Mittwoch, 10. Februar 2021

Drinnen und draußen im demokratischen Prozess

 

Im letzten Vermischten habe ich einen etwas unausgegorenen Kommentar zu der Frage hinterlassen, wie man mit Wahlverlierern umgehen soll:

Die ganze Idee hinter „Einbinden“ ist, eine gerade erzielte Entscheidung wieder zu verwässern. Es ist das politische Äquivalent eines institutionellen Veto-Punkts. Damit bedient es die Interessen derjenigen, die Veränderungen zu vermeiden suchen. Es ist daher kein Zufall, dass es zwar massenhaft Forderungen gibt, Pegida, die Werteunion, Trump-Anhänger, Brexiteers und so weiter einzubinden, aber praktisch keine, die eine Einbindung von Democrats 2016,  der LINKEn nach irgendeiner Bundestagswahl, Jeremy Corbyn oder #BlackLivesMatter fordern. Natürlich kann man in einer Demokratie Konflikte nicht total austragen. Aber das „Einbinden“ der Unterlegenen kann nicht bedeuten, dass man den eigenen Sieg zunichte macht. Ansonsten braucht man ja nicht mehr zu wählen, sondern kann das Ganze gleich sein lassen. Und erneut, mich beschleicht der durchaus begründete Verdacht, dass von Merz nicht verlangt worden wäre, die Laschet-Unterstützer*innen einzubinden. Das hat eine ganz merkwürdige Schlagseite, die viel über die Legitimitätskonzepte im öffentlichen Diskurs verrät.

Das hat für einige Verwirrung gesorgt, weswegen ich das noch etwas ausbauen will.

Ein fundamentales Kennzeichen der Demokratie ist, dass mehrere Konzepte, Meinungen und Visionen miteinander konkurrieren und legitimerweise nebeneinander bestehen können. In Diktaturen oder autokratischen Systemen dagegen fehlt diese Legitimation für abweichende Meinungen; stattdessen wird eine als richtig oder als Volkswille oder geschichtliche Wahrheit oder was auch immer interpretiert und der ganze Rest delegitimiert. In einer Demokratie ist es dagegen nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht, eine von den aktuell Herrschenden abweichende Sicht auf die Dinge zu haben und für ihre Verwirklichung zu kämpfen.

Um chaotische oder gar gewalttätige Austragungen dieser Meinungsstreitigkeiten einzuhegen, werden in regelmäßigem Turnus Wahlen veranstaltet. Die Sieger einer Wahl erhalten danach Zugang zu den Schaltstellen der Macht und können versuchen, ihren Ansichten zum Durchbruch zu verhelfen. Die Verlierer bilden die Opposition und kritisieren die Regierung. Idealerweise handelt es sich dabei um eine loyale Opposition, aber das ist nicht immer gegeben.

Was es allerdings nicht gibt ist ein freiwillig eingeräumtes Veto-Recht der Opposition gegenüber der Regierung. Das Problem taucht bei Routine-Sachfragen, die den Großteil der parlamentarischen Arbeit ausmachen, eher selten auf (Spötter mögen behaupten, das liege auch daran, dass diese ohnehin von Lobbyisten entschieden würden). Relevant wird diese Problematik eher bei Grundsatzentscheidungen. Denn hier ist ein "Einbinden" einfach nicht möglich. Wo eine binäre Wahl zwischen A und B getroffen wird, muss eine Seite zwingend verlieren.

So wurde etwa durch die gesamte bundesrepublikanische Geschichte die KPD nie eingebunden. Sie stand in Systemkonkurrenz. Eine Einbindung war überhaupt nicht möglich. Ein etwas weniger scharfes Beispiel wären die beiden großen außenpolitischen Weichenstellungen der BRD: Weder band die CDU die SPD in die Westbindung ein, noch die SPD die CDU in die Ostpolitik. Es waren Richtungsentscheidungen, die - nach einer Periode des Widerstands und des hilflosen Zorns - von der jeweiligen unterlegenen Seite akzeptiert wurden. Aber das hat nichts mit Einbinden zu tun.

Solche Grundsatzentscheidungen sind jedoch glücklicherweise selten. In vielen Fällen arbeiten die Parteien sogar Hand in Hand; die föderale Struktur zwingt sie ja oft genug dazu. Die Agenda2010 wäre hierfür ein gutes Beispiel.

Grundsätzlich aber sind solche Einbindungen vor allem dann möglich, wenn die Vorstellungen der betroffenen Parteien kompatibel sind. So hatte etwa die Große Koalition wenig Probleme damit, die FDP oder Grünen in den politischen Prozess einzubinden. Es war dagegen lange Zeit unvorstellbar, das mit der LINKEn zu tun (und, wenn man sich Programmatik und Auftreten der damaligen Partei ansieht, sicher nicht zu Unrecht).

Man darf aber Einbinden nicht als Wert für sich nehmen. Eine Einbindung hat das Ziel, eine möglichst breite Koalition zu schaffen, beziehungsweise einen möglichst tiefen buy-in. Man möchte ja, dass eine Maßnahme für so viele Menschen wie irgend möglich akzeptabel ist. Es wird aber nie möglich sein, es allen Recht zu machen.

Wird also etwa gefordert, die AfD "einzubinden" und das mit demokratischen Werten begründet, ist das letztlich nur eine Verkleisterung der Aussage, dass man viele deckungsgleiche Gebiete hat. Man versteckt sich sozusagen hinter der hehren Mission, die Wähler*innen der Partei "einzubinden" oder "Gesprächsangebote" zu machen, oder was auch immer die politisch korrekte Sprachregelung der Stunde ist, um nicht zugeben zu müssen, dass man einige Elemente der Programmatik adaptieren will.

Das ist selbstverständlich eine farbenblinde Dynamik; nur fällt es derzeit nach rechts mehr auf, seit die LINKE sich in Richtung Regierungsfähigkeit aufzustellen versucht. Die Vorstellung, man wolle etwa die MLPD und ihre Wähler*innen einbinden, ist dagegen geradezu lachhaft. Gleiches gilt auch für die problematischeren Elemente in der LINKEn. Ich will gar nicht, dass eine hypothetische R2G-Regierung etwa diejenigen Leute einbindet, die auf dem Parteitag berühmt-berüchtigt die Erschießung von Unternehmer*innen forderten (und von Bernd Riexinger mit einem ebenso lahmen wie erschreckend lakonischen Scherz relativiert statt der gebotenen Schärfe zurückgewiesen zu werden).

Ich hoffe, das macht etwas klarer, worum es mir geht.

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