Dienstag, 2. Februar 2021

Bücherliste Januar 2021


 

Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.

Diesen Monat in Büchern: Die Bahn, Twilight Imperium

Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Generationen, Finanzwirtschaft

BÜCHER

Thomas Wüpper - Betriebsstörung

Es gibt wenige deutsche Institutionen, die sich einer ähnlichen Beliebtheit und eines guten Rufs erfreuen wie die Deutsche Bahn. Das ist wenig überraschend, wie auch Thomas Wüpper in seiner anfänglichen Bestandsaufnahme zeigt. Hohe Preise, schlechte Abdeckung, miese Infrastruktur, verrottende Bahnhöfe, ausfallende Züge, Verspätungen ohne Ende - die alle sind Bahnkund*innen nur zu geläufig. Die vollmundigen Ankündigungen des einen oder anderen Bahn-Chefs, dieses Problem zu lösen, sind Legion.

Doch politische Interventionen und strukturelle Fehlentwicklungen haben dem bislang noch jedes Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hochgeschwindigkeitsstrecken halten in Provinzkäffern, weil anders die nötigen Stimmen im Bundestag nicht zu bekommen wären; der Ausbau neuer Strecken fällt einem Milliarden-Loch ohne Boden ohne Sinn und Verstand namens Stuttgart21 zum Opfer; der gesetzliche Auftrag der Bahn, dem sie ihre rechtlichen Privilegien verdankt, wird durch eine hybrisbeladene internationale Expansionsstrategie konterkariert.

Die größte Fehlentscheidung aber sieht Wüpper in der Grundsatzreform von 1994, als die DB zur DB AG wurde. Das Netz nämlich blieb in den Händen des Staatskonzerns, der gleichzeitig Gewinne erwirtschaften und an die Staatskasse abführen sollte. Dies sorgte dafür, dass der Konzern effektiv privatwirtschaftlichen Wettbewerb behindern konnte. Gleichzeitig stehen sich die vorgegebenen Zielsetzungen von Versorgung in der Fläche und Profitorientierung völlig unvereinbar gegenüber, ohne dass dieser Zielkonflikt je aufgelöst worden wäre.

Das größte Desaster aber war sicherlich die Zeit unter Hartmut Mehdorn, der die Bahn privatisieren sollte. Sein Kurs war ein Raubbau an der Infrastruktur, ein Brain-Drain ohnesgleichen, während die Bahn gleichzeitig gewaltige Schulden aufnahm, um auf der ganzen Welt ein Imperium an Logistikkonzernen zu kaufen - die der Bahn auf der Straße Konkurrenz machten und so weitere Zielkonflikte in das System backten. Glücklicherweise konnte dieses Desaster knapp verhindert werden (der SPD sei am Ende doch noch dank).

Wie Wüpper auch in seinen Lösungsvorschlägen für das Dilemma aufzeigt, ist das Problem nicht grundsätzlich eine privatwirtschaftliche Orientierung der DB, sondern die angesprochene Interessenverflechtung. Würde der Erhalt und Betrieb des Netzes sauber vom Konzern getrennt, könnte dieser grundsätzlich privatisiert werden - und könnte Konkurrenz zugelassen werden. Oder aber man macht eine vernünftige Staatsbahn, die bewusst subventioniert und defizitär arbeitet, dafür aber eben den Auftrag hat, in der Fläche Verbindungen anzubieten. Der aktuelle Murks aber ist genau das - Murks.

Tim Pratt - The Fractured Void

Ich habe an diversen Stellen meine Liebe für das beste Brettspiel aller Zeiten, Twilight Imperium, dokumentiert. Das Science-Fiction-Strategiespiel hat einen vergleichsweise detaillierten und spannenden Hintergrund, der auch einige Episoden meines Podcasts beschäftigt hat. Das war Grund genug für den Autoren Tim Pratt, sich des Stoffs anzunehmen und den ersten in einer Reihe geplanter Romane im Setting zu schreiben. Als Fanboy des TI-Universums musste ich natürlich zugreifen. Die Chance, eine Geschichte darin zu lesen, war zu schön.

Das Buch stellte sich denn auch als unterhaltsam genug heraus, um gelesen zu werden. In Kurzform: Ein Wissenschaftler glaubt, kurz vor dem Durchbruch zur Herstellung künstlicher Wurmlöcher zu sein. Ein Piratenschiff bekommt ihn in die Hände und will über eine Reihe von Geheimoperationen die notwendigen Bedingungen für einen erfolgreichen Test zusammenstehlen, verfolgt von den Agenteninnen mindestens zweier mächtiger Fraktionen.

Die Brettspielvorlage

Leider ist das Buch selbst nicht besonders gut geschrieben. Es ist handwerklich sauber - die Handlung ist solide, die Charaktere deutlich voneinander unterscheidbar und ausgebildet, die Dialoge halbwegs unterhaltsam. Aber da endet der positive Teil dann auch.

Sowohl die Charaktere als auch der Plot sind ungemein stereotyp gestrickt. Jede Figur hat eine klare Charaktereigenschaft, jeder Ort ebenfalls, und es passiert immer ein Ding zur gleichen Zeit. Darin unterscheidet sich "The Fractured Void" sicherlich nicht von 98% der anderen Belletristik, aber wer die komplexeren Geschichten eines George R. R. Martin gewohnt ist, wird hier sicherlich unbefriedigt zurückbleiben.

Ein weiterer Minuspunkt für mich ist die ungemein platte und klischeebeladene badassery der Charaktere. Viele Dialoge sind im Endeffekt ein Sprechen in One-Linern, ein Abhaken von Tough-Guy- und Tough-Gal-Klischees. Am schlimmsten ist das bei den beiden Antagonistinnen, die die Piratencrew jagen. Es sind professionelle Killerinnen, und beide sind lesbisch. Solcherlei Stereotype durchziehen das Werk leider.

Ähnlich dem Star-Wars-Universum werden allen Alienrassen außer den Menschen auch irgendwelche Eigenschaften zugeschrieben. Zu einem gewissen Teil ist das natürlich ein Erbe der Brettspielvorlage, aber es limitiert gleichzeitig auch das Geschichtenerzählen.

ZEITSCHRIFTEN

Aus Politik und Zeitgeschichte - Generationen

Der Generationenbegriff ist, um es milde auszudrücken, umstritten. Das Schlagwort von "die junge Generation" ist so abgenutzt, dass es praktisch bedeutungslos geworden ist, eine reine Worthülse. Aber auch die "nachfolgenden Generationen", für die man angeblich Politik mache, sind ein solch feststehender Begriff. Gleichzeitig werden bestimmte Generationen gerne mit Attributen aufgeladen, die sie meistens nicht verdient haben (man denke nur an die "Greatest Generation" in den USA). Und je näher man sich entsprechende Zuschreibungen ansieht, umso schneller zerfallen sie unter dem prüfenden Auge.

Das vorliegende Heft versucht sich glücklicherweise daran, den Generationenbegriff etwas wissenschaftlicher zu fassen und eine soziologische Herangehensweise zu pflegen.

Dabei wird etwa aufgezeigt, wie problematisch schon die ganze Herkunft des Generationenbegriffs ist: als eine Selbstzuschreibung jener, die im Ersten Weltkrieg die Fronterfahrung teilen, was ein ungeheuer ausgrenzender Begriff von "Generation" ist, hat er doch einen rein männlichen Blick und nimmt nur eine schmale Altersgruppe hinein. Aber damit haben wir auch gleich die erste Politisierung des Generationenbegriffs, und das bessert sich mit den zukünftigen Zuschreibungen nicht sonderlich. Man denke nur mal an die 68er, in die sowohl Otto Schily, Joschka Fischer und Horst Mahler als auch Roland Koch und Erwin Huber fallen - ein etwas großes Zelt, um Sinnvolles auszudrücken; ausgrenzend, nimmt man nur die Protestbewegung in Blick.

Korrekt weist ein Beitrag im Heft daher auch darauf hin, dass der Generationenbegriff vor allem der Erinnerungskultur dient. Ebenfalls interessant in diesem Kontext ist sicherlich die Verschränkung mit dem Familienbegriff, denn die zunehmende Konzentration auf die Kernfamilie sorgte für einen Wandel inter-generationellen Zusammenlebens. Diese Überlegungen im Heft lassen mich zugegebenermaßen zweifeln, wie sinnvoll die Begrifflichkeit jenseits ihres politischen Werts überhaupt ist.

Finanzwirtschaft

Ein dickes Informationsheft zur Funktionsweise der Finanzwirtschaft klingt grundsätzlich spannend. Aber dieser Band hat mich bereits auf den ersten Seiten zutiefst enttäuscht, denn er reiht ein abgedroschenes VWL-Klischee an das nächste, das längst durch die Forschung widerlegt ist (wenngleich es sich in den nutzlosen "Modellen" immer noch in die Lehrbücher zu schleichen scheint). Glücklicherweise findet gerade zu diesen Themen gerade innerhalb der Disziplin eine kritische Debatte statt. Die Macher*innen dieses Heftes sind da allerdings noch nicht angekommen.

Nur ein Beispiel für das, was ich meine: Zum Ursprung des Geldes wird die gleiche längst widerlegte Behauptung aufgetischt, dass das Geld als Produkt des Tauschhandels entstand. Es geht entlang der typischen Beispiele: Wenn ich Waschmaschinen herstelle und du Schuhe, dann ist das Tauschen schwierig, deswegen wurde das Geld erfunden. Das ist ein solcher Quatsch, dass das in einer solchen Publikation immer noch steht zeigt, an welchen Problemen die VWL krankt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.