Freitag, 12. Februar 2021

Die Schuldenbremse unterliegt häuslicher Gewalt durch chinesische Rechtsextremisten aus der EZB - Vermischtes 12.02.2021

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Flucht aus der Verantwortung

Doch was wie ein Schuldeingeständnis klingt, ist gar keins, wie der Rest des Interviews zeigt. Die eigentliche Schuld liegt, so muss man Spahn verstehen, nämlich bei allen. Und damit bei keinem. [...] Wenn alle Schuld haben, wer trägt dann eigentlich noch politische Verantwortung? [...] Es ist wahr, dass die Verbreitung des Virus nicht allein von politischen Entscheidungen abhängt. Aber ob die Schulpflicht ausgesetzt, ob Kitas geschlossen, ob Betreuungstage für Eltern bezahlt, ob Grenzen dichtgemacht, ob die Maskenproduktion forciert, ob Kontaktsperren verhängt werden und ob das Homeoffice verpflichtend ist, entscheidet die Politik, nicht die Masse. [...] Es stimmt, dass viel die Rede davon war, einen zweiten Lockdown dürfe es nicht geben. Es stimmt nicht, dass alle das trügerische Gefühl hatten, das Virus gut im Griff zu haben. Es stimmt nicht, dass niemand die Wucht des Virus wahrhaben wollteEtwa ein Drittel der Bevölkerung fand Umfragen zufolge schon im September, die Regierung tue zu wenig. Experten warnten im Sommer, man müsse sich auf den Herbst vorbereiten. Sie warnten im Herbst, man müsse schneller handeln. Politiker mahnten im Oktober, man müsse entschiedener handeln. Nicht zuletzt Angela Merkel (CDU), die Kanzlerin. Der Bundesgesundheitsminister behauptet eine kollektive Fehleinschätzung, mit der er die eigene Fehleinschätzung überblendet. Spahn beschreibt zwar Versagen (zu spätes Handeln im Oktober), er beschreibt politische Schuld, aber er übernimmt keine Verantwortung. Im Gegenteil, er schiebt die Verantwortung einer diffusen Menge zu, der Gesellschaft, uns allen. (Jonas Schaible, SpiegelOnline)

Ich teile diese Einschätzung völlig. Wie die überwiegende Mehrheit der Politiker*innen sich aus der Verantwortung zieht ist ungeheuerlich. Am allerschlimmsten fand ich ja den Kretschmer, der war diesbezüglich der Frechste, aber Spahn ist wenig besser. Der einzige, bei dem ich mich spontan an ein Schuldeingeständnis erinnern könnte ist Ramelow, und da war es auch mehr als angebracht, nachdem der sich aus irgendwelchen Gründen im Sommer an die Speerspitze der Corona-Relativierer gesetzt hatte.

Ich gebe die Schuld aber auch all den Leuten, die diese Relativierung außerhalb der Politik betreiben, ob in den Medien, der Wirtschaft oder auch einfach nur in der Öffentlichkeit. Das ist ein Minderheit, aber sie macht wahnsinnig viel Krach. Und dieser Krach treibt die Politik, die zu wenig Rückgrat hat, um auch nur ein Jota Konsistenz zu beweisen. Was da raus kommt ist das Schlechteste aus beiden Welten.

2) Wirt ohne Rechnung

Denn es ist ja so: Die Löcher im Haushalt gehen nicht einfach weg, wenn dem Staat das Schuldenmachen verboten wird. Sie müssen dann entweder durch Steuererhöhungen oder durch Ausgabenkürzungen geschlossen werden. In der jetzigen Situation wären höhere Steuern aber eine zusätzliche Last für die ohnehin angeschlagene Wirtschaft. Das gilt auch für eine Abgabe auf Vermögen, die viele mittelständische Betriebe treffen würde. Und es ist vielleicht auch keine so gute Idee, nach den Zumutungen der vergangenen Monate ausgerechnet jetzt die staatlichen Leistungen zusammenzustreichen – zumal angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel und die Digitalisierung künftig eher mehr als weniger staatliches Engagement nötig sein wird. Sonst wird man in der nächsten Pandemie die Kontaktverfolgung wieder mit Faxgeräten organisieren müssen. [...] Nun ist die Lage heute ein wenig prekärer als damals, unter anderem weil niemand genau weiß, wie schnell sich die Wirtschaft erholt und wie lange die Zinsen so niedrig bleiben. Man kann auch darüber diskutieren, ob die Schuldenbremse gleich für ein paar Jahre ausgesetzt werden muss, wie es Braun vorschlägt, oder ob es nicht reicht, sie flexibler auszugestalten beziehungsweise zu interpretieren. Aber bevor jetzt eine Debatte beginnt, ob Reichensteuern oder Sozialkürzungen bei der Lösung des Schuldenproblems helfen, sollte man doch einmal klären, ob es überhaupt ein Problem gibt. (Mark Schieritz, ZEIT)

Die Schuldenbremse war schon immer eine dumme Idee, dazu gemacht, um die Ideen der eigenen Seite vor demokratischen Entscheidungen zu immunisieren. Fiskalpolitik gehört in den Bundestag, nicht ins Grundgesetz. Es ist allgemein ein ziemlich schwieriger Trend, immer mehr und mehr Fragen der Politik zu entheben und durch das BVerfG oder eine Grundgesetzänderung lösen zu lassen. Ich bin ja echt froh, dass die Ehe für Alle durch Parlamentsbeschluss kam und nicht durch, wie weithin vermutet, ein BVerfG-Urteil.

3) Meine Lippe platzte auf, ich blieb

Das Perfide an häuslicher Gewalt ist, dass es nie mit einem Schlag beginnt. Es beginnt mit einer spitzen Bemerkung, mit einer unangebrachten Kritik, dem Vergessen einer Verabredung, mit einer Lüge oder mit Betrug, der Kontrolle des Handys. In allen Fällen beginnt es mit einer Lovestory. Meine Lovestory begann vor zweieinhalb Jahren und bereits acht Monate später waren alle obigen Dinge passiert. Ich wusste nicht, dass man das psychische Gewalt nennt. Genauso wenig, wie ich wusste, dass das immer die Vorstufe von körperlicher Gewalt ist. Es kommt nie aus dem Nichts.  In Frankreich gilt psychische Gewalt aus genau diesem Grund seit 2010 als Strafdelikt – als Präventivmaßnahme. Insbesondere um die Zahl von Femiziden zu verringern. [...] Das Opfersein traf mich wie ein Schlag. Während sich die Täter dafür entscheiden, ob sie zuschlagen oder nicht, befindet man sich als Opfer plötzlich in einer Situation, in der man handeln muss. Und das ist, neben der tatsächlichen Gewalt, das Schlimmste daran. Ich wurde in eine Position gedrängt, in der ich mich selbst als hysterisch empfand, weil ich Hilfe in Anspruch nehmen musste. Ich hatte also das Bild der schreienden, unzurechnungsfähigen Emanze selbst für mich übernommen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Familienministeriums laufen gerade Frauen mit einem höheren Bildungsstand Gefahr, Gewalt durch ihren Partner zu erfahren. Frauen also, die allgemein als unabhängig, selbstständig und informiert gelten, Frauen also, die nicht dem stereotypen Bild eines hilflosen Opfers entsprechen und dadurch eventuell unglaubwürdiger wirken. Sie könnten doch einfach gehen, wenn sie so selbstständig sind. Und wenn sie bleiben, ist es vielleicht ja gar nicht so schlimm? So jedenfalls dachte ich selbst. (Lea S., ZEIT)

Es ist gut, dass darauf hingewiesen wird, dass auch emanzipierte, gebildete und wohlhabende Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft werden können. Es gibt eine Reihe von Vergehen, die wegen stereotyper Vorstellungen als praktisch nicht existent gelten, obwohl sie es sind. Das ist für unbeteiligte Dritte erstmal kein Problem, aber solche Vorstellungen halten sich ja auch in den Sicherheitsbehörden und führen dort dann gegebenfalls zu Betriebsblindheit.

Ein gutes Beispiel dafür ist sexuelle Gewalt gegen Männer. Sie macht zwar nur einen verschwindend geringen Teil aus - 90% aller Opfer sexueller Gewalt sind Frauen, und bei den restlichen 10% sind auch oft genug Männer die Täter - aber gerade weil von toxischer Maskulinität bestimmte Vorstellungen immer noch dominieren, wird diesen Opfern dann gerne nicht geglaubt oder ihre Erfahrungen werden relativiert. Ähnlich ergeht es den Frauen hier im Beispiel.

4) So you’re being held accountable? That’s not ‘cancel culture’

According to the Washington Examiner’s Eddie Scarry, nothing less than a “social justice mob” descended on Politico after it gave a guest-editing slot to right-wing flamethrower Ben Shapiro. [...] But Scarry is entitled to his opinion. So are the objectors at Politico. And so is Shapiro, who tweeted this in 2010: “Israelis like to build. Arabs like to bomb crap and live in open sewage.” And who offered this view in 2019, after a Democratic presidential candidate proposed that colleges opposed to gay marriage lose their tax-exempt status: “Beto O’Rourke does not get to raise my child. And if he tries, I will meet him at the door with a gun.” Yes, in America, all these people get to talk. Because of the First Amendment, the government won’t shut them down. That doesn’t mean they’re immune to other forms of accountability, though. When Sen. Josh Hawley of Missouri joined the Republican Sedition Caucus and supported overturning the presidential election a few weeks ago, Simon & Schuster decided it didn’t want to publish his book anymore. [...] “The point of the First Amendment is to take these kinds of debates out of the hands of the government and put them in the hands of private citizens,” said Jaffer, a Columbia University law professor and director of the Knight First Amendment Institute. It’s not subverting the First Amendment, therefore, to criticize a politician or a cable news host or a right-wing provocateur. “That’s the whole point of the First Amendment,” he said. Nor is it a subversion of free-speech values for news organizations to make editing decisions or for social media platforms to make and enforce rules. [...] Do these politicians run the risk of being “canceled”? I doubt it. They’ll find a way to get their messages out, just as Hawley is doing with such success. It would help if journalists pushed back more effectively. CNN’s Pamela Brown gave a master class in her devastating interview with Madison Cawthorn, a Republican congressman from North Carolina. By the end, he had no defense left for his election denialism. But, even if that sort of pushback becomes the norm, news organizations should be wary of handing these charlatans a megaphone. You can call that cancel culture if you want. I call it responsibility. The good news is that, in America, we get to argue about it. (Margret Sullivan, Washington Post)

Mich nervt ja bekanntlich schon lange, dass "Cancel Culture" ein reiner Kampfbegriff ohne jeden Inhalt ist. Er wird vor allem dazu benutzt, um Konsequenzen zu verschleiern. Es ist wichtig, dass Meinungsäußerung auf der einen Seite zwar erlaubt ist, aber auf der anderen Seite eben nicht konsequenzfrei ist. Das ist ein schwieriger Spagat, aus dem sich der Staat auch dringend heraushalten sollte. Denn die oft beschworene, aber selten eingetretene Gefahr eines sozialen Ostrakismus' durch Hetzmobs ist ja durchaus gegeben. Ich jedenfalls würde mir durchaus wünschen, dass irgendwelche Intellektuellen, die das Anzünden von Autos, Steine werfen auf Polizist*innen oder Verüben von Brandanschlägen auf Kaufhäuser gutheißen oder relativieren "gecancelt" würden. Dasselbe sollte auch in die andere Richtung gelten.

5) Warum wir Rechtsextreme verstehen müssen

Anders als bei Fluchtursachen, den menschengemachten Ursachen des Klimawandels oder bei den Gründen für die Verbreitung des Coronavirus gibt es bei den Ursachen von rechtsextremen Einstellungen und Verhaltensweisen viele Meinungen, aber relativ wenig evidenzbasiertes Wissen. Auch, weil es an Forschung mangelt und Erkenntnisse selten Gehör finden. Schon der Begriff des (Rechts)Extremismus ist missverständlich, suggeriert er doch, dass diese Extremist*innen, gleich welcher Couleur, mit der "Mitte" der Gesellschaft nichts zu tun hätten. Dieselbe "Mitte" bringt jedoch den Rechtsextremismus erst hervor und hat ihn viel zu oft gedeckt. In den USA zeigt sich erneut: Das Bündnis zwischen Antidemokrat*innen aus rechtsextremen Gruppen der Mittel- und Unterschicht und radikalisierter Teile alter Eliten stellt die größte Gefahr dar. Aber wie könnte die Gesellschaft auch mehr über die Ursachen des Rechtsextremismus wissen, schließlich gibt es in Deutschland keine Professuren oder andere angemessen ausgestattete und strukturell-verstetigte Einrichtungen speziell für dessen Erforschung. Eigentlich kaum vorstellbar, angesichts der deutschen Geschichte und der Aktualität der Bedrohung – und doch Realität. Aber nur durch das Verständnis der Ursachen kommen wir der Möglichkeit näher, Reproduktionskreisläufe zu durchbrechen und auch für die Demokratie langfristig schädliche Folgen von Gegenmaßnahmen zu verstehen. Denn was ist, wenn die Praxis, radikale Abweichungen von der vermeintlichen politischen Mitte durch die den Innenministern unterstehenden Nachrichtendienste öffentlich als "extremistisch" zu markieren, Teil des Ursachenkomplexes ist? Weil die Etikettierung und Zählung von "Extremist*innen" in trügerischer Sicherheit wiegen? Weil die Dienste kein Frühwarnsystem sind, sondern oft zu spät kommen? Weil als "Extremismus" Ungleiches gleichgesetzt wird? Wenn immer mehr Repression aufgebaut werden muss, um die fragile Zivilität zu stabilisieren? Wer schützt die Demokratie vor dem Extremismus aus ihrer Mitte? (Matthias Quendt, ZDF)

Ich glaube, ein wichtiger Faktor bei dieser Geschichte ist der "es kann nicht sein was nicht sein darf"-Aspekt. Rechts- wie Linksextremismus sind als Phänomen wesentlich leichter erträglich, wenn man sie als randständiges Phänomen betrachtet und exotisiert - Schwarzer Block und Springerstiefe-Glatze-Kombo, quasi. Dann eignen sie sich für einen wohligen Grusel und eine gute Folie für die eigene Distanzierung und Abwehrhaltung.

Aber worauf Quendt hier hinweist, ist ja nicht von der Hand zu weisen. Extremismus ist ja tatsächlich ein solch randständiges, exotisches Phänomen, wenn er nicht von Teilen der Mitte relativiert und gerechtfertigt wird. Dazu gehören auch solche Sachen wie Fundstück 6.

6) Tweet

Die CDU Niedersachsen hat diesen Tweet am Tag der Verkündung des Urteils im Lübcke-Mordfall abgesetzt. Das ist genau das Problem: Relativierung aus der Mitte. Als ob das Jahr nicht 364 andere Tage hätte, an dem dieses spezifische Pferd totgeritten werden könnte; selbst an dem Tag, an dem die Mörder eines der Ihren abgeurteilt werden, ist dieser Teil der Mitte nicht bereit, sich klar und deutlich gegen rechts zu positionieren und muss unbedingt zeigen, dass sie den Feind eigentlich links sieht - aller Evidenz über die aktuelle Bedrohungslage zum Trotz. Zum Glück gibt es auch andere Strömungen in der CDU, etwa Tobias Brinkmann, die das harsch verurteilt haben. Aber die Instinkte sind da, und sie sind gefährlich. Denn es sind die ideologischen Nachbarn, die wir dafür brauchen - und deren Hilfe wir hier nicht bekommen.

7) Ungenial daneben

Die eigentliche Ungleichzeitigkeit führt aber ins Zentrum der jetzt entflammten Kritik. Die letzte Instanz will eine Sendung sein, in der Moderator Hallaschka in einer Stunde mit vier Gästen (hier: Jürgen Milski, Micky Beisenherz, Janine Kunze, Thomas Gottschalk) vier Themen "bemeint". Was so schlicht klingt, wie es in dem Fall ist: Leute sind nicht deswegen prominent, weil sie "Meinungen" haben, sondern weil sie irgendwas besonders macht. [...] Als in der aktuell gesendeten, alten Folge die Schwachsinnsdiskussion über das, gähn, was man vermeintlich nicht mehr sagen darf, zwangsläufig bei der Genderlücke landet, die heute journal-Moderator Claus Kleber (ZDF) spricht, will Hallaschka von Gottschalk wissen, ob ihn das nicht beeindrucken würde. Und Gottschalk, der in grauer Vorzeit einmal als Sunnyboy und locker und Gigant der deutschen Samstagabendunterhaltung galt, stammelt allen Ernstes: "Kleber und Kleb_innen". Das ist von solch einer tiefen Traurigkeit auf so vielen Ebenen [...] Sollte es dem WDR mit dem Lernen ernst sein: Ich bin mir gar nicht sicher, ob es nur darum geht, dass hier Menschen mitreden dürfen, die durch rassistische Fremdzuschreibungen diskriminiert werden. Auch weil ich mir schwer vorstellen kann, wer Bock haben sollte, in so einer Runde, in der es überhaupt nicht darum geht, etwas zu verstehen, und in der Leute sitzen, die offenbar mit dem Nachdenken Probleme haben, noch einmal zu klären, wie Rassismus funktioniert und warum Rassismus nichts Gutes ist. [...] Und das wird es nun seit 30 Jahren: seit der Verweis auf angeblich herrschende Political Correctness genau dieses Sagen-dürfen-wollen der Fremdzuschreibung für Sintezas und Romnja wieder und wieder vermeintlich ergebnisoffen gestattet. Dass es gerade nicht ums Zuhören und Verstehen geht, lässt sich schon daran erkennen, dass der Schöneberger-Spruch in der Runde zur Diskussion gestellt wird, die Kritik daran aber nicht vorgelesen wird. (Matthias Dell, ZEIT)

Die politischen Talkshows sind, von der Thematik und den Totalsausfällen à la Gottschalk gar nicht zu reden, einfach generell ein verrottetes Format. Sie haben keinerlei Intention, in irgendeiner Art voneinander zu lernen. Es geht nicht darum, Meinungen auszutauschen oder im viel gerühmten "Marktplatz der Ideen" zu konkurrieren. Erkenntnisgewinn ist nicht das Ziel, und er entsteht in diesen Formaten auch nicht.

Stattdessen geht es einzig und allein um Konfrontation, völlig unabhängig vom Thema. Die Polittalkshows sind Krawall-Shows. Das liegt daran, dass es den Macher*innen dieser Sendungen nur um eins geht: Quote zu generieren Und der Weg dazu scheint darin zu bestehen, möglichst viel Krach zu produzieren. Je krasser formuliert, je zugespitzter, je polarisierender, umso besser. Und da wundere sich noch jemand, dass der öffentliche Diskurs diesem Schema folgt.

Grundsätzlich ginge das auch anders. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist der alt-ehrwürdige Günter Gaus, der ein genuines Interesse daran hatte, die Positionen seines Gegenübers zu verstehen - auch, wenn er sie, wie etwa im Fall Rudi Dutschkes, ganz und gar nicht teilte. Ich würde es begrüßen, wenn Sendungen mehr dazu übergehen würden, tatsächlich intensivere Auseinandersetzungen mit Themen zu haben statt Anekdoten, Gotcha-Momente und auswendig gelernte Soundbites zu priorisieren.

8) From the far-right

The Murdoch news empire controls more than 70% of the Australian news media landscape, including ownership of the major tabloid newspapers in each of the major cities, the national broadsheet The Australian, and 24/7 cable news network Sky News. [...] Murdoch has essentially turned Australia’s political discourse into a giant right-wing, pro-National Party echo chamber, and it is therefore of little surprise that the country’s democracy has been downgraded from “open” to “narrow” in the most recent annual report on the civil rights of countries worldwide. [...] The untold damage the Murdoch empire has done to democracies in Australia, the United States and the UK is measured in the deepening social-political divisions, the mainstreaming of hateful rhetoric, and the widespread belief of conspiracy theories and the rejection of science. Even more worryingly, it is likely that the ‘Foxification’ of these respective countries is about to be made ever worse. [...] The amplification of racist rhetoric, xenophobia and conspiracy theories within the right-wing mainstream media ecosystem has also served to unite far-right groups in the US with like-minded groups and individuals in Europe, Australia and UK – with many finding inspiration and common cause with the insurrectionists who stormed the Capitol. [...] The arrival of news media outlets aiming to out-flank the Murdoch empire from the far-right should send chills across the Atlantic and Pacific oceans. If the Murdoch media empire’s toxicity hasn’t made the ascertainment of truth hard enough in these post-truth times, then it is likely that an even ruder shock awaits. (CJ Werleman, Byline Times)

Milliardäre und Demokratie sind unvereinbar, das habe ich schon das eine oder andere Mal erwähnt. Eine plurale Medienlandschaft ist für ihr Funktionieren unerlässlich. Schon in Deutschland ist das ja echt problematisch, weil einige Megakonzerne einen großen Teil dominieren, aber was in Australien abgeht ist noch mal eine ganz andere Hausnummer. Kaum jemand hat in den letzten 30 Jahren eine solch zerstörerische Wirkung auf die Demokratie gehabt wie Rupert Murdoch. Da kommt Trump nicht auch nur ansatzweise ran. Und im Gegensatz zu Trump kann man Murdoch auch nicht abwählen. Daher kommt auch die Unvereinbarkeit, noch einmal nebenbei erwähnt. ;)

9) Bürger kritisieren EZB-Niedrigzinspolitik

Die Europäische Zentralbank (EZB) will den Bürger mehr zuhören. In einer Umfrage unter Menschen aus der Eurozone, die im Oktober vergangenen Jahres abgeschlossen wurde, gab es aber vor allem viel Kritik an der Niedrigzinspolitik der Notenbank. Das geht aus Ergebnissen des Programms „ECB Listens“ hervor, die von der Notenbank jetzt veröffentlicht wurden. [...] Auch über steigende Preise und Inflation beklagten sich viele, etwa 45 Prozent sprachen von einer sinkenden Kaufkraft. Eigentlich wäre Stabilität des Preisniveaus wichtig, wird ein Umfrageteilnehmer aus Deutschland zitiert, „sonst verlieren entweder meine Ersparnisse an Wert oder mein Einkommen fällt niedriger aus.“  Etwa ein Viertel der Befragten machte sich ausschließlich über Inflation Sorgen. Hyperinflation wurde als eine Befürchtung angesprochen. Weniger als 10 Prozent der Befragten machten sich hingegen Sorgen um Deflation, also dauerhaft sinkende Preise. Viele der Befragten äußerten zudem die Einschätzung, die Inflation werde falsch gemessen. Die Teuerung werde systematisch unterschätzt, die gewählten Messverfahren bildeten die wirklichen Preissteigerungen nicht ab. Insbesondere die Hauspreise, die nicht in der europäischen Messung der Inflationsrate auftauchen, wurden angesprochen. Die überwiegende Mehrheit der Befragten hielt diese Kosten für inflationsrelevant und viele gaben an, dass sie angemessener in den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) aufgenommen werden sollten. Jüngere Befragte und Befragte aus den nördlichen EU-Mitgliedstaaten schienen über dieses Thema besonders besorgt zu sein. (Christian Siedenbiehl, FAZ)

Einmal abgesehen davon, dass mir unklar ist warum die ach so unabhängige EZB ganz plötzlich auf die Bevölkerung hören zu müssen glaubt, wo sich der fiskalpolitische Wind gedreht hat, sitze ich vor dieser Aufstellung mit einem geradezu sprachlosen, ja, geschockten Ausdruck. Was wir hier sehen ist nicht weniger als kompletter Irrsinn. Es ist, man kann es gar nicht anders ausdrücken, das Resultat jahrzehntelanger Propaganda.

Wir haben seit mittlerweile einem Jahrzehnt wesentlich zu niedrige Inflationsraten, also unter dem EZB-Ziel von 2%, wie es in den viel beschworenen EU-Verträgen neben der 3%-Neuverschuldungs- und 60%-Schuldenobergrenze festgeschrieben ist. Aber die sonst so um die Einhaltung der Verträge bemühten Bedenkenträger*innen haben in diesem Verstoß noch nie ein Problem gesehen; stattdessen wird immer im nächsten Jahr - dann aber bestimmt! - ein drastischer Anstieg der Inflation vermutet.

Der Wahnsinn ist, wie völlig losgelöst von der Realität das alles ist. Da fürchten sich Leute vor einer Hyperinflation (!), während die reale Rate näher an 1% als 2% dümpelt - konstant seit über einem Jahrzehnt. Aber den gefühlten Wirklichkeiten macht das nichts, und angefeuert von einer wilden Allianz aus Crash-Propheten (Otte, Krall und wie sie alle heißen), der Springer-Presse, dem Handelsblatt und der FAZ (pars pro toto) gedeihen Verschwörungstheorien im schwülen Sumpf unter der respektabel-bürgerlichen Oberfläche. Und nachher wundern sich wieder alle, woher die Radikalisierung kommt.

10) Lidl macht Schweinefleisch wieder billiger

Lidl hat die im Dezember nach Protestaktionen von Landwirten erhöhten Schweinefleischpreise wieder gesenkt. »Die Entwicklung der vergangenen Wochen hat gezeigt, dass der Markt unserem Preissignal nicht gefolgt ist«, teilte der Discounter mit. »Dadurch ist uns ein erheblicher Wettbewerbsnachteil entstanden.« Es sei daher nicht möglich, die Preise dauerhaft und allein auf dem höheren Niveau zu halten. Lidl hatte in der zweiten Dezemberwoche die Preise als Reaktion auf Protest- und Blockadeaktionen von Landwirten erhöht. Damals hieß es, man habe den Einkaufspreis für zehn Artikel aus dem Schweinefleischsortiment um ein Euro pro Kilogramm angehoben, als Folge steige der Verkaufspreis im gleichen Umfang. Die sich in Existenznot sehenden Bauern hatten über zu geringe Erzeugerpreise und ein aus ihrer Sicht unfaires Gebaren der Einzelhandelsketten geklagt. (dpa, SpiegelOnline)

Falls noch jemand Belege dafür braucht, dass seitens der Verbraucher*innen der Wandel meist nicht erzielbar ist, für den sei das hier dagelassen. Bewusstseinskampagnen sind gut und können die Akzeptanz und den Wandel begleiten, aber zu erwarten, dass die Leute massiv gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen handeln ist völlig naiv. Merkwürdig, dass die gleichen Leute, sie sonst so beinhart betriebswirtschaftlich kalkulieren, ausgerechnet hier idealistische Wunder erhoffen. Es gibt einfach keinen Ersatz für kohärentes, durchdachtes staatliches Handeln. Was nicht heißt, dass man das immer oder auch nur meistens kriegen würde...

11) The reluctant making of a China hawk

I never intended to become a China hawk. Indeed, for years I prided myself on cultivating a relatively detached view of the reality of the power dynamic between the United States and the People's Republic. But I have slowly and reluctantly come to a much more hawkish view, and it is one that fills me with foreboding. [...] The danger we always faced is that of Graham Allison's Thucydides Trap. If the status quo power cannot countenance ceding as much power as the rising challenger expects, nor can it confront the rising power with an unbreachable barrier to their rise, then conflict is inevitable. Eventually, the rising power prefers war to waiting, or the status quo power prefers war to the continued erosion of their position. The key was thus ceding power peacefully. If America could not prevent China from rising, then it could still cede China a substantial sphere of influence of their own, much as Britain did before a rising America in the late 19th century, or forge a partnership in which America would, over time, become the junior member, much as Britain did with the United States in the 20th century. But believing in either scenario, however skeptically, required believing that America could live as comfortably in a world where China became increasingly dominant as Britain did in a world increasingly dominated by America. And that is an illusion that has become increasingly difficult to sustain. (Noah Millman, The Week)

Ich kann die Probleme völlig nachvollziehen. Ich bin auch kein Freund von Kalter-Kriegs-Logiken, aber sowohl im Falle Russlands als auch im Falle Chinas kann die Fiktion, dass diese als Partner in einer liberalen Weltordnung fungieren, einfach nicht länger aufrechterhalten werden. Das hießt nicht, dass wir in eine Runde des nuklearen Wettrüstens einsteigen müssen, aber gerade solche Fälle wie die Aufrechterhaltung der freien Schifffahrt in der Straße von Taiwan oder Ähnliches werden in Zukunft wenigstens mittelbar auch die deutsche Sicherheitspolitik tangieren, egal welche isolationistischen Instinkte hierzulande vorherrschen. China ist wesentlich zu mächtig um ignoriert werden zu können, und es vertritt aggressiv Konzeptionen, die mit unseren unvereinbar sind. Dass die EU zur friedlichen Übergabe von Machtsphären nur allzu bereit ist, haben wir in der Vergangenheit gesehen.

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