikel in aller Ausführlichkeit analysiert und in den Kontext von Testläufen für den Faschismus gestellt. Tatsächlich ist die Entmenschlichung und Enttabuisierung, die dadurch stattfindet, absolut notwendig, um weitere Schritte einzugehen. Und diese Schritte werden in Ländern, in denen die Rechtsradikalen an der Macht sind, gemacht, ob in Italien, Ungarn oder den USA. Und auch hier sei erwähnt, dass dieses Phänomen für die Linke genauso gelten würde, wenn sie aktuell an der Macht wäre, was sie aber eben nicht ist. Sie würde dann vermutlich Bonzen und andere Klassenfeinde entmenschlichen, wie es linksgerichtete totalitäre Regime - Stichwort Kulaken - auch schon immer gemacht haben. Nur, in aller Deutlichkeit: das ist aktuell nicht das Problem, denn es sind die Rechten, die auf dem Vormarsch sind.Fascism doesn’t arise suddenly in an existing democracy. It is not easy to get people to give up their ideas of freedom and civility. You have to do trial runs that, if they are done well, serve two purposes. They get people used to something they may initially recoil from; and they allow you to refine and calibrate. This is what is happening now and we would be fools not to see it. [...] But when you’ve done all this, there is a crucial next step, usually the trickiest of all. You have to undermine moral boundaries, inure people to the acceptance of acts of extreme cruelty. Like hounds, people have to be blooded. They have to be given the taste for savagery. Fascism does this by building up the sense of threat from a despised out-group. This allows the members of that group to be dehumanised. Once that has been achieved, you can gradually up the ante, working through the stages from breaking windows to extermination. [...] This is greatly encouraging for the pre-fascist agenda. The blooding process has begun within the democratic world. The muscles that the propaganda machines need for defending the indefensible are being toned up. Millions and millions of Europeans and Americans are learning to think the unthinkable. So what if those black people drown in the sea? So what if those brown toddlers are scarred for life? They have already, in their minds, crossed the boundaries of morality. They are, like Macbeth, “yet but young in deed”. But the tests will be refined, the results analysed, the methods perfected, the messages sharpened. And then the deeds can follow. (Irish Times)
11) #MeToo war ein Gesprächsangebot - und ihr lasst es verstreichen
Man könnte fast meinen, das Thema Toxische Maskulinität wäre doch irgendwie relevant. Frauen haben heute dankenswerterweise eine größere Bandbreite an möglichen und gesellschaftlich wenigstens halbwegs akzeptierten Identitätsentwürfen, während für Männer immer noch nur ein Standard gilt, was man in den Kommentarspalten dieses Blogs auch oft genug bewiesen bekommt. Feminismus wird einfach immer noch viel zu sehr als ein "Frauenthema" begriffen, und Frauenthemen sind ja generell wenig wert. Das ist ein Problem und wird sich erst ändern, wenn auch Männer bereit sind, die Folgen dieser Haltung für sich selbst zu erkennen, statt sie zu leugnen.Das Grauen heute ist kälter. Wer tötet, muss seinen Opfern nicht zwingend gegenüberstehen. Wer tötet, kann das heute "zivilisiert" tun. Per Unterlassung, Knopfdruck oder Dekret. Arno Gruen kritisierte das abstrakte Denken, weil es unsere Fähigkeit zur Empathie unter sich begräbt. Und was ist aus dem Gespräch zwischen Mann und Frau geworden, in dem er die Grundlage für alles sah? Das jüngste öffentliche Gesprächsangebot war "Me Too". In Deutschland ist dieses Angebot bislang kläglich gescheitert. Einerseits ist die Frauenbewegung eine der erfolgreichsten Menschenrechtsbewegungen. Andererseits ist da der neue Siegeszug eines faschistischen Denkens, die militärische Aufrüstung, die Wiederkehr des autoritären Mannes an die Macht. Manche klagen, ein zu dominanter Feminismus habe die Männer in die Krise getrieben. Gleichzeitig können Ministerien es sich heute noch leisten, auf Frauen in der eigenen Führungsetage zu verzichten. Männer führen das Gespräch an der Macht weiterhin gerne unter sich. Wer nicht auf Frauen verzichten kann, ist hingegen das deutsche Verteidigungsministerium: In einer bis dato ungekannten Kampagne rekrutiert es unter Ursula von der Leyen Nachwuchs in Schulen und gewinnt eine noch nie dagewesene Zahl an Minderjährigen - insbesondere Frauen. Nun haben also die Frauenbewegung, der Körperkult, der Muskeln stählt, und die Filmindustrie Frauen tatsächlich neue Rollenangebote eröffnet. Absurd, dass sie im Militär eher realisiert werden als in deutschen Vorständen. Ist es zu gewagt, wenn ich sage: Frauen gebären jetzt in aller Öffentlichkeit den Mann in sich zu Ende? Doch wo sind die Räume, in denen der Mann die Frau in sich gebiert? Weil "Me Too" in Deutschland nicht in Gang kommt, herrscht - abgesehen von Dieter Wedel - das große Schweigen. Am Männerbild ändert sich wenig. Die weiblichen Anteile des Mannes werden noch immer zu wenig geliebt. Auch von Frauen. "Me Too" war eine Gelegenheit, die Verletzbarkeit durch Machtmissbrauch an die Öffentlichkeit zu bringen. Es war ein Moment, um Geschichten zu erzählen. Geschichten sind der Königsweg zur Empathie. Bei "Me Too" ging es nie darum, die Frau zum Opfer zu machen oder Männer zu Freiwild. Es ging darum zu zeigen, wie aus Verletzungen eine Stärke erwachsen kann, die Veränderungen bringt. Daraus hätte sich ein Gespräch ergeben können. Über Männer, Frauen, Rollenbilder und Macht. Doch mit der Verletzbarkeit der Frau konnte die Öffentlichkeit hierzulande nicht umgehen. Im englischsprachigen Raum gibt es eine Tradition des "I confess ...". Ich gestehe und sage "ich" dabei. Dieses "Ich" ist kein Argument, es ist der Beginn einer Geschichte. (SZ)
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