Freitag, 9. Juli 2021

Biden versursacht mit Maaßen und Laschet durch Überfischung des Supreme Court eine Hungersnot im Lehrerzmmer - Vermischtes 09.07.2021

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) The looming famine in Tigray is an avoidable catastrophe

It is hard to believe it’s happening again, even harder to believe that so few people seem to know or care. A massive famine is unfolding in Tigray in northern Ethiopia. Five million people are in need of food aid, and perhaps 900,000 are already starving. In other words, it’s looking horribly reminiscent of the start of the 1984 famine, in which a million people died, most of them in Tigray. Like the last cataclysm, this has nothing to do with “natural causes”. It’s caused by war and its associated crimes. This time, however, the man in charge is a Nobel peace laureate: the Ethiopian prime minister, Abiy Ahmed. A great weight of evidence suggests that his troops, and those of his Eritrean allies, are using hunger as a weapon of war. [...] The traditional explanation of famine, which appears to resist all evidence, is that hunger is caused by a surfeit of people. A rising population overtaxes the land, which can no longer provide sufficient food for those who depend on it. But a fascinating study shows that in Tigray the opposite has happened. It used photographs dating back to 1868, taken from the same vantage points, to assess the condition of the land. Since then, the population of Ethiopia has risen from 6.6 million to 115 million. A catastrophe? Far from it. The researchers found more trees, more vegetation, less erosion, less degradation. The region, they discovered, is “greener than at any time in the last 145 years”. [...] Of course, there are plenty of places where higher numbers of people, combined with total institutional failure, harm both the natural world and human welfare. But the important point is that population growth, degradation and famine are not intrinsically connected. What counts is the quality of government. So there are no excuses. No part of the catastrophe in Tigray is natural or inevitable. Abiy, with his allies in Eritrea, is turning a thriving, prosperous region into the scene of another historic disaster. And he won’t stop until the world wakes up. (George Monbiot, The Guardian)

Die Nachricht von einer Hungersnot in Äthiopien fühlt sich echt an wie eine Zeitreise in die 1980er Jahre. Es bestätigt leider wieder einmal, was man eigentlich auch damals schon wusste: seit spätestens 1900 sind alle Hungersnöte menschengemacht. Ob in Bengal in den 1940er Jahren, in China in den 1950er und 1960er Jahren, ob in Äthiopien - immer stecken irgendwelche mörderischen Regierungen dahinter, die bereit sind, für ihre politischen Ziele über Leichen zu gehen.

Eine Frage bleibt aber bei Monbiots Artikel doch: warum sollte Ahmed stoppen, wenn "die Welt aufwacht"? Es ist ja nun nicht so, als würden wir Truppen schicken, um die fünf Millionen Einwohner*innen von Tigray zu schützen. Und ansonsten kennt doch kaum jemand den Mann; die Vorstellung einer weit verbreiteten Empörung in der Weltöffentlichkeit ist doch Kokolores.

Eine Seitenbemerkung: Meine Kritik der APuZ-Ausgabe zu Äthiopien, Jubelperser die Artikel über Ahmed schreiben zu lassen, hat sich leider ziemlich erschreckend bestätigt. Welcher Hirnfurz die Redaktion da getrieben hat, ist mir völlig unbegreiflich.

2) Bidenomics: Klimawende mit angezogener Handbremse

Zumindest in einer Hinsicht zieht die Klimapolitik der Biden-Administration offenkundig Lehren daraus, dass sowohl Clinton als auch Obama auf diesem Feld im Wesentlichen gescheitert sind. So taucht das Instrument, das die meisten Ökonomen als essentiell für eine umfassende Dekarbonisierung der US-Wirtschaft betrachten, in der Agenda 2021 gar nicht erst auf: das Carbon Pricing – die Belastung von CO2-Emissionen mit Kosten, die ausreichend hoch sind, um Umweltverschmutzer zu veranlassen, ihren Kohlenstoff-Fußabdruck zu mindern oder ganz zu beseitigen. [...] Zwar betonen Experten, wenn die Erträge der CO2-Bepreisung ärmeren Haushalten zugute kämen, könnte dies ein wirksames Umverteilungsinstrument sein, doch das Biden-Team schreckt vor einem derart komplizierten Deal zurück. Die hierfür erforderlichen CO2-Preise müssten exorbitant hoch ausfallen, besonders, wenn die Umstellung aus dem Stand heraus erfolgen soll. Anders als in Europa wird in den USA nicht einmal Benzin hoch besteuert. Eine Art amerikanischer Gelbwesten-Bewegung wäre das Letzte, was die Biden-Administration brauchen kann. [...] Doch anders als die finanzpolitische Reaktion der USA auf Covid-19, in deren Zuge angesichts eines Schocks von historischen Ausmaßen Billionen von Dollars für Konsumschecks und Kreditprogramme für Privathaushalte bzw. Kleinbetriebe bereitgestellt wurden, setzt Bidens Infrastrukturprogramm, so ausgeklügelt es politisch sein mag, die vorgesehenen Mittel nur kleckerweise ein. Wenn man sich die einzelnen Posten des Pakets näher anschaut, wird klar, wie bescheiden es in Wahrheit ist.  [...] Die ursprüngliche Vision des Green New Deal lag hier richtig: Investieren wir in der Größenordnung, die der Klimanotstand gebietet, und kümmern wir uns um die Finanzierungsfrage, wenn das makroökonomische Gleichgewicht es erfordert. Sollten hohe Defizite Inflationsdruck bewirken, so kann dem durch erhöhte Zinssätze oder Steuererhöhungen, die Einkommen und Nachfrage dämpfen, begegnet werden. Machen wir das Niveau unser Klimainvestitionen nicht vom Steueraufkommen abhängig, gleichgültig, wie progressiv etwaige Erhöhungen ausfallen könnten. (Adam Tooze, Blätter für Internationale Politik)

Toozes Artikel ist ziemlich lang und bietet eine Gesamtanalyse von Bidens Wirtschaftspolitik in Bezug auf die Bekämpfung des Klimawandels, ich empfehle ihn zur vollständigen Lektüre. Der Auszug, den ich hier gewählt habe, beschäftigt sich mit zwei Themen: der CO2-Bepreisung einerseits und der Investitionsfinanzierung andererseits.

Was die CO2-Bepreisung angeht, bin ich völlig bei Tooze. Dieses Instrument funktioniert nicht. Und das liegt nicht am Instrument selbst, die wirtschaftswissenschaftliche Logik ist absolut solide. Ich verstehe auch, warum es gerade bei Liberalen so beliebt ist. Ich finde es grundsätzlich auch gut. Nur, in der Praxis ist es nicht umsetzbar, weil die Wirtschaftswissenschaftler*innen in ihrer leider üblichen Überbewertung theoretischer Modelle und des Ignorierens der Wirklichkeit keine Rücksicht auf die politische Dimension nehmen. Nur einige Beispiele der jüngsten Zeit: Die Bundesregierung weicht an allen Ecken und Enden die CO2-Bepreisung auf und gibt Subventionen dafür aus. Die Autolobby fährt massive Kampagnen gegen jegliche Einschränkungen der Verbrenner-Motoren. Die BILD inszeniert eine Kampagne gegen den Wetterbericht (!) und bewegt sich immer mehr in Richtung offener Klimawandelleugnung. Gegen diese Kulisse soll eine Steuer durchgesetzt werden, die das Preisgefüge massiv verzerrt, Geringverdienende überproportional trifft, die dann über Steuerrabatte wieder ausgeglichen werden soll...? Never ever. Das ist dead on arrival, und wir sehen das gerade in den zahlreichen Ausnahmen, die CDU und SPD bereits in das noch so zarte Pflänzchen einbauen.

Das andere Thema betrifft die Kosten einer weit umfassenderen und planmäßigeren Transformation. Wie ich im letzten Vermischten bereits geschrieben habe brauchen wir nicht den einen großen Wurf - das ist eine Illusion, die Neoliberale offensichtlich mit Kommunisten teilen - sondern eine Myriade kleiner und kleinster Maßnahmen, die zusammengenommen den sprichwörtlichen Mist des Kleinviehs machen. Das bringt in vielen Bereichen Kosten mit sich. Aber: die Kosten des Nichtstuns sind größer. Die Aufgabe ist gewaltig, wir wissen das seit 30 Jahren, und wir haben es 30 Jahre schleifen lassen. Die CDU vertritt immer noch aggressiv die Position, nur ja nicht zu entschieden zu handeln. Bidens Wirtschaftspolitik ist deutlich ambitionierter als selbst die wildesten Träume der deutschen Grünen, und Tooze hat völlig Recht wenn er sagt, dass sie vollkommen unzureichend ist. Spätere Generationen werden angesichts dieser Unbesonnenheit den Kopf schütteln.

3) Tweet-Thread


Für diejenigen, die nicht auf Twitter unterwegs sind: ihr müsst dem Link folgen, die folgenden 24 Tweets ergeben dann gemeinsam den Tweet-Thread ;) Ich verlinke den Thread hauptsächlich deshalb, weil er so wunderbar aufzeigt, warum die Digitalisierung der Schulen immer noch so katastrophal läuft. Die Vorstellung, das ginge über eine Lehrkraft, die das nebenher mit drei Deputatsstunden macht, ist absurd. Bei uns an der Schule funktioniert das vor allem deswegen so gut, weil wir einen externen Dienstleister haben. Wenn bei meinen Schüler*innen mal wieder das Passwort vergessen wurde (das passiert STÄNDIG), schreiben die an die Verwaltung. An staatlichen Schulen muss das alles eine Lehrkraft machen. Dazu kommt der technische Support (dauernd geht irgendwas nicht), Einrichtung und Verwaltung des Netzwerks (irgendwas geht ständig nicht), das Einrichten der Geräte (das sind hunderte) - ich habe keine Zweifel, warum der "Fernunterricht" so katastrophal verlief, wie er verlief. Die Infrastruktur besteht einfach nicht. Und wo sie besteht, gibt es keine Fortbildung für die digitalen Fossile, die in den Lehrerzimmern sitzen. Das alles sind die Folgen von zwei Jahrzehnten verschleppter Digitialisierung, die gerade in der Pandemie krachend auf eine ganze Generation herunterbrechen. Die löffelt jetzt die Suppe aus, die die Unterfinanzierung des Systems ihnen eingebrockt hat.

4) The depressing trajectory of J.D. Vance

Like so many other liberals seeking to understand the then-incipient Donald Trump era, I read J.D. Vance's Hillbilly Elegy when it was published in 2016. At the time, Vance was offered to the public as a sort of "Trump whisperer," somebody who had grown up among the white underclass but also attended an Ivy League school, and thus could bridge the two cultures. [...] Vance spent the months before Thursday's announcement prepping the political ground— hanging out on Tucker Carlson's show, railing against public mask-wearing, and decrying "wokeness." He also memory-holed his past criticisms of Trump. Rather than serving as a bridge, he has evidently calculated there's more advantage to be had in division. It's depressing, both for what it says about Vance and for what it suggests about the state of GOP politics. [...] But with Vance, we've been able to watch him devolve in real time. A few years ago, it looked possible that the one-time "hillbilly" might offer America a different, better form of conservative politics, one that could advance the right's priorities without being so nasty. Instead, he's turned out to be all too typical. Somebody should write an elegy for that. (Joel Mathis, The Week)

Ich habe die Begeisterung für Vance nie verstanden. Er gehört zu den vielen völlig überbewerteten Trump-Kritiker*innen von rechts, die 2016 Publicity und nicht unerhebliche Profite abgriffen. Seine Wandlung zum Trumpisten überrascht mich nicht im Geringsten. Vance gab Leuten eine Entschuldigung, Trump zu wählen, aber die Zeit für Entschuldigungen auf der amerikanischen Rechten ist vorbei. Entsprechend hat auch Vance seine Marke abgewandelt.

5) Drückt Laschet wegen Maaßen ein Auge zu?

CDU-Chef Armin Laschet reagierte auf die Kritik mit einem Verweis auf die unabhängige Entscheidung des Wahlkreises. "In Thüringen hat die Basis entschieden. Die Wahlkreise treffen ihre eigenen Entscheidungen. Dies ist gesetzlich so geregelt", sagte Laschet dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auf die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn sich die CDU glaubhaft von Maaßen abgrenzen würde, sagte Laschet: "Ich werde nicht jeweils kommentieren, wer in 299 Wahlkreisen kandidiert." Die Abgrenzung der CDU nach rechts sei glasklar, sagte er. "Mit der AfD wird nicht koaliert, nicht kooperiert, nicht verhandelt. Sie muss aus den Parlamenten verschwinden." [...] In dem Interview warf [Maaßen] den Anstalten "Meinungsmanipulation" vor, etwa über das Weglassen von Tatsachen und die Anwendung von "Tricks". "Ich halte es für eine Schande, dass die Aufsichtsbehörden diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht in der Hinsicht wirklich mal korrigieren und dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr stattfindet", sagte Maaßen. Er brachte einen "NDR-Untersuchungsausschuss" ins Gespräch. (dpa, T-Online)

Wer wissen will, warum die CDU diese Wahl gewinnen wird, muss nur auf darauf schauen, wie sie mit ihrer offenen rechten Flanke umgeht. So wird Friedrich Merz, der Signalmast dessen, was den akzeptablen rechten Rand der CDU markiert, vorgeschickt um die nach der Wahl Max Ottes endgültig untragbar gewordene WerteUnion zu exorzieren. Gleichzeitig behält die eigentliche Parteiführung saubere Hände. Gleiches gilt für Maaßen: das mittlere Managment fordert den Parteiaustritt des rechtsradikalen Demokratiefeinds, während die eigentliche Parteiführung sich hinter Plastikphrasen flüchtet. So ist Laschet für die rechten Teile der Wählerschaft nicht angreifbar, die CDU kann aber halbwegs glaubwürdig sagen, dass sie ihre Rechtsausleger im Griff hat. Dass das Dilemma nicht löst - wie hier beim Spiegel sehr gut beschrieben - steht auf einem anderen Blatt.

Man stelle sich mal vor, die Grünen würden jemand von Extinction Rebellion aufstellen und Baerbock würde von dem Recht der Wahlkreise, Kandidat*innen nach Gutdünken und den unüberschaubaren 299 Wahlkreisen schwadronieren. NEVER EVER würde sie damit durchkommen. Aber die sind echt asleep at the wheel. Die CDU kann wahlkämpfen, die CDU hat den Machtinstinkt. Die Grünen haben beides nicht. Und die aktuellen Umfragen zeigen genau das.

Ich will übrigens gar nicht so klingen, als wäre das alles komplett zynisch gemeint. Die CDU signalisiert überraschend deutlich, was sie als akzeptabel empfindet, und grenzt sich nach rechts ab. Da können sich diverse Leute im linken Lager eine Scheibe von abschneiden. Gehen sie so weit wie ich das gerne hätte, vor allem was Maaßen angeht? Nope. Aber weiter als ich erwartet hätte, das darf man schon anerkennen :)

6) Im selben Boot

Die WTO hadert offenkundig mit dem Spagat zwischen ihrem klassischen Mandat der Handelsliberalisierung und vermeintlich systemfremden Nachhaltigkeits- und Artenschutzaspekten. So wird auch ein neues Fischereisubventionsabkommen kein echtes Umweltschutzinstrument sein. Dies zeigt sich neben den soeben aufgezeigten Schwachstellen auch am Wortlaut des Entwurfstexts. Typische umweltrechtliche Signalwörter wie Biodiversität und Ökosysteme kommen darin nicht vor. Relevante Regelungsaspekte zum Erhalt der marinen Ökosysteme, wie beispielsweise die Verwendung von großen Treib- und Grundschleppnetzen oder die Vermeidung von Beifang, sind ebenfalls nicht Gegenstand des Entwurfs geworden. [...] Mit dem neuen WTO-Abkommen sind viele Erwartungen verbunden, doch nun muss es vor allem darum gehen, in Anbetracht vielfältiger Partikularinteressen den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Die angesprochenen Schwachstellen sind eine bedauerliche Konsequenz eines insgesamt schwierigen Aushandlungsprozesses. Es gibt gute Gründe, sie zu kritisieren. Das Ziel sollte trotzdem der erfolgreiche Verhandlungsabschluss bleiben. Denn gewiss ist: Kommt keine Einigung zu Stande, so sitzen die WTO-Staaten am Ende auf jeden Fall im selben Boot auf den leergefischten Weltmeeren. (Romy Klimke, Verfassungsblog)

Wer einmal wirklich in die Tiefen des internationalen Rechts vorstoßen will, der folgt dem obigen Link; der Beitrag befasst sich mit zahllosen obskuren Verträgen und Rechtsnormen. Ich hab diesen Ausschnitt vor allem deswegen gewählt, weil er ein gutes Beispiel einerseits für das Dilemma der Almende ist und andererseits für die Betriebsblindheit, die Institutionen oft befällt. Allen Beteiligten muss klar sein, dass ihre Politik dazu führt, dass sie ihre eigene Existenz vernichten (in diesem Fall: Fischgründe), aber niemand kann aus der institutionellen Logik heraus oder will den ersten Schritt machen, und so geht man sehenden Auges auf den Abgrund zu. So muss es im ZK in Ostberlin in den 1980er Jahren auch ausgesehen haben. Wir sehen dasselbe ja beim Klimawandel.

7) The case for ending judicial review

Noah Feldman, a Harvard Law professor and Bloomberg Opinion columnist, acknowledged in his own testimony that judicial review had made the Supreme Court more powerful than the Founders intended. "It is therefore fair to say that the founding generation did not fully anticipate the modern practice of robust judicial review," he said, "that both empowers the judiciary to protect rights and democratic norms and simultaneously renders the judiciary more capable of harming democracy than it would be without it." Bowie argued that the Supreme Court has, in fact, harmed democracy and set back the cause of political equality. Over the last two centuries, the court has used its power to strike down or narrow federal laws that limited the spread of slavery, discourged child labor, protected voting rights, and restricted the role of big money in politics. Defenders of the Supreme Court's power say justices can protect political minorities from congressional attempts to step on their rights, but Bowie said that theory has rarely worked in practice. "The court has been silent at best when Congress and the president have violently dispossessed Native tribes, excluded Chinese immigrants, persecuted political dissidents, withheld civil rights from U.S. citizens in territories, and banned Muslim refugees," he said. Combined with the lifetime terms for justices, he said, "the political choices available to us as a country depend not on our collective will, but on the will of people who hold their offices until they resign or die. This is precisely what the Declaration of Independence protested." (Joel Mathis, The Week)

Ich bin absolut kein Fan davon, riesige institutionelle Änderungen anzugehen um politische Probleme zu lösen. Dass Maßnahmen wie court packing oder die Abschaffung des judicial review überhaupt diskutiert werden, zeigt aber, wie tief jene politischen Probleme bereits reichen. Die hardball-Taktiken der Republicans basieren darauf, dass die Democrats die andere Wange hinhalten und nicht mit eskalieren. In dem Moment, in dem diese Annahme nicht mehr aufgeht, lohnen sich auch diese Taktiken nicht mehr - beide Seiten eskalieren dann einfach nur noch, aber niemand hat absolute Gewinne. Nur das System selbst verliert, und die Demokratie geht kaputt. Aktuell eskalieren die Democrats noch nicht, und es ist offenkundig, dass sie das nicht wollen. Aber ein immer größerer und, vor allem, offen agierender Teil der Partei ist zu zunehmend radikalen Gegenmaßnahmen bereit. Ich betrachte das mit großer Sorge. Gute Optionen gibt es für die Democrats nicht: entweder sie nehmen hin, dass die Republicans die Demokratie außer Kraft setzen, wo es ihnen passt, und verlieren - oder sie tun es ebenfalls, und ALLE verlieren. Dass die Republicans wieder auf den Pfad demokratischen Wettbewerbs zurückkehren, scheint derzeit sehr unwahrscheinlich.

8) How to Live in a Climate ‘Permanent Emergency’

Prophecies often come true as anticlimaxes, the predictions themselves having set the stage too well — serving to acculturate as well as alarm, introducing first and then effectively normalizing the possibility of events that would have seemed, not so long ago, unthinkable. Climate activists, often privately despondent themselves, have long worried about the costs of alarmism as a rhetorical strategy, warning it would end not in panicked action but fatalism and despair. What worries me more, as an avowed alarmist, is not that dire warnings inspire leaders and potential activists to give up but that, in shifting our expectations, they encourage us to count as successes any merely catastrophic outcomes that fall short of true apocalypse — and make us see what should be freakish showcases of climate horror nevertheless on a continuum with “normal” rather than as signs of profound ecological disjuncture. Adaptability is a virtue, or at least a tool, in a time of cascading environmental change like the one we are stepping into now. It is also a painkiller or a form of climate dementia. [...] The message is literally earth-shaking. At two degrees of warming, the draft suggests, 420 million more people would be exposed to extreme, potentially lethal heat waves, and 410 million more would suffer from water scarcity. By just 2050, tens of millions more would suffer chronic hunger and 130 million more extreme poverty. And yet beyond the four corners of the climate world, it barely registered a peep, perhaps a sign that, as much as alarmism has achieved in recent years in activating genuine climate action, it has also acquainted us so well with apocalyptic premonitions that new ones glide by and the old ones, when fulfilled, manage to hold attention only briefly before the world snaps back into deadening complacency and a growing tolerance for the pains of warming. “Life on Earth can recover from a drastic climate shift by evolving into new species and creating new ecosystems,” the draft reportedly concludes. “Humans cannot.” (David Wallace-Wells, New York Magazine)

Das nächste Jahrzehnt wird reichlich ungemütlich werden, was die Auswirkungen des Klimawandels angeht. Und wir leben in Breiten, für die das noch relativ harmlos ist. Hitzewellen töten ja bereits in Europa oder Nordamerika tausende Menschen, aber das wird in Ländern wie Indien, dem Nahen Osten, in Afrika oder Lateinamerika noch viel dramatischer werden. Dazu kommen Dürren, Überschwemmungen, das ganze Programm. Was wir gerade erleben ist erst der Anfang. Der Klimawandel wird von einem theoretisch-abstrakten Gegenstand, der hin und wieder diskutiert wird, zu einem Bestandteil unseres Alltags werden. Das geht zu unseren Lebzeiten nicht mehr weg.

9) Beyond the Screen #4: Everything is Political, Especially the Alien Saga

They are part of a pattern in the connected mythology of these movies in which these worlds are driven by flawed, egocentric geniuses, ruling over mega-corporations that have replaced the traditional paradigm of nation states and control over the direction of the humanity, through the march of capitalism. Much like Star Trek used technology in order to help employ a utopian future, the Alien franchise (we’ll bracket Blade Runner under that banner for ease too) does the reverse; technology becomes the vehicle in which ‘the Company’ as they are simply known in the first two Alien movies, later Weyland-Yutani, manage to control populations, the workforce, and particularly the exploration and exploitation of deep space. This isn’t a world where humanity work for the betterment of a unified, utopian galaxy. This is a world saved only from dystopia by the cold, hard grip of corporate hegemony. [...] This is what Hawley understands about Alien. It is why his take on the series stands, potentially, to define it for our modern era. And it is why the fans who don’t believe Alien is a political series are wrong. Everything is political. (A. J. Black, 25YearsLaterSite)

Es gibt wenig, das so albern ist wie die Forderung, Unterhaltungsmedien mögen doch unpolitisch sein. Der Großteil der Unterhaltungsindustrie hält nur um ein möglichst breites Publikum zu erreichen den Status Quo aufrecht. Man sehe sich nur mal Disney an, die sind wahre Meister darin, ihre Politik an den Geschmack des Massenpublikums anzupassen. Die Oscars sind eine rein politische Veranstaltung; anders könnte so Blödsinn wie "Green Book" niemals "Best Picture" werden. Am alleralbernsten war wohl die Forderung des #Gamergate-Mobs "keep politics out of videogames", als ob der jingoistische Mainstream vorher unpolitisch gewesen wäre.

10) "Wir müssen mehr über die NS-Zeit streiten"

Der Historiker Clemens Tangerding von der Gießener Uni leitet das Projekt "Das Dritte Reich und wir" und erklärt: Auf institutioneller Ebene sei die NS-Zeit zwar tatsächlich schon gut aufgearbeitet, aber in Orten, Vereinen oder den eigenen Familien oft nicht. "Weil es wahrscheinlich schmerzhaft werden könnte", vermutet er. Tangerding stellt fest: Oft gebe es zwar Gerüchte, gleichzeitig aber auch immer noch eine Mauer des Schweigens. Einerseits würden viele Groß- oder Urgroßeltern nicht erzählen wollen, andererseits würden es auch viele Nachfahren lieber nicht so genau wissen wollen. "Wir wollen ja unsere lieben Großeltern behalten." Ein weiteres Hindernis für die Aufarbeitung sei die Angst vor Streit. Hatte der Bürgermeister keine andere Wahl, als in die NSDAP einzutreten? Oder war er sogar aktiver Mittäter? Tangerding ist überzeugt: Kontroverse Diskussionen und Konflikte gehören zur Aufarbeitung dazu. "Wir glauben sogar, dass man mehr über die NS-Zeit streiten muss." Hinzu komme bei vielen Menschen eine Art Überdruss bei diesem Thema. Den kennt Clemens Tangerding sogar selbst. Er glaubt: Überdruss entsteht durch mangelnde Partizipation und durch abstrakte, moralisierende Sätze. "Man bekommt immer wieder das Gleiche gesagt: Wie schlimm die NS-Zeit war, dass das nie wieder passieren darf, dass wir tolerant sein müssen gegenüber Minderheiten", stellt er fest. (Rebecca Dieckmann, Hessenschau)

Ich bin mir ehrlich gesagt unsicher, ob "abstrakrte, moralisierende Sätze" eine akkurate Beschreibung des aktuellen Umgangs mit der NS-Vergangenheit ist. Es gab sicher eine Periode, vor allem um die Jahrtausendwende herum, in der der Umgang reichlich ritualistisch wurde und auch eine Überfütterung des immer gleichen Zeugs einsetzte (das kann man auch an den Bildungsplänen dieser Zeit sehen), aber das scheint mir eigentlich weitgehend vorbei. Bin aber gerne gespannt, wie ihr das außerhalb meiner Geschichtsunterrichts-Blase wahrnehmt.

Tangerdings sonstigen Forderungen kann ich nur zustimmen. Die Idee, wir wüssten hinreichend gut über den Nationalsozialismus Bescheid und es gebe keine Debatten oder Aufklärungsarbeit mehr zu leisten, ist völlig falsch. Nicht nur ist die öffentliche Debatte auf einem geschichtswissenschaftlich furchtbar rückständigen Stand, sondern häufig auch in sehr groben Strichen gemalt. Das merkt man schon beim Holocaust, wo alle immer glauben, voll Bescheid zu wissen, aber das tatsächliche Wissen sehr gering ist.

11) Rassismus im Lehrerzimmer

Kurz bevor ich mein Referendariat abschloss, holte mich meine Befürchtung dennoch ein. Ein Kollege sagte während einer Diskussion im Lehrerzimmer: "Der Islam ist für mich die Religion des Bösen." Wir hatten uns über die damals noch junge Pegida-Bewegung unterhalten. Auf meine Nachfrage erzählte er mir, im Islam müsse jeder Mann seine Frau schlagen, das stünde so im Koran. Ob er mich jetzt für böse hielt, weil ich Muslim bin, fragte ich. Er antwortete, er habe mich nicht für einen Muslim gehalten, sondern bisher gedacht, ich sei intelligent. Ich suchte den Augenkontakt der Kollegen und Kolleginnen – manche schauten betreten weg, andere verließen sogar den Raum, aber niemand stand mir bei. Im Gegenteil: Eine Kollegin fragte, ob es denn stimme, dass Frauen im Islam geschlagen werden müssten. Ich begann, mich und meine Religion zu rechtfertigen und fühlte mich wie in einem Polizeiverhör. [...] Ich beobachte häufiger als früher: Schüler und Schülerinnen wehren sich gegen rassistische Anfeindungen. Und Schulleitungen nehmen ihre Beschwerden, Rassismus und Mobbing ernst. Aber das reicht noch nicht. Es rechtfertigt noch nicht das Schild, das auch am Eingang meiner jetzigen Schule hängt: "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage". Nicht unbedingt wegen der Kollegen und Kolleginnen, die migrantische Lehrerinnen und Schüler anfeinden – sie sind eine kleine Minderheit. Problematischer finde ich inzwischen fast die, die wegschauen oder aus dem Raum gehen. Sie lehnen Rassismus zwar ab, tun aber nichts dagegen. Nur mit der Mehrheit der Pädagogen kann Schule wirklich Courage zeigen, kann aus der "Schule ohne Rassismus" wirklich etwas werden. (Mansur Seddiqzai, ZEIT)

Der Artikel ist auch wegen der anderen Beobachtungen und Erfahrungen Seddiqzais lesenswert, aber ich wollte diesen Aspekt kommentieren, weil er einer ist, aus dem ich selbst Erfahrungen beisteuern kann. Seddiqzai hat völlig Recht, wenn er die Untätigkeit der anständigen Mehrheit kritisiert. Es ist dieser Boden, auf dem Rassismus und Menschenfeindlichkeit gedeiht. War es schon immer, wird es immer sein: das Wegschauen, der Mangel an Zivilcourage ermöglicht überhaupt erst das bösartige Verhalten.

Nur: den inneren Schweinehund zu überwinden und die Zivilcourage tatsächlich zu zeigen, Leute auf ihr Fehlverhalten anzusprechen, ist einfach wahnsinnig schwer. Ich merke das auch immer wieder. Will man den Streit wirklich anfangen? Ich finde das schon super schwer bei völlig Fremden, ob sie jetzt die Maske im ÖPVN oder Einkaufsladen nicht richtig tragen oder ob sie andere belästigen. Noch schwerer ist es bei den eigenen Kolleg*innen oder gar Verwandten und Freunden, die man ständig sieht.

Natürlich ist das kein Grund, nicht einzugreifen, und jedes Mal, in dem man es nicht tut, ist letztlich ein persönliches Charakterversagen. Aber es ist sehr schwer, den selbst gesteckten Anspruch auch durchzuhalten.

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