Donnerstag, 1. Juli 2021

Bücherliste Juni 2021

 

Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.

Diesen Monat in Büchern: Besiegte, Hungerspiele, Gefährliche Liebe, Flammender Zorn, Troja, Nibelungen, Kalorien, Game of Thrones, Israel, Empire, Polikter*innenalltag

Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Weimar

BÜCHER

Robert Gerwarth - The Vanquished. Why the First World War failed to end, 1917-1923

In der deutschen historischen Wahrnehmung endet der Erste Weltkrieg mit dem Waffenstillstand am 11.11.1918. In jüngerer Zeit wurde der kurze deutsche Bürgerkrieg 1918/19 etwas mehr in die Erinnerung gerückt, aber danach leben wir in der "Zwischenkriegszeit", einer Periode, die je nach Sichtweise ein Zwischenspiel zum nächsten Armageddon war oder eine tragische Fehlentwicklung. Robert Gerwarths Buch fordert diese west-zentrierten Sichtweisen heraus. Letztlich ist die Periode von 1917-1923 mitnichten eine des Friedens, obwohl der Erste Weltkrieg offiziell geendet hatte.

Gerwarth zeigt stattdessen auf, dass der Krieg vielmehr in den meisten Staaten unvermittelt weiterging, nur in kleinerem, aber nicht weniger tödlichen Maßstab. Grenzkonflikte und Bürgerkrieg zerrissen Ungarn, Rumänien, Bulgarien, das frisch gegründete Jugoslawien, die junge Türkei, Griechenland, die baltischen Staaten, Russland, Polen, die kurzlebige Ukraine und Italien. Russland selbst war in einem mörderischen Bürgerkrieg versunken, dessen Opferzahlen die des vorangegangenen Weltkriegs deutlich überschritten.

Die Perspektive besonders auf Osteuropa und Kleinasien, die Gerwarth in diesem Buch aufwirft, fordert traditionelle Narrative über das Ende des Weltkriegs, die Friedenskonferenzen und die "Zwischenkriegszeit" fundamental heraus und verändert den Blickwinkel deutlich. Und dabei geht der Autor noch nicht einmal auf die unvermindert fortschreitende Gewalt in den Kolonien und "Mandatsgebieten" ein.

Besonders angenehm ist der Fokus auf den einer breiten Öffentlichkeit weniger bekannten Akteuren in Osteuropa und Kleinasien und die zurückhaltende Rolle von Wilson, Lloyd George und Clemenceau, die alle eher Naturkräfte bleiben, deren Handlungen unbeabsichtigte Konsequenzen haben, die Konflikte an anderer Stelle befeuern. Gerwarth gelingt es zudem, einen Roten Faden zwischen all diesen Konflikten auszumachen und sie ebenso grundsätzlichen Prinzipien und Dynamiken wie dem Nationalismus und dem Kampf gegen die bolschewistische Revolution einerseits zuzuordnen als sie andererseits auch als Ausfluss des Versuchs der Entente, eine nachhaltige Friedensordnung zu schaffen, darzustellen.

Nichts versinnbildlicht wohl die grundsätzliche Mission des Buches und seinen Erfolg beim Verändern der Perspektive der Lesenden so sehr wie die Tatsache, dass Woodrow Wilson noch am Tag der Unterzeichnung des Versailler Vertrags abreiste. All die Konflikte mit ihren hunderttausenden von Toten und unermesslichem Leid, von denen dieses Buch erzählt, interessierten ihn nicht. Sie interessierten lange auch die Geschichtsschreibung nicht. Es ist gut, dass dieser Trend nun langsam, aber stetig revidiert wird.

Suzanne Collins - Die Tribute von Panem: Tödliche Spiele (Suzanne Collins - The Hunger Games)

Unter der YA-Literatur sticht Suzanne Collins "Tribute von Panem" deutlich heraus. Das Grundthema des Buches - in einer dystopischen Zukunft müssen Jugendliche in einer Arena zu einem Kampf auf Leben und Tod antreten - ist nicht rasend originell. Der berühmte japanische Filmklassiker "Battle Royale" hat sich bereits vor 20 Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt.

Was die grundsätzlich solide, aber wenig aufregende Prämisse so weit hervorhebt, dass das Buch auch für ein erwachsenes Publikum interessant ist (es ist das zweite Mal, dass ich die Serie komplett gelesen habe), ist Collins Schreibstil und die Schwerpunktsetzungen innerhalb der Geschichte.

Faktor Nummer eins ist die Erzählperspektive. Der komplette Roman ist aus personeller Ich-Perspektive erzählt, und Collins nutzt die Beschränktheit der Protagonistin auf großartige Art und Weise, um die Handlung zu erzählen.

Faktor Nummer zwei ist die Ernsthaftigkeit, mit der Collins das Thema angeht. Die dem Setting inhärente Gewalt wird nicht einfach nur als aufregender Hintergrund verwendet, sondern hat deutliche Auswirkungen auf das Mindset und die Mentalität der Protagonisten.

Auch die restliche Konstruktion des Romans mit intertextuellen Verweisen ist reichhaltig und lohnt die Lektüre. Die Filmadaption erreicht das Qualitätslevel des Romans leider nicht und dürfte diverse Leute für die Romanvorlage abgeschreckt haben. Man sollte da nicht darauf hereinfallen.

Suzanne Collins - Die Tribute von Panem: Gefährliche Liebe (Suzanne Collins - Catching Fire)

Wo das erste Buch eine solide Grundlage legte, baut der zweite Band auf subtile, aber beeindruckende Weise darauf auf. Die eigentliche Handlung - der dystopische Staat bricht sein Versprechen, und unsere Protagonisten finden sich erneut in der Arena wieder - ist wiederum ordentlich, aber wenig bemerkenswert.

Bemerkenswert sind vielmehr die kleinen Details, die die Handlung über das durchschnittliche YA-Niveau hinausheben. Die Medienkritik, die bereits im ersten Band prominent war, wird im zweiten deutlich vertieft und um politische Komplikationen vermengt. Es zeigt sich, wie in der Bildung von Narrativen selbst die besten Pläne schnell Makulatur werden können, ob seitens der Protagonisten oder Antagonisten.

Die erste Hälfte des Bandes beschäftigt sich mit dem Versuch der Protagonisten, unter den Augen ihrer Feinde und im Zentrum der Aufmerksamkeit zu überleben, ein Ziel, dass sie mit ihren Gegnern gemeinsam haben - und das sie quasi kollektiv nicht erreichen können.

Die ausbrechende Revolution, die wegen der cleveren Nutzung der eingeschränkten Erzählperspektive für die Hauptperson kaum merklich stattfindet - und damit auch den Lesenden vorenthalten wird und als Überraschung kommt, obwohl die Anzeichen eigentlich kaum zu übersehen sind - wird auf so viele Arten mit den Charakteren und der Geschichte verwoben, dass man nur den Hut vor diesem Geschick ziehen kann.

Ebenfalls beeindruckend ist, wie die psychologischen Folgen der Ereignisse aus dem ersten Band thematisiert werden. Die Protagonisten leiden deutlich unter PTSD, kommen kaum damit zurande, was sie eigentlich getan haben und bräuchten eigentlich psychiatrische Hilfe. Collins macht zudem sehr deutlich, dass sie damit nicht alleine sind - alle Sieger*innen der Hungerspiele sind psychische Wracks.

Diese Dimension fordert die Lesenden heraus, und dass es Collins geschafft hat, solche Themen in YA-Literatur unterzubringen, fordert echten Respekt ab.

Suzanne Collins - Die Tribute von Panem: Flammender Zorn (Suzanne Collins - Mockingjay)

Schlichen sich Themen wie PTSD und genozidale Verbrechen im zweiten Band noch an die Leser heran und lauerten gewissermaßen am Rand des Geschehens, so nehmen sie im dritten Band die Hauptrolle ein. Nun endgültig Mitglied der Rebellion versuchen die Protagonisten, den dystopischen Staat zu stürzen. Doch abseits dieses Grundgerüsts passiert in der Handlung praktisch nichts, wie man es erwarten würde.

Ohne dass Collins je den Fehler macht, irgendwelche Wendungen ohne logischen Unterbau und vorhergehende Vorbereitung unterzubringen, werden die Erwartungen der Lesenden permanent gebrochen. Die Hauptcharaktere sind bestenfalls Helden wider Willen, aber eigentlich überhaupt keine Helden. Die Rebellen sind nicht die Guten, sondern nur weniger schlecht als die Bösen. Politik ist überall mit faulen Kompromissen und Entscheidungen ohne gute Optionen verbunden. Und so weiter.

Der offene Umgang mit psychologischen Traumata, Mechanismen von Propaganda, Guerilla-Kriegsführung, Kriegsverbrechen, Flucht und so weiter macht den dritten Band zu schwerer Kost, für YA-Literatur sowieso. Aber der großartige Schreibstil Collins' zieht durch die Lektüre, bereitet die Themen so auf, dass sie zwar Anlass für Reflexion und Diskussion bieten, aber vom Zielpublikum dennoch gelesen und genossen werden können.

Ich habe absichtlich so allgemein und spoilerfrei wie möglich geschrieben, weil ich hoffe, dass diejenigen, die die Bücher nicht kennen, darüber nachdenken, sie zu lesen. Es lohnt sich.

Stephen Fry - Troy (noch nicht auf Deutsch erschienen)

Nach den ersten beiden Bänden der Mythos-Trilogie (hier und hier besprochen) wendet sich Stephen Fry nun der Mutter aller Sagen zu, dem Trojanischen Krieg.

Wie immer, wenn man Serien bespricht, ist es schwierig noch Neues zum Stil oder Autor zu sagen: wem der sehr britische Stil Frys bisher gefallen hat, der wird auch seine Neuerzählung des Trojanischen Krieges lieben. Seine Auswahl der Quellen enthält keine großen Überraschungen, genausowenig seine Interpretationen. Das ist kein Qualitätsurteil, nur eine Feststellung.

Was mir aufgefallen ist, ist, dass ich den Teil der Geschichte zwischen Achilles' Tod (also dem Ende der eigentlichen Ilias) und dem Ende der Sage mit dem Trojanischen Pferd völlig unabhängig vom Erzählenden einfach nicht sonderlich interessant finde. Es fühlt sich alles sehr gleichförmig an. Prophezeiungen, Auftritt neuer Helden, aresteia, massenhaft Tote. Selbst der Tod Achilles wirkt immer merkwürdig irrelevant, da hat Boromirs Abgang im "Herr der Ringe" wesentlich mehr Gewicht.

Vielleicht liegt das daran, dass nicht Homer selbst schreibt, vielleicht ist es ein strukturelles Problem der Sage. Aber ich bin immer froh, wenn Odysseus endlich die Idee zu dem verdammten Pferd hat, damit das sinnlose Gemetzel endlich ein Ende hat.

Auguste Lechner - Die Nibelungen

Wo wir schon bei Sagen sind, habe ich mir diesen Klassiker vorgenommen. Mein Hintergrundgedanke war einerseits, endlich mal wieder die Nibelungensage zu lesen (die mit zu meinen Lieblings-Klassikern gehört), andererseits aber zu prüfen, ob der oft empfohlene Lechner sich für den Unterrichtseinsatz eignet.

Erzählt werden beide Teile der Nibelungensage sowie in zwei einleitenden Kapiteln die Jugend Siegfrieds. Das ist nicht ungewöhnlich; die meisten Adaptionen enthalten die Geschichte von seiner Gesellenzeit beim Schmied Mimir und dem Töten des Drachen (die eigentliche Nibelungensage beginnt mit Siegfrieds Ankunft am Burgundenhof, wo Hagen die Origin-Story Siegfrieds erzählt). Wirklich konsistent war dieser Teil der Legende aber nie; der Drachentöter- und Nibelungenbezwinger-Siegfried ist ein wesentlich archaischerer Held denn der fahrende Recke, der am Burgundenhof aufkreuzt.

Empfehlen kann ich die Nacherzählung Lechners nicht. Man merkt ihr ihr deutliches Alter (1977!) merklich an. Nicht nur ist die Sprache altmodisch - und nicht in dem Sinn, dass sie zwingend super zu den Nibelungen passen würde, sondern eher, dass sie den "Jugendbuch aus den 1970ern"-Vibe hat -, Lechner gelingt es auch nicht, die Nibelungen und ihre Mentalität und Handlungsweise begreiflich zu machen.

Es ist, als ob Lechner voraussetzen würde, dass man die entsprechenden Vorkenntnisse mitbringt, was bei einem Jugendbuch eine eher verquere Vorbedingung ist. Nur ein Beispiel: Als Hagen bei der Hochzeit Giselhers um den Schild des verstorbenen Schwagers Rüdegers als Gastgeschenk bittet und später, in der finalen Konfrontation mit Rüdeger, diesem gesteht, dass der Schild kaputt ist und um einen bittet - da macht Lechner an keiner Stelle klar, warum Hagen das tut und warum es bedeutsam ist.

Dass Rüdeger durch die Hochzeit mit Giselher einen Lehenseid mit den Nibelungen eingegangen ist, der im Widerspruch zu dem mit Etzel steht und dass dieser innere Konflikt ihn völlig zerreißt - bei Lechner bleibt das völlig unklar, man hat eher den Eindruck, Rüdeger kämpfe eben nicht gern und möge die Nibelungen einfach. Und dass Hagens Bitte um einen Schild nicht seiner Sorge um vollständige Ausrüstung entspringt, sondern Rüdeger eine Möglichkeit bietet, seinen Lehenseid gegenüber den Nibelungen im Geiste des Schwurs zu erfüllen und so ehrenhaft zu sterben - bei Lechner bleibt das komplett unklar. Die Episode wird erzählt, aber warum der Schild irgendeine Bedeutung hat, ist dem nicht einschlägig vorgebildeten Lesenden unbegreiflich.

Da ist es deutlich besser, zu der nicht minder veralteten, aber wesentlich besser erklärten Nacherzählung des Nibelungenlieds durch Joachim Fernau zu greifen. Nicht, dass ich das uneingeschränkt empfehlen könnte. Aber besser als der Griff zu Lechner ist es allemal.

Brendan Simms - Three Victories and a Defeat. The Rise and Fall of the First British Empire, 1711-1783

In diesem Werk stellt Brendan Simms die These auf, dass entgegen der üblichen Blue-Navy-Nostalgie der Briten die Genese des britischen Weltreichs nicht darin begründet lag, dass die Inselnation die stärkste Seemacht aufgestellt und sich auf die Welt konzentriert habe, während Europa mit sich selbst beschäftigt war - eine Sicht, die ja auch die Brexit-Nostalgie maßgeblich befeuert und derzeit einen ziemlich rüden Realitätscheck erlebt - sondern dass es gerade die enge Verknüpfung mit und das weitgehende Engagement auf dem Kontinent war, das die britische Macht im 18. Jahrhundert immer weiter steigerte.

Die These ist grundsätzlich spannend, und der Autor beginnt sein Werk damit, die größeren Linien dieser Politik aufzuzeigen, indem er Englands Verwicklungen in die europäische Großmachtpolitik des 17. Jahrhunderts nachzeichnet, ehe er in ein (sehr) detaillierte Betrachtung des eigentlichen Themas übergibt.

Ich habe die Lektüre des Buchs nach den ersten 60 oder 70 Seiten abgebrochen. Nicht, weil das Buch schlecht wäre, sondern schlicht, weil ich nicht das Zielpublikum bin. Ich bin ebenso angetan wie andere von Revisionismus gegen allzu simple und wirkmächtige Narrative, aber die Lektüre des Buchs setzt eine Grundlagenkenntnis voraus, die ich schlicht nicht besitze. Der Autor erwartet, dass man mit den Gründzügen der englischen Politik und der englischen Akteure des 17. und 18. Jahrhunderts soweit vertraut ist, dass er seinen Revisionismus direkt daraufsetzen kann - und diese Kenntnisse habe ich einfach nicht. Wer sie hat, dem sei dies Buch herzlich anempfohlen.

Herman Pontzer - Burn. New Research blows the lid off how the really burn calories, stay healthy and lose weight

Es gibt ungefähr so viele schlechte Bücher zum Thema Metabolismus, Essgewohnheiten und Sport (und ihren Interaktionen) wie Sand am Meer. Ich bin zu diesem Buch über einen Gastauftritt des Autors im geschätzten Podcast "Why is this happening, with Chris Hayes" gekommen. Chris Hayes ist nicht jemand, der Leuten eine Plattform gibt, die Scharlatane sind, und erst recht empfiehlt er keine schlechten Bücher. Also habe ich mich dran gemacht.

Pontzers Buch ist mehr als spannend. Der Anthropologe und Biologe untersucht ausgehend von einer Untersuchung des Energiebedarfs des Jäger-und-Sammler-Stamms der Hadsa in Tansania die Frage, wie unsere Körper tatsächlich Energie aufnehmen und verarbeiten. Dabei entpuppt er sich auch als meisterlicher Geschichtenerzähler, der bei dem eher technischen Thema einen echten Spannungsbogen zu entwerfen weiß.

Von der Funktionsweise unseres Metabolismus kommt er zu der aufsehenserregendsten Erkenntnis des Werks: die Hadsa, die am Tag mehr Bewegung haben als die meisten Amerikaner*innen in einer ganzen Woche, verbrennen exakt gleich viel Energie wie ihre sesshaften Cousins jenseits des Atlantiks. Diese erstaunliche Erkenntnis wird dann weiter ausgebaut und erläutert, und Pontzer zeigt überzeugend auf, warum man mit Sport nicht abnehmen kann - und warum Sport dennoch von entscheidender Bedeutung für unsere Gesundheit ist.

Ebenfalls betrachtet werden verschiedene Nahrungsmittel und ihre Auswirkungen auf Körper, Gesundheit und Gewicht, wobei das mittlerweile weithin bekannte Resultat herauskommt, nach dem es keine perfekten Ernährungsgewohnheiten gibt. Wir Menschen sind Allesfresser, und das Entscheidende ist nicht was, sondern wie viel (sofern die eigene Ernähung die benötigten Nährstoffe enthält, natürlich).

Ich will an der Stelle nicht sämtliche spannenden Erkenntnisse auflisten; Interessierte mögen für die Kurzfassung das Interview mit Chris Hayes anhören (kostenlos) oder gleich das Buch lesen (nicht übermäßig lang und wenn ihr es über den Link kauft bekomme ich Prozente ;)).

Peter Dausend/Horand Knaup - Alleiner kannst du gar nicht sein. Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst

Das Leben von Politiker*innen ist kein Zuckerschlecken. Über den Alltag der Politiker*innen in einer Demokratie wie unserer ist vergleichsweise wenig bekannt, aber die meisten Leute sind sich ziemlich sicher, dass die Volksvertretenden ein ziemliches Lotterleben führen. Zwischen Verachtung und Neid in der breiten Gesellschaft gibt es wenig Platz für Zwischentöne; das vorliegende Buch, für das über 50 Aktive und Ehemalige befragt wurden, ist da ein notwendiger und interessanter Ausgleich.

In 17 Unterkapiteln sortieren die Autoren die Aussagen und Geschichten verschiedenster Politiker*innen ein, vom Alkoholmissbrauch zu Parteifreunschaften, von Wahlsiegen und -niederlagen über Seitensprünge, den Fahrdienst des Bundestags, das Pendeln zwischen Wahlkreis und Berlin und die Möglichkeiten und Begrenzungen in der Arbeit.

Das Bild, das hier entworfen wird, ist ziemlich klar: die Volksvertretenden leisten eine Menge Arbeit - 7 Tage die Woche, oft mehr als 12 Stunden am Tag - und bezahlen einen hohen Preis dafür. Aber der Zugang zu Macht und Wichtigkeit, die Chance etwas zu verändern, hält fast alle bei der Stange. Das Buch macht Politik als Prozess und Beruf verständlich und nahbar, und es ist alleine deswegen empfehlenswert, weil es ein Licht auf einen Bereich wirft, über den man als mündige Bürger*innen ohnehin nie genug wissen kann. Dass es dazu noch flüsisg und leicht lesbar geschrieben ist, ist ein zusätzlicher Bonus.

Noam Zadoff - Geschichte Israels

Der Nahostkonflikt ist eines der großen Themen, die ich eigentlich überhaupt nicht kommentiere. Zu sehr ist er ein Minenfeld, zu gering sind meine Kenntnisse. Mit dem vorliegenden Büchlein habe ich mir nun einige Grundkenntnisse über die israelische Geschichte zugelegt. Das bedeutet nicht, dass ich künfig den Nahostkonflikt kommentieren werde, aber ich habe das Gefühl, das Ganze etwas besser zu verstehen.

Der Band beginnt mit den fünf jüdischen Einwanderungswellen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit der bewussten Zielsetzung der Staatsgründung und endet in den 2000er Jahren mit Scharons Tod und dem Ende der zweiten Intifada. Neben der politischen Geschichte gibt es in der Mitte des Bändchens einen ausführlichen Teil, der sich mit Kultur, Gesellschaft und Religion beschäftigt und so wertvollen Kontext liefert.

Besonders interessant fand ich, welche Auswirkungen die verschiedenen Einwanderungswellen auf den ethnischen und kulturellen Mix Israels hatten und wie das Land (mal mehr, mal weniger erfolgreich) die Neuankömmlinge integrieren konnte. Auch spannend war der Abgang der Gründergeneration, deren Ideale von den jungen Menschen der 1960er nicht mehr geteilt wurden und zu Spannungen führten - wie überall in der westlichen Welt.

Überhaupt, und das nehme ich als zentrale Lektion mit, ist Israel zwar durchaus ein westliches Land, mit Demokratie und Rechtsstaat und allem was dazugehört, aber gleichzeitig auch eine Nation mit eigenen Traditionen, die in der westlichen Welt allenfalls in einigen evangelikalen Hardcore-Sekten der USA eine Entsprechung finden (die, wenig überraschend, ja zu den stärksten Verteidigern Israels gehören).

Fazit: Lektüre ist schnell und flüssig, als Einstiegswerk sehr zu empfehlen.

James Hibberd - Fire cannot kill a dragon (James Hibberd - Feuer kann einen Drachen nicht töten)

Es dürfte hinreichend bekannt sein, dass ich ein großer Fan sowohl der "Lied von Eis und Feuer"-Buchreihe als auch ihrer TV-Adaption "Game of Thrones" bin. James Hibberd hat nun mit "Fire cannot kill a dragon" eine, wie er es selbst nennt, "oral history" der Serie vorgelegt. Aus zahllosen Interviews und Hintergrundgesprächen mit den Macher*innen und Schauspieler*innen zusammengestückelt erzählt Hibberd die Geschichte von den ersten Adaptionsplänen Benioffs und Weiss' 2008 bis hin zum umstrittenen (aber großartigen, take that, haters) Staffelfinale 2018.

Es ist leicht, angesichts des Erfolgs von GOT zu vergessen, wie unwahrscheinlich dieser war und wie lange es dauerte, bis die Serie den Kultstatus erreicht hatte, den sie am Ende besaß. Diese Serie hat Fernsehen für immer verändert und dürfte einen bleibenden Platz im kulturellen Gedächtnis der Welt haben, ganz besonders, wenn die Erinnerung an die Enttäuschung beim Finale erst einmal verblasst ist.

Wie meine Podcast-Kolleg*innen und ich auch immer wieder betont haben: die Kusntfertigkeit, das schiere Level an handwerklichem Talent, das in diese Serie floss, ist atemberaubend. Das Buch schafft es sehr gut, verschiedene Seiten des Schaffungsprozesses herauszuarbeiten und liest sich unterhaltsam, locker und flüssig.

Sein Aufbau als "oral history" bringt aber eine gewisse Einseitigkeit mit sich. Abgesehen von einigen seltenen Zitaten kritischer Rezensionen finden sich nur die Beteiligten selbst. Wer den "behind the scenes"-Stil solcher Produktionen kennt, wird nicht überrascht sein zu erfahren, dass die Aussagen von "great", "talented", "best" und Superlativen aller Art nur so wimmeln. Wer sich davon nicht abhalten lässt, erfährt viel Wissenswertes über die Serie und bekommt einen schönen Trip ins Nostalgie-Land.

ZEITSCHRIFTEN

Informationen zur politischen Bildung - Weimar

Weimar ist immer ein aktuelles Thema, besonders in diesen Tagen, da die Weimar-Vergleiche wieder besonders tief und zahlreich fliegen. Gut also, dass die BpB mit dem aktuellen "Informationen zur politischen Bildung" einen dichten Überblick über die Geschichte anbietet.

Besonders positiv fielen mir dieses Mal die Erklärkästen vor allem zu den Biographien entscheidender Player wie Braun, von Papen oder Hugenberg auf, die knapp zusammengefasst die Person kurz vorstellen, wodurch die eigentlichen Texte frei von biografischem Ballast bleiben. Auch ein Kasten zur Borchardt-Kontroverse gefällt; gerne dürfte häufiger auf die historischen Debatten Bezug genommen werden.

Was mir bei diesen Heften (Auflage: 500.000 Stück!) unklar bleibt, ist der Adressat. Sind es Schüler*innen? Interessierte Laien? Lehrkräfte? Ich habe immer das Gefühl, für Schüler*innen sind die Texte oft doch etwas arg verdichtet und erfordern gewisse Grundkenntnisse, ein Problem, das manche Laien eventuell auch teilen mögen. Für Lehrkräfte interessant sind die beigefügten Quellen und Schaubilder, aber ob die den Rest begeistern? Für mich sitzt das Ding immer etwas zwischen den Stühlen, aber wenigstens ist es kostenlos.

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