Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Die SPD will unbedingt nach links
Die SPD hat gerade mit Marcel Fratzscher und Jens Südekum gleich zwei nahestehende Ökonomen auf absehbare Zeit für eine Position im Sachverständigenrat verbraucht, nur um die von der Union befürwortete Berufung Lars Felds für eine dritte Amtszeit zu blockieren. Einen renommierten Mann wie Feld verhindert zu haben, kann sich die SPD auf ihre Fahnen schreiben. Aber was nützt ihr das, wo sie doch keine sachlichen Argumente vorzubringen wusste? Der Satz der SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe, Feld verkörpere „ideologischen Neoliberalismus“, zeigt das Niveau, auf dem sich die Expertise der SPD befindet. Da hilft es auch nichts, wenn ihr Kanzlerkandidat fleißig den Austausch mit Ökonomen unterschiedlicher Couleur pflegt. Man darf wetten: Die Grünen wären in einer Koalition mit der Union nicht so töricht gewesen, mit einer Ablehnung Felds kurz vor Landtagswahlen der CDU (und der FDP) gratis Wahlkampfmunition zu liefern. Starke Kräfte in der SPD und ihr nahestehende Ökonomen wollen dagegen vor allem nach links – koste es an Kompetenz wie an Wählerstimmen, was es wolle. (Gerald Braunberger, FAZ)
Ja, der Spruch vom Neoliberalen ist beknackt. Der Begriff "neoliberal" ist mittlerweile mindestens so sinnentleert wie "Sozialismus". Man merkt einfach, dass der Wahlkampf angefangen hat. Laschet übrigens nennt Scholz einen „Apparatschik der SPD“. Falls jemand die Illusion hätte (auch wenn Braunberger sich daran in seiner Polemik natürlich nicht stört), dass das bei der CDU anders wäre. Überhaupt: Will die CDU unbedingt nach rechts? Was für eine bescheuerte Kategorisierung. Die SPD wäre doch hirntot, würde sie nicht versuchen, ihre eigenen Leute in den Sachverständigenrat zu kriegen. Das ist ein politisches Gremium, also gehorcht es auch politischen Reglen. Duh. Davon abgesehen ist es sogar sinnvoll, wenn der Rat den Stand der Diskussion abbildet und verschiedene Meinungen in sich birgt. Aber darum geht es eh nicht.
Ich finde das ganze Hickhack wahnsinnig ermüdend. Wahlkampf in Deutschland ist so ein sinnentleertes, hohles Geschäft. Pünktlich zu Beginn der Wahlkampfsaison fängt die SPD an, auf "Neoliberale" zu schimpfen und von gesellschaftlicher Solidarität zu reden. Gleichzeitig fängt die CDU an, der SPD (und natürlich den Grünen, aber der künstliche Eigenheim-Skandal ist ja zugunsten des künstlichen Sachverständigenratskandals bereits wieder aus den Schlagzeilen) Planwirtschaft und irgendwas mit Kommunismus/Sozialismus vorzuwerfen.
Nimmt irgendjemand das ernst? Die Parteien nudeln eine Platte der "Greatest Hits 1976-1987" ab. Dass da nicht "Freiheit statt Sozialismus" plakatiert wird, ist auch alles. Diese ganzen abgedroschenen, zigmal gehörten, rituellen Schlagabtausche scheinen nicht mal den Protagonisten selbst irgendwelche Gefühle zu entlocken. Man macht das, weil Wahlkampf ist, nicht, weil man es ernst meint. Und genau das ist das Problem. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der einzige bin, der so fühlt.
2) Britische Corona-Warn-App soll bis zu 900.000 Infektionen verhindert haben
Gemeinsam mit der Oxford-Universität haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alan-Turing-Instituts untersucht, welchen Einfluss die britische Corona-Warn-App auf die Verbreitung von Covid-19 hat. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass durch die App von Oktober bis Dezember 2020 zwischen 200.000 und 900.000 Infektionen verhindert worden sein dürften. Die große Spanne der verhinderten Infektionen ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass zwei gegensätzliche Berechnungsmodelle verwendet wurden. Generell scheint in Großbritannien die Akzeptanz der App nach einigen Startschwierigkeiten hoch zu sein. Mit 22 Millionen Downloads hat sich rund jeder dritte Brite die App heruntergeladen. Je nach Region nutzen zwischen 24,8 und 33,2 Prozent der Menschen die App regelmäßig. Weiterhin fanden die Forschungsteams heraus, dass sich etwa 72 Prozent der infizierten App-Nutzenden bereit erklärt hatten, ihr Testergebnis über die App zu teilen. (Claudia Wischolleck, t3n)
Ich frage mich, ob das vor allem ein Beispiel für britischen Optimismus ist. Seit dem Totaldebakel im Frühjahr läuft es ja bei denen halbwegs, und man hört - ganz anders als in Deutschland - eigentlich immer nur gute Nachrichten. Die haben halt auch Politiker*innen, die sich auf Kommunikation verstehen. Völlig egal, wie es tatsächlich läuft, wird Boris Johnson behaupten, den besten Job seit Jesus zu machen.
Auf der anderen Seite ist vermutlich die deutsche Obsession mit dem "Datenschutz" mit daran Schuld, dass die deutsche Corona-App einerseits wenig benutzerfreundlich ist und andererseits wenig nachgefragt wird. Keine Ahnung. Vielleicht ist die deutsche App auch ähnlich erfolgreich (wenn wir die obigen Angaben mal für bare Münze nehmen), und wir meckern einfach nur wie immer rum.
2) 1914 vs 2021
Nobody says war will break out in Europe in 2021. 1914 is certainly not 2021. But worldwide, tectonic plates are moving again. Armed conflict surrounds us – see Ukraine, Syria, Libya, and Nagorno-Karabakh. And just as in 1914 the imminent collapse of the multinational Habsburg Empire was the subject of much speculation in Zombory-Moldován's time, some now allude to the disintegration of the European Union. We've had several crises in the last decade. Every crisis, we keep hearing, is 'existential' for the EU. Could one such crisis really prove fatal to the EU? Could it fall apart, like the Habsburg Empire? And, before we jump to conclusions: how did that exactly happen, back in 1918? [...] What strikes me most is how our debates about Europe are often framed by unrealistic expectations. To federalists the EU always disappoints, because it doesn't have the power to act. Nationalists find the EU too powerful, and are constantly disappointed, too. Europeans are so busy discussing these conflicting abstractions that they often forget to look at the reality. How does the EU function? Could it it be that the EU as it is - a halfway house both underperforming and powerful - is actually all we're going to get? Contrary to the EU, the Habsburg Empire was a state with an army and a foreign policy. But there are many similarities. (Caroline de Gruyter, EUObserver)
Ich bin unsicher, wie weit ich diese Analogie treiben will. Denn die kuk-Monarchie hat ja diverse Ethnien ziemlich heftig unterdrückt und wie Bürger*innen zweiter Klasse behandelt (eigentlich alle außer die Magyaren), weswegen wir da kein wirkliches Beispiel haben, wo sie wie in der EU ihre Interessen überhaupt richtig artikulieren und vertreten können. Das "Durchwursteln" kennt die EU sicherlich auch. Aber anders als 1914 streben die Mitgliedsstaaten nicht nach Unabhängigkeit. Und auch Österreich-Ungarn brach erst, als es einen Weltkrieg verlor. Das ist mir zu pessimistisch.
3) Was sind für Sie Pseudolinke? (Interview mit Robert Pfaller)
Das »zarte Sprechen«, wie Sie das nennen, das korrekte Sprechen, habe eine auf soziale Gerechtigkeit zielende Politik ersetzt. Warum?
Seit den 1980er-Jahren hat die sozialdemokratische Linke in den kapitalistischen Ländern keine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik mehr betrieben – also jene an den Prinzipien von John Maynard Keynes orientierte Politik, die in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten für zunehmenden Wohlstand und zunehmende Gleichheit gesorgt hatte. Unter dem Schock von Reagan und Thatcher und ihrer neoliberalen Einflüsterer haben auch die Sozialdemokraten nur noch neoliberale Austeritätspolitik betrieben und volkswirtschaftlich relevante Sektoren wie Gesundheit, Infrastruktur, Altersvorsorge oder Bildung zunehmend betriebswirtschaftlichen Normen unterworfen. Um sich aber wenigstens irgendwie von ihren Gegnern noch zu unterscheiden, haben sie die politischen Probleme kulturalisiert. Ab da war Politik vorwiegend nur noch Symbolpolitik.
Beispiele?
Statt Kinderbetreuungseinrichtungen bekamen wir das Binnen-I, statt Chancengleichheit bot man uns »diversity«, und anstelle von progressiver Unternehmensbesteuerung erhielten wir erweiterte Antidiskriminierungsrichtlinien. Das entspricht dem Grundprinzip neoliberaler Propaganda: Alle Ungleichheit beruht demnach lediglich auf Diskriminierung. Sie ist nur ein Vorurteil, das sich durch liberale Gesinnung überwinden lässt; und nicht etwa ein Effekt starrer oder sich gar noch verhärtender Eigentumsverhältnisse.
Sie lehnen »Gendersprache« ab. Ein Binnen-I hier, ein Sternchen da schaden doch nicht?
Finden Sie? Haben Sie das schon einmal ausprobiert bei einer Formulierung wie »der Obmann und sein Stellvertreter«? Diese Spracheingriffe sind doch durchwegs völlig dilettantisch und lassen sich in den meisten Fällen weder schreiben noch sprechen. Die Einzigen, die an solchen unbeholfenen Sprachverbesserungen wirklich Interesse haben, sind Vertreterinnen und Vertreter in diversen Gremien, die im Namen von anderen sprechen, aber in Wirklichkeit nur ihre eigenen Pfründe behaupten. Für ein Binnen-I oder ein Sternchen hat sich noch nie irgendjemand etwas kaufen können – außer eben diesen Gremialbonzen. Und -*bonzinnen, korrekterweise. (taz)
"Obleute und Stellvertretende". Schon irre schwierig, Mr. Pfaller. Falls jemand überhaupt noch weiß, was Obleute sind. Aber ich meine, darum geht es ja nicht. Das ist Identitätspolitik, und der Mann reklamiert für sich halt eine andere. Darf er ja machen. Aber dieses Kleiden in ein "ich bin echter Linker und alle anderen haben nur so sekundäre Anliegen" ist ebenso arrogant wie sinnlos. Offensichtlich gibt es genug Leute, die das wollen. Die alle als gehirngewaschene Schafe abzuqaualifizieren, die vom großen Kapital gekauft oder getäuscht wurden - während man selbst natürlich erleuchtet und voller Ratio verstanden hat, wie die Welt funktioniert - ist individuell sicher ungemein befriedigend. Ich hab viele Jahre aus der Perspektive gebloggt, ich kann das nachvollziehen. Aber letztlich ist es nur ein weiteres Beispiel für die typisch linke Eigenschaft, sich ständig gegenseitig zu zerfetzen, statt die Synthese zu suchen. Schließen sich Pfallers Forderungen und das Binnen-I aus? Natürlich nicht. Aber er steht halt auch nicht über den Anforderungen der Aufmerksamkeitsökonomie. Ich gähne wieder herzlich.
4) Bitcoin braucht mehr Strom als ganz Argentinien
Die Digitalwährung Bitcoin verbraucht jährlich mehr Strom als das ganze Land Argentinien, geht aus einer Analyse von Wissenschaftern der Universität Cambridge hervor. Demnach verbraucht die Kryptowährung rund 121,36 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Ganz Argentinien mit seinen rund 45 Millionen Einwohnern hingegen verbrauche nur 121 TWh. Das "Bitcoin-Mining", das Schürfen, sei ein großer Stromfresser. Durch den jüngsten starken Kursanstieg der Kryptowährung würden immer mehr Menschen dazu motiviert, weitere Bitcoins zu schürfen. Die hochkomplexen Rechenprozesse auf immer mehr Rechnern verschlingen dadurch immer größere Strommengen, monieren die Wissenschafter. Der hohe Stromverbrauch bei Bitcoins sei systemimmanent und werde erst zurückgehen, wenn der Kurs wieder falle, so die Wissenschafter in einem BBC-Bericht. Laut den Berechnungen des Cambridge Centre for Alternative Finance ist das Bitcoin-System, wenn es ein Staat wäre, unter den 30 größten stromverbrauchenden Ländern. [...] Tesla habe im Jahr 2020 Umweltförderungen in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar (1,24 Milliarden Euro) bekommen, die die Steuerzahler für den US-Konzern finanzierten. "Und sie geben 1,5 Milliarden Dollar für Bitcoin aus, die zum Großteil mit Strom aus Kohlekraftwerken erzeugt werden. Diese Förderungen müssen überprüft werden", fordert Gerard. (Kurier.at)
Bitcoin ist eine völlige Perversität. Nicht nur, dass das ganze Konzept der Währung selbst völlig beknackt ist, der Weltherrschaftstraum von eine paar Silicon-Valley-Schnöseln. Das ganze Konzept richtet auch noch massiven Schaden an. Wenig verwunderlich, dass man Elon Musk mitten in diesem Strudel an zerstörerischem Bullshit findet. Da passt er gut rein.
5) Why Americans are essentially conservative
Dispositional hostility to change may also help to explain in a new way how "woke" developments on the left side of the culture war could be fueling political reaction on the right. I'm thinking of everything from the rise of (for many) disorienting ideas about gender to the adoption of radical theories of antiracism by departments of human resources, with some prominent figures being fired for running afoul of new norms. Once again, the issue would be less one of substantive, ideological disagreement than a psychological response to feeling overwhelmed and anxious about rapidly shifting social expectations. Change as such can be scary. If this is true for many Americans — or even partially so — what lessons should be drawn from the realization? For one thing, it might make sense for Silicon Valley and its many imitators throughout the economy and culture to pull back a bit from their embrace of moving fast and breaking things. "Creative destruction" might be an unavoidable byproduct of capitalism. But we needn't venerate socioeconomic and cultural disruption as a positive good. On the contrary, it might make sense to recognize that it can provoke and unleash a reaction that threatens to do considerable harm. The same goes for woke activists eager to find new fronts on which to prosecute the culture war. [...] Recognizing America's essential conservatism doesn't at all imply the impossibility of reform and improvement. It just means that reform and improvement need to be undertaken with caution — and with an eye toward minimizing psychological turbulence. (Damon Linker, The Week)
Ich bin der Überzeugung, dass das kein spezifisch amerikanisches Phänomen ist. Auch die Deutschen sind im Kern konservativ (ich spreche gern von "strukturkonservativ"). Ich wüsst so spontan gar kein Volk, das nicht strukturkonservativ wäre. Es ist ja kein Zufall, dass der Standard einer Regierung eine konservative Regierung ist - ob Tories oder CDU, ob in Frankreich oder Italien. In manchen Ländern ist das mehr als in anderen, aber das liegt häufig auch an der Fähigkeit der dortigen konservativen Parteien, die angesprochenen Instinkte zu bedienen.
Ich meine, nehmen wir nur mal Deutschland. Es hat schon seinen Grund, warum Merkel so beliebt ist wie sie ist, und warum sie so lange regiert. Änderung in allenfalls homöopathischen Dosen? Check. Weiter so? Check. "Minimieren psychologischer Turbulenzen"? Check. Deswegen konkurrieren gerade mit Laschet, Scholz und Habeck auch drei Merkel-Kopien um die Macht in Deutschland, deswegen traut sich keiner, irgendwie Opposition zu machen. Es ist das, was die Bevölkerung will. Die Wahlergebnisse zeigen es ebenso deutlich wie die Reaktionen auf jede und jeden, der auch nur ein bisschen das Boot rüttelt.
6) Why Do People Hate Teachers Unions? Because They Hate Teachers.
It’s odd. Even if you’re the most toolish striver—i.e., many of the people I grew up with—teachers are your ticket to the Ivy League. And if you’re an intellectually ambitious academic type like me, they’re even more critical. Like I said, people move to Chappaqua for the schools, and if the graduation and post-graduate statistics are any indication—in my graduating class of 270, I’d guess about 50 of us went onto an Ivy League school—they’re getting their money’s worth. Yet many people I grew up with treated teachers as bumptious figures of ridicule—and not in your anarchist-critique-of-all-social-institutions kind of way. It’s clear where the kids got it from: the parents. Every year there’d be a fight in the town over the school budget, and every year a vocal contingent would scream that the town was wasting money (and raising needless taxes) on its schools. Especially on the teachers (I never heard anyone criticize the sports teams). People hate paying taxes for any number of reasons—though financial hardship, in this case, was hardly one of them—but there was a special pique reserved for what the taxes were mostly going to: the teachers. In my childhood world, grown ups basically saw teachers as failures and fuck-ups. “Those who can’t do, teach” goes the old saw. But where that traditionally bespoke a suspicion of fancy ideas that didn’t produce anything concrete, in my fancy suburb, it meant something else. Teachers had opted out of the capitalist game; they weren’t in this world for money. There could be only one reason for that: they were losers. They were dimwitted, unambitious, complacent, unimaginative, and risk-averse. They were middle class. (Corey Robin)
Die im Artikel beschriebenen Ressentiments sind zum Teil sicherlich spezifisch amerikanisch. Aber zu einem guten Teil finden wir sie auch hier. Der allgemeine Beamtenhass, den Stefan Pietsch gerne zur Schau stellt, ist ja dafür nur ein Beispiel und wird von der breiten Bevölkerung gerne geteilt. "Vormittags Recht und nachmittags frei" ist ja immer noch ein Klischee, das sich ungebrochener Beliebtheit erfreut. Dazu kommt der gewaltige Neidkomplex breiter Bevölkerungsschichten um den Lehrkraftberuf, die sich durchaus fragen lassen dürfen, warum sie ihn nicht selbst ergriffen haben, wenn er denn so grandios ist und quasi unverdienten Reichtum bei einer 30-Stunden-Woche mit 14 Wochen Urlaub im Jahr einbringt.
7) Seven ‘Surprising’ Facts about Italy
If the economy is not excessively indebted, why is the state so ailing? As disastrous as the performance of Italian domestic politicians from Silvio Berlusconi to Matteo Salvini has been, high public debt is primarily a legacy from the 1980s. Furthermore, the mistakes that were made 40 years ago took place in an international environment of increasing interest rates. Since then, the Italian state has been carrying a heavy interest-rate backpack. If we exclude the burden of interest rates, however, the Italian state has been consistently running budget surpluses since 1992 (with the exceptions of the financial crisis year 2009 and the COVID crisis year 2020). Even Germany, Austria and the Netherlands have recorded a comparable positive ‘primary’ budget surplus less frequently than Italy. The Italian state has not been as ‘profligate’ as is often claimed: it has consistently collected more in taxes than it has spent. But the interest burden—high due to legacy debt—has repeatedly pushed the overall budget balance of the Italian state into negative territory. [...] Italy overtook the United Kingdom in 1969 and France in 1979 in per capita purchasing power. In 2000, Italy’s average standard of living was virtually equal to that of Germany (98.6 per cent of its GDP per head). But after the introduction of the euro in 1999, the country fell behind the UK (in 2002) and France (in 2005) once more. By 2020, Italian per capita income was about 25 per cent below that of Germany. [...] It may sound surprising to northern-European ears but, despite weak productivity growth and problems with price competitiveness within the euro area, Italy has important economic strengths. The 60 million Italians do not live primarily from tourism. Italy is still the second most important industrial location in the EU (which would be true even if the United Kingdom were still part of the EU), mainly due to the economic structure in the north of the country. (Philipp Heimberger/Nikolaus Kowall, Brave New Europe)
Es ist immer wieder erstaunlich, bei wie vielen Themen Klischees und eingefahrene Narrative völlig losgekoppelt von der Realität sind. Der ganze Artikel ist super lesenswert. Wenn man bedenkt, dass Deutschland über den Hebel der EU eine Außenpolitik betreibt, die häufig genug nur auf falschen Klischees beruht, wird einem mulmig.
For instance, on the February 15, edition of Tucker Carlson Tonight, host Tucker Carlson stated that “It seems pretty clear that a reckless reliance on windmills is the cause of this disaster.” On the February 16, edition of Fox & Friends, guest host Pete Hegseth began a segment on the Texas snowstorm by highlighting that the state’s “wind turbines are frozen solid” and then asking, “Is this what America would look like under the Green New Deal?” Numerous Fox segments ran chyrons claiming, “Frozen wind turbines cause blackouts in Texas.” [...] Overall, personalities and guests made such claims 104 times on Fox News and 24 times on Fox Business. The vast majority of those claims -- 75% -- came from journalists and pundits affiliated with either network. [...] The effort by Fox networks to push false claims about frozen wind turbines and green energy policies is just the latest example in a long-running, fossil-fuel industry supported campaign to discredit emerging renewable energy technology and deny overwhelming climate science pointing to the warming of the planet. It’s also just another attempt by Fox News to blame Democrats for any and every problem in America. Their argument that “the left” -- which has had no state-wide control in Texas in over a decade -- and that the Green New Deal -- which isn’t official policy anywhere, let alone Texas -- is to blame for Texas’ power problems is simply laughable. (Rob Savillo, MediaMatters)
Das Ausmaß an offenen Lügen, das dieser Propaganda-Sender in die Welt haut, ist echt beachtlich. Bedenkt man, dass ein gutes Drittel der Amerikaner*innen ihre Informationen nur noch aus dieser abgeschotteten Propagandablase bekommt, versteht man umso besser, wie Trump und seine Nachfolger*innen (und Vorgänger*innen) möglich geworden sind. Kevin Drum hat völlig Recht: FOX News ist der entscheidende Faktor bei der Radikalisierung und Polarisierung der USA. Und ich gehe davon aus, der einzige Grund, warum das bei uns bei weitem nicht so schlimm ist, ist, dass wir keine solchen abgekapselten Medienblasen haben. Noch nicht.
9) Tweet
Ich hoffe Herr #Hüther kann beziffern, wie viele Tote hinzunehmen sind und wieviel wirtschaftlichen Schaden ein Toter aufwiegt.
Außerdem würde ich gerne wissen, wer das entscheiden soll. #NoCovid pic.twitter.com/drgDYwD2U5— Jeff Bergheim (@BergheimJeff) February 16, 2021
Michael Hüther argumentiert hier extrem unehrlich: Er sagt nicht, wie viele Tote er hinnehmen will. Nach welchen Maßstäben das funktionieren soll. Wer das entscheiden soll. Deswegen ist ist die Aussage auf die Art unglaublich billig. Es klingt super pragmatisch und rational, aber gleichzeitig ist es eine Flucht aus der Verantwortung. Es erinnert mich an ähnliche Aussagen Hüthers und seiner Spießgesellen, als sie immer gefordert haben, dass "wir den Gürtel enger schnallen" müssen. Das "wir" ist da genauso unklar definiert, und man darf vermuten, dass beim Gürtel enger schnallen wie beim Tote hinnehmen Hüther selbst nicht betroffen sein wird. Aus einer privilegierten Stellung sind solche Forderungen halt auch immer leicht erhoben.
10) America's maddeningly inept vaccine rollout
You'd think that the remarkable speed with which a series of pharmaceutical companies developed highly effective vaccines — an incredible human achievement — would be a much-needed source of hope. And indeed, it was exactly that for me from November through January. We had the proverbial light at the end of the tunnel! All that needed to happen was for these drug companies to mass produce enough vaccine for everyone — and for our government to get it distributed and put in people's arms. Surely this would be made the highest possible priority, with nothing less than our economies, our psyches, and our children's educations and social well-being hanging in the balance. Right? Apparently not. The astonishing fact is that we don't appear to be in much of a hurry. The vaccines have been available since late last year. The country has currently administered first doses to 13 percent of the population. At the current vaccination rate — a rate that, incidentally, dropped last week to 1.4 million doses from 1.7 million the week before — the country will only be half vaccinated on August 1 and won't reach the 90 percent threshold until Jan. 22, 2022, nearly another year from now. (And that assumes, of course, that nine out of 10 Americans could be persuaded to get the shot, rather than the mere 49 percent who say they are willing to do so.) I suspect that the dawning realization of just how slowly the roll-out is going is what motivated Anthony Fauci to suggest on Sunday that Americans may still need to wear masks outside their homes into 2022. How can this be? Why does it feel like our public institutions are treating this like a mildly important initiative instead of a matter of decisive — nay, critical — importance to the country and its citizens? Or might the problem be something even more troubling — namely, that our public institutions are treating this with grave seriousness and yet are incapable of doing any better? (Damon Linker, The Week)
Ich habe dazu zwei Gedanken. Zum Einen ist der Artikel ein wunderbares Beispiel dafür, dass das Gras halt auf der anderen Seite immer am grünsten ist. Man sieht die Fehler der eigenen Regierung, des eigenen Landes, in grellem Licht, und bei den anderen scheint es dafür super zu laufen im Vergleich. Oder auch: Dass jemand mit dem Job der Regierung zufrieden ist, ist in allen westlichen Demokratien die absolute Ausnahme. Grummelige Unzufriedenheit ist quasi der Naturzustand.
Auf der anderen Seite lässt das die skeptische Frage zu, ob die Situation in Deutschland wirklich so schlimm ist. In den letzten Wochen haben immer wieder einige Leute auf Twitter die konträre Perspektive eingeworfen, dass ein Impfstart nach nicht einmal einem Jahr ein nie dagewesener, gewaltiger Erfolg ist. Haben wir einfach zu hohe Ansprüche? Bin ich zu ungnädig mit unserer Regierung? Ich glaube nicht, aber vielleicht lieg ich auch falsch. Zumindest sollte man die Möglichkeit offenhalten. Ein Untersuchungsausschuss zu dem Thema bleibt eine gute Idee.
11) Tweet
Ich hasse Amtsschreiben so sehr. Diese Formatierung, die Tonalität, dieses immer Bedrohliche, selbst wenn es gute Nachrichten sind (als ob), das alles macht mir sofort körperliche Schmerzen und nimmt jede Motivation, mich damit auseinanderzusetzen. (1/4)
— Johnny Haeusler (@spreeblick) February 24, 2021
Häuslers Kritik am Umgangston der Bürokratie mit der Bevölkerung ist völlig zutreffend. Ich glaube, hier halten sich immer noch Reste des obrigkeitsstaatlichen Denkens einerseits und der Abkapselung der Bürokratie andererseits, die ihre eigenen Bedürfnisse - Rechtssicherheit - über die ihrer eigentlichen Mission stellt. Ich teile aber auch Häuslers Einschätzung am Ende, dass sich im persönlichen Umgang auf den Ämtern enorm viel getan hat. Es ist die schriftliche Kommunikation, die diesen Wandel verpasst hat. Das würde es theoretisch auch vereinfachen, hier reformerisch anzusetzen, wenn man denn wöllte. By the way, es ist nicht so als ob die Briefe meines Telekommunikationsanbieters oder meiner privaten Krankenversicherung einfacher und verständlicher wären, denen fehlt nur der drohende Unterton. Schriftliche Kommunikation auf legalesisch ist ein Problem aller Institutionen, ob privat oder staatlich.
Dazu übrigens noch eine nette Anekdote: Hitler hatte in den 1920er Jahren ständig Ärger mit den Steuerbehörden (er war quasi gewohnheitsmäßiger Steuerhinterzieher) und gab bereits 1933 eine Anordnung heraus, die die Finanzämter zu Höflichkeit im Umgang mit den Bürger*innen verdonnerte, weil er über den Tonfall der Schreiben immer so genervt war. Diese Reform gehörte mit zu den ersten, die nach dem Krieg abgeschafft wurden. Manchmal ist die Realität echt krasser als das Klischee.